Grundgesetz bzw. Verfassung

rosahotti

Neues Mitglied
Hi,
Das Grundgesetz ist ja keine feststehende Verfassung, die vom Volk entwickelt wurde.
Gibt es Konsequenzen für die Menschen in Deutschland, da wir nur ein Grundgesetzbuch haben und keine Verfassung?

Was macht den Unterschied aus?
 
Das Grundgesetz mag nicht den Titel einer Verfassung haben, ist aber inhaltlich eine entsprechende. Das Grundgesetz hat Verfassungsrang (steht über den sonstigen Gesetzen), kann nur mit einer qualifizierten (2/3) Mehrheit geändert werden und regelt alle Belange, die iene Verfassung regeln muss.

Der einzige (historische) Unterschied zu einer Verfassung ist die Art ihrer Verabschiedung. Eine Verfassung wird üblicherweise von einer Verfassungsgebenden Versammlung (im Fall der BRD war das der parlamentarische Rat) erarbeitet und dann vom Volk per Referendum bestätigt. Das Grundgesetz wurde lediglich von den Landtagen bestätigt. Dadurch ergibt sich ein Legitimationsmangel, da die Verfassung nicht vom Volk, sondern lediglich von den Repräsentanten abgenickt wurde.
 
Wieso wird in Deutschland eigentlich so oft behauptet, Deutschland habe keine Verfassung bzw. das Grundgesetz sei keine Verfassung?
Eine Verfassung muss weder vom Volk (also einer gewählten verfassungsgebenden Versammlung?) entwickelt worden sein noch ausdrücklich "Verfassung" genannt werden. Ob sie ursprünglich nur als Provisorium gedacht war, ist auch egal. In der Rechtstheorie versteht man unter einer Verfassung die sogenannte "Grundnorm": Sie regelt, wie im Staat Recht (im weiteren Sinn, also nicht nur Gesetze, sondern auch Verordnungen, Bescheide und Urteile) erzeugt wird. Andererseits wird unter Verfassung im allgemeinen Sprachgebrauch aber auch generell die Regelung der Staatsabläufe verstanden, also auch der organisatorische Aufbau des Staates. So oder so ist das Grundgesetz auf jeden Fall eine Verfassung.
 
Vielleicht die deutsche Gründlichkeit?
Die zugehörige Denke ginge dann etwa so:
"Eine Verfassung ist nur dann eine echte Verfassung, wenn sie auch Verfassung heißt. Wenn eine Verfassung Grundgesetz heißt, kann sie also keine echte Verfassung sein..."

Friedi
 
Ich kann hier nur nochmal bestätigen, dass das deutsche Grundgesetz eine Verfassung ist,die rechtsgültig ist. Sie heißt nur "Grundgesetz" und der Grund dafür war, dass Deutschland zu jenem Zeitpunkt als das Grundgesetz seine Rechtsgültigkeit bekommen hat aus BRD und DDR bestand. Man hat es dann Grundgesetz genannt um quasi zu symbolisieren, dass man einem gesamtdeutschen Deutschland noch festhält und deshalb hat man auch zunächst eine so unbedeutende Stadt wie Bonn als Hauptstadt der BRD gewählt.
Laura
 
Mit der Theorie hast Du wahrscheinlich Recht.
Und was impliziert das Wort Grundgesetz? Das hier grundlegende Sachen verankert sind, nur das sehen leider viele nicht.
Und was heißt eigentlich Legimitationsmangel? Wenn das in dem Fall Grundgesetz der Fall ist, muss man als Staatsbürger über jedes Gesetz abstimmen.

Apvar
 
Das Grundgesetz hat Verfassungsrang; YoungArkas hat die Gründe in meinen Augen zutreffend beschrieben.

Eine Verfassung muss auch von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert werden. Sonst handelt es sich nur um beschriebenes Papier. Und der Name "Grundgesetz" ist im Bewusstsein der Bevölkerung verankert; die Grundprinzipien dieses Verfassungstextes auch. Und darauf kommt es ja an.

Außerdem war auch der Parlamentarische Rat vom Volk legitimiert. Es handelte sich um Vertreter der Landtage, die demokratisch gewählt worden waren.
 
Zumal es ja auch Bundesverfassungsgericht und nicht Bundesgrundgesetzgericht oder Verfassungsschutz und nicht Grundgesetzschutz heißt. Schon allein deswegen war mir diese Behauptung eigentlich nie logisch.
 
Wieso wird in Deutschland eigentlich so oft behauptet, Deutschland habe keine Verfassung bzw. das Grundgesetz sei keine Verfassung?

Wahrscheinlich wegen des Artikel 146:

"Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

Das kann man so verstehen, dass das Grundgesetz nur als ein vorübergehendes Gesetz für einen Teil Deutschlands gedacht war. Nach der Einheit sollte das gesamte Volk dann eine Verfassung beschließen, die dann auch als solche bezeichnet werden sollte. So hat man es uns zumindest damals in der Schule beigebracht.
Praktische Auswirkungen hat dies jedoch keine. Das Vereinigte Königreich z.B. hat meines Wissens gar keine schriftliche Verfassung in unserem Sinn und funktioniert trotzdem.
 
Zumal es ja auch Bundesverfassungsgericht und nicht Bundesgrundgesetzgericht oder Verfassungsschutz und nicht Grundgesetzschutz heißt. Schon allein deswegen war mir diese Behauptung eigentlich nie logisch.

Sehe ich auch so. Lässt man einfach die Statistik sprechen:
Verfassungsbeschwerde ? Wikipedia

Die "Anzweifelungen" in Bezug auf den Verfassungscharakter sind politisch motiviert. Rechtshistorisch bzw. juristisch ist eine Diskussion bis auf einige obskure Randmeinungen (a.a.A. :devil:) nicht existent.

Die Rechtswirklichkeit zeigt sich dagegen in den Verfassungsbeschwerden und in den zahlreichen Fällen der verfassungsseitigen Überlagerung von Gesetzen, Haushaltsregelungen, politischen Entscheidungen etc. seit 1949, im Übrigen im Vorgang der Wiedervereinigung.
 
Mit der ersten gesamtdetschen Bundestagswahl und einer Wahlbeteiligung von über 75%, also mehr als 3/4 der Wahlbeteiligten sowie deutlich mehr als 2/3 gültiger Stimmen sind ALLE Rechtsmängel des Grundgesetzes geheilt. Durch die Wahl und gültige Abgabe der Stimme stimmten alle beteiligten Wähler zu, das die Gesetze der alten BRD für die gesamte neue BRD gelten sollen. Also auch das GG als "Verfassung".
 
Noch einmal: Eine Verfassung muss weder von einer dazu gewählten Verfassung ausgearbeitet noch vom Volk in einer Abstimmung angenommen werden. Häufig entstehen Verfassungen ohnehin in einem revolutionären Akt unter Bruch der Vorgängerverfassung. Dennoch kann man nicht sagen, die neue Verfassung sei verfassungswidrig oder sonstwie rechtlich mangelhaft, denn eine Verfassung bildet selbst die Grundlage des Rechts, hat aber selbst keine rechtliche Grundlage, auf der sie basieren würde oder könnte (wenn man metaphysische "Rechtsordnungen" wie das "göttliche Recht" oder das "Naturrecht" ausklammert).

Auch davon abgesehen verstehe ich nicht, wie die Teilnahme an einer Bundestagswahl allfällige "Rechtsmängel" des Grundgesetzes heilen soll. Bei einer Bundestagswahl wird der Bundestag gewählt, nicht über das Grundgesetz abgestimmt.
 
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