1. Beruflich bedingt, komme ich erst heute dazu das zu lesen.
2. Zum Debattenpunkt britische Haltung zur SU: Halifax hat noch bis zum 19. März 1939 eifrig für eine Viermächtelösung geworben (GB, Frankreich, Polen, Russland),
3. Beck weigerte sich eine Viermächteerklärung zu unterzeichnen, was schließlich von London akzeptiert wurde. Insofern kommt dem Auftreten von Beck erhebliche Bedeutung in der Entwicklung zu.
4. Desweiteren war das Gespräch insofern gewichtig, da Beck britische Zweifel ausräumen konnte, daß es zu einer militärischen Konfrontation Polens mit dem Deutschen Reich kommen würde. Die polnische Seite unternahm alles, um London zu überzeugen, daß es keine Bedrohung durch das Deutsche Reich gab. Beck erklärte, daß Polen und Deutschland bald über Danzig verhandeln würden. Man fürchtete zu Recht, daß das britische Außenministerium ansonsten das Angebot zurückziehen würde.
5. Das war insofern entscheindend, da die britische Außenpolitik ja unbedingt das Moment vernmeiden wollte, daß man einem fremden Staat die Entscheidung über den Kriegseintritt Großbritanniens überlassen würde. (British Documents Band, 3, Bd IV Nr. 523/ 547).
6. Halifax ließ sich zudem zusichern, daß Polen nichts unternehmen würde, was Deutschland provozieren könnte (British Documents Band, 3, Bd IV Nr. 595)
7. Fazit: Die britische Regierung bot eben Polen eine Garantie unter der Voraussetzung an, daß Polen nicht bedroht war. Als Gegenleistung wollte man eine Garantie für Rumänien erhalten, die Warschau aber nie abgab. Die Garantie für Polen sollte geheim bleiben und selbst Paris nicht bekannt gemacht werden. Es blieb solange geheim, bis man Berichten des 'News Chronicle' mit einer klaren Aussage entgegentreten mußte.
8. Sehr wohl wurden durch die Garantie die polnischen Grenzen garantiert, der Streitpunkt Danzig jedoch fatalerweise ausgespart.
zu 1. Dann ist ja Zeit vorhanden, diese vielfältigen Einschätzung durch entsprechende Quellen zu untermauern. In der bishrigen Diskussion wurde durch Silesia und durch mich jeder wichtige Argumentationsschritt durch die entsprechende Literatur, im Sinne einer intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, belegt.
zu 2. "eifrig geworben" ist eine grobe Verzerrung der damaligen Position von Chamberlain. Halifax gehörte sicherlich zu den Kabinettsmitgliedern, die einer Kooperation mit der SU am aufgeschlossensten gegenüber standen.
Ärgerlich finde ich die obige Formulierung dennoch, weil a: grundsätzliche ideologische Position von Ch. gegen eine Kooperation mit der SU standen, b. die SU nach der Säuberung als nicht brauchbarer militärischer Partner eingestuft wurde, c. Polen und der Rest von Ost- und SE-Europa gravierende Vorbehalte gegen die SU als Partner machten und vor allem ein wichtiger Aspekt, der Bündnisfähigkeit von GB unter den westlichen Mächte gravierend beeinträchtigt worden wäre. Ein Aspekt, der gerne übersehen wird!
Diese Punkte waren Halifax allesamt präsent und deswegen ist es geradezu grotesk von einem eifrigen werben zu sprechen. Richtig ist, dass mann in London jede Form einer Anti-Hitler-Koalition geprüft hat, angesichts der gravierenden eigenen Schwäche bei der britischen Rüstung. Man wollte und mußte Zeit gewinnen, damit die Rüstungsmaßnahmen in GB und Frankreich greifen konnten.
zu 3. Ist so auch nicht richtg aber auch nicht falsch. Mit Hinblick auf Ungarn weigerte sich Beck, eine derartige Zusage zu machen. Allerdings sagte er zu, Rumänien mit verteidigen zu wollen, sofern Rumänien sich seinerseits gegen einen deutschen Angriff verteidigt. (vgl. Ciencial: Poland and theWestern Powers 1938-1939, S. 207ff). Insofern ist die Darstellung von Vitruv irreführend.
Auch an diesem Punkt stört mich die Art der Argumentation, die ein "richtiges Argument" aufgreift, um es einseitig verzerrt zu interpretieren.
zu 4. Es lagen durchaus im Verlauf von 1939 Berichte vor, über Aufmarschvorbereitungen der Wehrmacht (Bestellungen von Rationen etc.) . Vor allem der "private Geheimdienst" von "Van" hat dazu beigetragen, ein objektiveres Bild der Vorbereitungen der WM zu erarbeiten. Die Qualität der Aufklärung der Vorbereitungen der WM war insgesamt durchaus durchwachsen. (vgl. Andrew:Her Majesty`s Secret Service, S. 412ff).
Nicht die Aufklärung als solche war dabei das Problem, sondern eher die Transmission in die politische Analyse und somit in das regierungsamtliche Handeln.
In diesem Sinne und vor allem auch, weil London die Polen sehr deutlich vor politischen oder militärischen Provokationen Deutschlands gewarnt hatte, konnte Beck durchaus zu Recht Anfang 1939 von keiner akuten Kriegsgefahr ausgehen.
Unabhängig davon ging jedoch die "kollektive politische Elite" in London Anfang 1939 von einem Waffengang mit Deutschland aus, allerdings hoffte man den Zeitpunt möglichst weit hinauszuzögern. Und in diesem Zusammenhang wurde Deutschland eine "Kriegsfähigkeit" für das Jahr 1942 attestiert. Der innenpolitische Willensbildungsprozess hat einen deutlichen Einfluß auf eine härtere Haltung gegenüber Hitler erzwungen (Cienciala, S. 225)
zu 5. Auch in diesem Fall eine Jaein als Antwort. In London verfolgte man mehrere Optionen in Bezug auf den Osten. Eine symbolische militärische, die als militärischer Bluff Hitler von einem Angriff auf Polen abhalten sollte.
Und beinhaltete eine "klare Sprache" im Gegensatz zum Ausbruch des WW1, in dem man eine unklare Position von GB zur Neutralität von Belgien, als ein Mißverständnis für den Ausbruch der Feindseligeiten interpretiert hat.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die polnische Armee als relativ gut eingeschätzt worden ist, allerdings relativiert durch die Urteile von französichen Militärs, die Polen in 1939 besuchten. In diesem Sinne diente Polen zudem für die westlichen Allierten als "Zeitpuffer", um die notwendige Rüstung voranzutreiben.
Ansonsten war jedem der beteiligten Partner klar, auch den Polen, dass an einer effektiven militärische Hnilfe nicht zu denken war. Das Problem war (neben der nicht -vorhandenen offensiven militärischen Rüstung des Westens) vor allem !!!!!! die Neutralität Belgien (vgl. ausführlich dazu Weinberg: Hitler`s Foreign Policy 1933-1939, S. 523ff).
Die Garantie war für GB ebenfalls notwendig, um als Weltmacht weiterhin Glaubwürdigkeit zu beanspruchen und außenpolitisch als Bündnispartner handlungsfähig zu bleiben.
zu 6. Was ließ er sich denn genau zusichern? Da das entsprechende Dokument zitiert wird, ist es sicherlich auch möglich, die entsprechenden Passagen kurz aufzuführen.
zu 7. Da dieses eine der regelmäßig bei @Vitruv vorkommenden Behauptungen ist, ebenfalls und erneut ein deutlicher Widerspruch. Beck hat die Briten nicht "über den Tisch gezogen", wie die Formulierung impliziert. Beck hat ein Verhandlungserfolg für Polen erzielt, aber das war einfach, weil GB den Vertrag für seine eigene politische Position ebenso benötigte.
Erneut der Hinweis, es ging nicht um Polen, sondern um Rumänien und da nicht um das Land, sondern um das Öl und die damit zusammenhängende Gewinnung von Autarkie bei der Ölversorgung für Deutschland.
Das mag man zynisch finden, aber Machtpolitik ist zynisch.
Allerdings irgendwie scheint @Vitruv diesen Aspekt des britischen Handelns nicht akzeptieren zu wollen.
zu 8. Ein deutliches Nein! Belegen Sie doch mal Ihre Behauptung mit einer Quelle! Als ersten Hinweis wüde ich z.B. Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1933-1945, S. 86-87 empfehlen.
Ansonsten hat der PM am 31. März im Unterhaus mitgeteilt, dass die "Polish Independence" zum schützenswerten Gut erhoben wird. Nicht eine wie auch immer vorhandene Grenze.
Für Ch. waren diese Grenzen alle samt Verhandlungssachen und einem moderaten, verhandlungsorientierten deutschen Revisionismus, duchaus aufgeschlossen gegenüber. Wie im Fall der Kolonien aus internen englischen Papieren deutlch wurde.
Appeasement war für Ch. bis zum Kriegsbeginn, neben einer auch innenpoltisch verursachten Verhärtung der politischen Linie gegenüber Hitler, jederzeit eine Handlungsoption.