Machtantritt Hitlers legal?

Für einen Geschichtsdidaktiker ist das Geschichtsforum natürlich eine äußerst interessante Ressource, denn er untersucht ja weniger historische Begebenheiten, als vielmehr ihre öffentliche Wahrnehmung.

M.E. mach Geiger hier aber einen kleinen methodischen Fehler (der aber letztlich nicht weiter schlimm ist). Manganite bezog sich auf den reinen, formalen Akt der Machtübernahme am 30. Januar 1933 und spricht von Gesetzesänderungen (alles weitere blieb unausgesprochen). Erst Fischhof nennt einige Beiträge später das Ermächtigungsgesetz und stellt dessen Legalität in Frage. Geiger bezieht aber Manganites Posting auf das Ermächtigungsgesetz.
 
M.E. mach Geiger hier aber einen kleinen methodischen Fehler (der aber letztlich nicht weiter schlimm ist)
Geiger nimmt Bezug auf ein Medium, dass vom Diskurs lebt, d. h. davon, dass Hypothesen dargestellt/entwickelt, angegriffen/verteidigt und ggf. revidiert werden. Einfach zwei (frühe) Sätze aus einem Diskurs herauszupicken und sie für "symptomatisch" zu erklären, ist auch für einen "Didaktiker" ziemlich dürftig. (Darf ich das als Nichtbeteiligter sagen!?)
 
(Darf ich das als Nichtbeteiligter sagen!?)

Beteilige dich in aller Gelassenheit.
Ich habe eben entsetzt festgestellt, dass ich ja der Urheber dieses Threads bin. (Es heisst hier ganz schnell, der Threadersteller kümmert sich nicht um sein Thema)
Muss ich jetzt noch mal meine Bücher wälzen? Ihr macht das schon.
Mensch, die Zeit vergeht aber auch.
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber Florian,
Du hast Deinen Faux pax ja wieder schonungslos aufgedeckt.:D

Manganite, Fischhof, Heinz....

Ein Märchen aus uralten Zeiten....

aber der Rhein fließt weiter.:cool:
 
Muss ich jetzt noch mal meine Bücher wälzen?
Nein, den Aleff (6. Aufl. 1970) habe ich auch noch im Regal und finde ihn insgesamt auch recht geglückt samt der zitierten Passage von S. 18 f. Dass am 28.2.34 "mit den Grundrechten [...] der Rechtsstaat und die Demokratie auf 'legalem' Wege abgeschafft (wurden)" (S. 21), würde man heute vielleicht nicht mehr so schreiben. - Aber Schwamm drüber.
 
Dass am 28.2.34 "mit den Grundrechten [...] der Rechtsstaat und die Demokratie auf 'legalem' Wege abgeschafft (wurden)" (S. 21), würde man heute vielleicht nicht mehr so schreiben. - Aber Schwamm drüber.

Bestimmt nicht,

man würde es vermutlich auch nicht auf einen einzigen Schnittpunkt der Abschaffung begrenzen, sondern als Gesamtprozeß begreifen.

Sehr überzeugend finde ich die Darstellung als "Staatsumwälzung" nach der nationalsozialistischen Machterlangung, wobei die einzelnen Aspekte zusammengefügt die Dynamik ergeben:

- die suspendierten Grundrechte (Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, Eigentumsrecht)

- die Dispositionsmacht der Reichsregierung über die sonstigen nicht suspendierten Grundrechte (Gleichheitsgrundsatz, Glaubens-, Gewissens, Koalitionsfreiheit, Rechte der Beamten, Berufs- und Gewerbefreiheit)

- Abbau rechtstaatlicher Grundsätze u.a. der Rechtssicherheit, -schutz durch Gerichte

- Beseitigung der demokratischen elemente der Volkssouveränität, Mehrparteiensystem, Parlamentarismus, Kollegialitätssystem im Kabinett
- Stärkung der beherrschbaren Exekutive durch Schwächung des Parlaments und der Justiz

- Ende des Föderalismus

- Gleichschaltung gesellschaftlicher Organisationen

- Verwendung der nationalsozialistischen Weltanschaung als Grundlage der Rechtsanwendung


Betrachtet man alles zusammen und nicht scheibchenweise, kann man wohl kaum von legaler Abschaffung reden, sondern von Verfassungsbruch (obwohl dieselbe mit teilweise o.g. Veränderungen entgegenstehenden Artikeln formal in Kraft blieb).


Echterhölter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeswchichte Band 16/II.
 
Lieber jschmid,

da kann ich aber nicht zustimmen, gerade wir hier im Geschichtsforum haben ja gesehen, dass man über viel zuviel mit dem Schwamm weggeht.

Dein
Repo

Sag mal, lieber Repo, warum erinnerst du mich an jemandem von früher hier, mit deinen Satzaufbauten?
Ich komme schon noch dahinter, was du meinst.
 
gerade wir hier im Geschichtsforum haben ja gesehen, dass man über viel zuviel mit dem Schwamm weggeht.
Lieber Repo, da hast Du natürlich recht. Auch der Haus-Schwamm kann ganze Gebäude unbewohnbar machen und einen jedenfalls teuer zu stehen kommen. - Deshalb doch noch ein paar Bemerkungen:

@ Barbarossa, florian17160: Das parallele Thema halte ich im Auge.

Die Problematik insgesamt hat Silesia ja bereits "erschlagen":
Betrachtet man alles zusammen und nicht scheibchenweise, kann man wohl kaum von legaler Abschaffung reden, sondern von Verfassungsbruch (obwohl dieselbe mit teilweise o.g. Veränderungen entgegenstehenden Artikeln formal in Kraft blieb).
Ohne das auch nur ansatzweise in Abrede stellen zu wollen, versetze ich mich in die Rolle des Reichspräsidenten, dem der Entwurf einer "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" auf der Grundlage von Artikel 48 ABs. 2 WRV vorgelegt wird. Konnte er (bzw. konnten seine juristischen Berater) den Verfassungsbruch erkennen?

Der fragliche Absatz lautete: "Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten." Die WRV sah vor (Abs. 5), das Nähere durch ein Reichsgesetz zu bestimmen, das aber nie erlassen wurde.

Ich meine, dass der Reichspräsident die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme, bezogen auf die reale erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, hätte erkennen können. Sicher war das höchste Verfassungsorgan, nämlich der Reichstag, durch die Brandstiftung direkt angegriffen worden, aber davon abgesehen gab es im Reich insgesamt nichts, was nicht auch ohne die angestrebte Notverordnung hätte "geregelt" werden können.

Welche abweichenden und ernstzunehmenden Meinungen gibt es hierzu?
 
Ich meine, dass der Reichspräsident die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme, bezogen auf die reale erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, hätte erkennen können. ...
Welche abweichenden und ernstzunehmenden Meinungen gibt es hierzu?

Vielleicht diese: bei Artikel 48 kann man einen "Prozeß" der Abschleifung beobachten, der bereits sehr früh in der Weimarer Republik und bezogen auf beide Absätze von Artikel 48 begann.

Ausdrücklich ohne den Apologeten von Hindenburg spielen zu wollen, muss man ganz nüchtern feststellen, dass es eine schleichende Eskalation der Anwendung seit den frühen 20ern gab. Wo waren diejenigen, die einen hohen Anspruch der Verfassung juristisch und auch ethisch verteidigten, die Hürden aufbauten? Ohne einen Seitenhieb austeilen zu wollen, würde mich ein Vergleich von Reichsgericht (auf dem rechten Auge blind) und Verfassungsgericht in solchen Fragen sehr interessieren. Dazu sei nur an die Bemühungen während des Reichswehrprozesses erinnert, Hochverratsprozesse zB gegen Hitler, Goebbels und Konsorten in Gang zu bringen.

Hierzu mehr:
http://www.geschichtsforum.de/f63/der-diktatartikel-48-a-21070/
http://www.geschichtsforum.de/f63/reichswehrproze-und-nsdap-22492/
http://www.geschichtsforum.de/f63/justiz-der-weimarer-republik-15065/

und als ein Beispiel:
Hanten, Publizistischer Landesverrat vor dem Reichsgericht, ein Beitrag zur politischen Rechtsprechung in der Weimarer Republik, Europ. Hochschulschriften II/2606.

1933/34 war es wohl (nicht nur anläßlich der Gewaltorgien) nüchtern betrachtet zu spät, an eine solche Gegenbewegung zu denken, Hindenburgs geistigen Zustand mal zu diesem Zeitpunkt außen vor gelassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht diese: auch bei Artikel 48 haben wie einen "Prozeß" der Abschleifung, der bereits sehr früh in der Weimarer Republik und bezogen auf beide Absätze von Artikel 48 begann.
War demnach durch die VO vom 28.2.1933 die "abgeschliffene" WRV-Verfassung noch nicht verletzt? Dann muss man, fürchte ich, weiterfragen: Wann wurde die geschriebene Verfassung denn in den folgenden Tagen/Wochen/Monaten tatsächlich verletzt?

Das soll keine Spitzfindigkeit sein! Aber die von Echterhölter u. a. benutzte 'Kumulationsmethode' geht aus einer ex-post-Analyse hervor, die ein Zeitgenosse so nicht durchführen konnte, da sich bestimmte Dinge noch gar nicht zugetragen hatten. Anders gefragt: Wie lange befand sich z. B. ein (Verfassungs-) Jurist - oder ein Reichstagsabgeordneter des Zentrums usw. - denn noch "im Stande der Unschuld"?
 
Aber die von Echterhölter u. a. benutzte 'Kumulationsmethode' geht aus einer ex-post-Analyse hervor, die ein Zeitgenosse so nicht durchführen konnte, da sich bestimmte Dinge noch gar nicht zugetragen hatten. Anders gefragt: Wie lange befand sich z. B. ein (Verfassungs-) Jurist - oder ein Reichstagsabgeordneter des Zentrums usw. - denn noch "im Stande der Unschuld"?

Das stellt die Frage nach Schuld bzw. Verantwortlichkeit,
mir ging es um einen Erklärungsansatz der Ereignisse, ohne Blick auf die Höhe der Strafe :D

Die kumulative Betrachtung wäre in diesem Sinne selbstverständlich ex post vorzunehmen, die These ist gerade die, das Zeitgenossen diesen Prozeß anders oder garnicht - weil schleichend - wahrgenommen haben müßten.


Dazu beispielhafte Darstellungen aus der Dissertation von Nitsche mit dem interessanten Datum 1932 (Göttingen):

zur Reichsexekution:
"die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten der Gegenwart drängen jedoch m. E. mit immer stärkerer Gewalt dahin, die deutsche Republik nach der Idee ihrer nationalen Einheit weiter zu festigen und zum Einheitsstaat auszubauen. Und es gilt mehr denn je alle Kräfte im deutschen Volke zum Wohle der Gesamtheit zusammenzufassen, ohne das "hohe Gut einer lebendigen Selbstverwaltung" preiszugeben.

zum Artikel 48 (2), und das ist mE abschwächend im Hinblick auf die Aufgriffsgrenze gemeint:
"Wenn die Reichsverfassung "Reichsexekution" und "Ausnahmezustand" - entgegen dem Preußschen Entwurf - in demselben Verfassungsartikel statt in zwei verschiedenen geregelt hat, so ist dies m. E. mit Rücksicht auf die vorerwähnte Verschiedenheit der Materien zu bedauern." (es folgen Deutungen der Ausnahmefälle im Hinblick auf Artikel 1 bezogen auf "Schicksalsschläge", und "präventive repressive" Anwendung als "starkes Bollwerk" der Republik.

"Die Exekution ist nun ein dem Reichspräsidenten zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Untertanen im Einzelfalle (nämlich dann, wenn ... der Reichspräsident die Anwendung für erforderlich erachtet) bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll." (Hinweis auf Otto Meyer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 1924).
 
Zuletzt bearbeitet:
Das stellt die Frage nach Schuld bzw. Verantwortlichkeit, mir ging es um einen Erklärungsansatz der Ereignisse, ohne Blick auf die Höhe der Strafe :D
Strafe kommt erst ganz zum Schluss, nach den Zeugenaussagen und Plädoyers.:)
Wir diskutieren seit #80 über die Geigerfrage "Legal, illegal...?", wo später die Antwort gegeben wird, in Nürnberg sei die formale Legalität des Ermächtigungsgesetzes (23.3.1933) verneint worden, und wo man mit etwas bösem Willen die Behauptung herauslesen kann, im GF habe man das irgendwie nicht kapiert...

"Die Exekution ist nun ein dem Reichspräsidenten zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Untertanen im Einzelfalle (nämlich dann, wenn ... der Reichspräsident die Anwendung für erforderlich erachtet) bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll."
Ich, Historiker, habe leider meinen Mayer verstruddelt, dafür das Handbuch des deutschen Staatsrechts (Hg. Anschütz/Thoma, 1932) parat, in dessen Band 2, S. 274-295 sich Richard Grau mit der "Diktaturgewalt des Reichspräsidenten" ("Reichsdiktaturkompetenz", Art. 48) auseinandersetzt. Grau erörtert S. 277 f.eingehend die Voraussetzungen des Diktatureingriffs und stellt heraus, dass
- eine individualisierte, bestimmte Gefahr greifbar drohen muss (eine Gefahr, die eintreten könnte, erfüllt diese Veraussetzung nicht),
- es sich um eine Gefahr handeln muss, zu deren Bekämpfung die vorhandenen (Polizei-) Organe nicht ausreichen, usw. usw.

Artikel 48 bildet, so Grau, "innerhalb des Systems der bundesstaatlichen Kräfteverteilung [...] einen labilen Faktor". Labil auch in dem Sinne, dass daran beliebige verfassungspolitische Forderungen andocken können wie z. B. bei Nitsche, dessen wohlwollende Erwähnung einer Tendenz zum Einheitsstaat bereits den Boden der Interpretation des Artikels 48 Abs. 1 verlässt.

Vermutlich war den Nazis klar, dass Artikel 48 für ihre Zwecke zu "schmal" sein würde, zumal sie ja wenigstens theoretisch mit Widerstand des Reichspräsidenten zu einzelnen Maßnahmen hätten rechnen müssen. Deshalb wurde binnen dreier Wochen das "Ermächtigungsgesetz" nachgeschoben, das eine zweite (unkontrollierte) Rechtsetzungsbefugnis "neben" der des Parlaments einrichtete.
 
dann weiter im Erklärungsansatz:

Vermutlich war den Nazis klar, dass Artikel 48 für ihre Zwecke zu "schmal" sein würde, zumal sie ja wenigstens theoretisch mit Widerstand des Reichspräsidenten zu einzelnen Maßnahmen hätten rechnen müssen. Deshalb wurde binnen dreier Wochen das "Ermächtigungsgesetz" nachgeschoben, das eine zweite (unkontrollierte) Rechtsetzungsbefugnis "neben" der des Parlaments einrichtete.

Weswegen man die Unterschrift Hindenburgs unter dieses Gesetz treffend auch als "Selbstentmachtung" bezeichnet hat, ...

wobei ihm gut besetzte Rechtsabteilungen die Hand geführt haben. Stellt man sich die Frage, wie flüssig diese Gesetze (nicht nur das Ermächtigungsgesetz) aus den Schubladen kamen, kann man nur staunen :pfeif:

Gleichwohl zeigen sich in den Zitaten durchaus unterschiedliche Interpretationen der Dehnbarkeit der Verfassung (Nitsche, Meyer, Grau). :nono:
 
Silesia wollte gestern abend folgendes schreiben, bevor sein Rechner abstürzte:
"
Grau erörtert S. 277 f.eingehend die Voraussetzungen des Diktatureingriffs und stellt heraus, dass
- eine individualisierte, bestimmte Gefahr greifbar drohen muss (eine Gefahr, die eintreten könnte, erfüllt diese Veraussetzung nicht),
- es sich um eine Gefahr handeln muss, zu deren Bekämpfung die vorhandenen (Polizei-) Organe nicht ausreichen, usw. usw.

Eine schöne Gegenüberstellung zum Aktenvermerk der Regierung Brüning:
"Die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bzw. zur Abwendung der Gefährdung dieser Ordnung zulässigen Maßnahmen ergeben sich wiederum aus dem Wortlaut des Art. 48 RV. Zulässig sind nur solche Maßnahmen, die zur Abwendung der drohenden erheblichen Gefahr nötig sind. Es kann also, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen, nicht jede Maßnahme auf Grund von Art. 48 RV vorgenommen werden, vielmehr nur solche, die nötig sind, um die erhebliche Gefahr auf eine minder erhebliche zurückzuführen oder ganz zu beseitigen.

EDIT:
zu Geiger und zur Problematik der Legalität des Ermächtigungsgesetzes wäre noch anzumerken, dass die historische und teleologische Auslegung zunächst nach heutiger und damaliger Auslegung zu trennen wäre. Beide können übereinstimmen, müssen es aber nicht. Mir allerdings hinsichtlich einer vergleichbar bedeutenden Norm derzeit kein passendes Beispiel ein.
"

(ich hab es mal in meinen Beitrag gesetzt, damit es nicht auf der vorherigen Seite liegt, sondern auf der aktuellen)
 
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