Innere und äußere Freiheit

hjwien

Aktives Mitglied
Guten Abend, ich mag mal ein bischen fremdgehen:

Da habe ich es mir endlich mal vorgenommen, den "Langen Weg nach Westen" vom Winkler zu lesen, und stolpere über einen Punkt, der mich ein wenig beschäftigt.

Nach Wieland würden "alle Nachteile der deutschen Staatsverfassung [um 1780] durch den einzigen unschätzbaren Gewinn weit überwogen: daß, solange wir sie erhalten, kein großes policirtes Volk in der Welt einen höhern Grad menschlicher und bürgerlicher Freiheit genießen und vor allgemeiner auswärtiger und einheimischer, politischer und kirchlicher Unterjochung und Sklaverei sicherer sein als die Deutschen." [Winkler S.45, siebte Auflage]

Und weiter "kein Regent in Deutschland ist, dessen größere oder kleinere Machtgewalt nicht durch Gesetze, Herkommen und auf viele andere Weise, von allen Seiten eingeschränkt wäre; und gegen welchen, wofern er sich irgend eine widergesetzliche Handlung gegen das Eigentum, die Ehre, oder die persönliche Freiheit des geringsten seiner Untertanen erlaubt, die Reichsverfassung dem Beleidigten nicht Schutz und Remedur seiner Beschwerden verschaffte."

Nun frage ich mich: ist das so? Waren die Leute im 18. Jh freier als nach der Restauration, fühlten sie sich so? Da ich auch noch von Safranski das Buch über Goethe und Schiller zu liegen habe, stellt sich mir gerade hier die Vergleichsfrage: Wie ist das mit Goethe, der scheinbar keine Grenzen kennt, nicht geistig und nicht räumlich, und überall zu Hause ist, und Schiller, der der Sklaverei seines Landesherrn entflieht und quasi sein ganzes Leben ein Flüchtling bleibt. Wie frei fühlten sie sich, im Inneren und im Äußeren?
 
Nun frage ich mich: ist das so? Waren die Leute im 18. Jh freier als nach der Restauration, fühlten sie sich so? Da ich auch noch von Safranski das Buch über Goethe und Schiller zu liegen habe, stellt sich mir gerade hier die Vergleichsfrage: Wie ist das mit Goethe, der scheinbar keine Grenzen kennt, nicht geistig und nicht räumlich, und überall zu Hause ist, und Schiller, der der Sklaverei seines Landesherrn entflieht und quasi sein ganzes Leben ein Flüchtling bleibt. Wie frei fühlten sie sich, im Inneren und im Äußeren?
Eine interessante Fragestellung die sich nicht so ohne weiteres beantworten lässt. Bzgl. der äußeren Freiheit ist es wohl sinnvoll, die einzelnen deutschen Länder in ihrer Entwicklung im Sinne der äußeren Freiheit zu betrachten. Spontan aus dem Bauch heraus würde ich die Fragen zur äußeren Freiheit zwar mit "nein" beantworten, könnte mir aber durchaus vorstellen, dass es auch anders aussehen könnte. Willst du dich auf bestimmte deutsche Länder fokussieren oder sammeln wir einfach mal drauf los?

Zur inneren Freiheit wird es noch schwieriger, weil innere Freiheit immer subjektiv ist und sich die Fragestellung schon allein deshalb nicht verallgemeinernd beantworten lässt. Zudem dürfte es auch schwierig sein, in Bezug auf historische Persönlichkeiten zu eruiren, welchen inneren Zwängen sie unterlagen, von denen sie sich befreit haben um innere Freiheit zu erlangen. Was hier vielleicht ginge wären Betrachtungen, wie man innere Freiheit erlangen kann bzw. welches allgemeine Handwerkszeug es braucht, um seine individuellen inneren zwänge zu überwinden. Von Humboldt gibt es hierzu Schriften, in denen er Erziehung und Bildung als maßgeblich für das Erlangen der inneren Freiheit erachtet.
 
Guten Abend, ich mag mal ein bischen fremdgehen:

Da habe ich es mir endlich mal vorgenommen, den "Langen Weg nach Westen" vom Winkler zu lesen, und stolpere über einen Punkt, der mich ein wenig beschäftigt.

Nach Wieland würden "alle Nachteile der deutschen Staatsverfassung [um 1780] durch den einzigen unschätzbaren Gewinn weit überwogen: daß, solange wir sie erhalten, kein großes policirtes Volk in der Welt einen höhern Grad menschlicher und bürgerlicher Freiheit genießen und vor allgemeiner auswärtiger und einheimischer, politischer und kirchlicher Unterjochung und Sklaverei sicherer sein als die Deutschen." [Winkler S.45, siebte Auflage]

Und weiter "kein Regent in Deutschland ist, dessen größere oder kleinere Machtgewalt nicht durch Gesetze, Herkommen und auf viele andere Weise, von allen Seiten eingeschränkt wäre; und gegen welchen, wofern er sich irgend eine widergesetzliche Handlung gegen das Eigentum, die Ehre, oder die persönliche Freiheit des geringsten seiner Untertanen erlaubt, die Reichsverfassung dem Beleidigten nicht Schutz und Remedur seiner Beschwerden verschaffte."

Nun frage ich mich: ist das so? Waren die Leute im 18. Jh freier als nach der Restauration, fühlten sie sich so? Da ich auch noch von Safranski das Buch über Goethe und Schiller zu liegen habe, stellt sich mir gerade hier die Vergleichsfrage: Wie ist das mit Goethe, der scheinbar keine Grenzen kennt, nicht geistig und nicht räumlich, und überall zu Hause ist, und Schiller, der der Sklaverei seines Landesherrn entflieht und quasi sein ganzes Leben ein Flüchtling bleibt. Wie frei fühlten sie sich, im Inneren und im Äußeren?


Ein interessanter Standpunkt den Wieland vertritt.
In den beginnenden 1790er Jahren schreibt er dann, dass die Franzosen jetzt die Freiheit erkämpft hätten, die die Deutschen schon lange haben.
Das Heilige Römische Reich als Musterland für die Franzosen des Jahres 1789.
Was einen auf den ersten Blick verblüfft, scheint aber einiges für sich zu haben.
Zumindest im Bereich der Rechtssicherheit, auf die Wieland vor allem abhebt.

Meine persönliche These ist, dass der Mythos des "maroden/morschen HRR" lediglich den "Leibhusaren" unter den Geschichtsschreibern des späteren 19. Jahrhunderts geschuldet ist.

Wir haben dies hier schon mal diskutiert, mir fällt zZ aber der Titel nicht ein, reiche ich dann nach.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was hier vielleicht ginge wären Betrachtungen, wie man innere Freiheit erlangen kann bzw. welches allgemeine Handwerkszeug es braucht, um seine individuellen inneren zwänge zu überwinden. Von Humboldt gibt es hierzu Schriften, in denen er Erziehung und Bildung als maßgeblich für das Erlangen der inneren Freiheit erachtet.

Ich greife den Gedanken mal auf: Aus den genannten Betrachtungen ließen sich dann möglicherweise Rückschlüsse ziehen auf den "Grad menschlicher und bürgerlicher Freiheit", der zur betr. Zeit geherrscht haben mag.

Ich will zunächst Kant zitieren, um anschließend etwas genauer auf Humboldt und dessen Bildungsreformen einzugehen.

Kant geht in seiner berühmten Schrift "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" auf den Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Gebrauch der Vernunft ein:

Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: Räsonniert nicht! Der Offizier sagt: Räsonniert nicht, sondern exerziert! Der Finanzrat: Räsonniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: Räsonniert nicht, sondern glaubt! (Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: Räsonniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich, welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte: Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zustande [A485] bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf. [...] Hier ist es nun freilich nicht erlaubt zu räsonnieren; sondern man muß gehorchen. Sofern sich aber dieser Teil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der Qualität eines Gelehrten, der sich an ein Publikum im eigentlichen Verstande durch Schriften wendet, kann er allerdings räsonnieren, ohne daß dadurch die Geschäfte leiden, zu denen er zum Teile als passives Glied angesetzt ist.

Immanuel Kant: Was ist Aufklrung ?

Kant, der hier übrigens ein Lob auf Friedrich den Großen ausspricht, führt hier die Trennung zwischen dem Bürger als Privatperson (der ohne Einschränkung öffentlich von seiner Vernunft Gebrauch machen soll) und dem Staatsbediensteten ein (der sich als Amtsträger der Staatsräson unterzuordnen hat).

Was nun das Bildungswesen angeht, so wird Kant an anderer Stelle deutlicher:

Ein Prinzip der Erziehungskunst [...] ist: Kinder sollen nicht dem gegenwärtigen, sondern dem künftig möglichen bessern Zustande des menschlichen Geschlechts, das ist: der Idee der Menschheit [...] erzogen werden. [...] 1) Die Eltern nämlich sorgen gemeiniglich nur dafür, dass ihre
Kinder gut in der Welt fortkommen, und 2) die Fürsten betrachten ihre Untertanen nur wie Instrumente zu ihren Absichten. Eltern sorgen für das Haus, Fürsten für den Staat. Beide haben nicht das Weltbeste [...] zum Endzwecke.

Über Pädagogik - Google Bücher, S. 17

Es wir deutlich, dass Kant mit seiner Forderung, der Staat habe sich aus der Bildung herauszuhalten, mit Humboldt überein geht. In seinen „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“, schreibt dieser nämlich:

Der wahre Zweck des Menschen [...] ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerläßliche Bedingung. [...] Gerade die aus der Vereinigung Mehrerer entstehende Mannigfaltigkeit ist das höchste Gut, welches die Gesellschaft gibt, und diese Mannigfaltigkeit geht gewiß immer in dem Grade der Einmischung des Staates verloren. [...] Je mehr also der Staat mitwirkt, desto ähnlicher ist nicht bloß alles Wirkende, sondern auch alles Gewirkte. [...] Wer aber für andere so räsoniert, den hat man, und nicht mit Unrecht, in Verdacht, daß er die Menschheit mißkennt und aus Menschen Maschinen machen will.

Spannend hieran ist, dass Humboldt trotz (oder gerade wegen?) dieser 1792 erschienenen Schrift 1808 von staatlicher Seite aus zum obersten Bildungsreformer berufen wurde. Ein Zeichen, dass (zumindest in Preußen der damaligen Zeit) ein Klima der Freiheit geherrscht haben dürfte.

Allerdings tritt in der Bildungsreform dann ein "Paradigmenwechsel" ein. Nach Jürgen Kost gewann die "Staatsphilosophie Hegels, die dann ja auch das Konzept einer Staatspädagogik nach sich zieht, beim preußischen Minister Altenstein [...] immer mehr Gehör", was zur Folge hatte, dass es "nun nicht mehr um die selbstzweckhafte Bildung des Individuums, sondern durchaus auch um die Rekrutierung von Eliten von Staat und Gesellschaft" ging." Konsequenterweise trat Humboldt dann auch nach nur 16 Monaten von seinem Amt zurück.

Rudolf Freese führt den Rücktritt dann auch direkt zurück auf die "Macht der Adelskaste, die [...] sich der Metternichschen reaktionären Politik verschrieb."

Vgl.: Wilhelm von Humboldt - Weimarer ... - Google Bücher

Am Beispiel Humboldts könnte man also mit einiger Berechtigung die Ausgangsfrage, ob sich die Menschen vor der Restauration freier fühlten, ob sie freier waren, bejahen (ausdrücklich hier auf Preußen beschränkt).
 
Zuletzt bearbeitet:
Willst du dich auf bestimmte deutsche Länder fokussieren oder sammeln wir einfach mal drauf los?

Zur inneren Freiheit wird es noch schwieriger, weil innere Freiheit immer subjektiv ist und sich die Fragestellung schon allein deshalb nicht verallgemeinernd beantworten lässt.

Ich würde schon einfach mal sammeln, weil sich Wieland ja auf das Reich bezieht, und dann landet man sowieso unweigerlich bei den Einzelstaaten. Und was floxx schon für Preußen angerissen hat, ist ja eine interessante Vorlage für Vergleiche in andere Gegenden. Da wäre auch das Verhältnis der Reichsstädte zu den Flächenstaaten nicht unwesentlich.

Meine Frage nach der inneren Freiheit ist durch die Zitate von Kant schon ganz gut verdeutlicht worden: Was und wie kann man mit seinen Überzeugungen und Gedanken im öffentlichen Raum machen und umgehen. Die äußere Freiheit wäre nach meinem ersten Gedanken eher im Bereich von Reisefreiheit, Berufswahl (Reste des Zunftwesens), Schutz der Person usw. zu sehen.

Besonders spannend finde ich bei Kant, daß er für den Bürger eine höhere Freiheit fordert als für den Amtsträger, dem sich ersterer im alltäglichen Leben doch stets unterzuordnen hat.


der bewusste Thread:

Danke. Ich hatte erst ein bischen gesucht, konnte mich aber nicht entscheiden, wo ich meine Frage anhängen könnte.
 
Meine Frage nach der inneren Freiheit ist durch die Zitate von Kant schon ganz gut verdeutlicht worden: Was und wie kann man mit seinen Überzeugungen und Gedanken im öffentlichen Raum machen und umgehen.
:grübel: Das wäre dann aber schon wieder die äußere Freiheit, also konkret die Meinungsfreiheit. Innere Freiheit meint eher die Freiheit, rational entscheiden zu können und man nicht von inneren Zwängen getrieben wird. Also sowas wie Rollenmuster, Triebe etc. pp. Oder - um bei Kant zu bleiben - der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Diese Freiheit erlangt man nach den Ansätzen von Kant aber eben auch Humboldt durch Bildung und Erziehung.

Die äußere Freiheit wäre nach meinem ersten Gedanken eher im Bereich von Reisefreiheit, Berufswahl (Reste des Zunftwesens), Schutz der Person usw. zu sehen.

Ok, dann legen wir doch gleich mal los und sammeln doch mal die kodifizierten Freiheiten:
  • Berufsfreiheit: Bayern (1818), Württemberg (1819), Kurhessen (1820), im deutschen Kaiserreich nur eingeschränkt als Gewerbefreiheit
  • Freiheit der Wissenschaft: Preußen (1848)
  • Freizügigkeit: Baden (1818), Bayern (1818)
  • Meinungs- und Pressefreiheit - nur auf dem Papier bzw. zugesichert und direkt wieder eingeschränkt
  • Religionsfreiheit: Bayern (1808), Baden (1818), Kurhessen (1831), Preußen (1848)
  • Unverletzlichkeit der Wohnung: Preußen (1848)
  • Versammlungsfreiheit: Preußen (1848)
meines Wissens nach nicht ausdrücklich gesetzlich gewährleistet waren:
  • Handlungsfreiheit
  • Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit
Die Liste ist alles andere als vollständig, also bitte ergänzen, bzw. korrigieren. Zudem sind die Zusicherungen der entsprechenden Freiheiten mit Vorsicht zu genießen, da es sich bei einigen der Verfassungen um bürgerrechtliche Verfassungen handelt, die Rechte haben also nur Bürger und damit lange nicht alle Einwohner (so bspw. in Bayern und Preußen).

Ein Zeichen, dass (zumindest in Preußen der damaligen Zeit) ein Klima der Freiheit geherrscht haben dürfte.
Das würde ich unterstreichen. Ergänzend zum kodifizierten Recht gibt es auch etwas wie "gelebte Freiheit", die durchaus abweichend von den gesetzlichen Rahmenbedingungen sein kann.

Am Beispiel Humboldts könnte man also mit einiger Berechtigung die Ausgangsfrage, ob sich die Menschen vor der Restauration freier fühlten, ob sie freier waren, bejahen (ausdrücklich hier auf Preußen beschränkt).
Da kann ich jetzt nicht wirklich folgen. Wieso? War Humboldt wirklich so frei?
 
Am Beispiel Humboldts könnte man also mit einiger Berechtigung die Ausgangsfrage, ob sich die Menschen vor der Restauration freier fühlten, ob sie freier waren, bejahen (ausdrücklich hier auf Preußen beschränkt).

Da kann ich jetzt nicht wirklich folgen. Wieso? War Humboldt wirklich so frei?

Mein Gedankengang war folgender: Humboldt wird als großer Verfechter der Freiheit der Lehre zum obersten Bildungsreformer berufen und macht sich dann auch daran, das Bildungswesen grundlegend umzukrempeln. Das lässt sich als Zeichen freiheitlichen Geistes deuten.

Dann aber schlägt die "Metternichsche reaktionäre Politik" (Freese, a.a.o.) auch auf das preußische Innenministerium durch, dem die Humboldtsche Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts untergeordnet ist. Humboldt sieht sich mithin immer größeren Widerständen gegenüber. Ein Beispiel hierfür mag das Scheitern seines Ansinnens sein, die Sektion zu einem eigenständigen Kultusministerium auszubauen - was dann auch zu seinem Rücktritt führte.

Ganz grob lässt sich also behaupten, dass Humboldt in seiner Freiheit als Reformer immer weiter eingeschränkt wurde. Und auch die Reformansätze selbst wurden immer mehr verwässert. Clemens Menze erläutert hierzu, dass "diese Möglichkeiten [...] sich nicht entwickeln [ließen], weil seine Gegner in der Erwirkung der Freiheit des Menschen eine jede Ordnung auflösende politische Gefährdung höchsten Ausmaßes sahen."

Nach: Wilhelm von Humboldt - Weimarer ... - Google Bücher, S. 165.
 
Ok, jetzt kann ich folgen und begebe mich direkt in die Rolle des Advocatus Diaboli (mir geht es gerade mehr um den kritischen Blick im Sinne der Freiheitsgrade und weniger um die Interpretation der Vita Humboldts - das ist gerade mehr Mittel zum Zweck):
Humboldt wird als großer Verfechter der Freiheit der Lehre zum obersten Bildungsreformer berufen...
Wurde er nicht vielmehr in das Amt gezwungen? Humboldt selbst wollte kein Staatsrat werden sondern wäre lieber im diplomatischen Dienst geblieben. Genau darum hat er auch zunächst gebeten, als er das Berufungsschreiben erhielt.

...und macht sich dann auch daran, das Bildungswesen grundlegend umzukrempeln. Das lässt sich als Zeichen freiheitlichen Geistes deuten.
Sind seine Reformen wirklich so grundlegend, oder ist er doch in seiner adeligen Herkunft verhaftet? Immerhin schreibt er im Rechenschaftsbericht an König Friedrich Wilhelm III. zwar von einer "gewissen Bildung" die jeder haben müsse, nichts desto trotz aber sehr wohl innerhalb der bestehenden Standesschranken.

Dann aber schlägt die "Metternichsche reaktionäre Politik" (Freese, a.a.o.) auch auf das preußische Innenministerium durch, dem die Humboldtsche Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts untergeordnet ist. Humboldt sieht sich mithin immer größeren Widerständen gegenüber. Ein Beispiel hierfür mag das Scheitern seines Ansinnens sein, die Sektion zu einem eigenständigen Kultusministerium auszubauen - was dann auch zu seinem Rücktritt führte.
Und auf eigenen Wunsch wieder in den diplomatischen Dienst ging, er war auch kurzfristig als Nachfolger für Dohna-Schlobitten im Gespräch, was Homboldt im Hinblick auf seine angestrebten Reformen mehr Handlungsfreiraum verschafft hätte.

...Ganz grob lässt sich also behaupten, dass Humboldt in seiner Freiheit als Reformer immer weiter eingeschränkt wurde.
Oder sich selbst eingeschränkt hat? Wie sieht es denn dann mit dem Erlangen der inneren Freiheit aus?
 
Wurde er nicht vielmehr in das Amt gezwungen? Humboldt selbst wollte kein Staatsrat werden sondern wäre lieber im diplomatischen Dienst geblieben. Genau darum hat er auch zunächst gebeten, als er das Berufungsschreiben erhielt.

Nun ja. Er hätte auch ablehnen können. Dass er nach seinem Rücktritt von der Leitung der Sektion problemlos wieder in den diplomatischen Dienst gehen konnte, kann als Hinweis verstanden werden, dass die Übernahme des Amtes nicht alternativlos gewesen sein dürfte. Zudem konnte Humboldt es sich durchaus auch leisten, zu "privatisieren" (um seine "innere Freiheit" zu bewahren), was er dann auch tat, als der die preußische Politik nicht länger mitzutragen bereit war. Hierzu Wolfgang Fischer:

Ende 1819 entsagte er endgültig allen politischen Tätigkeiten, da er sich mit dem Staatskanzler von Hardenberg, dem Nachfolger Steins, überworfen hatte und mit Sorge einem neuaufkommenden antiliberalen Absolutismus in PreuBen entgegen sah.

http://www.uni-graz.at/en/print/humboldt_fischer_bth.pdf


Sind seine Reformen wirklich so grundlegend, oder ist er doch in seiner adeligen Herkunft verhaftet? Immerhin schreibt er im Rechenschaftsbericht an König Friedrich Wilhelm III. zwar von einer "gewissen Bildung" die jeder haben müsse, nichts desto trotz aber sehr wohl innerhalb der bestehenden Standesschranken.

Wo schreibt er denn das? Sicher, im Königsberger Schulplan findet sich eine Passage, in der er unterschiedliche Zugangschancen zum Bildungssystem als selbstverständlich bezeichnet:

Der ganz Arme schulte seine Kinder in die wohlfeilsten, oder unentgeldlichen Elementarschulen; der weniger Arme in die besseren, oder wenigstens theureren. Wer noch mehr anwenden könnte, besuchte die gelehrten Schulen, bliebe bis zu den höheren Classen, oder schiede früher aus, triebe mehr Sprachunterricht oder gemeinhin realen genannten.

Nach: http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/Personal/Lohmann/Projekte/Schleiermacher/1-6-4.pdf, S. 15f.

Allerdings richtet sich der Bericht der Sektion dann doch deutlich gegen eine nach Ständen differenzierte Erziehung und Schulbildung:

Auf diese Weise ist nun die Section zu einem viel einfachern Plan gelangt, als neuerlich in einigen deutschen Ländern beliebt worden ist. In diesen, namentlich in Bayern und Oestreich, hat man fast für jeden einzelnen Stand besonders zu sorgen gesucht. Meiner Überzeugung nach ist dies aber durchaus unrichtig und verfehlt selbst den Endzweck, den man dabei im
Auge hat. Es giebt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besondern Beruf ein guter, anständiger seinem
Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Giebt ihm der Schulunterricht, was hiezu erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher sehr leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einem zum andern überzugehen.
Bericht der Sektion, S. 205f, nach: http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/Personal/Lohmann/Projekte/Schleiermacher/1-6-2.pdf

Man kann mit Lohmann sogar weiter gehen und den Bericht der Sektion als deutlich gegen adelige Privilegien gerichtet interpretieren, wenn Humboldt schreibt:

da mehrere Berufe, wie der des Soldaten und des Geschäftsmannes [im Sinne von Beamter, IL], vom Staate abhängen, so ladet sich der Staat, wenn er Menschen ausschließend zu diesen erzieht, die Last auf, diese auch gebrauchen und versorgen zu müssen

Vgl.: http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/Personal/Lohmann/Projekte/Schleiermacher/1-6-4.pdf, S. 17.
 
Ich will jetzt bewusst nicht zu sehr in die Biografie Humboldts einsteigen, weil es mir wirklich nur darum ging, aufzuzeigen, wie dehnbar die Bezeichnung der inneren Freiheit retrospektiv für auenstehende Dritte sein kann. Im Grundsatz können wir also nur spekulieren, wie wenig oder sehr sich ein Mensch der betrachteten Jahre als innerlich oder äußerlich frei oder nicht frei bezeichnen würde. Eine Antwort auf deine Frage bekommst du aber trotzdem noch:
Wo schreibt er denn das?
Im Rechenschaftsbericht 1809 Gibts auf googlebooks leider nur als Snippet: Werke in fünf Bänden: Schriften zur ... - Google Bücher
 
Im Rechenschaftsbericht 1809

Da muss ich deutlich widersprechen. Ich habe den Bericht jetzt nochmal in Gänze gelesen und finde beim besten Willen keine Stelle, in der Humboldt Bildung in den Schranken der Stände fordert. Ganz im Gegenteil:
Die Section des öffentlichen Unterrichts [...] berechnet ihren allgemeinen Schulplan auf die ganze Masse der Nation und sucht diejenige Entwicklung der menschlichen Kräfte zu befördern, welche allen Ständen gleich nothwendig ist und an welche die zu jedem einzelnen Beruf nöthigen Fertigkeiten und Kenntnisse angeknüpft werden können.

Bericht der Sektion des Kultus und Unterricht an den König. Dezember 1809. In: W. v. Humboldt: Werke in fünf Bänden, hg. von A. Flitner u. K. Giel, Bd. IV, Darmstadt 1982, S. 210-238, hier S. 217.

Sicherlich: Eine Kampfansage an das Ständesystem findet sich bei Humboldt nun auch wieder nicht - Standesschranken scheint er weithin als gegeben akzeptiert zu haben. Nur sollten diese eben in der allgemeinen Bildung keine Rolle spielen!

Hierzu ein Zitat aus dem Litauischen Schulplan:

„Alle Schulen aber, deren sich nicht ein einzelner Stand, sondern die ganze Nation, oder der Staat für diese annimmt, müssen nur allgemeine Menschenbildung bezwecken. - Was das Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muss abgesondert und nach vollendetem allgemeinen Unterricht erworben werden. Wird beides vermischt, so wird die Bildung unrein, und man erhält weder vollständige Menschen noch
vollständige Bürger einzelner Klassen.

W. v. Humboldt: Der Königsberger und der Litauische Schulplan. In: W. v. Humboldt: Werke in fünf Bänden, hg. von A. Flitner u. K. Giel, Bd. IV, Darmstadt 1982, S. 168-195, hier S. 188.
 
Da muss ich deutlich widersprechen. Ich habe den Bericht jetzt nochmal in Gänze gelesen und finde beim besten Willen keine Stelle, in der Humboldt Bildung in den Schranken der Stände fordert.
Wie wäre es denn hiermit:
Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist.
Bericht der Sektion des Kultus und Unterricht an den König. Dezember 1809. In: W. v. Humboldt: Werke in fünf Bänden, hg. von A. Flitner u. K. Giel, Bd. IV, Darmstadt 1982, S. 210-238, hier S. 217.
ebd. S. 218

Soll ich das Humboldt-Thema in einen eigenen Thread kopieren/verschieben? Mit dem Ursprungsthema hat das ja nur noch am Rande zu tun.
 
Am Beispiel Humboldts könnte man also mit einiger Berechtigung die Ausgangsfrage, ob sich die Menschen vor der Restauration freier fühlten, ob sie freier waren, bejahen (ausdrücklich hier auf Preußen beschränkt).


Das würde ich jetzt mal nicht nur auf Preußen beziehen.

Denn wir haben, zumindest für Württemberg, dies für das HRR zu bieten:
Die Grundrechte des Württembergers:
Gemäß dem Vertragsverhältnis, welches seit dem Tübinger Vertrag zwischen Fürst und Land bestand, sollte die Erbhuldigung seitens der Untertanen erst geleistet werden, nachdem der Fürst zuvor des Landes Grundgesetze und Rechte beschworen hatte. Als verfassungsmäßiges Grundrecht galt, daß jeder Württemberger, selbst der Leibeigene ohne Abzug oder Nachsteuer und, ohne einer Erlaubnis zu bedürfen, auswandern konnte, daß jeder Württemberger nur durch den ordentlichen Richter verurteilt und nur in den gesetzlich bestimmten Fällen in Haft genommen werden durfte, nur die verfassungsmäßig mit den Ständen verabschiedeten Steuern zu bezahlen hatte und nur in Kriegs- und anderen Notfällen militärpflichtig war und auch dann nur mit Bewilligung der Stände und bloß für die Dauer des Kriegs. Das stehende Heer konnte daher im Frieden nur durch freiwillige Werbung ergänzt werden. Dagegen hatte jeder Württemberger das Recht, Wehr und Waffen zu besitzen.


aus dieser Diskussion
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie wäre es denn hiermit:
ebd. S. 218

Man könnte Humboldt hier allerhöchstens unterstellen widersprüchlich argumentiert zu haben. Dass er die Standesschranken aus der Allgemeinbildung heraushalten will, wird aber deutlich, wenn man das Zitat kontextualisiert:

namentlich in Bayern und Oestreich, hat man fast für jeden einzelnen Stand besonders zu sorgen gesucht. Meiner Überzeugung nach ist dies aber durchaus unrichtig und verfehlt selbst den Endzweck, den man dabei im Auge hat. Es giebt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besondern Beruf ein guter, anständiger seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist.

Ebd.
 
Das wäre dann aber schon wieder die äußere Freiheit, also konkret die Meinungsfreiheit. Innere Freiheit meint eher die Freiheit, rational entscheiden zu können und man nicht von inneren Zwängen getrieben wird. Also sowas wie Rollenmuster, Triebe etc. pp. Oder - um bei Kant zu bleiben - der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Diese Freiheit erlangt man nach den Ansätzen von Kant aber eben auch Humboldt durch Bildung und Erziehung.

Da hast Du mich ertappt, ich habe einfach mal frei für mich dahin definiert, daß innere Freiheit die geistige sei, auch in ihrer Äußerung, und äußere die körperliche (Nein, die Flasche Weißwein hatte kaum etwas damit zu tun).

Nun zeigen ja die äußerst interessanten Beiträge zu Humboldts Bildungsreform, daß er ein gewaltiges Verbesserungspotential im Bereich der Bildung sah, welches sich zunächst nicht gemäß seinen Vorstellungen umsetzen ließ, wiewohl das preußische Bildungssystem nach Humboldt auch nicht einfach wieder das alte wurde, will sagen, seine Ideen entwickelten schon eine gewisse Dynamik.
Ob er aber auf eine Steigerung der individuellen Freiheit aus war oder vielmehr unter dem Druck handelte, den gegen Napoleon unterlegenen preußischen Staat wieder handlungsfähig zu machen, worauf ja auch die Steinschen und Hardenbergschen Reformen herauslaufen sollten?

Auffallend ist doch aber auch, daß Humboldts Bildungsreformen den Staat viel stärker in die Pflicht nahm, was die Erziehung und Bildung seiner Kinder anging, womit eine Zentralisierung und damit ein Wegfall von Freiheiten einhergehen mußten.

Um aber vielleicht auch nochmal einen anderen Pfad einzuschlagen und nochmal mit Wielands Aussprüchen zu hadern: Wie verträgt sich das Lob der Sicherheit und Freiheit mit solchen Auswüchsen wie der teilweise sehr rigorosen Rekrutierungspraxis und dem Soldatenhandel?
 
Ob er aber auf eine Steigerung der individuellen Freiheit aus war oder vielmehr unter dem Druck handelte, den gegen Napoleon unterlegenen preußischen Staat wieder handlungsfähig zu machen, worauf ja auch die Steinschen und Hardenbergschen Reformen herauslaufen sollten?

Auffallend ist doch aber auch, daß Humboldts Bildungsreformen den Staat viel stärker in die Pflicht nahm, was die Erziehung und Bildung seiner Kinder anging, womit eine Zentralisierung und damit ein Wegfall von Freiheiten einhergehen mußten.

Dazu nur kurz zwei Anmerkungen (damit´s dann schnell mit Wieland weitergehen kann):

Die Steigerung individueller Freiheit dient Humboldt als Mittel, den Staat wieder handlungsfähig zu machen. Daher führt die intendierte Zentralisierung auch nicht zu einem Wegfall von Freiheiten, sondern (so die Idee) im Gegenteil zu einer Beseitigung partikulärer Zielsetzungen im Bildungssystem, eben zu einer allgemeinen Menschenbildung (das hier aufscheinende Paradoxon hat Kant in seiner Schrift über Pädagogik übrigens als Frage formuliert: "Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?", a. a. o., S. 27).
 
Der Soldatenhandel ist ein völlig anderes Thema.

Zu beachten bitte ich, die an Frankreich angrenzenden Gebietskörperschaften des Reiches bemühten sich ab 1790 offensiv "ihrer" Bevölkerung die Unterschiede zwischen "Recht und Freiheit" im Reich und in Frankreich darzulegen. Mit der weiteren info, dass man sich bemühen werde den einen oder anderen noch bestehenden Mißstand zu beheben.
Letztlich war diese "Informations-Strategie" erfolgreich.

Die Empörungen und Aufstände im Reich des 18. Jahrhunderts wandten sich fast immer gegen die "Zwischengewalten", Adel und Standesherrschaften. Nicht gegen die jeweiligen Gebietskörperschaften. Wieland wusste wohl was er schrieb.


OT: Euro filosofischen Abhandlungen erinnern mich doch so an den Rudolf Leiding.:D
 
Zuletzt bearbeitet:
Um aber vielleicht auch nochmal einen anderen Pfad einzuschlagen und nochmal mit Wielands Aussprüchen zu hadern: Wie verträgt sich das Lob der Sicherheit und Freiheit mit solchen Auswüchsen wie der teilweise sehr rigorosen Rekrutierungspraxis und dem Soldatenhandel?


Wie hat sich eigentlich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die garantierten Menschenrechte darin, mit dem rigorosen Versuch vertragen, mir 1972 ums verrecken Stahlhelm und Uniform zu verpassen?
Schon die Ladung zur Musterung und zum Eignungstest waren derart strafbewehrt, dass ich den Schock dieses Umgang mit dem freien Bürger bis heute nicht überwunden habe.
 
Nach Wieland würden "alle Nachteile der deutschen Staatsverfassung [um 1780] durch den einzigen unschätzbaren Gewinn weit überwogen: daß, solange wir sie erhalten, kein großes policirtes Volk in der Welt einen höhern Grad menschlicher und bürgerlicher Freiheit genießen und vor allgemeiner auswärtiger und einheimischer, politischer und kirchlicher Unterjochung und Sklaverei sicherer sein als die Deutschen." [Winkler S.45, siebte Auflage]

Und weiter "kein Regent in Deutschland ist, dessen größere oder kleinere Machtgewalt nicht durch Gesetze, Herkommen und auf viele andere Weise, von allen Seiten eingeschränkt wäre; und gegen welchen, wofern er sich irgend eine widergesetzliche Handlung gegen das Eigentum, die Ehre, oder die persönliche Freiheit des geringsten seiner Untertanen erlaubt, die Reichsverfassung dem Beleidigten nicht Schutz und Remedur seiner Beschwerden verschaffte."

Nun frage ich mich: ist das so? Waren die Leute im 18. Jh freier als nach der Restauration, fühlten sie sich so? Da ich auch noch von Safranski das Buch über Goethe und Schiller zu liegen habe, stellt sich mir gerade hier die Vergleichsfrage: Wie ist das mit Goethe, der scheinbar keine Grenzen kennt, nicht geistig und nicht räumlich, und überall zu Hause ist, und Schiller, der der Sklaverei seines Landesherrn entflieht und quasi sein ganzes Leben ein Flüchtling bleibt. Wie frei fühlten sie sich, im Inneren und im Äußeren?

Bisher verstehe ich Deine Fragestellung nach dem inneren und äußeren Freiheitsgefühl so, dass Du damit das innere Empfinden und das nach außen hin Gelebte umschreibst. Habe ich Dich da richtig verstanden?

Deine Beispiele, die Zitate von Wieland und die Nennung von Goethe und Schiller mit den dazu gehörigen Schlagwörtern (die meine folgende Argumentation erst ermöglichen), würde ich nicht gemeinsam nutzen, um Deine Fragestellung zu klären. Denn Wielands Aussagen würde ich dahingehend "kategorisieren", dass er von der Freiheit spricht, die die umgebende "höhere" Welt, im Ausdruck von Staat und Obrigkeit, bereit ist dem Menschen zu geben.
Deine genannten Schlagwörter um Goethe und Schiller sehe ich eher als Ausdruck des individuellen, selbst entwickelten und gelebten Freiheitsverständnisses. (herausgenommen die Inhaftierung und Flucht Schillers)
Aus dem engeren Dunstkreis der Anhäufung möchte ich den Punkt "Flüchtling" nehmen, da seine teilweise selbst verschuldete und damit notwendig gemachte "Umtriebigkeit" (weiterhin ist die Flucht aus Stuttgart ausgeklammert) in großen Teilen der Geldnot zuzuschreiben ist, die weder dem einen noch dem anderen Freiheitsgedanken zuzuordenen ist, sondern der Beziehung Werk-Publikum.
 
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