fingalo
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Streng genommen müssten wir bei dieser Diskussion erst einmal unterscheiden zwischen Sender und Empfänger.
Ich will die Warte hier einmal vom Empfänger betrachten, weil ich dieser Seite aus gewissen Gründen eine weitaus größere Relevanz zurechne.
ist es hier nicht doch so, dass in den fast 2 Jahrtausenden mehrheitlich von historischen Fakten ausgegangen wird? Wenn Jesus Brot und Fische vermehrt hat, dann hat er das doch für die Gläubigen auch.
Wir haben größte Schwierigkeiten, heute einen Text so zu lesen, wie er z.B. im Jahre 300 gelesen wurde. Ein etwas hinkender Vergleich mag das etwas erläutern: Wir können eine deutsche Zeitung nicht so betrachten, wie sie ein 5-Jähriger betrachtet. Der sieht nur schwarze Flecken, wir sehen sofort und zwangsläufig Bedeutungen. Dabei erleben wir das Gleiche, wenn wir im Bus neben einem sitzen, der eine arabische Zeitung liest.
Was betrachtete der Empfänger damals als "Geschichte"? Was konnte gewusst werden? Nehmen wir mal die ältesten Karten: Hat wirklich niemand bemerkt, dass man nach diesen Karten gar nicht reisen konnte? Dass die Welt "in Wirklichkeit" ganz anders aussah? Warum wurden in den Enzyklopädien nur schematische T-Karten aufgenommen? Bedarf war ja wohl vorhanden, denn es gibt ja ausführliche textliche Wegbeschreibunge, wie man von einem Ort zu einem anderen kommt, und die Seeleute wussten über die Küstenformen gut Bescheid. Sobald es aber um die Welt als Ganzes geht, kommt die T-Karte. Man wusste, dass die Erde eine Kugel ist (wenn diese Frage auch bis in die Neuzeit heftig umstritten war), aber auf den Karten ist der orbis terrarum als Scheibe dargestellt, und zwar kreisförmig, so dass Dänemark umgebogen werden musste.
Man erwartete von einem Text, der die Welt erfasst und erklärt, keine Richtigkeit im phänomenologischen Sinne, sondern im tieferen, philosophischen Sinn.
Um Platons Hölengleichnis heranzuziehen: Die Autoren wollten nicht die äußeren Abläufe abkupfern, die Schatten beschreiben, sie wollten das Eigentliche, was dahintersteht, ergründen, was durch allerlei Nebensächlichkeiten verschüttet ist. Diese werden bei Seite geräumt, um das Eigentliche freizulegen. Oder es werden Wunder hinzugefügt, um das Eigentliche sichtbar zu machen.
Wenn heute ein Straftäter eine Legende erzählt, um sich ein Alibi zu verschaffen, und wenn im frühen Mittelalter ein englischer König sein Geschlecht von den Trojanern ableitet, um seine Herrschaft zu legitimieren, dann ist das rein äußerlich der gleiche Vorgang: Eine erfundene Geschichte. In Bezug auf Sender- und Empfängerintention liegen dazwischen Welten.