Kontinuität zwischen Kaiserreich und dem "Dritten Reich"?

Vordergründige Kontinuitäten in der Abfolge Kaiserreich - Republik - Diktatur sind durchaus zu beobachten. Allerdings sind damit zugleich deutliche Brüche (Diskontinuitäten) verbunden, die in der NS-Ideologie zu verorten sind:

Gerade letzte Woche hat Prof. Arno Herzig in der Zeit (i.d. Rubrik Zeitläufte) einen Artikel über den beginnenden Antisemitismus im Biedermeier veröffentlicht, der Artikel war leider bis gestern noch nicht online, sonst hätte ich ihn schon eingestellt. Herzig schlägt den Bogen über die knapp hundert Jahre vom vom Biedermeier zum dritten Reich und schlussfolgert: "Ihr Judenhass macht den Konservativen später das Bündnis mit Hitler leicht."
 
@Arne

Die Juden wurden natürlich schon sehr lange vor dem Biedermeier verfolgt. Ich kenne den Artikel nicht und kann folglich nichts zu dem Artikel schreiben, vllt. ist El Quiote so freundlich und stellt ihn ein.

Allerdings sollte man der guten Ordnung halber immer zwischen Antijudaismus und Antisemitismus unterscheiden.

M.
 

Merci, Mercy ;)

Der Autor des Artikels sieht also in der Biedermeierzeit den "Übergang vom traditionellen christlichen Judenhass zum modernen Antisemitismus".

Zum Thema dieses Threads ist auch etwas zu finden:

"Die Konservativen überwanden ihren antisemitischen Minderwertigkeitskomplex auch nach der Revolution von 1848 nicht, während der Liberale Friedrich Hecker 1848 zu der Einsicht kam: »In der Unfreiheit der Staaten, in dem Druck, in der Verkümmerung liegt es, warum wir die Juden nicht emanzipieren wollten. Indem wir die Juden knufften, glaubten wir uns freier und höher stehend.« Hecker macht deutlich, weshalb die Deutschen ihrer jüdischen Minderheit die Gleichstellung so lange vorenthielten, bis sie 1871 letztendlich im Deutschen Reich per Gesetz festgelegt wurde."

Insofern also keine Kontinuität vom Kaiserreich zum Driiten Reich.


Und noch etwas Interessantes ist mir aufgefallen. Es geht hier um den Zeitraum 1847:

"Den Konservativen war an einer rationalen Auseinandersetzung um die Emanzipation nicht gelegen. Mit den übelsten Mitteln erregten sie Emotionen, die eine physische Ablehnung der Juden bewirken sollten. Dazu zählten die Ungeziefer-Metaphern, die sich in den Pamphleten und Flugblättern der Konservativen ebenfalls seit der napoleonischen Zeit finden. So sind für Arndt die Juden »Fliegen, Mücken und anderes Ungeziefer«.
"


Diese Ungeziefer-Titulierungen sind also schon seit der napoleonischen Zeit geläufig. Weder eine Idee von Wilhelm II. in seiner "berühmten Postkarte" noch von Julius Streichers "STÜRMER". Sogar Ernst Moritz Arndt gehört in die Zitatenliste... :S
 
Merci, Mercy ;)

Der Autor des Artikels sieht also in der Biedermeierzeit den "Übergang vom traditionellen christlichen Judenhass zum modernen Antisemitismus".

Zum Thema dieses Threads ist auch etwas zu finden:

"Die Konservativen überwanden ihren antisemitischen Minderwertigkeitskomplex auch nach der Revolution von 1848 nicht, während der Liberale Friedrich Hecker 1848 zu der Einsicht kam: »In der Unfreiheit der Staaten, in dem Druck, in der Verkümmerung liegt es, warum wir die Juden nicht emanzipieren wollten. Indem wir die Juden knufften, glaubten wir uns freier und höher stehend.« Hecker macht deutlich, weshalb die Deutschen ihrer jüdischen Minderheit die Gleichstellung so lange vorenthielten, bis sie 1871 letztendlich im Deutschen Reich per Gesetz festgelegt wurde."

Insofern also keine Kontinuität vom Kaiserreich zum Driiten Reich.


Und noch etwas Interessantes ist mir aufgefallen. Es geht hier um den Zeitraum 1847:

"Den Konservativen war an einer rationalen Auseinandersetzung um die Emanzipation nicht gelegen. Mit den übelsten Mitteln erregten sie Emotionen, die eine physische Ablehnung der Juden bewirken sollten. Dazu zählten die Ungeziefer-Metaphern, die sich in den Pamphleten und Flugblättern der Konservativen ebenfalls seit der napoleonischen Zeit finden. So sind für Arndt die Juden »Fliegen, Mücken und anderes Ungeziefer«. "


Diese Ungeziefer-Titulierungen sind also schon seit der napoleonischen Zeit geläufig. Weder eine Idee von Wilhelm II. in seiner "berühmten Postkarte" noch von Julius Streichers "STÜRMER". Sogar Ernst Moritz Arndt gehört in die Zitatenliste... :S

Rückblickend lassen sich immer viele Kontinuitäten erkennen, doch sollte man auch die Brüche nicht außer acht lassen.Den Antisemitismus gab es in unterschiedlicher Intensität in allen europäischen Staaten. Er war natürlich auch im 2. deutschen Kaiserreich vertreten, wo der renommierte Historiker Heinrich von Treitschke konstatierte "die Juden sind unser Unglück" und der ehemalige Hofprediger Stoecker eine antisemitische Partei gründete. Rückblickend lässt sich manche Kontinuität feststellen, doch wenn man Zeitgenossen um die Jahrhundertwende befragt hätte, wo sich in Europa solche Pogrome wie 1938 abspielen könnten, hätten wohl die wenigsten vermutet, dass sich so etwas im Deutschen Reich abspielen könnte.

Am ehesten hätte man solche Exzesse im Zarenreich vermutet, wo es während der Revolution von 1905 Pogrome gab oder auch in der französischen Republik, die gerade durch die Dreyfus- Affäre erschüttert wurde,unter deren Einfluss Theodor Herzl den Zionismus begründete.
 
Rückblickend lassen sich immer viele Kontinuitäten erkennen, doch sollte man auch die Brüche nicht außer acht lassen.
Ist es häufig nicht genau umgekehrt?

Die Zeitgenossen wähnen aufgrund ihres Erfahrungswissens "Kontinuitäten" und sehen das "radikal Neue" (den "Bruch") nicht. Mir scheint, dass viele Konservative Hitler genau deshalb auf dem Leim gingen, weil sie dachten, dass sich dessen Politik schon im Rahmen "des bisher Üblichen" halten wird und sie das "das Neue" nicht wahrnahmen, für rheortorische Auswüchse hielten, nicht wahr-nehmen wollten, etc. Später schreiben die Historiker über die Brüche und deren (erkennbaren) Vorboten.
 
Zuletzt bearbeitet:
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Auf gewisse Weise schon, aber ein interessantes Detail ist, dass jene altgedienten Soldaten der Reichswehr, die das Deutsche Reich in den 2. Weltkrieg führte, das Gros ihrer militärischen Ausbildung nicht im Kaiserreich erhielt, sondern während der Zeit der Weimarer Republik. Durch den Rapollo-Vertrag konnte die Reichswehr den Versailler Vertrag umgehen und ihre Soldaten in der Sowjet-Union mit schwerem Gerät und Flugzeugen ausbilden lassen. Ein bedeutender Teil der Offiziere, die 1941 Deutschlands Angriff auf die UDSSR führten, waren 10 oder 15 Jahre zuvor in der Sowjet-Union militärisch ausgebildet worden.
Die Veteranen des 1. Weltkrieg waren zu dem Zeitpunkt ja schon 40 Jahre und älter, daher eher Volkssturm- als Wehrmacht-tauglich oder eben alte Generäle.


Erich Raeder erhielt seine Ausbildung im Kaiserreichund hegte so einige Sympathien für Wilhelm II. . Er hat im WK I an den Schlachten an der Doggerbank und Skagerrak teilgenommen.

Karl Dönitz erhielt seine Ausbildung ebenfalls im Kaiserreich und hat sich zu den UBooten gemeldet und es dort bis zum Kommandanten gebracht. Diese Zeit dürfte ihm geprägt haben, denn Dönitz war ja im nächsten Weltkrieg FDU später dann BDU.

Walther von Brauchistsch trat bereits 1900 in das kaiserliche Heer ein.

Ludwig Beck trat im März 1898 in das kaiserleiche Heer und wurde schon im August 1899 Leutnant.

Erich von Manstein war seit 1906 beim Heer.

Wilhelm Ritter von Leeb trat 1895 in das kaiserliche Heer ein.

Gert von Rundstedt trat 1890 in das Heer ein.

Günther von Kluge trat im Jahre 1901 in das kaiserliche Heer ein.

Fedor von Bock begann im Jahre 1898 seine Laufbahn im kaiserlichen Heer.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Die Konservativen überwanden ihren antisemitischen Minderwertigkeitskomplex auch nach der Revolution von 1848 nicht, während der Liberale Friedrich Hecker 1848 zu der Einsicht kam: »In der Unfreiheit der Staaten, in dem Druck, in der Verkümmerung liegt es, warum wir die Juden nicht emanzipieren wollten. Indem wir die Juden knufften, glaubten wir uns freier und höher stehend.« Hecker macht deutlich, weshalb die Deutschen ihrer jüdischen Minderheit die Gleichstellung so lange vorenthielten, bis sie 1871 letztendlich im Deutschen Reich per Gesetz festgelegt wurde."

Insofern also keine Kontinuität vom Kaiserreich zum Dritten Reich.

Für Herzig, dessen Fokus im Artikel auf Minden im Biedermeier liegt, ist die Kaiserzeit allenfalls ein Randbereich seiner Betrachtung. Allerdings hast Du einen Absatz wohl überlesen:

Doch bald danach begannen die Antisemitismuskampagnen der Kaiserzeit, und Marcards Parolen fanden 1892 ihren Niederschlag in dem antikapitalistischen und antisemitischen Parteiprogramm der Konservativen, dem sogenannten Tivoli-Programm. Ihr Judenhass machte ihnen später, in den Tagen der Weimarer Republik, das Zusammengehen mit Hitler leicht.
 
Für Herzig, dessen Fokus im Artikel auf Minden im Biedermeier liegt, ist die Kaiserzeit allenfalls ein Randbereich seiner Betrachtung. Allerdings hast Du einen Absatz wohl überlesen:

Gut, dann müssen wir zum Verständnis erstmal abklären, wie der Fragesteller seine Frage versteht. Geht es um Entwicklungen, die aus dem Kaiserreich kommen und bis ins Dritte Reich hineinreichten oder geht es um Zustände (die ggfl. schon früher bestehen konnten), die im Kaiserreich und im Dritten Reich Bestand hatten? Im letzteren Fall würde ich nur von einer Kontiniutät sprechen, wenn man von einer zumindest ähnlichen Qualität sprechen kann.

Wenn das geklärt wäre: Ist eine Kampagne von Teilen der politischen Landschaft der Kaiserzeit ähnlich schwer zu gewichten, wie staatliche Restriktionen im Dritten Reich? Sicher nicht, aber eine beginnende, bzw. schon früher angelaufende Entwicklung aus der Kaiserzeit kann durchaus im Dritten Reich zum "Ausbruch" kommen - da kann ich zustimmen.
 
Es steht außer Frage, dass es im Kaiserreich Antisemitismus gab, durchaus auch bei Kreisen mit mehr oder weniger Kaisernähe verbreitet, allerdings war der Antisemitismus im Kaiserreich eben nicht integraler Bestandteil und Wesenszug des Kaiserreiches - ganz im Ggs. zu Nazideutschland.

Ich denke auch nicht, dass wir das Thema hier zwingend weiterdiskutieren sollten, dafür gibt es nämlich eigene Threads.

Wilhelm II., ein Antisemit? Verhältnis Kaiser Wilhelm II zu den Nationalsozialisten
 
Maglor schrieb:
Ein bedeutender Teil der Offiziere, die 1941 Deutschlands Angriff auf die UDSSR führten, waren 10 oder 15 Jahre zuvor in der Sowjet-Union militärisch ausgebildet worden.

Zunächst ist anzumerken, das die Deutschen auf den Boden der Sowjetunion nicht ungehindert ausbilden und erproben konnten.

In Lipeck, die Ausbildungs- und Schulungsstätte für Piloten, wurden ca. 200 Kampfpiloten ausgebildet. Hier wurden nicht die künftigen Piloten, die 1941 dann in den Cockpits saßen , sondern vielmehr ein Stamm an Ausbildern geschafften und damit die Option für einen möglichen personellen Ausbau moderner Luftstreitstreitkräft. Viele von diesen in Lipek ausgebildeten Fliegern, waren in der späteren Luftwaffe Görings General geworden.
 
Die Veteranen des 1. Weltkrieg waren zu dem Zeitpunkt ja schon 40 Jahre und älter, daher eher Volkssturm- als Wehrmacht-tauglich oder eben alte Generäle.

Turgot hat schon Beispiele für die Besetzung der Generalität gebracht (Rommel könnte man ergänzen), die noch aus der Kaiserlichen Armee bzw. Marine stammten. Man könnte mal die Führungsstellen 1939 bzw. beim Aufbau 1934 durchgehen (Kommandeure, Generalstab), da wird das Ausmaß der Kontinuität deutlich. Ebenso deutlich wird dieses, wenn man zB Keilig, Das Herr III zur Hand nimmt und nur die Dienstlisten der Generalität überfliegt.

Die explosionsartige Vermehrung der Wehrmacht in wenigen Jahren schaffte hier natürlich eine Verwässerung, spülte aber auch weitere Offiziere der ehemaligen Kaiserlichen Armee nach oben. Und es gab jemanden, der diese Kontinuität auch wahrgenommen hatte und den sie störte: nämlich Hitler, wenn er am 22.11.1939 den "Geist von Zossen" (OKH) ausrotten wollte - der etwas renitente Generalstab wollte nicht recht in den Frankreichfeldzug folgen. Einen Seitenaspekt dieser von der NS-Seite mißtrauisch betrachteten Kontinuität (die in der Ausbildung weitergegeben wurde) könnte man auch in der späteren Einrichtung des "NS-Führungsoffiziers" bei Heeresteilen sehen.
Nationalsozialistischer Führungsoffizier – Wikipedia
 
@silesia

"...und den sie störte: nämlich Hitler, wenn er am 22.11.1939 den "Geist von Zossen" (OKH) ausrotten wollte..."

Da hast Du vollkommen recht. Mit fällt dazu ein kolportiertes Zitat des Herrn H. ein, habe aber jetzt leider nicht die Möglichkeit es zu verifizieren: "Ich habe eine reaktionäre Marine, ein konservatives Heer aber eine nationalsozialistische Luftwaffe."

Hier kommt die "gefühlte" Kontinuität zum Ausdruck und das Mißbehagen, auf die alten Eliten angewiesen zu sein. Ich hoffe, daß das Zitat nicht allzu falsch wiedergegeben ist.

Bitte um Korrektur.

M.
 
Die explosionsartige Vermehrung der Wehrmacht in wenigen Jahren schaffte hier natürlich eine Verwässerung, spülte aber auch weitere Offiziere der ehemaligen Kaiserlichen Armee nach oben. Und es gab jemanden, der diese Kontinuität auch wahrgenommen hatte und den sie störte: nämlich Hitler, wenn er am 22.11.1939 den "Geist von Zossen" (OKH) ausrotten wollte - der etwas renitente Generalstab wollte nicht recht in den Frankreichfeldzug folgen. Einen Seitenaspekt dieser von der NS-Seite mißtrauisch betrachteten Kontinuität (die in der Ausbildung weitergegeben wurde) könnte man auch in der späteren Einrichtung des "NS-Führungsoffiziers" bei Heeresteilen sehen.
Nationalsozialistischer Führungsoffizier – Wikipedia

Ich meine mal in einem Buch zur Waffen-SS gelesen zu haben, daß dort ganz besonders darauf geachtet wurde, nicht auf familiäre "Soldatenwurzeln" oder gar Adel zu gucken, sondern daß nur ideologisch gefestigte, qualifizierte Bewerber in die Führerränge aufsteigen sollten. Offenbar wurde dort etwas durchgesetzt, was in der Wehrmacht nicht gelungen ist. :grübel:
 
Einer der Exponenten der Waffen-SS war Josef Dietrich: ebenfalls WK I. Sodann viele weitere Kommandeure auf Korpsebene und höher
Felix Steiner
Friedrich-Wilhelm Krüger
Walter Krüger
Curt von Gottberg
Wilhelm Bittrich
Matthias Kleinheisterkamp
Herbert Otto Gille
Max Simon

Für das Bindeglied sorgte das elitäre 100.000-Mann-Heer, die Eindampfung und weitere Professionalisierung des Kaiserlichen Offizierskoprs. Bedeutung dürften auch im Übergang die Freikorps gespielt haben.

...sondern daß nur ideologisch gefestigte, qualifizierte Bewerber in die Führerränge aufsteigen sollten. Offenbar wurde dort etwas durchgesetzt, was in der Wehrmacht nicht gelungen ist. :grübel:
Das ist die unmittelbar darunter folgende "Generation 1900"

Und dazu passend
Felix Römer: „Im alten Deutschland wäre solcher Befehl nicht möglich gewesen”. Rezeption, Adaption und Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer 1941/42, in VfZ 2008, S. 53.
 
Zuletzt bearbeitet:
Erstaunlicherweise wird selten der zerstörerische Impuls der NS-Ideologie auf die gesamte deutsche Gesellschaft als radikaler Umbau der Gesellschaft thematisiert. Das liegt vermutlich daran, dass die NS-Bewegung in ihren radikalen Impulsen zur Neugestaltung der deutschen Gesellschaft durch den WW2 „ausgebremst“ worden ist. Der intendierte gesellschaftliche Umbau zu einem „Groß-Germanien“ sollte ja erst nach dem WW2 stattfinden in geradezu bedrückenden Dimensionen, auch äußerlich (Architektur etc.).

Insofern sind die eigentlich intendierten Veränderungen vermutlich nicht in das kollektive Bewustsein der deutschen Bevölkerung während des dritten Reichs gelangt oder wurden durch andere Eindrücke überlagert.

Bei der Auseinandersetzung mit heutigen rechtsradikalen Bestrebungen erscheint mir vor allem auch das Verständnis dieser „monströsen“ Umgestaltung ein zentrales Argument, um die notwendige Distanz zur NS-Ideologie zu erzeugen. Die Vision einer formierten, paramilitärisch organisierten, überwachten und kontrollierten und reinrassigen Gesellschaft.

Ein paar Gedanken zur Analyse der Frage der Kontinuität der deutschen Gesellschaft von 1871 bis 1945.

Die Dimensionen in denen die Veränderung stattfand, sollte man vor allem unter dem Gesichtspunkt der strukturellen Konstanz bzw. disruptiven Veränderungen betrachten.

Und in diesem Zusammenhang kann man vermutlich die die Frage des Antisemitismus als einen wichtigen Teilaspekt des ideologischen Überbaus definieren. Aber eben auch nur ein Teilaspekt. Im einzelnen ist die Veränderung folgender gesellschaftlicher Sub-Systeme von hoher Bedeutung für die Veränderung der Gesellschaft im Ganzen:
-ideologischer Überbau
-Sozialstruktur
-politische Struktur bzw. System
-Militärorganisation
-Wirtschaftsstruktur
-Rechtssystem

Die Veränderungen können und sollen im einzelnen nicht aufgezeigt werden und durch Wehler, Nipperdey und andere liegen ja auch bereits kompetente Analysen vor.

Wichtig erscheint mir die Kontinuität bzw. den Bruch anhand der zentralen Phase der Entwicklung zu definieren und damit die unterschiedliche Geschwindigkeit der Veränderungen zu erfassen. Ein zentraler Aspekt, der die Ungleichzeitigkeit von ideologischen Überbau, sprich generationsbedingtem Weltbild und materiellen Verhältnissen betrifft und das treibende Element der Unzufriedenheit war beim Vergleich zwischem dem Anspruch und der Realität.

Jede Gesellschaft hat entsprechend ihrer historischen Situation und ihrem konkreten geografischen Kontext spezfischen Anpassungsleistungen zu erfüllen. Als Bezugspunkt sei unter heuristischen Gesichtspunkten auf das AGIL_Schema von T. Parsons verwiesen.

Vor diesem Hintergrund ließe sich die Entwicklung der Gesellschaft in eine Reihe von Phasen einteilen:
1. Kaiserreich 71-18
2. Weimarer Republik 18-33
3. 3. Reich vor dem imaginären „Endsieg“
4. 3. Reich nach Endsieg und Umgestaltung

Die gesellschaftlichen Umbrüche durch den WW1 und der damit zusammenhänge Zusammenbruch der Gesellschaftsstrukturen des Kaiserreichs und ihr fragmentiertes Fortbestehen in der Weimarer Republik ist oft beschrieben worden. Ebenso die Übergänge von der Weimarer Republik in das Dritte Reich und die relative Konstanz der gesamtgesellschaftlichen Strukturen in der Anfangszeit des Dritten Reichs.

In der zu erwartenden Phase der Realisierung von „Groß-Germanien“ hätte aus der bereits stattgefundenen, partiellen bruchhaften Veränderung (Sozialstruktur, pol. System und Militär) und der teils evolutionären Entwicklung (ideologischer Überbau, Rechtssystem und Wirtschaftssystem) eine revolutionäre Umbruchsituation entstehen müssen.

Insbesondere auf der Ebene der Wertsysteme hätte die NS-Bewegung auf eine vollständige Dominanz bestanden mit der Konsequenz, dass die Kirchen komplett abgeschafft worden wären. Die NS-Ideologie hätte nicht nur eine weltliche Geltung erhalten, sondern auch eine quasi religiöse Bedeutung erhalten.

Die anderen Bereich wären ähnlich radikal umgestaltet worden, da Deutschland nach dem „Endsieg“ ja im wesentlichen die Funktion eines Verwaltungszentrums für die besetzten Gebiete hätte wahrnehmen müssen.

Das System, das vermutlich am wenigsten berührt worden wäre, war die Wirtschaft. Trotz der Tendenz quasi staatliche Großkonzerne zu schaffen (Hermman-Göring Werke etc.) war, entsprechend der Aussagen führender NS-Wirtschaftsdenker, nicht an eine Verstaatlichung der Wirtschaft gedacht.

Die angezielten Veränderungen wären nur durchzusetzen gewesen im Rahmen eines ideologischen Zwangsaktes mit repressiven Maßnahmen. Nach „erfolgreicher“ Endlösung wäre eine weitere Welle von Deutschen (die Kommunisten, die Sozialisten und der konservativen Widerstand wären ja schon vermutlich tot gewesen) in die KZ gelangt zur „Umerziehung“ oder zur „Tötung“. Und dieses Mal wären es die Personen gewesen, die sich dem radikalen Umbau entgegengestellt hätten. Der Anteil an Personen aus den Kirchen wäre vermutlich besonders hoch gewesen.

Vor diesem Hintergrund war die NS-Bewegung und die Ideologie ein deutlicher Bruch mit dem Kaiserreich und nahezu allen traditionellenn Rechts- und Moralvorstellungen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ende 1937 kam ein General zu Hitler, und eröffnete ihm, dass er sich wieder verehelichen wolle, aber Probleme mit seinen Offizierskameraden befürchte, da die Auserwählte ein "einfaches Mädchen aus dem Volk wäre".
Die Heiratsbestimmungen des kaiserl. Offizierskorps unterstelle ich mal als bekannt.
Hitler meinte "mit diesem Unsinn muss endlich Schluss sein, ich werde Ihr Trauzeuge sein" den zweiten Trauzeugen besorgte er gleich auch noch, er hieß Göring.

Kurze Zeit danach gab es Gerüchte, die sich dann bewahrheiteten. Das einfache Mädchen war außerdem ein "leichtes Mädchen".
Der General hieß Blomberg, war Kriegsminister, und der eine oder andere wird es wissen, wurde von Hindenburg zum Minister des Kabinetts Hitler ernannt, bevor Hitler zum Kanzler ernannt wurde!

Den Fortgang der Affäre möge man selbst nachlesen. (OT: Blomberg war ein ganzer Kerl, die Frau hat er behalten, das Amt sausen lassen. Mir zumindest imponiert das.)

Ergo: Es gab Kontinuitäten, etliche, aber weniger mit Absicht und Willen der Nazis.
 
Den Fortgang der Affäre möge man selbst nachlesen. (OT: Blomberg war ein ganzer Kerl, die Frau hat er behalten, das Amt sausen lassen. Mir zumindest imponiert das.)

Ansonsten ist an Blomberg aber wenig imponierendes. Schließlich war er der Totengräber der Wehrmacht. Es war Blomberg, der die Armee willig Hitler auslieferte, es war Blomberg der den Eid auf den "Führer" einführte. Blomberg hattes auch kein Problem mit der Ermordung seiner Genralskameraden von Schleicher und von Bredow. Des weiteren hat Blomberg im Zuge dieser peinlichen Affäre Hitler als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Die Folgen sind ja hinreichend bekannt.

Der Herr ist alles andere als bedauernswert oder bemitleidenswürdig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ansonsten ist an Blomberg aber wenig imponierendes. Schließlich war er der Totengräber der Wehrmacht. Es war Blomberg, der die Armee willig Hitler auslieferte, es war Blomberg der den Eid auf den "Führer" einführte. Blomberg hattes auch kein Problem mit der Ermordung seiner Genralskameraden vn Schleicher und von Bredow. Des weiteren hat Blomberg im Zuge dieser peinlichen Affäre Hitler als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Die Folgen sind ja hinreichend bekannt.

Der Herr ist alles andere als bedauernswert oder bemitleidensürdig.


Weder Bedauern, noch Mitleid. Warum auch?
Hat doch 50.000 RM für den Verlust des Jobs bekommen, kannst Du zu heute lässig 1zu10 in Euronen umrechnen.
Dass Göring auf das Ministeramt scharf war "wie ein Huhn auf einen Apfelbutzen :D," wusste Blomberg.
Und hat ihm die Tour vermasselt.

Trotzdem imponiert mir die Haltung in diesem Moment!
Ein weitere Wertung Blombergs kann ich nicht abgeben, weiß ich zu wenig über ihn.

Aber das ist alles total OT

TT ist, dass die Kontinuitäten vermutlich in weiten Bereichen alles andere als gewollt waren.
Und, wieder OT, Repos These: Wehe den Deutschen, wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten.
 
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