Bevölkerungszahlen der Ureinwohner in Amerika (1491)

Ambicatus

Neues Mitglied
Hallo,
ich habe eine kurze Frage, gibt es gesicherte Zahlen über die Anzahl der Ureinwohner in Amerika (Nord+Süd, oder zusammen) zur Zeit als Christoph Kolumbus Amerika "entdeckt" hat ?

Am besten mit Quellenangabe.

Danke.
 
Hallo Ambicatus,
auf Deine kurze Frage eine kurze Antwort.
Im 19. Jahrhundert und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Schätzungen präkolumbischer Bevölkerungen besonders durch US-amerikanische Anthropologen von Generation zu Generation auf Bruchteile vorheriger Schätzungen reduziert. Um 1940 ging man nach einer Publikation des einflussreichen Anthropologen Alfred Kröber offiziell davon aus, dass 1492 in der gesamten westlichen Hemisphäre insgesamt lediglich acht Millionen und nördlich des Rio Grande nur etwa eine Million Menschen lebten (der US-Zensus von 1890 hatte 235.116 überlebende Indianer registriert). Diese Schätzungen waren maßgeblich politisch motiviert, da sie die stattgefundene Vernichtung indianischer Völker möglichst klein erscheinen ließ und den Mythos aufrecht erhielt, die Weißen hätten einen weitgehend menschenleeren Kontinent erobert. In den 1960er Jahren machte sich die Berkely School unter Zuhilfenahme moderner Methoden daran, die präkolumbischen Bevölkerungen einzelner Regionen besonders unter dem Gesichtspunkt damaliger Landwirtschaftstechniken und Carrying Capacities zu rekonstruieren. Demzufolge wurde die Bevölkerung von Hispaniola allein auf acht Millionen geschätzt, die von Zentralmexiko sogar auf 25 Millionen. Borah korrigierte demzufolge die Schätzung für Nordamerika auf 7,5 Millionen. Dobyns ermittelte später sogar eine präkolumbische Bevölkerung Nordamerikas von 18 Millionen. Heutzutage schätzt die Mehrheit der führenden Anthropologen, dass die Gesamtbevölkerung der westlichen Hemisphäre um 1500 ca. 75 bis 110 Millionen Menschen betrug und nördlich des Rio Grande ca. 12 Millionen Menschen lebten. Ein Erklärungsansatz besagt, dass die später beobachteten riesigen Büffelherden Weidetiere der stark dezimierten Indianer waren. Die Herdengröße stellte keineswegs ein natürliches Gleichgewicht dar, sondern beruhte auf in wenigen Generationen eingetretener Übervermehrung nach dem starken Rückgang der menschlichen Population (Dritte VolteraßRegel). Das in dieser Hinsicht als sehr konservativ bekannte Smithsonia Institute hat seine Schätzung für Nordamerika vor einiger Zeit auf drei Millionen Menschen verdreifacht.
Gruss Urvo

http://de.wikipedia.org/wiki/Indianer
 
Hallo Klaus,
vor einiger Zeit habe ich eine TV- Dokumentation (BBC) gesehen, die genau den in Deinem Link beschriebenen Sachverhalt beinhaltete.
Gruß Urvo
 
Wie ich schon an anderer Stelle erwähnt habe (http://www.geschichtsforum.de/269172-post22.html) hat es offenbar vor der eigentlichen Inbesitznahme des amerikanischen Kontinents durch die Europäer um 1500 ein weitaus verheerenderes Goßes Sterben gegeben, das bis heute praktisch nicht zur Kenntnis genommen worden ist.

Nicht vor der Inbesitznahme durch die Europäer um 1500, sondern vor der eigentlichen Besiedlung durch Kolonisten. Das große Sterben ist wohl eine Folge der Entdeckung Amerikas. Es war somit eine, zumindest für die frühe Zeit, ungewollte bakteriologische Kriegsführung, der dann teilweise auch eine durchaus gezielte folgte.
 
Das, was die Pilgerväter wahrnahmen, waren demnach die traurigen, desorganisierten Überreste der indianischen Kulturen nach ihrer faktischen Vernichtung

Diese Ausnahmesituation prägt bis heute das Bild, das die Europäer bzw. Euro-Amerikaner von den präkolumbianischen Hochkulturen, auch im Norden Amerikas, haben.

Aber wieso wissen wir so wenig über die Nordamerikanischen Hochkulturen ? Die einzigen, von denen ich gelesen habe, sind die Anasazi, die schon vor Kolumbus verschwanden, und deren bemerkenswerten Bauten von den Apachen (Pueblo-Indianern) später übernommen wurden.
 
Es war somit eine, zumindest für die frühe Zeit, ungewollte bakteriologische Kriegsführung, der dann teilweise auch eine durchaus gezielte folgte.

Da kriegerische Handlungen gezielte Akt sind, kann man hier nicht von biologischer oder bakteriologischer Kriegführung sprechen. Die spätere gezielte
Vernichtung wurde durch diesen historischen Unfall fraglos erleichtert.
 
Das, was die Pilgerväter wahrnahmen, waren demnach die traurigen, desorganisierten Überreste der indianischen Kulturen nach ihrer faktischen Vernichtung

Das betrifft jedoch nicht nur die Pilgerväter. Zb aufgrund von Handelsbeziehungen der indianischen Völker verbreiteten sich die Krankheiten häufig *vor* Reisenden/'Entdeckern' her, so daß in vielen Fällen bereits die Erstberichte über Bevölkerungen einen dezimierten Stand wiedergeben. Weitere Epidemien folgten in aller Regel.

Die Pilgerväter siedelten sich im übrigen in einem aufgrund von Epidemien entvölkerten Dorf an, übernahmen auch die gefüllten Vorratshäuser gerne.

Diese Ausnahmesituation prägt bis heute das Bild, das die Europäer bzw. Euro-Amerikaner von den präkolumbianischen Hochkulturen, auch im Norden Amerikas, haben.

Aber wieso wissen wir so wenig über die Nordamerikanischen Hochkulturen ? Die einzigen, von denen ich gelesen habe, sind die Anasazi, die schon vor Kolumbus verschwanden, und deren bemerkenswerten Bauten von den Apachen (Pueblo-Indianern) später übernommen wurden.

Bitte, bitte - die Apachen sind nicht mit den Pueblo-Völkern identisch. Und nur!!!! bei Karl May wohnen Apachen in Pueblos, jedoch nicht in der Realität. Die Pueblo-Völker haben außerdem soweit ich weiß nicht die Dörfer der Anasazi übernommen, sondern eigene gebaut; die Orte, an denen Anasazi einerseits und Pueblo andererseits sich ansiedelten, sind nicht identisch.

Es gab in präkolumbischer Zeit zb im Südwesten die sogen Mississippi-Kulturen, zu denen auch Cahokia gehört, das bereits lange vor Kolumbus aufgegeben wurde. Ein Nachfolger der Mississippi-Kultur wird im Volk der Natchez gesehen, das eine mehrklassige Gesellschaft ausgebildet hatte.
 
Ein Nachfolger der Mississippi-Kultur wird im Volk der Natchez gesehen, das eine mehrklassige Gesellschaft ausgebildet hatte.

Interessant. Jetzt mal ohne zu kibitzen, die Natchez saßen etwa im heutigen Bundesstaat Louisiana, oder?

So ganz tief im Gedächtnis kramend, erinnere ich noch eine (oder mehrere?) (städtische?) Kultur(en) südl. der großen Seen. Trügt mich die Erinnerung? :confused:
 
Durch ihre lange Isolation waren die Indianer gegen für Europäer harmlose Erreger nicht immun, selbst ganz flüchtige Kontakte mit Europäern konnten zu verheerenden Seuchen führen. 1529 wütete eine seuche in Texas. In Virginia ging die indianische bevölkerung in kurzer zeit um 25% zurück. Im Norden wurden die Micmac im 16 Jahrhundert um gut ein Drittel dezimiert. Die Bevölkerung einiger Stämme im Süden ging wohl noch stärker zurück.

In ihren demographischen Dimensionen, in ihren Auswirkungen auf Macht und Sozialgefüge und auf Wirtschaftsstrukturen indianischer Stämme waren das Belastungen, die womöglich die Grössenordnung der europäischen Pestepidemien seit dem 14. Jahrhundert noch übertreffen.
 
Interessant. Jetzt mal ohne zu kibitzen, die Natchez saßen etwa im heutigen Bundesstaat Louisiana, oder?

Mit Kiebitzen :D auf der Karte: nein, nicht so weit südlich, also im Gebiet der heutigen Bundesstaaten Arkansas und Mississippi.

So ganz tief im Gedächtnis kramend, erinnere ich noch eine (oder mehrere?) (städtische?) Kultur(en) südl. der großen Seen. Trügt mich die Erinnerung?

Wenn man schon mal nur eben schnell antworten will....:weinen:
Es gab mehrere präkolumbische Kulturen im östlichen Waldland (Nord und Süd):

die Adena-Kultur, ca 1000 - 300 vor Chr., Ursprung wohl Ohiotal

die Hopewell-Kultur, ca 300 vor - 400/500 nach Chr., Ursprung wohl Illinois, weitere Verbreitung Ohio, Indiana, Michigan, Wisconsin, Iowa, Missouri (hier wurde bereits Kupfererz verarbeitet, das durch Handel erworben wurde)

die Mississippi-Kultur, ca 800 - 1500 nach Chr., verbreitet im gesamten östlichen Waldland, Entstehung mit der Einführung des Maisanbaus (ab ca 1000 n.Chr. waren Maissorten an kürzere Wachstumsperioden angepaßt)


Scorpio schrieb:
Durch ihre lange Isolation waren die Indianer gegen für Europäer harmlose Erreger nicht immun, selbst ganz flüchtige Kontakte mit Europäern konnten zu verheerenden Seuchen führen. 1529 wütete eine seuche in Texas. In Virginia ging die indianische bevölkerung in kurzer zeit um 25% zurück. Im Norden wurden die Micmac im 16 Jahrhundert um gut ein Drittel dezimiert.
Weniger aufgrund der Isolation, sondern aufgrund der anderen Wirtschaftsweise, da viele der in Europa gängigen Krankheiten durch mutierte Erreger ausgelöst werden, die ursprünglich nur Tiere befielen; der Erstkontakt der Europäer mit diesen Krankheiten hatte also bereits sehr viel früher stattgefunden. Da Tierzucht, jedenfalls soweit es Schafe, Kühe betrifft, in präkolumbischer Zeit nicht stattfinden konnte, waren die Erreger, die ursprünglich diese Tierarten befielen und die die Artengrenze übersprungen hatten, unbekannt. Insbesondere bei Pockenepidemien kam es vor, daß bis zu 90% der erkrankten Indianer nicht überlebten und die Erkrankungen auch heftiger verliefen als bei Europäern.
 
Durch ihre lange Isolation waren die Indianer gegen für Europäer harmlose Erreger nicht immun, selbst ganz flüchtige Kontakte mit Europäern konnten zu verheerenden Seuchen führen. 1529 wütete eine seuche in Texas. In Virginia ging die indianische bevölkerung in kurzer zeit um 25% zurück. Im Norden wurden die Micmac im 16 Jahrhundert um gut ein Drittel dezimiert. Die Bevölkerung einiger Stämme im Süden ging wohl noch stärker zurück.

Kannst du die "harmlosen Erreger für Europäer" (Krankheiten, Seuchen) näher benennen?
 
Soweit mir bekannt waren es nicht die Pocken, sondern die Windpocken, die so tödlich wirkten. Belege kann ich nicht anführen, aber wer die als Kind nicht hatte, kriegt als Erwachsener auch heute noch arge Probleme bei Infektion.
 
Durch ihre lange Isolation waren die Indianer gegen für Europäer harmlose Erreger nicht immun,
Dass die Europäer gegen Viehseuchen (Schweinepest, Kuhpocken, Hühnergrippe,...) "immun geworden" seien, ist ein Euphemismus - es wurde im Laufe dieses Prozesses offenbar sehr viel gestorben. Man muss es sich wohl so vorstellen, dass es im Laufe der neolithischen Revolution ff. einige Massenepidemien gab (z. B.
http://www.welt.de/wissenschaft/article698966/Uraltes_Massengrab_im_Saalkreis_gefunden.html
) und die Bevölkerungszahlen dann jeweils wieder - ausgehend von einer Restpopulation mit einer Anreicherung an genetisch "immuneren" Überlebenden - anstiegen.

Da die Abspaltung der Indianer von den Eurasiern vor 18 000 Jahren, also vor der neolithische Revolution stattfand, waren die Indianer von diesen jeweiligen Massensterben ausgeschlossen. Dafür brachen alle diese Krankheiten nach dem Kontakt mit den Europäern gleichzeitig aus, was ihre verheerende Wirkung potenzierte. Eine Erhohlung der Population oder gar ein Wiederaufbau der indigenen Gesellschaften scheiterte an der Ausbreitung der Immigranten.

Dazu : Indianer, Teil 2: Totenzahlen « USA Erklärt
Als Kolumbus Hispaniola erreichte, gab es dort acht Millionen Indianer, bis 1535 keinen einzigen mehr.
Offenbar müssen wir unsere Vorstellungen von der präkolumbianischen Besiedelungsdichte auf dem gesamten Doppelkontinent deutlich nach oben korrigieren.

Noch eine Bemerkung : Als die Wikinger um 1000 nach Vinland kamen, hatten sie dort massiv Konflikte mit den "Skrälingen", noch ein Hinweis darauf, dass es in Nordamerika nicht nur eine Million Indianer gab, die durch die menschenleeren Prärien streiften.
 
Durch die Prärien sowieso nicht. Die wurden erst mit Erscheinen des Pferdes wirklich attraktiv.
Die Immunität gegenüber Viehseuchen ist insofern ein guter Punkt, da man hier sieht, wie die Evolution noch trotz Zivilisation fortwirkte. Das einzige andere mir bekannte Beispiel (das aber nicht so plausibel ist) ist die Schwer-Schildtheorie zur Rechtshändigkeit.
 
Es ist u.a. ein Tippfehler. Muss Schwert-Schildtheorie heißen. Der Überschuss an Rechtshändern wird darauf zurückgeführt, dass in den SChlachten Rechtshänder eine höhere Überlebenschance hatten, weil sie den Schild links, also über dem Herzen trugen. Ich halte nicht viel von dieser Theorie (oder These), da der Effekt imho nicht ausreicht um ein Verhältnis von 1:9 zu erklären. Bei den meisten anderen Säugern (u.a. Ratten, Affen,...) aber ist die Verteilung relativ gleichmäßig 50:50
 
Genaueren Bestimmungen der eingeschleppten Krankheiten ist man inzwischen auf der Spur:

aus der Nature von heute:

Salmonella enterica genomes from victims of a major sixteenth-century epidemic in Mexico

Indigenous populations of the Americas experienced high mortality rates during the early contact period as a result of infectious diseases, many of which were introduced by Europeans. Most of the pathogenic agents that caused these outbreaks remain unknown. Through the introduction of a new metagenomic analysis tool called MALT, applied here to search for traces of ancient pathogen DNA, we were able to identify Salmonella enterica in individuals buried in an early contact era epidemic cemetery at Teposcolula-Yucundaa, Oaxaca in southern Mexico. This cemetery is linked, based on historical and archaeological evidence, to the 1545–1550 CE epidemic that affected large parts of Mexico. Locally, this epidemic was known as ‘cocoliztli’, the pathogenic cause of which has been debated for more than a century. Here, we present genome-wide data from ten individuals for Salmonella entericasubsp. enterica serovar Paratyphi C, a bacterial cause of enteric fever. We propose that S. Paratyphi C be considered a strong candidate for the epidemic population decline during the 1545 cocoliztli outbreak at Teposcolula-Yucundaa.

Übersetzung ~ DeepL
Indigene Bevölkerungsgruppen in Nord- und Südamerika erlebten in der frühen Kontaktphase hohe Sterblichkeitsraten aufgrund von Infektionskrankheiten, von denen viele von Europäern eingeführt wurden. Die meisten Krankheitserreger, die diese Ausbrüche verursacht haben, sind unbekannt. Durch die Einführung eines neuen metagenomischen Analysewerkzeugs namens MALT, das hier zur Suche nach Spuren alter Erreger-DNA eingesetzt wird, konnten wir Salmonella enterica bei Personen identifizieren, die in einem epidemischen Friedhof in Teposcolula-Yucundaa, Oaxaca im Süden Mexikos begraben wurden. Dieser Friedhof ist, basierend auf historischen und archäologischen Beweisen, mit der Epidemie 1545-1550 CE verbunden, die weite Teile Mexikos betraf. Lokal war diese Epidemie unter dem Namen"cocoliztli" bekannt, dessen pathogene Ursache seit mehr als einem Jahrhundert diskutiert wird. Hier präsentieren wir genomweite Daten von zehn Individuen für Salmonella enterica subsp. enterica serovar Paratyphi C, eine bakterielle Ursache des enterischen Fiebers. Wir schlagen vor, dass S. Paratyphi C als starker Kandidat für den epidemischen Bevölkerungsrückgang während des Ausbruchs des Cocoliztli 1545 in Teposcolula-Yucundaa angesehen wird.


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https://phys.org/news/2018-01-early-colonial-era-mexican-epidemic.html
(newsweek etc. sind ebenfalls schon angehängt)
 
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