Avicenna/Ibn Sina & die "Seitenkrankheit"

Wenn es bei Wikipedia heißt, dass es im Mittelalter so hieß, dann traue ich der Sache nicht so recht, man kennt ja seinen wiki...
Ich bin an sich kein argwöhnischer Mensch, aber es gibt tatsächlich eine Ungereimtheit:

Der Begriff Seitenkrankheit soll die wörtliche Übersetzung aus dem Arabischen d[FONT=&quot]ā[/FONT]t al-[FONT=&quot]ğ[/FONT]anb sein. Das bedeutet aber in der Medizin nicht Appendizitis, sondern Lungenfellentzündung!

Das entnahm ich der Dissertation von Farid Youssef, FU Berlin 2007, S. 82:
Objekt-Metadaten @ Dissertationen Online.
 
Einige Punkte zu nächtlicher Stunde, morgen evtl. mehr:

Vielleicht kommt man weiter, wenn man nicht nach "Seitenkrankheit" sucht, sondern nach dem engl. Originalbegriff vom englischen "Medicus"?

Hat einer inzwischen gefunden, wo und wann der Blinddarm als erstes entdeckt wurde?

Zu den philosophischen Fragen und Anregungen von Luki, kann man hier auch einige aufschlussreiche weitere Anregungen, Rezeptionswege der Philosophie und Zusammenhänge lesen (habe ich schon öfters gepostet):

Ohne die islamische Philosophie hätte es weder Scholastik noch Aufklärung geben können!


Ich werde nochmal demnächst schauen, wie es genauer mit dem Sezieren in der arab. Medizin ausschaute. Auch zur Ethik der Medizin habe ich schon einiges gefunden, oben aber noch nicht eingebunden. Morgen vielleicht.

Alldieweil abschließend mal einige Aussagen z.B. zur Anatomie und Forschungen des Kairoer Chefarztes Ibn an-Nafis als Beispiel für Entdeckungen und Verifizierungen mittels Sezierung:

"Im Gegensatz zu ad-Dachwar und zu den meisten seiner Kollegen "hielt er nicht viel von der Ausdrucksweise des Galen und warf ihr Schwäche und eine Weitschweifigkeit vor, hinter der nichts stecke". Überlieferte Meinungen und Lehrsatze reichte er seinen Schülern nicht unbesehen weiter, so alt und ehrwürdig sie auch sein mochten. Der gleiche Mut, mit "dem Zwang ehrwürdiger Mutmaßungen des Altertums" zu brechen, der Harvey das Tor zur Freiheit der Forschung aufschlagen ließ, erfüllte diesen Araber mit dem Entschluß zu selbständigem Urteilen: "Um den Gebrauch eines jeden Organs zu beschreiben, stützen wir uns auf eine sorgfältige Beobachtung und ein ehrliches Studium ohne Rücksicht darauf, ob diese zu den Lehren derer passen, die uns vorhergegangen sind, oder nicht." In bester hippokratischer Manier, wie ar-Razi sie vorgelebt hatte und Harvey sie nicht ernster nehmen konnte, befragte er die Natur selbst.
Da waren Unterschiede im Bau verschiedener Tiere! Wir brauchen eine vergleichende Anatomie, forderte Ibn an-Nafis, und müssen dabei auf die Abweichungen achten.
Und "die Sektion beweist" ihm, dem getreuen Beobachter und - was mindestens ebenso wichtig ist - unbefangenen und vorurteilslosen Deuter:

1. "Die Ernährung des Herzens geschieht (nicht, wie man bisher gemeint hatte, in der rechten Herzkammer, sondern) durch das Blut, das in die Gefäße läuft, die den Körper des Herzens durchdringen" - womit Ibn an-Nafis als erster den Koronarkreislauf erkannt hat;

2. das Blut dringt in die Lunge, um sich dort mit Luft zu sättigen, nicht um die Lunge zu ernähren (was später Harvey betonen wird)

3. es existieren Verbindungen zwischen Lungenarterie und Lungenvene, die den Stromkreis innerhalb der Lunge schließen (was später Colombo als erster entdeckt zu haben für sich in Anspruch nehmen wird);

4. Die Lungenvene ist weder mit Luft noch mit "Ruß" gefüllt (die nach Galens Meinung die Vene sogar noch in entgegengesetzter Richtung passieren), sondern mit Blut

5. die Wände der Lungenarterie sind dicker als die der Lungenvene und aus doppelten Schichten. Dies die epochalen Entdeckungen des Ibn an-Nafis, die man bislang Servet zuschrieb, und vor allem diese:

6. Die Herzscheidewand hat keine Poren! Vielmehr vollführt das Blut einen Kreislauf: "Zwischen diesen beiden Herzkammem gibt es keine Durchtrittsstelle, denn dieser Teil des Herzens (die Herzscheidewand) ist geschlossen und hat keine sichtbaren Öffnungen, wie manche glauben, und keine unsichtbaren Öffnungen, wie Galen geglaubt hat. Denn diese Poren des Herzens existieren gar nicht, und seine Substanz ist dort dick. Und es gibt keinen Zweifel, da dieses Blut, nachdem es verdünnt worden ist, durch die Lungenarterie zur Lunge fließen muß, um sie zu durchdringen und sich mit der Luft zu mischen, damit sein feinster Teil gereinigt werde; und daß dieses Blut dann in die Lungenvene fließt, um in die linke der beiden Herzkammem zu gelangen, nachdem es sich mit der Luft vermischt hat"" . . .
S. Huhnke: Allah Sonne über dem Abendland. S. 142 f.

(bitte keine Kommentare zu Huhnke, das gleiche steht auch woanders auf engl., z.B. H. H. BIESTERFELDT in: Medieval Islamic civilization - An Encyclopedia. 2006, und so weiter. Bin doch nicht blöd... ;))
 
Zuletzt bearbeitet:
Da stellt sich natürlich wieder die Frage, wozu hat die Natur bei uns den Wurmfortsatz eingebaut?
Der ist doch überflüssig.
Es wird vermutet, dass dieser als Speicher der wichtigen Baktieren (Darmflora) dienen soll, damit nach heftigen Durchfällen der Darm möglichst schnell wieder besiedelt werden kann und dadurch besser geschützt und "betriebsbereit" ist.
 
Da stellt sich natürlich wieder die Frage, wozu hat die Natur bei uns den Wurmfortsatz eingebaut?
Der ist doch überflüssig.

Die Natur oder die Evolution sind keine vorausplanenden übergeordneten Wesen, die bestimmen, dass die Evolution in diese oder jene Richtung geht. Evolution ist das Durchsetzen bestimmter Mutationen, von Erfolg und auch von "Glück" abhängig. Es ist möglich, dass der Wurmfortsatz mal einen Zweck hatte, vielleicht ist es aber auch nur einer der vielen Irrwege der Evolution, der, weil er keine Konsequenz für das äußere Leben hatte (solange er sich nicht entzündete) bis dato eben überleben konnte.
 
Vielleicht kommt man weiter, wenn man nicht nach "Seitenkrankheit" sucht, sondern nach dem engl. Originalbegriff vom englischen "Medicus"?
Das bringt uns leider nicht weiter: "side sickness" heisst es dort.

Auffällig ist allerdings, dass dieser Begriff in der medizinischen Fachliteratur des frühen 20. Jh. nicht auftaucht. Ich habe in Deavers umfänglichem "Appendicitis"-Handbuch von 1905 (492 Seiten, davon 43 zur Geschichte) vergeblich danach gesucht.

Hat einer inzwischen gefunden, wo und wann der Blinddarm als erstes entdeckt wurde?
Am häufigsten werden für Europa Berengarius Carpus, Chirurg in Pavia und Bologna, und das Jahr 1522 genannt. Andreas Vesalius veröffentlichte 1543 in seinem Handbuch eine Abbildung (Tafel 1 bei Deaver).
 
Na, weil es an der rechten Seite schmerzt, wenn man eine Blinddarmentzündung hat.

Ja schon, aber hast Du (abgesehen vom "Medicus") diesen Ausdruck schon mal gehört?

Ich habe im Brockhaus von 1905 den Begriff gesucht: Fehlanzeige.

"Side sickness" bei Google: Nix zum Thema.

"Side sickness" im englischen Wiki: Fehlanzeige.

Ich denke, dass das wirklich eine Erfindung Noah Gordons war.
 
Nein, habe ich vorher nie gehört, leuchtet aber ein, wenn man nicht weiss, woran es liegt.
Die Leber ist da einfacher gestrickt, die hat keine Schmerznerven.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Begriff Seitenkrankheit soll die wörtliche Übersetzung aus dem Arabischen d[FONT=&quot]ā[/FONT]t al-[FONT=&quot]ğ[/FONT]anb sein. Das bedeutet aber in der Medizin nicht Appendizitis, sondern Lungenfellentzündung!

Laut dem Langenscheidts TaschenWB Arabisch ist das die Rippenfellentzündung.
Die Blindarmentzündung ist nach diesem Buch Iltihāb al-A'awar.
 
In einer Dissertation hab ich was über die Seitenkrankheit gelesen.
Da wird in dem Fall aber von der Lungenfellentzündung gesprochen.

Ist zwar auch kein Hinweis wo der Begriff Seitenkrankenheit herkommt, aber ich fand es interessant genug um es hier OT zu posten.

Leider hab ich Probleme mit der Wiedergabe der Fonts und muss es deswegen als Bildanhang bringen.
OT die zweite. Kann mir jemand per PN sagen welchen Font ich installieren muss damit ich den Text von einem PDF hier ins Forum kopieren kann. Bislang bekomm ich da nur komische Sonderzeichen :(

Quelle des PDF, http://www.diss.fu-berlin.de/diss/s...0_DissertationFaridYoussef07.12.07.pdf?hosts=
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe meine diversen Wörterbücher befragt. Sie spucken folgendes aus.

Adolf Wahrmund (19. Jh., arabisch)
Pleuresie(= Pleuritis = Brust-/Rippenfellentzündung); Seitenstechen

Hans Wehr (20. Jh., arabisch)
Brustfellentzündung, Rippenfellentzündung, Lungenentzündung

Franz Joseph Steingass (19. Jh., persisch)
Pleurisie (siehe oben)

Langenscheidt Persisch
Pleuritis, Bauchfellentzündung

Das Wort Seitenkrankheit ist so wunderschön unscharf. Solche Begriffe gibt es im Arabischen (und im Persischen als arabische Lehnwörter oder originär persische Wörter) zuhauf. In der Fachsprache sind sie längst von genaueren Bezeichnungen abgelöst worden.
Soweit ich weiß, kann sich aus einer unbehandelten Blinddarmentzündung eine Bauchfellentzündung entwickeln. Letztlich starben die Leute nicht an dem entzündeten Wurmfortsatz sondern an der sich weiter ausbreitenden Entzündung. Und wenn man nicht weiß, daß der Wurmfortsatz existiert, kann man auch nicht wissen, daß er der Auslöser für eine nicht genau lokalisierbare großräumige Entzündung im Bauchbereich ist - die ja auch grundsätzlich durch andere Dinge verursacht werden kann.
Heute weiß man das. Aber damals war wahrscheinlich Seitenkrankheit so spezifisch, wie man halt werden konnte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, die Religion hatte ihre Hand drauf, aber aus durchaus handfesten Gründen. Die Kirche vertritt die Idee von der Auferstehung des Fleisches, deshalb sollte der menschliche Körper nach dem Tode möglichst unversehrt bleiben.

Sorry, wenn ich das hier noch einmal aufgreife.
Wenn ich an die Inquisition und die spanischen Autofafés denke, beißt sich deine Aussage.

Ich denke, die Kirche sagt "Der Herr hat die Krankheit gegeben - der Herr wird die Krankheit nehmen". Zumindest kann ich mir vorstellen das es damals so in der Art gelaufen ist. Heute steht die Kirche bestimmt anders zu dem Thema.

Aber das wäre sicherlich einen neuen Thread wert weil wir sonst total OT werden ;)
 
Wörterraten

Laut dem Langenscheidts TaschenWB Arabisch ist das die Rippenfellentzündung.
Nicht nur da. Im Wehr 5. Auflage findet man unter dem Lemma ذات ḏāt u.a. auch:
ذات الجنب ḏ. al-ğanb Rippenfellentzündung, (auch = ذات الرئة) Lungenentzündung (med.)
Unter الجنب ğanb wird unter dieser Wendung zusätzlich noch »Brustfellentzündung« angegeben.

Nun ist der Wehr kein medizinisches Fachwörterbuch, aber allgemein schon sehr zuverlässig. Ich gestehe, dass mir weder »Brustfellentzündung« noch »Rippenfellentzündung« und ich erst bei google um Rat gesucht hab, doch beides hat wohl eher nichts mit dem Blinddarm zu tun. (Da lass ich freilich auch eines Besseren belehren.)

Wörtlich kann man darauf tatsächlich mit Mühe und Not eine »Seitenkrankheit« machen – was auch immer das sein mag …

Die Blindarmentzündung ist nach diesem Buch Iltihāb al-A'awar.
Letzte Wort kam mir aus dem Hebräischen bekannt vor: המעי העיוור meʿī ʿiwer(Gemination und Schwa und verschiedene Längen von a und e habe ich in der Umschrift nicht gekennzeichnet, da ohnehin nicht gesprochen in Modernem Hebräisch). Das ist wörtlich ein blinder Darm. (Daneben gibt es laut Langenscheidt Handwörterbuch Hebräisch Deutsch auch die Varaianten מעי אטום meʿī aṭūm ein verschlossener Darm und das sprachlich interessantere תוספתן toseftan, sicherlich von תוספת Zusatz oder dem zugehörigen Verb, als Lehnübersetzung von appendix?. Beide lasse ich jetzt aber außen vor.)
Da der Ausflug in die Innereien kein reiner Selbstzweck gewesen soll. Bei HAL (Koehler/Baumgartner, Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament) findet man (wenig überraschend) nichts zum Blinddarm. Den etymologischen Angaben zufolge scheint das Verbʿwr aber gemeinsemitisch zu sein – zitiert sind etliche Kognaten in der Beudeutung blind sein, blenden, einäugig sein.
Kleins Comprehensive Etymological Dictionary of the Hebrew Languageund den Even-Shoshan (enthalten beide etymologische Informationen) habe ich zwar nicht zu Hause, behaupte aber trotzdem mal, dass meʿī ʿiwer eine Lehnübersetzung aus einer europäischen Sprache ist (vielleicht aber auch aus dem Arabischen). Und gleiches gilt bestimmt auch für das (ähnliche) arabische المعي الاعور al-maʿy al-aʿwar, eben Blinddarm. Iltihāb al-aʿawar ist dann auch wörtlich eine Blinddarmentzündung.
Also das ist auch eher eine Lehnübersetzung aus einer europäischen Sprache, oder vielleicht auch vom Arabischen ins Lateinische. Das halte ich aber für unwahrscheinlicher – müsste man eben auch einem etymologischen Wörterbuch nachschlagen.

Also den Kram mal zusammengefasst: Weder Wortspielereien mit der »Seitenkrankheit« noch mit der »Blinddarmentzündung« helfen weiter den Ursprung des Begriffs »Seitenkrankheit« zu finden.
Wir könnten als nächsten Schritt z.B. schauen ob z.B. ob Ibn Sīnā überhaupt benutzt.

\\Edit:

Ich habe meine diversen Wörterbücher befragt. Sie spucken folgendes aus.
Ach Du warst schon ein paar Stündchen schneller. Hatte gestern irgendwie angefangen zu schreiben, bin dann bei lynxxx [FONT=&quot]‘[/FONT] [FONT=&quot][/FONT] letztem Link von MdEP/Die Grünen Frieder Otto Wolf gestoßen. Hab mich geärgert, dass dort eingangs ganz selbstverständlich auf Edward Saids Orientalism verwiesen wird – ganz so als sei das eine wissenschaftliche Arbeit und keine bigotte, politisch aufgeladene Kampfschrift wäre (Vielleicht schreibe ich noch etwas dazu).
Dann bin ich durch einen Chat noch mal fast die ganze Nacht bei Alfred Tarski und mathematischer Logik gelandet und fast eingeschlafen nebenbei. Und nun sehe ich: Eigentlich hätte ich mir den ganzen Beitrag auch sparen können. ;)
Dumm gelaufen. Und nun bin ich todmüde.
Das Wort Seitenkrankheit ist so wunderschön unscharf. Solche Begriffe gibt es im Arabischen (und im Persischen als arabische Lehnwörter oder originär persische Wörter) zuhauf.
Ah. Da bin ich zumindest nicht der einzige mit dem Eindruck. In Bergsträssers Klassiker Einführung in die semitischen Sprachen S.134f heißt es da (zugegebener Weise über Altarabisch):
Trotz dieser Züge hoher Altertümlichkeit ist das Arabische im ganzen der augeprägteste Vertreter einer jüngeren Ausgestaltung des semitischen Sprachcharakters: alte Freiheiten, Einzelabweichungen und Unbestimmtheiten sind getilgt, im Formelbau durch Durchführung einheitlicher Analogien, in der Syntax durch feste Regelung der Anwendungsmöglichkeit und genaue Abgrenzung des Bedeutungsbereichs aller syntaktischen Ausdrucksmittel. So ist ein System von großer Präzision und Eindeutigkeit entstanden. das dabei den allergrößten Teil der überhaupt vorhandenen Möglichkeiten fruchtbar ausnützt.​
Darüber staune ich immer wieder. Modernes Standardarabisch folgt im Grunde immer noch dem gleichen syntaktischem System. Aber z.B. bei moderner Philosophie oder wissenschaftlichen Begriffen finde ich es nicht unbedingt differenziert oder besonders Präzise. Da steht dann sogar Französisch oder das von Bergsträsser so gescholtene Moderne Hebräisch besser da. :D
Davon abgesehen ist das Buch so und so großartig und seine ab und an eingestreuten persönlichen Meinungen zu einer Sprache sind hier und da für ein Schmunzel gut – trotz des eher trockenen Themas.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sorry, wenn ich das hier noch einmal aufgreife.
Wenn ich an die Inquisition und die spanischen Autodafés denke, beißt sich deine Aussage.

Die Inquisition verfolgte Häretiker, die spanische Inquisition verfolgte (hauptsächlich) Neuchristen, die sie unter Verdacht hatte, heimlich ihrem alten jüdischen oder muslimischen Glauben anzuhängen. Außerdem agierte die spanische Inquisition zu Zeiten, wo man längst keine Skrupel mehr hatte, Menschen zu sezieren (wie Luki, Legat und jschmidt gezeigt haben, hat man das ja offensichtlich auch schon im MA differenzierter gesehen).
Hier prallten natürlich auch unterschiedliche Glaubensvorstellungen innerhalb der Kirche aufeinander. Einerseits die Auferstehung des Leibes, andererseits die reinigende Kraft des Feuers (Fegefeuer - Purgatorium von purgare, 'reinigen').
 
Ah. Da bin ich zumindest nicht der einzige mit dem Eindruck. In Bergsträssers Klassiker Einführung in die semitischen Sprachen S.134f heißt es da (zugegebener Weise über Altarabisch):
Trotz dieser Züge hoher Altertümlichkeit ist das Arabische im ganzen der augeprägteste Vertreter einer jüngeren Ausgestaltung des semitischen Sprachcharakters: alte Freiheiten, Einzelabweichungen und Unbestimmtheiten sind getilgt, im Formelbau durch Durchführung einheitlicher Analogien, in der Syntax durch feste Regelung der Anwendungsmöglichkeit und genaue Abgrenzung des Bedeutungsbereichs aller syntaktischen Ausdrucksmittel. So ist ein System von großer Präzision und Eindeutigkeit entstanden. das dabei den allergrößten Teil der überhaupt vorhandenen Möglichkeiten fruchtbar ausnützt.​
Darüber staune ich immer wieder. Modernes Standardarabisch folgt im Grunde immer noch dem gleichen syntaktischem System. Aber z.B. bei moderner Philosophie oder wissenschaftlichen Begriffen finde ich es nicht unbedingt differenziert oder besonders Präzise. Da steht dann sogar Französisch oder das von Bergsträsser so gescholtene Moderne Hebräisch besser da. :D
Davon abgesehen ist das Buch so und so großartig und seine ab und an eingestreuten persönlichen Meinungen zu einer Sprache sind hier und da für ein Schmunzel gut – trotz des eher trockenen Themas.
Ich hatte ja geschrieben, daß in der arabischen Fachsprache heute wesentlich schärfere Begriffe genutzt werden. Nun bin ich weder Medizinerin, noch sonst ein Fachmensch, sondern nur eine arme Islamwissenschaftlerin. Aber die Kreativität und Anpassungsfähigkeit des Arabischen in Bezug auf neue Entwicklung ist mir trotzdem nicht entgangen. Bei allem, was Bergsträsser schreibt, darf man ja nicht vergessen, daß der Herr schon ein paar Jahrzehnte tot ist. Das Hebräische hat mit dem Ivrit eine Entwicklung genommen, die zu seiner Zeit so noch gar nicht abzusehen war.

Im Arabischen (und auch im Persischen) mußten natürlich neue Begriffe geschaffen werden, um z.B. medizinische Sachverhalte darzustellen. Ist doch ganz klar. Und daß die Quellen für die "Gestaltung" dieser neuen Begriffe die europäische Medizin war/ist, dürfte jedem einleuchten. Schließlich hat sich seit dem Mittelalter und dem arabisch-persischen Erkenntnisvorsprung die Fließrichtung des medizinischen Wissens umgekehrt. Auch um Begriffe der europäischen Philosophie darzustellen, wird man sich in den europäischen Sprachen bedienen. (Sobald es um islamische Philosophie geht, ist die eigene Begrifflichkeit mehr als ausreichend.) In deutschen Fachsprachen wimmelt es doch auch von lateinischen und griechischen Lehnwörtern, ohne daß man von Unschärfe sprechen würde. Das, was wir als Fachwörter sehen, hatte in den Ursprungssprachen oft eine wesentlich breitere Bedeutung, die mit Wissenschaft nichts zu tun haben mußte.

Was auffällt bei der Lektüre arabischer und persischer Texte* ist die kreative Nutzung zusammengesetzter Worte (in Form von Genitivverbindungen). Genau auf diese Weise werden Fachbegriffe nämlich geschaffen; im Arabischen kommt dann noch die spezifisch semitische Methode der Wortneuschöpfung als Möglichkeit dazu. Diese neuen Wörter scheinen erst mal nicht sehr genau, wenn man sie in ihre Bestandteile zerlegt und daraus versucht, eine Bedeutung abzuleiten. Aber die Wissenschaftswelt einigt sich letztlich schlichtweg auf einen Begriff, den dann alle zweifelsfrei richtig verstehen und verwenden. Das ist eine Vereinbarung.
Mal verglichen mit der Blinddarmentzündung: allein dieses Wort ist eigentlich falsch, weil nicht der Blinddarm entzündet ist, sondern der Wurmfortsatz. Medizinisch heißt es Appendizitis - Entzündung des Appendix. Ein Appendix ist zunächst erst mal ganz allgemein ein Anhang. Das kann auch der Anhang eines Buches sein. Selbst in der Medizin steht das Wort Appendix nicht allein, sondern wird noch weiter differenziert. Wurmfortsatz heißt wohl Appendix vermiformis, also wurmförmiger Anhang. Es gibt noch diverse andere Appendizes im Körper. Trotzdem ist mit Appendizitis nur die Entzündung des Wurmfortsatzes gemeint und nicht eine irgendeines anderen Appendix. Auch das ist eine Vereinbarung.
Deshalb wäre ich sehr vorsichtig, beim Arabischen von unscharfer Fachsprache zu reden. Für Außenstehende kann das vielleicht so aussehen, aber es handelt sich um feststehende Begriffe, über deren Bedeutung sich die Fachleute geeinigt haben.

*Ich nenne Arabisch und Persisch zusammen, weil sie wissenschaftshistorisch in engem Zusammenhang stehen und dadurch viele Parallelen in Vokabular und Wortbildung aufweisen. Linguistisch gesehen sind die Sprachen natürlich nicht nahestehend, da sie zu unterschiedlichen Sprachfamilien gehören. Die Mechanismen der Wortbildung unterscheiden sich dadurch sehr stark.
 
Hallöchen,

Ich habe zwei fiktive Romane, in der die Gestalt des berühmten persischen Arztes mit eingeflochten war, gelesen. In beiden bekämpfte er die damals noch sogenannte "Seitenkrankheit" bzw. natürlich Blinddarmentzündung/ Appendizitis. Meine Frage dazu wäre, ob er dazu wirklich etwas geschrieben bzw. herausgefunden hat oder ob es allgemein eine Frage war, welche die medizinische Welt beschäftigte und eine Lösung (Heilung) ihm im Zuge seiner Bekanntheit angedichtet wurde?

Liebe Grüße
Sophie



Das habe ich zum Thema gefunden:

http://www.w-weitensfelder-chirurg....PDF/Entwicklung der operativen Medizin-01.pdf

Hier wird kurz und bündig (und dennoch laiengerecht) die Geschichte der Blinddarmerkrankung und der damit verbundenen medizinischen Erkenntnisse in diversen Kulturkreisen behandelt. Demnach fand erst 1735 die erste Blinddarmoperation statt.

Avicenna kommt in dem Artikel jedoch nicht vor...
 
Aussereuropäische medizingeschichtliche Errungenschaften oder Entdeckungen werden soweit mir bekannt ist, auch kaum von allgemeinen Medizinern bislang zur Kenntnis genommen, selbst seltener von Medizinhistorikern, sondern eher von Individualisten (also unter den Medizinhistorikern), die privat irgendeine Beziehung z.B. durch Reisen, oder Akademikeraustausch z.B. zu Indien, China, islamischer Raum, usw. erfahren haben, und dann in diesem Bereich sich weiterbilden, oder den noch größeren Spezialisten von Medizinhistorikern und Pharmakologen mit Schwerpunkt ausserhalb Europas. Hmm, das war nun kuddelmuddel... ist schon spät, ich geh lieber ins bett... ;) :winke:
 
Perser sind keine Araber!

Es ist zwar schon eine Weile her, das ich den Medicus gelesen habe. Daher bin ich mir über eine Passage nicht mehr so sicher. Der "Held" des Buches hat wohl auch in Persien nur heimlich eine Leiche sezieren können und dabei die Vermutung aufgestellt, das die Seitenkrankheit (Blinddarmentzündung) der Auslöser für den Tod der Person war.
Demnach waren die Perser (Araber) in diesem Fall (Sezieren von Toten bzw. aufschneiden von Lebenden) auch nicht fortschrittlicher als die Europäer.

In diesem Zusammenhang fällt mir eine Sendung über Galen ein (Terra X oder so) wo es eine Schlußbemerkung gab, die so ähnlich auch hier Galenos ? Wikipedia als Nachwirkung steht. Die Werke Galens galten als sowas von bewiesen,
das sie bis zur Renaissance keiner angezweifelt hat. Und was schon Galen nicht gemacht hat, durfte man sowieso nicht machen.



Lieber Sascha66,
Sie sind anscheinend falsch informiert worden. Das Volk Perser (damals Persien, heute Iran) sind keine Araber. In der Geschichte von Medicus erfährt man ja auch, dass die Araber aus Saudi Arabien der Feind der Perser waren.
 
Demnach waren die Perser (Araber) in diesem Fall (Sezieren von Toten bzw. aufschneiden von Lebenden) auch nicht fortschrittlicher als die Europäer.
In der Geschichte von Medicus erfährt man ja auch, dass die Araber aus Saudi Arabien der Feind der Perser waren.
Das Buch habe ich nach wenigen Seiten weggelegt. Historische Romane mit allzu offensichtlichen Fehlern ärgern mich zu sehr. Den Film habe ich gesehen. Da werden die Konflikte der islamischen Welt aus einer Sichtweise - obwohl der Film aus den 2000ern ist - und daher denke ich ohne das Buch zu kennen, dass der Film dem Buch darin ziemlich treu ist - gezeigt, die den 1980er Jahren entspricht, gewissermaßen wird die Geschichte vom Sturz des Schah und vom Aufstieg Ayatollah Khomeinis ins 11. oder 12. Jhdt. transferiert, das war in den 1980ern gewissermaßen noch Tagespolitik.
 
[...] Das Buch habe ich nach wenigen Seiten weggelegt. Historische Romane mit allzu offensichtlichen Fehlern ärgern mich zu sehr. Den Film habe ich gesehen. Da werden die Konflikte der islamischen Welt aus einer Sichtweise - obwohl der Film aus den 2000ern ist - und daher denke ich ohne das Buch zu kennen, dass der Film dem Buch darin ziemlich treu ist - gezeigt, die den 1980er Jahren entspricht, gewissermaßen wird die Geschichte vom Sturz des Schah und vom Aufstieg Ayatollah Khomeinis ins 11. oder 12. Jhdt. [...]

Also ich weiß nicht so recht,- ich persönliche finde, dass der Film meilenweit vom Buch entfernt ist. Da stimmt doch nur der rote Faden und ansonsten ist die Geschichte komplett anders aufgebaut.

Mir gefällt der Film persönlich auch überhaupt nicht,- das mag daran liegen, dass ich das Buch richtig geliebt habe. Ich finde, in dem Buch wird das zwischenmenschliche wesentlich besser beschrieben.

Aber ich habe generell ein Problem mit verfilmten Büchern, die ich gut finde. Dürfte an meiner Erwartungshaltung liegen. Ging mir mit allen Harry Potter Büchern ähnlich. Die Bücher habe ich verschlungen und mehrfach gelesen,- die Filme konnten meine Erwartung dann nicht stillen und wurden nur einmal angeschaut.

[...] Historische Romane mit allzu offensichtlichen Fehlern ärgern mich zu sehr [...]

Komisch, ich bin der Meinung das Noah Gordon relativ gut recherchiert hat. OK seine Werke sind jetzt weder wissenschaftlich, noch geschichtlich aussagefähig,- aber einen groben Einblick wie es denn gewesen sein könnte, bekommt man schon. Wenn ich an seinen Roman "Der Diamant des Salomon" denke, finde ich den durchaus gut recherchiert. Zumindest das, was ich Laienhaft vertieft habe.

Wie gesagt, da ich Noah Gordon und seine Werke sehr mag und auch alle besitze, würde mich schon interessieren was beim "Buch" Medicus so schlecht wegkommt.
 
Wie gesagt, da ich Noah Gordon und seine Werke sehr mag und auch alle besitze, würde mich schon interessieren was beim "Buch" Medicus so schlecht wegkommt.
Ich kann es dir nicht mehr genau sagen, ich habe das Buch jedenfalls mal vor meinem vorletzten Umzug (der war 2009) angefangen und nach wenigen Seiten enttäuscht weggelegt (und ich lege einmal angefangene Bücher so gut nie weg, um sie nicht mehr weiter zu lesen). Ist also 11+ Jahre her.
 
Zurück
Oben