Die Frage ist doch, was wollte Österreich-Ungarn? Die Herren wollten unbedingt Krieg und deshalb wurde zu nächst ein Ultimatum mit der Absicht forumuliert, das es für Serbien unannehmbar sei. Am Ballhausplatz war man woll auch überrascht, wie weit das Entgegenkommen der serbischen Regierung reichte. Wilhelm II. war jedenfalls positiv überrascht und vertrat nunmehr die Auffassung, das kein Grund mehr für ein Krieg vorläge. In Wien und im deutschen AA sah man die Dinge allerdings anders und hielt an dem Willen zum Krieg fest. Aud diesem Grunde war es auch ohne Belang, das die serbische Regierung das Ultimatum fast vollständig erfüllt hat.
Ich sehe das ähnlich.
Wenn man dazu die inzwischen erschienene Publikation von Clark [Schlafwandler] nimmt, geht es ihm im Schwerpunkt um die serbische Kriegsschuld. Um so wichtiger wird für die Seriösität der Forschungsarbeit
die Frage der Antwortnote, bei der man seitens Clark eine sorgfältige und umfassende Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand erwarten müsste. Nichts dergleichen erfolgt. Hier die entscheidenden Abschnitte:
"Es fällt schwer, Musulins ehrfürchtiger Bewunderung für diesen geschickt ausformulierten Text zu widersprechen. Die häufig zu hörende Behauptung, diese Antwort sei einer fast vollständigen Kapitulation vor den österreichischen Forderungen gleichgekommen, ist von Grund auf falsch. Es handelt sich hier um ein Dokument, das für Serbiens Freunde geschrieben wurde, nicht für seinen Gegner. Es bietet den Österreichern erstaunlich wenig.
1421 Vor allen Dingen schiebt es Wien den Schwarzen Peter zu, ..."
[es folgt eine Reihe von Unterstellungen ohne Beleg, und ohne Bezug zur Kernfrage des Kriegsgrundes aufgrund der Antwortnote, aufgezogen als Traktat gegen serbische Perfidie, danach resümierend:]
"In Wirklichkeit handelte es sich um eine hübsch verpackte Ablehnung der meisten Forderungen. Man kann sich durchaus fragen, ob Pašić nicht einen anderen Kurs hätte einschlagen können. Immerhin hatte er inzwischen mit seiner Weigerung, durch die Schließung irredentistischer Netzwerke die Initiative zu ergreifen, zugelassen, dass die Krise diesen Punkt erreicht hatte. Verschiedene Gründe für die Passivität des Regierungschefs nach dem 28. Juni wurden bereits erörtert: seine anhaltende Verwundbarkeit nach den aktuellen Auseinandersetzungen mit der Militärpartei und dem Netzwerk der Schwarzen Hand, die tief verinnerlichten Gewohnheiten der Zurückhaltung und Verschwiegenheit, die er sich im Laufe von mehr als dreißig Jahren an der gefahrvollen Spitze der serbischen Politik angeeignet hatte, sowie die grundlegende Sympathie Pašićs und seiner Kollegen für die Sache der Irredentisten. Dem muss eine weitere Überlegung hinzugefügt werden: Pašić dürfte allen Grund gehabt haben, eine gründliche Untersuchung des Verbrechens zu fürchten, weil dies durchaus Verbindungen hätte aufdecken können, die in das Zentrum der serbischen politischen Elite reichten. Jedes Licht, das auf die Machenschaften von Apis fiel, hätte Belgrads Stellung, milde ausgedrückt, erheblich schwächen können. Viel beunruhigender war jedoch die Möglichkeit, dass bei der Verfolgung und Ermittlung gegen den Doppelagenten Ciganović, den die Österreicher bereits als Tatverdächtigen im Visier hatten, aufgedeckt worden wäre, dass Pašić und seine Minister im Voraus von den Attentatsplänen gewusst hatten – ein Vorauswissen, das Pašić in seinem Interview mit der Budapester Zeitung Az Est (Der Abend) vom 7. Juli vehement dementiert hatte. In gewissem Sinn verlangten die Österreicher vielleicht wirklich das Unmögliche, nämlich dass das offizielle Serbien der politischen Landkarte das expansionistische, ethnische Serbien des Irredentismus in die Schranken wies. Das Problem bestand darin, dass die beiden voneinander abhängig und untrennbar miteinander verknüpft waren; sie waren zwei Seiten desselben Gemeinwesens. Im Kriegsministerium in Belgrad, einem offiziellen Gebäude, wie es kaum ein anderes gab, hing vor dem großen Empfangssaal das Bild einer serbischen Landschaft mit einer allegorischen weiblichen Figur im Vordergrund, auf deren Schild die »noch zu befreienden Provinzen« aufgezählt waren: Bosnien, Herzegowina, Vojvodina, Dalmatien und so weiter.
1422"
Wie man daraus sieht:
Keinerlei Auseinandersetzung von Clark mit der Kernfrage, ob die Antwort die Kriegserklärung rechtfertigt, keine Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand.
Die Spitze stellt der völlige banale Bildhinweis dar [wenn man denn überhaupt systematisch verwenden möchte, dann im Kontext des Nachweises serbischen Nationalismus und der Großmachtträume. Dafür ist er allerdings völlig überflüssig, den Nachweis kann man auch stringenter führen]. Und die beiden Zitate sind unzureichend, einseitig, und zT veraltet:
1421 Roberto Segre, Vienna e Belgrado 1876–1914, Mailand [1935], S. 78; siehe auch James Joll, The Origins of the First World War, London 1984, S. 13; Joachim Remak, »1914 – The Third Balkan War: Origins Reconsidered«, in: Journal of Modern History, 43 (1971), S. 353–366.
1422 Siehe »Monarchiefeindliche Bilder im Belgrader Kriegsministerium«, eine dem Dossier beigefügte Notiz, das nach Eingang der serbischen Antwort an die österreichisch-ungarischen Gesandtschaften verschickt wurde, ÖUAP, Bd. 8, Dok. 10654, S. 665–704, hier S. 704.
Wenn man es mal ähnlich - höflich gesagt: - "rhetorisch" formulieren würde wie Clark: derartig unsaubere Arbeit würde bei einem Forschungsanspruch in jeder Examensarbeit zum Thema bemängelt, und in jeder Disputation um die Ohren geschlagen werden.