Stilicho - was waren seine Ziele?

Warum hätten sie sonst flüchten sollen? Sie wollten oder mussten den großen Völkerverschiebungen ausweichen, die die Hunnen hervorgerufen hatten.

Nun ja, Gallien war auch ohne Hunnen äußerst attraktiv - wobei ich gar nicht widersprechen will, dass der Druck der Hunnen sicherlich spürbar war.
 
Nun ja, Gallien war auch ohne Hunnen äußerst attraktiv - wobei ich gar nicht widersprechen will, dass der Druck der Hunnen sicherlich spürbar war.

Man muss sich wundern, dass ein halber Germane überhaupt in eine solch einflussreiche Position aufrücken konnte. Allein diese Tatsache ist ein Zeichen für die Barbarisierung des Heers, denn vermutlich wäre ein Stilicho noch 100 Jahre zuvor nicht als magister militum denkbar gewesen.
 
@ Stilicho:
Okay, da steht tatsächlich, dass Stilichos Vater unter Valens Alae anscheinend aus Germanen (wörtlich: "Alae , die an Haaren rötlich glänzten") kommandierte. Das mit der Kavallerie stimmt also. Von einer Geburt in der Nähe von Konstantinopel finde ich da aber nichts. Es steht nur da, dass er sich in seiner Jugend in der "Stadt" aufgehalten hat, womit wohl Konstantinopel gemeint sein wird, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass er auch dort geboren wurde.

Warum hätten sie sonst flüchten sollen? Sie wollten oder mussten den großen Völkerverschiebungen ausweichen, die die Hunnen hervorgerufen hatten. Ob nun mittel oder unmittelbar: Der Zug der Vandalen und Sueben fügt sich in die Völkerwanderung ein, wie auch die Züge der anderen Germanenstämme.
Wer sagt denn, dass es eine Flucht war? Sie haben bestimmt mitbekommen, dass die Weströmer mit sich selbst beschäftigt waren - gegen Honorius erhoben sich in Britannien und Gallien mehrere Gegenkaiser - und die Gelegenheit für einen Einfall somit günstig. Es war ja nichts Neues, dass Germanen auf Reichsgebiet überzutreten versuchten, und diesmal konnten sie mit einer schwachen Gegenwehr rechnen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man muss sich wundern, dass ein halber Germane überhaupt in eine solch einflussreiche Position aufrücken konnte. Allein diese Tatsache ist ein Zeichen für die Barbarisierung des Heers, denn vermutlich wäre ein Stilicho noch 100 Jahre zuvor nicht als magister militum denkbar gewesen.

Der Franke Merobaudes hatte diesen Posten schon 375 inne, war 377 und 383 Konsul.
 
Wer sagt denn, dass es eine Flucht war?

Mir sagt der auch bei Wikipedia vermutete Grund am ehesten zu:

In der Silvesternacht 406 überschritt ein vandalischer Verband gemeinsam mit einer großen Gruppe von Alanen und Sueben den Rhein und fiel in die römische Provinz Gallien ein (siehe Rheinübergang von 406); Grund war vermutlich Flucht vor den weiter vordrängenden Hunnen.
 
Halbbarbaren?

Vielleicht war ihm seine (halb)vandalisch-germanische Herkunft sogar eher peinlich. So hat er sich jedenfalls verhalten.
Eigentlich war Abstammung bei den Römern zweitrangig. Man sah sich als Krone der menschlichen Gesellschaft, offen für alle Wertvollen und Tüchtigen. Römer zu werden war ein rechtlicher Vorgang, Herkunft und Hautfarbe zweitrangig. Er musste sich also weder schämen noch sollte es ihm peinlich sein. Immerhin war er „Römer durch Leistung“ (auch seines Vaters) und nicht durch „einfache Geburt“ geworden. Als Kind eines mit einer Römerin verheirateten Mannes (er dürfte somit das Bürgerrecht erhalten haben), galt er auch in Hinblick auf seine Geburt als vollwertiger Römer ohne jede Einschränkung! Er dürfte sich somit vermutlich voll und ganz als Römer gesehen haben.

Eine in vielerlei Hinsicht vergleichbare Persönlichkeit hatte auch einen „Skythen“ als Vater und eine römische Aristokratin als Mutter. Er lebte nach Stilicho, führte angeblich eine Riesenarmee von 60000 Hunnen zugunsten eines Usurpators für einen römischen Bürgerkrieg nach Italien und wurde später Heermeister und „Retter Roms“ auf den Katalaunischen Feldern. Ja genau, ich meine Aetius, dem Geschichtsschreiber den Beinamen „Der letzte Römer“ gegeben haben…

Man sollte die negative Betonung von Stilichos Herkunft eher im Kontext mit seinem Sturz sehen, wo es zu blutigen Pogromen gegen die wehrlosen Angehörigen von germanischen Römertruppen gekommen ist. Es ist vor allem eine nachträgliche Verurteilung des Gestürzten und in gewisser Hinsicht eine Rechtfertigung. Immerhin schlossen sich nach diesen Ereignissen sehr viele einst in römischen Diensten stehende Foederatenkrieger dem Alarich und seinen Westgoten an…

Gundobad kehrte in seine Heimat zurück und wurde Burgunderkönig.


Im Westen weniger, aber im Osten instrumentalisierten die germanischen Heermeister mitunter ihre Stammesgenossen für die innerrömischen Machtkämpfe.
Selbst wenn Stlicho zu einer solchen "Zusammenarbeit" bereit gewesen wäre, ist es doch die große Frage, ob er z.B. bei den Vandalen überhaupt Gehör gefunden hätte, die bei Gefahr der Unterwerfung durch die Hunnen zusammen mit den Sueben 407 über den Rhein nach Gallien flüchteten.
Gundobad kam aus dem burgundischen Königsgeschlecht und die burgundischen Foederaten waren die Basis seiner Macht als römischer Politiker. Das Reich war unter Stilicho im Krieg mit den Vandalen und sein Vater war vielleicht ein dediticti – Krieger (also ein unterworfener Vandale). Beides also keine Grundlage um auf „verwandtschaftlicher Basis“ Machtpolitik zu betreiben…
Dass die Vandalen vor (indirektem?) hunnischen Druck flohen ist jedenfalls sehr wahrscheinlich, immerhin wurden die Vandalen bereits im Kontext mit dem Zug des Radagais genannt, als dieser die Donau überschritt um seinem Schicksal bei Florenz entgegen zu ziehen. Es ist gut möglich, dass sich die Vandalen von ihm südlich der Donau trennten und nach Westen weiter zogen? Jedenfalls ziehen diese Schlussfolgerung unter anderen Peter Heather und ich meine sie auch im Kontext mit der Vandalenausstellung gehört/gelesen zu haben…
Das Königreich der Vandalen - ARTE

Hohe römische Offiziere „barbarischer Herkunft“ gab es schon sehr lange, spätestens seit der Reichskrise/Zeit der Soldatenkaiser. War es nicht bereits Kaiser Gallienus gewesen, der den Senatsadel von allen hohen militärischen Ämtern ausgeschlossen hatte und damit den Weg frei machte für tüchtige Offiziere, bei denen die Herkunft nicht mehr den hauptsächlichen Ausschlag über eine Beförderung gab? Im Übrigen waren fast alle „illyrischen Kaiser“ (etwa Aurelian, Diokletian oder Konstantin…) von einer wenig repräsentativen Herkunft und häufig eher Nachkommen peregriner „Hinterwäldler“ oder bestenfalls aus „niedrigen, römischen Verhältnissen stammend“. Da die Überlieferung halt überwiegend in den Händen der römischen Oberschicht liegt, spiegeln sich natürlich dort die Vorurteile dieser Gesellschaftsschicht wieder. ..
 
Das Kaisertum anzustreben war für Stilicho ausgeschlossen. Es war unmöglich, als Germane Kaiser zu werden. Auch Ricimer gab sich mit der Position des Kaisermachers zufrieden, wenngleich er es war, der die Fäden in der Hand hatte.

Was man versuchen konnte, war durch geschicktes Heiraten der Kinder seine Position nicht nur zu festigen, sondern auch ggf. seinem Sohn dadurch den Thron zu sichern.

Stilicho selbst halte ich für eine der wenigen letzten herausragenden Gestalten der weströmischen Geschichte, der erkannt hat, dass das Reich ohne die Hilfe der Germanen verloren war. Zu Groß war der Anstrum der feindlichen Armeen, zu schwach das Westheer. Leider wurde er Opfer der antigermanischen Stimmung am Hof, sonst hätte die Geschichte wohl etwas anders ausgesehen.

Drei Personen gab es, denen ich eine Wendung zum Guten bzw. ein Herauszögern des Zusammenbruchs zugetraut hätte: Stilicho, Constantius III und Aetius.
 
Das Kaisertum anzustreben war für Stilicho ausgeschlossen. Es war unmöglich, als Germane Kaiser zu werden.
Das stimmt so nicht. Stilicho war nur Halbgermane. Einen Präzedenzfall gab es: Der Halbgermane Magnentius wurde auch Kaiser und konnte sich im Westen auch durchsetzen, ehe er letztlich Constantius II. unterlag.
 
Das stimmt so nicht. Stilicho war nur Halbgermane. Einen Präzedenzfall gab es: Der Halbgermane Magnentius wurde auch Kaiser und konnte sich im Westen auch durchsetzen, ehe er letztlich Constantius II. unterlag.

In der Tat. Jedoch war Magenentius gut ein halbes Jahrhundert vor Stilicho Kaiser. Die Barbarisierung des Heeres war damals noch nicht so weit fortgeschritten, und die Anti-germanisches Stimmung noch nicht so weit verbreitet. Zumal sich Magnentius noch viel Sympathie sichern konnte durch seine Toleranz gegenüber des Heidentums. Alles Dinge, die zur Zeit des Stilicho so nicht mehr möglich waren.
 
Ich habe irgendwie den Eindruck, dass sich in dieser Diskussion grade einige Fachleute austoben. Da hätte ich dann aber mal eine Frage:

"
Eigentlich war Abstammung bei den Römern zweitrangig. Man sah sich als Krone der menschlichen Gesellschaft, offen für alle Wertvollen und Tüchtigen. Römer zu werden war ein rechtlicher Vorgang, Herkunft und Hautfarbe zweitrangig.
"

War nicht schon Arminius ein Beispiel für die Höhen, die man als "Barbar" im römischen System erreichen konnte? Wann genau fielen denn die Vorurteile gegen Fremde, die im Sinne Roms arbeiteten? Wie lange konnte eine Herkunft von ausserhalb Roms von Nachteil sein?
 
Verzeih mir, dass dies keine spezielle sondern eher eine allgemeine Antwort ist und daher möglicherweise nur minimal über Kaffeklatschniveau hinausreicht:

Es ist doch wohl in den meisten Gesellschaften so, dass Äußerlichkeiten und Abstammung nur dann eine Rolle spielen, wenn man pseudorationale Argumente benötigt, um jemanden auszugrenzen. Bei Sympathie u.a. sind Äußerlichkeiten und Abstammung dann nicht mehr von Belang. Aus jüngerer Zeit haben wir dann solche Aussprüche wie "Wer Jude ist, bestimme ich."

Schon Seneca hat ja in seinem Sklavendiskurs darauf aufmerksam gemacht, dass man Sklaven gut behandeln solle, weil nicht die Herkunft, sondern das "Glück" einen zum Sklaven mache.
 
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Das sehe ich auch so. Auf der einen Seite trennten die Römer rechtlich scharf zwischen Bürgern und Nichtbürgern, andererseits waren sie schon früh recht pragmatisch, wenn es z. B. um Bürgerrechtsverleihungen ging. Man denke z. B. an die Geschichte des Sabiners Attus Clausus, der zu Beginn der Republik mitsamt großem Anhang eingebürgert worden sein soll und von dem die Claudier abstammen sollen. Aber sogar mit Verleihungen an ganze Völker waren die Römer schon relativ früh relativ großzügig, z. B. erhielten die Herniker schon im 3. Jhdt. v. Chr. das Bürgerrecht.
Allerdings gab es natürlich keine einheitliche "Ausländerpolitik". Ebenso wie es auch heute in den meisten europäischen Staaten Befürworter und Gegner von Einwanderungen und raschen Einbürgerungen gibt, war es auch im alten Rom. Wenn man so etwas wie einen Leitgedanken finden will, kann man vermutlich am ehesten sagen, dass die Römer bei der Integration von Ausländern darauf achteten, dass das "Römertum" (was auch immer man darunter konkret verstehen mochte) nicht in Gefahr geriet. Man bürgerte Fremde entweder nur in solcher Zahl ein, dass keine Gefahr einer Minorisierung der "echten" Römer bestand, oder erst, wenn sie hinreichend romanisiert waren. Dazu kam dann natürlich noch die Einbürgerung von Einzelpersonen, die für Rom wertvoll waren und die man für sich nutzen oder sich gewogen machen wollte.

Zu Stilichos Zeiten war das aber wohl etwas anders. Seit der Bürgerrechtsverleihung durch Caracalla an die meisten freien Reichsbewohner war innerhalb des Reiches die Unterscheidung zwischen Römern und Nichtrömern weitgehend verschwunden. Danach ging es im Umgang mit "Barbaren" eher darum, inwieweit sie für Rom nützlich waren und ob sie sich loyal zu Rom verhalten würden. Aber natürlich gab es bei vielen "echten Römern" auch Antipathien gegen die Fremden. Bei den Intrigen gegen Stilicho und den Ausschreitungen gegen die Germanen nach seinem Tod ist schwer zu sagen, wie stark da jeweils generell germanenfeindliche Stimmungen und die Befürchtung, von den Germanen beherrscht und/oder verraten zu werden, zu gewichten sind.
 
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