Verluste an antiker Literatur

Carolus

Aktives Mitglied
Als Lateinschüler stöhnte ich noch über den großen Umfang der erhaltenen Literatur des Römerreiches, die Mitdiskutanten in den zahlreichen Threads zur Varusschlacht würden einiges dafür geben, wenn sie noch einige der nicht erhaltenen Werke zu diesem Thema lesen könnten.

Über das "Wieviel" und "Warum" der Literaturverluste läßt sich ja trefflich streiten. Schätzungen liegen zwischen ca. 99 % bis 99,9 % an Literaturverlusten.

Über das "Warum" hatte ich eigentlich immer diffuse Vorstellugen, die sich vom Untergang des Römischen Reiches ableiteten: vor dem geistigen Auge sehe ich dann Germanenhorden im Bärenfellen, die plündern, rauben, was (nicht) niet- und nagelfest, brandschatzen, die holde römische Weiblichkeit schänden - und in ihren Bärenfellen die Bibliotheken abfackeln.

Vorher hatten wohl christliche Fundamentalisten die Literaturbestände schon dezimiert. Und in der Stunde Null des zerfallenen Römerreiches (und in den darauffolgenden Stunden) gab es keine Schulen mehr (wurden ja von den Germanen abgefackelt). Korrespondierend zum Promilleanteil der verbleibenden Literatur stand ein gleich großer Promilleanteil der Bevölkerung, die noch lesen (und vielleicht sogar auch schreiben) konnten.

Dann ging Ägypten verloren (und damit der Produzent von Papyrus). Um dann noch etwas zu kopieren, mußte man dann eine Kuh jagen, schlachten, häuten und dann hatte man irgendwann Pergament, um etwas zu schreiben. Angesichts dieses Aufwandes mußte man sich zweimal überlegen, was man schreibt und abschreibt. Zwischendurch wurde das, was immer noch nicht verloren war, von Mäusen zerfressen oder wurde beim zufälligen oder vorsätzlichen Brand von Klosterbibliotheken ein Raub der Flammen (man denke nur Umberto Eco & "Der Name der Rose").

Irgendwann war dann Herr Gutenberg auf der Weltbühne und dank seiner Druckmaschine war das Buch auf dem Weg zum Massenmedium (dank auch an den Erfinder des Papiers wer immer es war). Und was bis dahin an antiker Literatur noch übrig war, blieb dann der Nachwelt erhalten. Hin und wieder fand sich dann im Wüstensands Ägyptens Reste von antiker Literatur oder auf recycleten Pergament (Palimpsest).

Zu den Bücherverlusten in der Spätantike gibt es einen Artikel in der Wikipedia, der einen ersten Überblick gibt.
 
Dann bin ich auf die Magisterarbeit von Rolf Bergmeier "Die spätantiken Literaturquellen: Bestand und Verfall der antiken Literatur" gestoßen sowie vom gleichen Autor "Requiem für die antike Kultur" und einen Vortrag mit einer fünfteiligen Youtube-Fassung.

Dem Autoren zufolge waren an den Bücherverlusten weniger meine oben genannten Germanen in ihren Bärenfellen und die Mäuse, sondern die katholische Kirche schuld. Unter Kaiser Theodosius wurde die katholische Kirche gegen Ende des 4. Jahrhunderts Staatsreligion mit einem Monopol in Glaubensangelegenheiten. Dieses Monopol bestand nicht nur ggü. anderen christlichen Glaubensrichtungen wie den Arianern, sondern auch ggü. allen anderen Religionen:

Damit wird das Todesurteil über die griechisch-römische Kultur gesprochen, da diese fast immer einen Bezug zur antiken Götterwelt hat. Bücherverbrennungen werden von höchster Stelle sanktioniert und als Handlungen verstanden, die Gott fundamental befriedigen und daher den Handelnden spirituellen Nutzen bringen. Und da Bücherverbrennung Gott befriedigt, wird sie häufig vollzogen. 391 gehen in Alexandria die Bücher in Flammen auf, angeordnet vom christlichen Patriarchen Theophilos. Im Jahr 400 wird von ihm verordnet, niemand dürfe die Schriften des Origenes
„lesen oder besitzen". 409 werden die „Mathematiker" durch kaiserlichen Erlaß verpflichtet, „ihre Bücher vor den Augen der Bischöfe zu verbrennen, andernfalls seien sie aus Rom und allen Gemeinden zu vertreiben"8. Ammianus Marcellinus berichtet von der Verfolgung und Hinrichtung von
Personen, denen der Besitz von Büchern mit verbotenem Inhalt vorgeworfen wird.

Die Schilderung der Kirche für diese Epoche durch den Autoren erweckt bei mir eher Assoziationen an einen extremen Fundamentalismus, der mich heute an die Taliban erinnert.

Das widerspricht insgesamt meinem Kirchenbild. Ich hatte immer die Vorstellung, daß gerade die Kirche die Institution war, die durch die Wirren der Spätantike und Frühmittelalter Mittler der antiken Kultur war und Träger öffentlicher Strukturen nach dem Zerfall der römisch-staatlichen Organisation. Gewaltsame Vernichtung - so dachte ich - war eher die Ausnahme. Hierbei denke ich an die Geschichte von Hypathia (dieses Jahr erschien die Verfilmung "Agora").
 
Hallo Carolus,

zunächst darf ich Dir für so viel gute Arbeit großes Lob und besten Dank aussprechen.
Sicherlich hat die christliche Kirche einen nicht unerheblichen Teil dazu beigetragen und ich kenne diese Bewertungshaltungen in den Büchern auch, denn das ist immer wieder zu lesen, aber andererseits kann es mich persönlich nicht in jeder Hinsicht überzeugen, denn viele Werke haben überlebt, die eigentlich hätten untergehen müssen, wie beispielsweise Ovids Bücher. Und auch im Mittelalter ist ja die antike Bildung nicht verschwunden, wurde teilweise sogar gepflegt. Renaissance erscheint heute als eine Strömung, die im 15. Jh. aufkommt, aber es gab sie das ganze Mittelalter hindurch immer wieder und für hohe kirchliche Gelehrte war es unerlässlich auch in den noch vorhandenen antiken Autoren belesen zu sein, soweit es irgend möglich war. Aber ich denke, Du sprichst das zentrale Problem in Deinem Beitrag sehr schön an: Die Technik, bzw. deren Problematik.
In der Antike gab es viele kommerzielle Schreibstuben, die für die Buchvervielfältigung sorgten und öffentliche wie private Bibliotheken, die die Werke horteten. Aber auch in der Antike war es - nicht anders als heute - so, dass Werke verschwanden, weil sie keiner mehr lesen wollte, andere hingegen blieben wahre Klassiker. Im Mittelalter hat sich diese Produktion sehr verschoben. Bildungshort war zunächst nur noch die Kirche. Kirchenmänner verfügten über die meiste Bildung. Die Alphabetisierungsrate war meines Wissens im Mittelalter auch deutlich niedriger, als in der Antike. Der Ungebildete brauchte keine Bücher und das galt nicht nur für den kleinen Bauern, sondern auch bis in höhere Kreise. Das wirkt sich auf die Nachfrage aus. Buchhandel dürfte kein sehr lukratives Geschäft gewesen sein. Wenn man - wie Du sehr schön ausgeführt hast - vor dem Problem steht, dass einerseits alter Kulturschatz zerfällt (kommt mir irgendwie bekannt und recht modern vor...), man andererseits nur über sehr beschränkte Reproduktionsstätten verfügt und weiter sich das Interesse der Leserschaft durch das Christentum verändert hat, so dass man andere Bücher interessanter findet (wir lesen ja auch nicht mehr alle Andreas Gryphius) und man ja auch eigene zeitgenössische Werke verbreiten möchte, ja dann muss man sich entscheiden. Auch heute -mit ganz anderen technischen Möglichkeiten - zerfallen Bücher in den Bibliotheken, die heute vielleicht noch gescannt werden können, von denen es in ein paar hundert Jahren aber sonst keine Reste mehr geben wird. Ich denke daher nicht, dass es immer nur eine boshafte Einstellung der Christen und v.a. der Kirche war, sondern überzählig einfach ein technisches Problem, das zur Entscheidung zwang. Gerade anhand der Palimpseste kann man das ja schön beobachten.
Fanatismus hat immer schon zur Wissensvernichtung geführt, auch in der Antike, das ist kein Problem der katholischen Kirche. So kritisch man die Rolle der Kirche - bisweilen auch zu Recht - sehen kann, muss man doch auch aus Gründen der Fairness zugestehen, dass wir ohne sie und ihre Bildungspflege weit weniger Überlieferung besäßen, als wir es uns heute denken können. Wer nicht das Glück hatte, im Wüstensand zu leben oder durch die Kirche überliefert zu werden, über den kam in der Regel das Dunkel des Vergessens.

Du sprichst es absolut richtig an, der Durchbruch war der Buchdruck. Er erwies sich für die Überlieferung antiker Werke als wahrer Glücksfall und auch hier waren es reiche Bischöfe, Kardinäle und Päpste, die neben einer durch ihren Reichtum aufstebenden Bürgerschicht des Spätmittelalters und der Renaissance für antiken Bildungskonsum und zugleich Bildungserhalt sorgten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man möge aber auch beachten, dass "Erhaltung" nur über ständige Reproduktion (abschreiben) möglich ist, und dass nicht-abschreiben zur (Selbst-)Vernichtung der Papyrus-Stroh-Bücher führt. Und die Abschreiber waren die Mönche.
 
Es gab öfter in der Geschichte "Bilderstürmereien" an verschiedenen Orten. Vieles, was vor allgemeinen Gebrauch des Buchdrucks noch vorhanden war, dürfte da 5 Minuten vor 12 noch verbrannt sein. Ich erinnere an den Bauernkrieg in Süddeutschland.
Wer weiss schon, was noch heute unentdeckt als Abschrift in den Archiven des Vatikan schlummert...
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gab öfter in der Geschichte "Bilderstürmereien" an verschiedenen Orten. Vieles, was vor allgemeinen Gebrauch des Buchdrucks noch vorhanden war, dürfte da 5 Minuten vor 12 noch verbrannt sein. Ich erinnere an den Bauernkrieg in Süddeutschland.
Wer weiss schon, was noch heute unentdeckt als Abschrift in den Archiven des Vatikan schlummert...

Da ist vielleicht noch etwas zu finden (oder in anderen alten Bibliotheken Europas). Allerdings wäre eine Vorstellung falsch, daß der Vatikan eine Bibliothek bzw. Archive hat, in denen seit den Zeiten der ersten Päpste alles mögliche gesammelt wird. Die Aufzeichnungen aus dem Zeitraum bis zum 8. Jhdt. sind verloren gegangen. Dann mußte der Papst zwischenzeitlich umziehen (Avignon), was auch zu einem gewissen Verlust geführt hat (war bei meinen eigenen Umzügen nicht anders:D).

Die Bibliothek des Vatikans ist erst im 15. Jhdt. gegründet worden, was aber nicht ausschließt, daß auch wesentlich ältere Werke sich dort befinden (und da befinden sich ja auch einige antike & antiquarische Kostbarkeiten).

Wenn da noch etwas unentdecktes sein sollte, dann am ehesten als Palimpsest (Pergament, was abgeschabt wurde und neu beschriftet wurde). Mit speziellen Fotografiertechniken oder sogar mit bloßem Auge kann man die alte Schrift wieder lesbar machen. "De re publica" ist in weiten Teilen in der Bibliothek des Vatikans als Palimpsest im 19. Jhdt. gefunden worden.
 
Man möge aber auch beachten, dass "Erhaltung" nur über ständige Reproduktion (abschreiben) möglich ist, und dass nicht-abschreiben zur (Selbst-)Vernichtung der Papyrus-Stroh-Bücher führt. Und die Abschreiber waren die Mönche.

Das gilt zumindest für die Zeit des Mittelalters bis zur Erfindung der Druckerpresse.

Aber in diesem Zeitraum war ja auch die Kirche Bewahrer der antiken Bildung und Kultur.

Was die Selbstvernichtung der Papyrusschriften angeht, so wird die angeblich geringere Haltbarkeit in Frage gestellt. Papyrus kann bei sachgemäßer Lagerung auch Jahrhunderte überdauern.

Eine anderes Problem bei Papyrus ist der Anbau und Produktionsvorgang. In der Antike wuchs die Papyrusstaude hauptsächlich in Ägypten und dort wurde sie zu Papyrus verarbeitet. D. h. jeder Papyrus im Römerreich kam erst mal aus Ägypten. Die auf Papyrus basierte Buchherstellung war abhängig von den Produktionsverhältnissen in Ägypten und den freien Handelswegen. Die freien Handelswege im Mittelmeer sind im 5. Jhdt. durch die Vandalen gestört worden. Ägypten ist im 8. Jhdt. von den Arabern erobert worden. Diese Ereignisse dürften zur Verknappung von Papyrus geführt haben.

Übrigens war Pergament (aus Tierhaut hergestellt) auch ein knappes & teures Gut (sonst wären nicht die Palimpseste entstanden).

Je knapper der Datenträger ist, desto sorgfältiger muß man sich überlegen, womit man ihn beschreibt.

Zur Vollständigkeit sei noch "Papier" erwähnt. Papier kennen wir (Abendländer) erst durch die Vermittlung des arabischen Spaniens ab dem 13. Jhdt.
 
Übrigens war Pergament (aus Tierhaut hergestellt) auch ein knappes & teures Gut (sonst wären nicht die Palimpseste entstanden).

Je knapper der Datenträger ist, desto sorgfältiger muß man sich überlegen, womit man ihn beschreibt.
Gott sei Dank (in diesem Fall sogar passend) hat man sich da nicht immer dran gehalten. Es gibt ja diverse Pergamente, die man wieder abgeschabt und neu beschrieben hat. Das überlieferte und manches, was nicht als überliefernswert angesehen wurde :)

Und natürlich kann Papyrus auch viel länger erhalten bleiben. Die villa dei papiri beweist das ja sehr deutlich. Gleichzeitig sind diese Bedingungen schwer zu erreichen und selbst wenn man sie hat heißt das nicht, dass die Erhaltung gut geling. Wer mag liest sich mal ein in die Arbeit, welche die Restauratoren sich gerade mit den Rollen aus besagter Villa machen müssen. Die Vorgänger haben da eine Menge zerstört in dem Glauben, man könne sie einfach entrollen...
 
Was die Selbstvernichtung der Papyrusschriften angeht, so wird die angeblich geringere Haltbarkeit in Frage gestellt. Papyrus kann bei sachgemäßer Lagerung auch Jahrhunderte überdauern.
Das trifft auf die trockenen Verhältnisse in Ägypten zu aber nicht für das feuchte ,wechselhafte Klima in Europa. Da verrottet ein organisches Material, wie Papyrus sehr schnell.
 
Und natürlich kann Papyrus auch viel länger erhalten bleiben. Die villa dei papiri beweist das ja sehr deutlich. Gleichzeitig sind diese Bedingungen schwer zu erreichen und selbst wenn man sie hat heißt das nicht, dass die Erhaltung gut geling. Wer mag liest sich mal ein in die Arbeit, welche die Restauratoren sich gerade mit den Rollen aus besagter Villa machen müssen. Die Vorgänger haben da eine Menge zerstört in dem Glauben, man könne sie einfach entrollen...

Beim Vesuvausbruch waren das schon sehr spezielle Bedingungen. Ich habe mal in einem Museum einige von den Rollen gesehen. Respekt für die Archäologen, die daran arbeiten. Aber in einem anderen Thread (ich meine, einer der Varus-Kalkriese-Threads) wurde auf einen Spiegel-Artikel verwiesen, wo man befürchtete, daß in dieser Villa dei Papiri die literarische Qualität (also die inhaltliche) der Funde eher zweifelhaft sein würden. Es wurde ein Vergleich mit Konsalik gezogen.

NACHTRAG: Hier ist er: Philodemos (aus SPIEGEL)

Das trifft auf die trockenen Verhältnisse in Ägypten zu aber nicht für das feuchte ,wechselhafte Klima in Europa. Da verrottet ein organisches Material, wie Papyrus sehr schnell.

Gewiß, aber ich meinte die "sachgemäße" Lagerung in Bibliotheken, Wohnzimmerschrank (nicht im Garten oder im Wald).

Die Funde in Ägypten (irgendetwas mit Oxy-Dingens????) waren übrigens eine Müllhalde (gut, daß es damals noch kein Papyrusrecycling wie heute gab.)

Hier ist noch ein Beitrag zu dem Thema (Artikel aus Spektrum der Wissenschaft): http://www.geschichtsforum.de/f34/das-papier-der-antike-16043/
 
Zuletzt bearbeitet:
Beim Vesuvausbruch waren das schon sehr spezielle Bedingungen. Ich habe mal in einem Museum einige von den Rollen gesehen. Respekt für die Archäologen, die daran arbeiten. Aber in einem anderen Thread (ich meine, einer der Varus-Kalkriese-Threads) wurde auf einen Spiegel-Artikel verwiesen, wo man befürchtete, daß in dieser Villa dei Papiri die literarische Qualität (also die inhaltliche) der Funde eher zweifelhaft sein würden. Es wurde ein Vergleich mit Konsalik gezogen.
So weit würde ich nicht gehen. Leider handelt es sich offenbar um eine eher philosophische Bibliothek als eine historische oder naturalistische. Darum ist da viel geistig interessantes dabei, aber wenig hilfreiches um die Epoche. Leider. Aber man nimmt was man kriegt. :)
 
Beim Vesuvausbruch waren das schon sehr spezielle Bedingungen. Ich habe mal in einem Museum einige von den Rollen gesehen. Respekt für die Archäologen, die daran arbeiten. Aber in einem anderen Thread (ich meine, einer der Varus-Kalkriese-Threads) wurde auf einen Spiegel-Artikel verwiesen, wo man befürchtete, daß in dieser Villa dei Papiri die literarische Qualität (also die inhaltliche) der Funde eher zweifelhaft sein würden. Es wurde ein Vergleich mit Konsalik gezogen.

NACHTRAG: Hier ist er: Philodemos (aus SPIEGEL)



So weit würde ich nicht gehen. Leider handelt es sich offenbar um eine eher philosophische Bibliothek als eine historische oder naturalistische. Darum ist da viel geistig interessantes dabei, aber wenig hilfreiches um die Epoche. Leider. Aber man nimmt was man kriegt. :)

Mein Gedächtnis hat mich getäuscht: der Vergleich bezog sich nicht auf Konsalik, sondern auf Simmel:
(nachfolgende Zitate aus dem oben verlinkten SPIEGEL-Artikel:

Doch anstatt unbekannte Texte von antiken Genies muss die Zunft nun noch mehr Philodemos verdauen. Es ist, als würde man eine Bibliothek der Weltliteratur suchen - und sämtliche Werke von Johannes Mario Simmel finden.


Aber:

Gleichwohl geben die Forscher die Hoffnung nicht auf. Die "Villa dei Papiri", bietet noch viel unbekanntes Terrain. Erst ein Bruchteil dieses gewaltigen antiken Kulturpalazzos ist freigelegt. Gigante geht davon aus, dass sich im Untergeschoss des Hauses weitere unentdeckte Papyrus-Magazine befinden.
 
"Mein Gedächtnis hat mich getäuscht: der Vergleich bezog sich nicht auf Konsalik, sondern auf Simmel"

Macht das einen Unterschied?

"Leider handelt es sich offenbar um eine eher philosophische Bibliothek ... Aber man nimmt was man kriegt. :)"

Also ich versteh es jetzt nicht so ganz, aber was habt Ihr gegen Philosophen?;) So etwas Schönes... Der alte Cicero würde sich ja im Grab umdrehen, wenn er eines hätte. :winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
"Mein Gedächtnis hat mich getäuscht: der Vergleich bezog sich nicht auf Konsalik, sondern auf Simmel"

Macht das einen Unterschied?

"Leider handelt es sich offenbar um eine eher philosophische Bibliothek ... Aber man nimmt was man kriegt. :)"

Also ich versteh es jetzt nicht so ganz, aber was habt Ihr gegen Philosophen?;) So etwas Schönes... Der alte Cicero würde sich ja im Grab umdrehen, wenn er eines hätte. :winke:

Aber die Erwartungshaltung & Hoffnung war, daß man die verlorenen Werke der goldenen Latinität findet. Man stelle sich vor, was dies für die Forschung bedeutet hätte (& für den Lateinunterricht:D).
 
Aber es läßt sich doch aus jedem Neufund etwas herleiten, ob nun Philosoph oder aber Prosaautor. Der normale Lateinschüler ist ja heute schon mit Caesar fast an seiner Leistungsgrenze, Lehrpläne verhindern dann noch flexible und eventuell interessante Materialien.

Den Verlust antiker Literatur würde ich auch viel weniger dem Bildersturm und der Bücherverbrennung anrechnen, als der selektiven Abschrift in den ca 1000 Jahren zwischen dem Ende der Antike und der Erfindung des Buchdrucks.
 
Den Verlust antiker Literatur würde ich auch viel weniger dem Bildersturm und der Bücherverbrennung anrechnen, als der selektiven Abschrift in den ca 1000 Jahren zwischen dem Ende der Antike und der Erfindung des Buchdrucks.

Ich möchte auf den Zeitpunkt bzw. -raum der Literaturverluste zu sprechen kommen.

Wenn wir etwa vom 4. Jhdt. von einer vollständigen Literatursammlung, die in öffentlichen und privaten Bibliotheken über das ganze Reich in vielfacher Ausfertigung bestand, ausgehen, so dann etwa den Bestand der Literatur zu Beginn der Renaissance, als das Interesse an der Antike wieder erwachte und die Möglichkeit bestand für eine massenhafte Verbreitung von Büchern, so müßte das Literaturinventar zu beiden Zeitpunkten quantifiziert werden.

Zu den Beständen der Bibliotheken in der Antike liegen verschiedene Zahlen vor, die sich auf die Bücher (Papyrusrollen) beziehen.

Laut Wikipedia

Die Anzahl der überlieferten antiken Texte (ohne Funde) wurde bisher noch nicht genau bestimmt. Die Größenordnung dürfte bei etwa 3000 liegen, 1000 davon in Latein. Der größte Teil davon liegt nur in Bruchstücken vor. Das gesamte überlieferte nichtchristliche Textvolumen umfasst zumindest in Latein wahrscheinlich weniger, als in 100 Codices passen würde. Der Bruch im Bestand antiker Titel ist daher erheblich und könnte in der Größenordnung von eins zu 1000 liegen.
Quelle: Wikipedia, Artikel "Bücherverluste in der Spätantike"

Jetzt müßte man eigentlich nur in dem entsprechenden Zeitintervall stichprobenartig überprüfen, wann wieviel an Literatur noch vorhanden war. Von dem oben genannten Bergmeier wird die von Cassiodor in der Mitte des 6. Jhdts. aufgeführte Klosterbibliothek genannt, die

Wir sind auch heute noch in etwa im Besitz derjenigen Texte, die Cassiodor zur Verfügung standen.
(Quelle: Wikipedia. a. a. O.)

Jetzt könnte man aufgrund dessen die These aufstellen, daß der Bücherverlust vor der Mitte des 6. Jhdts. aufgetreten ist. Andererseits wende ich die Frage ein, ob die Bibliothek Cassiodors wirklich als "kulturelle Schutzzone" für die römisch-heidnische Literatur geplant war. Denn Cassiodors Anliegen war die Errichtung einer theologischen Hochschule.

Cassiodor schreibt in seinen Institutiones:

Cum studia saecularium litterarum magno desiderio feruere cognoscerem, ita ut multa pars hominum per ipsa se mundi prudentiam crederet adipisci, grauissimo sum, fateor, dolore permotus ut scripturis diuinis magistri publici deessent, cum mundani auctores celeberrima procul dubio traditione pollerent. Nisus sum cum beatissimo Agapito papa urbis Romae ut, sicut apud Alexandriam multo tempore fuisse traditur institutum, nunc etiam in Nisibi ciuitate Syrorum Hebraeis sedulo fertur exponi, collatis expensis in urbe Romana professos doctores scholae potius acciperent Christianae, unde et anima susciperet aeternam salutem et casto atque purissimo eloquio fidelium lingua comeretur.

Übersetzung:

Während ich weiß, daß die wissenschaftliche, weltliche Bildung mit großem Verlangen aufwallt, so daß ein großer Teil der Menschen glaubt, durch sie die Einsicht in die Welt zu erlangen, bin ich äußerst besorgt, von Schmerz bewegt, daß öffentliche Lehrer der göttlichen Schrift fehlen, während die weltlichen Autoren ohne Zweifel in der allerberühmtesten Verbreitung stark sind. (eigene Übersetzung, mein Latinum ist schon fast "verjährt":weinen:)

Sinngemäß geht es weiter: Mit dem Papst hat Cassiodor versucht, eine theologische Schule in Rom zu gründen, wie es bereits welche in Alexandria und Nisibi gibt.

Reinhard Schlieben beschreibt es folgendermaßen:

Es wird also aus Cassiodors Worten ganz deutlich, daß sein Anliegen nicht darin besteht, dem allgemeinen Verfall an geistigen Schätzen zu entreißen und zu bewahren, was immer an Kulturgut gerettet werden kann. Cassiodor sieht sich nicht als den Retter der antiken Kultur; für diese fürchtet er nicht ernsthaft. Cassiodors Anliegen ist vielmehr, die kirchliche Bildung auf den gleichen hohen Stand zu bringen, auf dem er die weltliche sieht.

Wenn aber aus Cassiodors Sicht, die antike, weltliche Kultur nicht gefährdet ist, ist m. E. zu seiner Zeit (Mitte 5. Jhdt.) die antike Literatur noch im wesentlichen vorhanden.

Oder aber bezieht sich Cassiodor nur noch auf die kläglichen Reste, die als solche immer noch umfangreich sind, die er vor sich hat???

Je nach Deutung müßte die Vernichtung entweder vor oder nach Cassiodor anzusetzen sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich hab den Thread nicht gelesen, doch habe ich hier nicht das Wort "Konstantinopel" gelesen, und möchte kurz in der Halbzeitpause auf den immensen Bücherverlust nach dem Brand 473 hinweisen:

800px-Bibsta4.jpg

größer:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1d/Bibsta4.jpg

aus:
Bücherverluste in der Spätantike ? Wikipedia

Imperial Library of Constantinople - Wikipedia, the free encyclopedia
List of larger libraries in the ancient world - Wikipedia, the free encyclopedia
 
@ Sheik: Das mit dem Buchverlust durch den Buchdruck habe ich nicht ganz oder nicht richtig verstanden. Könntest Du das noch einmal erläutern?
 
@Amalaswintha: Sheik meinte nicht Verluste durch den Buchdruck, sondern in der Zeit bis zur Erfindung des Buchdrucks. Die Auswahl dessen, was reproduziert wurde, liess viele Werke unter den Tisch fallen und untergehen - und nur mit Glück als Palimpsest in einem Einband oder überschrieben fragmentarisch weiter existieren.
 
Die Frage von Amalaswintha hat M.P. ja schon richtig beantwortet. Ergänzend kann man eventuell noch sagen, dass nicht nur die Auswahl die Reproduktion begrenzte, sondern auch der zeitliche Rahmen. Kopiert wurde vorrangig in Klöstern und ich bezweifle, dass es dort in Akkordarbeit geschah. So setzte ich die Zeit für das Kopieren relativ hoch an, was wiederum die Zahl der Kopien reduziert.

Zu Cassiodor und seiner Bibliothek in Vivarium:

Ich vermag nicht zu sagen, wieviel klassische Werke am Ende der Spätantike noch existierten,allerdings kann die Anzahl nicht so gering gewesen sein, den ettliche Römer, unter ihnen auch Cassiodor und ein Augustinus, erhielten nach wie vor eine klassische Bildung und Ausbildung. Genaue Zahlen lassen sich meines Erachtens schwer ermitteln, da sicherlich auch thematisch unterschiedliche Auflagen existierten. Ich gehe von einer hohen Zahl an Rechtstexten aus, wohingegen ich bei den Naturwissenschaften oder technischen Werken eine geringe Auflage vermute.

Wo ich etwas wiedersprechen möchte ist die Aussage Schliebens. Cassiodor wollte sicherlich nicht wissentlich die säkularen Texte die vorhanden waren retten, aber da er aus einer ähnlichen Schule wie Augustinus kam, waren säkulare Schriften und Werke ein Bestandteil der theologischen Auseinandersetzung und damit auch im Klosterbetrieb wichtig. In wie weit man Vergleiche zum Orientalischen Christentum und dessen theologischen Schulen ziehen kann und soll, weiß ich nicht. Der Westen war nie wirklich von großen Glaubenfragen geplagt und sollte es eigentlich auch nicht werden. Ich sehe in der geforderten theologischen Schule des Cassiodor mehr eine Einrichtung die ein christliches Leben im Umgang mit der lateinischen Welt und ihren,damals, gewaltsamen Wandeln ermöglicht. Ähnliches hat Cassiodor ja dann in Vivarium geschaffen. Ebenso wie Benedikt mit seinen Klosterregeln.
 
Soweit ich weiß, wurde insbesondere vom sog. Symmachuskreis in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s die damals vorhandene lateinische Literatur gesammelt und die Werke philologisch bearbeitet, um sie dann auf Pergament schreiben und zu Büchern (Codices) binden zu lassen. Diese Arbeit war wohl der "Schatz", aus dem die Kirche und insbesondere die Klöster des Mittelalters schöpften. Was nicht in der kirchlichen Handschriftenproduktion überliefert worden ist, ging verloren.

Für die griechische Literatur ist die Überlieferung schlechter, weil die Ostkirche rigoroser ausgesondert hat, aber auch der islamischen Eroberung viel zum Opfer fiel; andererseits hat der Islam auch viel gerettet und weiter tradiert, etwa Aristoteles. Ein Teil der griechischen Überlieferung kam insbesondere nach dem Untergang von Byzanz in den Westen und wurde vom Humanismus aufgegriffen.

Alle Berechnungen, wieviel antike Literatur verloren ging, sind Makulatur. Schon die Antike hatte unwiederbringliche Verluste aus griechisch-hellenistischer Zeit durch den Brand der Bibliothek von Alexandria zu erdulden. Soweit ich die Zahlen noch richtig im Gedächtnis habe, sind heute ca. 700 antike Autoren namentlich bekannt, jedoch Werkauszüge - und wenn es nur ein Satz ist - sind nur von annähernd 180 Autoren überliefert.
 
Zurück
Oben