Bleiben wir doch zunächst bei der BRANDENBURG-Klasse:
Diese ersten hochseetauglichen Linienschiffe stellen gewissermaßen Innovationen und Anachronismen gelichzeitig dar. Bevor man sich mit den technischen Details vertraut macht muß man wissen was womit in dieser geschossen wird. Da ist zunächst einmal Braunpulver als Treibmittel, welches eine sehr schnelle energetische Entfaltung besitzt, aber nicht rückstandsfrei im Rohr verbrennt. Daher sind in den 1880´er und frühen 1890´er Jahren kürzere Rohre mit einer größeren V0 korrelliert und nicht längere Rohre (da brauchts dann rauchfreies Pulver, dass langsamer Druck aufbaut, so dass das Geschoss über die gesamte Rohrlänge beschleunigt wird)!
Ein weiterer Nachteil der Verbrennungsreste sind die Ablagerungen im Rohr, die nach zwei bis vier Schüssen ein Putzen des Seelenrohres erforderlich machen. Die Annahme von Hinterladern ist nur eine Dekade alt und mitlaufende Ladevorrichtungen sind immernoch etwas in der Zukunft. Kurz die Feuergeschwindigkeit der primären Artillerie ist erheblich herabgesetzt und kann in Minuten statt in Sekunden gemessen werden.
Die Ladevorrichtungen der BRANDENBURG´s erforderten dass das Rohr zum nachladen in Ladeerhöhung gesenkt UND in Laderichtung geschwenkt werden mußte. Das ist freilich in anderen Marinen nicht anders.
Was anders ist, dass sind die Details der Turmkonstruktion. Während noch die MAJESTIC-Klasse eine Barbette mit Turmschilden aufweist besitzt die BRANDEBURG-Klasse einen vollwertigen Panzerdrehturm, der mit Grusson-Stahl eine hemispherische Form aufweist. Hierbei handelt es sich bereits um einen sehr frühen, oberflächengehärteten Panzer, der alle zeitgenössischen Projektile zerstören bzw. abweisen konnte. Die beiden ersten Schiffe der Klasse bsaßen noch einen Sandwich-Gürtelpanzer, WÖRTH und WEIßENBURG dagegen erstmals einen in zwei horizontalen Lagen gelegten Krupp KC-Panzer von 300mm Dicke, der sich etwa gleichmäßig oberhalb und unterhalb der Konstruktionswasserlinie erstreckte. Im Anschluß darauf wurde ein Korkdamm errichtet, der Wassereinbrüche über dem Gürtel verhindern sollte, sich jedoch bald als Brandgefahr herausstellte. KC Panzerung von 300mm Dicke kann erstmals 1898 von den frühesten weichen Kappengeschossen durchschlagen werden und auch das nur aus kürzester Distanz ohne Winkel. Das in zwei Lagen laminierte Panzerdeck wurde einzeln aus hochfestem Nickelstahl (kein Nickel-panzerstahl!) verfertigt. Die aufgehende Schiffstruktur wurde aus Konstruktionsstahl verfertigt und wies keine Schutzwirkung auf.
In der Mitte der 90´er Jahre, wenn die Schiffe in Dienst kommen, gibt es noch keine praktische Feuerleitung. Gyroskopisch stabilisierte oder selbst nur teleskopische Visiereinrichtungen fehlen und der Turmkommandant feuert "auf der Welle". 5hm bis 25hm werden als effektive Kampfentfernung angesehen.
Als die Klasse konstruiert wurde begannen sich die Marinenationen langsam dafür durchzusetzen, den alten Sandwich-Panzer gegen Nickelstahlpanzer zu ersetzen. Nur in Amerika wurde dieser durch Harveyisierung oberflächengehärtet, was sich in einem Gewinnfaktor von 1,4 zu Compound-Panzer ausdrückte. KC Panzer war eine extreme Innovation in dieser Zeit und dem Compound-Panzer um den Faktor 1,67 bis 1,75 überlegen. Dies erlaubte Gewichte zu sparen, was zunächst dazu genutzt wurde einen Wasserlinienpanzer auszubilden, der das gesamte Schiff schützen sollte.
Compound-Panzer konnte noch Vollgeschosse zerbrechen, was die Projektilhersteller dazu brachte, Geschosse mit Spitenhärtung zu entwickeln, die Compound oder Nickelpanzer auf kurze Entfernung durchschlagen konnte. Harvey und Krupp KC konnten dagegen alle Projektile dieser Epoche, selbst die spitzengehärteten Holtzer-Geschosse zerstören, d.h. selbst mit großkalibrigen, Holtzer-AP-Geschossen (die jeweils nur in kleiner Stückzahl mitgeführt wurden) konnte man nicht mehr hoffen, als den Panzer einzudrücken oder eventuell ein unterkalibriges Loch darin zu schlagen, ohne dass ein Teil des Geschosses den Panzer passieren konnte.
KC war so überlegen, dass selbst der auf 150mm ausgedünnte Gürtelpanzer vor und hinter der Zitadelle von 28.3cm HOLTZER-Geschossen nur auf eine Entfernung unter 1000m durchschlagen werden konnte. Mittelkalibrige Waffen mit AP-Munition waren komplett wirkungslos.
Die besten AP-Geschosse konnten kaliberstarke Weicheisenplatten mit 1000fps Geschwindikeit durchdringen, bei KC-Panzerung mußte dies mit einem Faktor von 2,3 bis 2,67 versehen werden, so dass ein 12 Zoll starkes Holtzer Projektil für 300mm KC etwa 2500fps Geschwindigkeit und 0 Grad Winkel erforderte, so dass zur Zeit der Indienststellung der WÖRTH und WEIßENBURG selbst 12"/35 und 13"/35 den dicksten Teil des Gürtels auf Nahdistanz nicht durchschießen konnten, selbst die langen 12"/40 konnten das nur auf kürzeste Distanz.
Um das Schema zu untersuchen wurden von Krupp in Meppen im Frühling 1895 eine Reiehe von ballistischen Tests gegen ein 1 zu 1 Modell des Seitenschutzes versucht. Diese Tests wurden zuerst mit Holtzer Geschossen und dann mit modifizierten Holtzer-Geschossen durchgeführt. Alle ersteren zerbrachen am Panzer, während letztere auf Entfernungen unter 2000m durchschlugen:
Man hatte auf die Spitze der Geschosse eine Kappe aus weichem Eisen angebracht und bei den direkten Einschlagwinkeln half diese Kappe, die Nase des Projektils intakt zu halten, weswegen weniger Energie für den durchschlag konsumiert wurde. Zunächst wurden diese Geschosse jedoch geheim gehalten (auch bei den Engländern, Amerikanern und Russen experimentierte man mit diesen "magnetischen" Geschossen, wie sie aus geheimhaltungsgründen auch genannt wurden, zeitgleich herum).
Die 28,3cm Türme wurden mit zwei 240kg wiegenden Geschosstypen versehen: Hartguß- und AP. Das AP-Geschoß konnte 200mm Nickelstahlpanzer auf eine Entfernung von 6000m durchschlagen. Es gab zwar einen Schwarzpulverfüller in diesen Geschossen aber keine Zündverzögerung.
Es gab nur wenig Mittelartillerie in diesen Schiffen, 8,8cm und 10,5cm Schnelladegeschütze zur Torpedobootsabwehr. Die Aufstellung der SA in Doppeltürmen entlang der zentralachse des Schiffes war sehr günstig, erforderte aber eine reduzierte MA, um durch Rauchbeeinflussung die SA nicht zu behindern.
Auf den ersten Blick sieht das nach einem sehr modernen Kriegsscgiff aus: Drei geschlossene Doppeltürme aus obeerflächengehärteter Panzerung mit balanzierten Rückwänden, KC Panzerung mit einem einzelnen Panzerdeck im all-or-nothing-System.
Aber ausgerechnet hier erfolgt eine Progression in der Technologie, welche diese Schiffe praktisch veralten läßt bevor sie zur Flotte stoßen.
Die Adoption von Harvey CA in vielen Marinen reduzierte drastisch die Wahrscheinlichkeit, dass man mit herkömmlichen AP-Geschossen den Gürtel durchschlagen konnte. Die Einführung von Schnelladegeschützen in dieser Zeit (MAJESTIC-Klasse) eröffnete dagegen die Möglichkeit zu einem hohen output an mittelkalibrigen Geschossen. Anstelle des einen Schusses alle zwei Minuten konnten diese Geschütze mehrmals in der Minute feuern und mit der Einführung von rauchfreiem Pulver wurden die Intervalle noch weiter reduziert. Die meisten Marinen führten jetzt erstmals auch HE-Geschosse ein und besonders die Kombination von HE mit mittelkalibrigen Schnelladegeschossen konnte bei den inherenten, kurzen Distanzen dieser Zeit jedes Schiff in Brand setzen, ohne den Gürtelpanzer überhaupt zu durchschießen. Die großen, ungeschützten Flächen oberhalb des etwa 1,75m aus dem Wasser herausragenden Gürtelpnazers der BRANDENBURG und alten KAISER-Klasse wären der ideale Angriffspunkt für die Mittelartillerie etwa einer MAJESTIC-Klasse geworden und hätten die Schiffe im Ernstfall in kurzer Zeit zu rauchenden, aber schwimmenden Trümmerbergen gemacht.
Dieser Effekt wird noch verstärkt durch die just in dieser Zeit aufkommenden Hochbrisanzsprengstoffe, wie TNT oder Gr.f.88 als Füller anstelle des alten, schwachdetonativen Schwarzpulvers.
Innerhalb nur weniger Jahre zwischen 1890 und 1895 veränderte sich die Schiff gegen Schifftaktik von der Salvenweise verschossenen AP Munition der großen Geschütze hin zu in sehr hohen Takten verschossenen mittelkalibrigen Waffen mit HEGranaten, die mit lyddite oder Gr.f.88 gefüllt werden. Die Idee war die aufgehende, ungeschützte Struktur des Schiffes zu zerstören, die Schiffsführung zu verletzen, Brände zu erzeugen und dem Schiff die Möglichkeit der effektiven Gegenwehr zu rauben. Es wurde trainiert de Distanz auf etwa 10 bis 30hm fallen zu lassen, auf möglichst parallelen Kursen zu fahren und eine Mixtur aus schwer- und mittelkalibrigen Geshossen in der schnellstmöglichen Folge, ohne Berücksichtigung von Salvenzeiten im direkten Richten auf das Ziel zu lenken, es in Brand zu setzen und sichtbar zu beschädigen. Erst dann sollten mit ein paar wohlgezielten Holtzer Geschossen der Gürtel so weit geöffnet werden, dass einströmende Wasser in einer Seite das schiff zum Kentern bringt.
Diese Taktik kann verfolgt werden im sino-japanischen Krieg, im US-spanischen Krieg und im russisch-japanischen Krieg, auch wenn im letzten Konflikt bereits einige Versuche echte Distanzgefechte herbeizuführen attestiert werden müssen.
Daher bricht die folgende KAISER FRIEDRICH III Klasse auch. die 24cm Geschütze sind Schnellader (die größten, die mit dieser Technik bis dato gebaut wurden) und die große Sekundärbatterie mit 15cm Geschützen bekommt ein HE Geschoss, welches mit Gr.f.88 befüllt ist. Erst mit der WITTELSBACH-Klasse wird aber die Panzeranordnung soweit verändert, dass man eine Ausdünnung des Gürtelpanzers zugunsten größerer, mit KC gepanzerter Seitenflächen zulässt, um sich selbst gegen HE zu schützen.