Kriegsbräuche, Taktiken und Waffen der germanischen Stämme

Wir könnten sogar die Aussage des Tacitus ganz in Frage stellen, ob es diese Nachtkämpfer überhaupt gab. Nur weil etwas in den Quellen steht, muss es ja noch lange nicht stimmen - und die kurze Stelle über die Harier hört sich eher wie ein Schreckgespenst römischer Legionäre an, also wie ein Gerücht, welches unter den Legionären umging und welches Tacitus aufgeschnappt hat, denn wie eine historisch gesichterte Tatsache. Auch weil kein explizites Ereignis genannt wird, wann Römer und Harier mal aneinander geraten sind.
Das ist auch eher unwahrscheinlich, schließlich siedelten die Harier weit östlich der Elbe.
 
Auszuschließen ist es natürlich nicht. Bloß: Wenn Tacitus versehentlich aus den "Kriegern" einen Stamm machte, wieso sollte er ihn dann so präzise zu den Lugiern rechnen und somit auch lokalisieren? Wenn diese "Harier" tatsächlich nur ein Gerücht und Missverständnis gewesen wären, dann hätte Tacitus doch bloß gewusst, dass es irgendwo in den Weiten Germaniens einen Stamm namens "Harier" geben soll, die sich schwarz anmalen.
 
Diverse auch neuere Kinofilme bringen bemalte Barbaren, die sich mit römischen Legionen prügeln, auf die Leinwand - na ja, das ist halt Kino.

Naja, zumindest bei manchen barbarischen Gegner der Römer scheint das Bemalen bzw Tätowieren des Körpers ja wirklich der letzte Schrei gewesen zu sein, bspw die britannischen Kelten und Pikten. Gut, die haben mit Varus nichts zu tun, und auch mit ihrer eigenen Umsetzung in Hollywood-Filmen nicht wirklich viel... :winke:

@jschmidt: Wie kommst Du auf Graphit? Ich stehe gerade auf dem Schlauch. Hilf mir auf die Sprünge. Kann es nicht auch Kohle gewesen sein?

Graphit ist ein Bestandteil von Kohle (sowohl von Stein- oder Braunkohle als auch Holzkohle), insofern: Es ist das Gleiche.

P.S.: Sich bei der Durchführung nächtlicher militärischer Aktionen Farbe respektive Dreck ins Gesicht zu schmieren erfodert eigentlich kein ausuferndes militärisches Studium; dass die helle Haut im Dunkeln besonders leicht zu entdecken ist ist einfach zu naheliegend. Die Stelle bei Tacitus würde ich aber auch ähnlich erklären wie El Quijote: Lagergerüchte, denen maximal Einzelfälle zu Grunde lagen, werden vom zeitgenössischen Kriegsberichterstatter zu publikumstauglichen Horrorgeschichten aufgebauscht... :scheinheilig:
 
Es bleibt immer noch meine Frage offen, wie Tacitus dann so exakte Angaben zur ethnischen Zugehörigkeit dieser Krieger machen konnte. Die Lugier wohnten schließlich außerhalb des jemals von den Römern unterworfenen Bereiches. Das "Lagergerücht" wird wohl kaum so gelautet haben: "Hey Mann, ich habe gehört, irgendwo viele Meilen hinter der Elbe, bei einer Stammesgruppe namens Lugier, soll es einen Stamm geben, bei dem sich die Krieger schwarz schminken und nachts angreifen." Wenn, dann hätte es doch wohl eher so gelautet: "Du, der Marcus Otacilius hat mir erzählt, dass sein Cousin mal auf einem Vorposten mitten in der Nacht von Germanen angegriffen wurde, die schwarz geschminkt waren."
 
Je weiter außerhalb des eigenen Gesichtskreises etwas liegt, desto fabulöser kann man einen Text gestalten. Das hast du schon bei Platons Atlantis (ja da irgendwo außerhalb der Säulen des Herakles vor 9000 Jahren, da gab es mal...) und das findest du noch in mittelalterlichen Reiseberichten so, etwa wenn ein eigentlich ernsthafter Reiseberichterstatter wie der kölnische Ritter Arnold von Harff plötzlich behauptet, im Süden Kopffüßern und anderen humanoiden und nichthumanoiden Wesen begegnet zu sein, um dann wieder zum seriösen Reisebericht zurückzukehren.
Müllenhoff hat um 1850 (ich entnehme das aus dem Wikipedia-Artikel Harii) die These entwickelt, dass Tacitus hier eine Nachricht über die Krieger des Stammes der Lugier erhalten hat und diese zu einem Teilstamm umgeformt hat (also jenes oben beschriebene Wort harja, 'Krieger' ethnonymisiert).
 
Du wirst doch nicht einen Autor von Abenteuerromanen mit einem ernsthaften Historiker vergleichen wollen?
 
Im modernen Sinne ist Tacitus kein Historiker, und ganz bestimmt kein ernsthafter welcher...

Auch wenns ein wenig überzogen ist: ME können wir heute nicht mehr sagen, ob solche Stories von antiken Autoren eher in diese Ecke gehören Militärgeschichte ? Wikipedia, oder eher in diese Der Landser ? Wikipedia. Es fehlen die Vergleichsmöglichkeiten oder anderen Quellen (Danke an der Stelle für El Quijotes Hinweise auf den ursprung dieser Stelle), und v.a. fehlt das, was heutige wissenschaftliche Literatur auszeichnet bzw auszeichnen sollte: Der Verriss ähhh die kritische Beurteilung anderer Wissenschaftler. ;)

EDIT & P.S.:

Der Hauptgrund, warum ich das für eine eher unglaubwürdige Wachstubengeschichte halte: Es hört sich zu "cool" an. Nächtliche Sabotage- oder Meuchelangriffe, schwarz bemalte Schilde/Krieger und "grauenhafte Schatten mit infernalischem Anblick" klingt für mich nicht realistisch, sondern eher verdächtig...

Wobei: Nicht das Guerilla-Aktionen nicht kriegsentscheidend sein können, v.a. weil sie die Moral des Gegners unterhöhlen; weil der Angst vorm schwarzen Mann im Dunkeln hat, reale Gefahr hin oder her. ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Im modernen Sinne ist Tacitus kein Historiker, und ganz bestimmt kein ernsthafter welcher...
Er war aber auch kein Märchenerzähler. Zwar gab er gerne Gerüchte wieder, machte diese aber als solche kenntlich.

Der Hauptgrund, warum ich das für eine eher unglaubwürdige Wachstubengeschichte halte: Es hört sich zu "cool" an. Nächtliche Sabotage- oder Meuchelangriffe, schwarz bemalte Schilde/Krieger und "grauenhafte Schatten mit infernalischem Anblick" klingt für mich nicht realistisch, sondern eher verdächtig...
Abgesehen davon, dass Tacitus nicht unbedingt unseren Begriff von "Coolness" hatte:
Sabotage- und Meuchelangriffe gab es in der Antike auch andernorts. Ich verweise z. B. auf die Sikarier, die sich in Zivilkleidung mit verborgenen Dolchen an ihre Opfer heranschlichen und dann plötzlich zustachen.
Außerdem sagt Tacitus doch gar nicht, dass die Harier nächtliche Sabotage- oder Meuchelangriffe durchführten, sondern nur, dass sie sich schwarz bemalten und bevorzugt nachts kämpften.
 
Er war aber auch kein Märchenerzähler. Zwar gab er gerne Gerüchte wieder, machte diese aber als solche kenntlich.

Ich bin kein Tacitus-Experte, bin aber allgemein allen antiken Autoren gegenüber sehr kritisch, was solche Dinge, v.a. die Natur ihrer Quellen angeht. Tacitus Geschichten über Kriege in Germanien bspw sind bestimmt nicht aus erster Hand. Mit dieser Vorsicht bin ich übrigens nicht alleine: ;)

Tacitus ? Wikipedia

Abgesehen davon, dass Tacitus nicht unbedingt unseren Begriff von "Coolness" hatte:
Sabotage- und Meuchelangriffe gab es in der Antike auch andernorts. Ich verweise z. B. auf die Sikarier, die sich in Zivilkleidung mit verborgenen Dolchen an ihre Opfer heranschlichen und dann plötzlich zustachen.

Also auf manche Sachen, die auch heute noch der oben erwähnten Wochenzeitschrift eine nicht unerhebliche Auflage sichern, standen auch und gerade die antiken Römer in geradezu exorbitantem Maße: Tapferkeit & Heldenmut im Angesicht des Todes bspw sind einfach jahrtausende alte Longseller. ;)

Hier geht es um den genauen Gegensatz davon; evtl war "cool" wirklich die falsche Begriffswahl, aber der Schrecken & die Faszination, den "hinterhältige" Angriffe heraufbeschwören, ist mE ebenso zeitlos wie das Heldentum.

Dabei sind solche Guerilla-Methoden natürlich effektiv, es gab derartige Phänomene mE immer und in jedem bewaffneten Konflikt. Diese Effektivität beruht allerdings ganz erheblich auf einem psychologischen Effekt: Der Fucht, den solche Überfallaktionen beim Gegner hervorrufen. Tacitus Textstelle ist mE wenn überhaupt als Hinweis darauf zu werten, dass Guerilla-Kriegsführung durchaus zum Konzept irgendwelcher Germanstämme gehörte*. Das ist allerdings wenig erstaunlich, ist doch die Niederlage des Varus mit der Bezeichnung "Hinterhalt" am besten charakterisiert...

* Interessant könnte hier sein, dass bzw ob sich manche Stämme hier besonders auszeichneten, insbesonders im Zusammenhang mit El Quijotes Hinweis, der darauf schließen lässt, es könnten speziell die Krieger dieses Stammes gemeint sein. Allerdings sind wir hier ohne andere Quellen mE auf einer Stufe mit Karl May ( ;) ): Die Apachen sind ganz tolle Krieger; die Behauptung ist bspw mit dem Hinweis auf den Widerstand des realen Häutplings Geronimo auch nicht völlig abwegig... aber sie bezieht sich halt konkret auf Häutpling Winnetou...

Außerdem sagt Tacitus doch gar nicht, dass die Harier nächtliche Sabotage- oder Meuchelangriffe durchführten, sondern nur, dass sie sich schwarz bemalten und bevorzugt nachts kämpften.

Nächtliche Angriffe waren die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte Guerilla-Aktionen, also Sabotage und Angriffe aus dem Hinterhalt, oder Vabanquespiele, die fast immer schief liefen. Wenn es für Tacitus Anmerkung eine reale Grundlage gibt (s.o.), dann mE erstere.
 
Die viel diskutierten Harrier….
Ich halte größere oder regelmäßige Nachtunternehmungen von Verbänden in der Germania für unmöglich.
Könnte nur im Vollmond oder im Winter bei viel Schnee passieren.

Auch Städte die eventuell ein gewisses Maß an künstlicher Beleuchtung bieten gab es nicht.

Kleine Trupps, welche Vieh stehlen oder Rache üben (Das ist wahrscheinlich ein Großteil der germanischen Kriegerrealität gewesen) sind durchaus möglich.

Eine Unternehmung bei Nacht war glaube ich die Flucht aus Vetera beim Bataveraufstand.
Hier herrschte Belagerungszustand und er war keine Kommandoaktion
 
Ich halte größere oder regelmäßige Nachtunternehmungen von Verbänden in der Germania für unmöglich.
Könnte nur im Vollmond oder im Winter bei viel Schnee passieren.
Das sehe ich nicht so streng. Als ehemaliger Grundwehrdiener kann ich Dir versichern, dass man nachts auch im Wald fernab jeder Lichtquelle einigermaßen gut sieht, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat. Wenn man das Gelände, in dem man operiert, kennt, wird es natürlich noch einfacher. Bei Vollmond und Schnee ist es fast schon zu hell, da kann man dann gleich am Tag unterwegs sein.
 
Das sehe ich nicht so streng. Als ehemaliger Grundwehrdiener kann ich Dir versichern, dass man nachts auch im Wald fernab jeder Lichtquelle einigermaßen gut sieht, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat. Wenn man das Gelände, in dem man operiert, kennt, wird es natürlich noch einfacher. Bei Vollmond und Schnee ist es fast schon zu hell, da kann man dann gleich am Tag unterwegs sein.
Jaein...
Es geht mir halt um größere Gruppen.
Ein paar Leute, kein Problem.
Aber drei, vier Untergruppen zu koordinieren!?
 
Naja Grundwehrdienst und so
so´n feiner Nachtangriff geht auch mit größeren Verbänden, wenn die Mitglieder die Gegend kennen. Und nachts, ausser es ist wirklich finster, ist auch im lichten Wald genug Licht.
Die Koordination für den Angriff geht dann über Zuruf oder damals ev. über Hüfthörner.
Hüfthorn bei Nacht, wenn alles still ist, kommt gut ;-).

Ich halte den guten Tacitus an dieser Stelle denn aber doch eher für einen Geschichten Erzähler als für einen Geschichtsschreiber.

Und dies Gruselmärchen:
Da mußt Du mal erst die Lugier erlebt haben, deren Harier sind so gewaltig......
Wenn Nachts mal so´n paar dunkle Gestalten ne Kuh aus dem Lager geklaut haben .....
 
Und dies Gruselmärchen:
Da mußt Du mal erst die Lugier erlebt haben, deren Harier sind so gewaltig......
Wenn Nachts mal so´n paar dunkle Gestalten ne Kuh aus dem Lager geklaut haben .....
Das ist ja der Punkt: Die Römer haben die Lugier und ihre Harier vermutlich eben nicht selbst erlebt, weil sie weit östlich der Elbe siedelten. Wenn es sich nur um ein Gruselmärchen handeln würde, dann wäre doch wohl die Rede davon, dass die Harier irgendwo im einst römischen Germanien oder gar in Rheinnähe lebten, sodass sie den Römern tatsächlich zu schaffen machen konnten.
 
Sicher mit Hörnern in der Nacht, welche Melodie denn?
;-)
Soweit stand die Allierten im Frankreich vor dem gleichen Problem.
Die Lösung waren „Knackfrösche“…die waren da aber sicher die Deutschen kannten das nicht.
 
Was übrigens das Argument betrifft, der Stammesname "Harier" sei vermutlich vom germanischen Wort für "Krieger" abgeleitet und von Tacitus fälschlich als Stammesname interpretiert worden: Es kann durchaus sein, dass "Harier" tatsächlich nichts weiter als "Krieger" bedeutet, aber das spricht nicht unbedingt dagegen, dass es trotzdem auch ein Stammesname war. Auch andere Stämme hatten, wenn die etymologischen Deutungen richtig sind, oft eher simple, sprechende Namen, z. B. die Markomannen, Franken, Alemannen etc.
 
Das es möglich ist grössere Gruppen nachts bzw. bei eingeschränkter Sicht wirksam auch ohne Funkgerät und Restlichtverstärker, BiV, WBG etc. allein durch Absprache und Ortskenntnisse geschickt in dicht bewachsenen Flusstälern einzusetzen beweisen die Taliban/OMF in der heutigen Zeit. Musste ich oft genug am eigenen Leib spüren. Daher denke ich das es germanischen Kriegern in den eigenen Wäldern durchaus möglich gewesen ist.
 
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