Die Bremer Kogge von 1380

Nosferatu

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Anfang der 60er Jahre wurde aus dem Schlick der Weser ein Schiffswrack geborgen, das den Anlaß für die spätere Gründung des Deutschen Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven geben sollte, wo diese einmalig gut erhaltene Kogge heute das zentrales Exponat der schiffahrtsgeschichtlichen Sammlung bildet.

In zahlreichen Publikationen wurde dieser Fund bisher beschrieben und Nachbauten befahren seit Jahren die Ost- und Nordsee und vermitteln damit das Bild eines typischen kombinierten Frachters und Kriegsschiffes der Hansezeit.
So jedenfalls die offizielle Lesart. Stimmt das aber wirklich? Hatten Koggen tatsächlich nur ein Kastell? Und was hat es mit dieser ominösen "Violine" auf sich, die den Bug ziert und um die man seit Jahrzehnten einen großen Bogen macht, um sie nicht erklären zu müssen?

Zur Klärung dieser Fragen sind Nautiker gefragt, Navigationsgeschichtler und Geschichtsdetektive. Vielleicht auch Psychologen, die sich mit dem Phänomen der Verdrängung unangenehmer Fragen befassen. Wie auch immer. Interessiert sich jemand für diesen spannenden Geschichtskrimi um ein halbfertiges, verschüttgegangenes, wiederaufgefundenes und (m.E.) fehlinterpretiertes Schiffswrack von internationaler Bedeutung?
 
In zahlreichen Publikationen wurde dieser Fund bisher beschrieben und Nachbauten befahren seit Jahren die Ost- und Nordsee und vermitteln damit das Bild eines typischen kombinierten Frachters und Kriegsschiffes der Hansezeit.
So jedenfalls die offizielle Lesart. Stimmt das aber wirklich? Hatten Koggen tatsächlich nur ein Kastell? Und was hat es mit dieser ominösen "Violine" auf sich, die den Bug ziert und um die man seit Jahrzehnten einen großen Bogen macht, um sie nicht erklären zu müssen?

Wer behauptet, daß Koggen nur ein Kastell besaßen?
Es gibt verschieden Bauten unter den Koggen, wie unter jedem Schiffstyp. Abhängig war hier der Zeitraum, indem ein Schiffstyp genutzt wurde und das fortschreiten der Erfahungen beim Schiffbau Neuerungen mit sich brachten, wie sich auch Änderungen an Schiffstypen durch den Nutzen ergeben, bis hin zur Frage, wie hoch die finaziellen Mittel für den Schiffbau reichten.

So kann es Koggen mit einem Heckkastell, oder einem Bug und Heckkastell gegeben haben, was auch auf eine starke militärische Nutzung hinweist, oder nur ein kleines Heckkastell, zu Aufnahme der Ruderanlage usw.

Vielleicht kannst Du ja näher auf deine Frage eingehen, daß trifft auch auf die Bugzier der Bremer Kogge zu. Wobei es hier sehr schwierig sein wird, ohne die weitere Geschichte eines Schiffes herauszufinden, warum ausgerechnet dieses Gebilde als Bugzier diehnte. Da beginnt m.E. schon die Kaffeesatzleserei.
 
Was soll hier eigentlich der "spannende Geschichtskrimi" sein ? Dass die Kogge kein Bugkastell hat? Das konnte im Kriegsfalle jederzeit nachträglich aufgebaut werden. Auch die Venezianer rüsteten ihre Handelsgaleeren für Kriegseinsätze einfach um und bauten bauten wahre Wehrtürme am Bug auf, die nach erfolgten Einsatz wieder entfernt wurden. Auf zeitgenössischen Abbildungen gibte es beide Varianten der Kogge sowohl mit als auch ohne Bugkastell.
Wenn man für ein Bauteil, wie die von dir erwähnte Violine keine Erklärung hat so bringt es ziemlich wenig großen Geheimnisse hineinzudeuten. Ich verstehe nicht weshalb das die Bedeutung des Fundes schmälern sollte.
 
Ich beschreibe vielleicht erst einmal den Fundzustand des Wracks, um dann auf die diversen Rekonstruktionsversuche dieser Kogge zu kommen, die meiner Meinung nach unzutreffend sind, da sie weitergehende bildliche Quellen vollkommen ignorieren. Warum müssten hier aber weitere Quellen herangezogen werden? Weil es sich bei diesem Schiffswrack um eine unfertige Bauruine handelt, die außer einer Zimmermannskiste nichts enthielt, leider aber auch keine Spuren eines Bugkastells aufweist, wie man dieses von vielen Abbildungen dieser Zeit um 1380 her kennt. Allerdings war das große Heckkastell bereits gezimmert, weshalb sich das Schiff schon mal in eine der Kategorien "Koggen ohne Kastelle" bzw. "Koggen mit Kastellen" einordnen lässt. Eine dritte Zwischenkategorie existiert nämlich nicht, auch wenn die Bremerhavener Koggenpublikationen immer wieder ein ungewöhnliches dänisches Deckenfresko anführen, um nicht ganz ohne Belege dazustehen. Dieses zeigt zwei stilisierte Koggen mit Heckkastell und scheinbar ohne Pendant am Bug, wobei bei einem der Schiffe die Sicht durch das Segel verdeckt ist und beide in ihrer künstlerischen Freiheit ohnehin nicht so recht dem gängigen Koggenbild des ausgehenden 14. Jahrhunderts entsprechen.

Ein überzeugendes Indiz bzw. ein direkter Beweis für den geplanten Bau eines Bug- oder besser gesagt Stevenkastells ist jedenfalls der überlange, weit aus dem Rumpf hervorragende Vordersteven, dessen breiteste Stelle sich genau dort befindet, wo auf den gängigen Siegelabbildungen das zumeist kleine Kastell auf einer Salingkonstruktion befestigt ist. Ich gehe also davon aus, daß es dort im weiteren Baufortschritt auch installiert werden sollte.
Damit ist noch nicht widerlegt, daß eine solche Wehranlage eventuell nur bei Bedarf montiert, ansonsten aber zerlegt mitgeführt oder ganz zurückgelassen wurde. Eine solche These müsste allerdings durch mehr als nur eine nicht einmal besonders überzeugende Abbildung belegt werden können. Vor allem aber sollte man sie vor dem Hintergrund der damaligen Gefahrenlage betrachten, denn es waren politisch unsichere Zeiten und die Handelsschiffahrt war zusätzlich der Piratengefahr ausgesetzt. Störtebeker und seine Vitalienbrüder waren schließlich keine Sagengestalten, sondern eine reale und permanente Bedrohung.
Daß die Bremer Kogge sich auf Kriegshandlungen einstellen musste, sieht man bereits an den bisher nirgendwo anders nachgewiesenen Wantschutzkästen, die wohl keinen Spritzwasserschutz darstellten, sondern das Durchschlagen der Wanten oder auch das bequeme Aufentern von einem längsgehenden feindlichen Schiff aus zu verhindern hatten. So jedenfalls die Meinung der Bremerhavener Schiffsgelehrten.
Besser war es natürlich, feindliche Schiffe von vorneherein auf Distanz zu halten. Die gängige Waffe hierfür war der Bogen, und ihre Schützen bevorzugten naturgemäß erhöhte und geschützte Kastelle. (Die typischen Zinnen von Kastellen dieser Zeit hatten nicht nur ornamentalen Wert, sondern dienten vor allem als Schutz für aufrechtstehende Bogenschützen.)
Was weiter gegen die Annahme einer lediglich temporären Installation dieses Kastells spricht, ist seine Nützlichkeit für den Ausguck; Mastkörbe waren ja damals noch nicht üblich. Auch zum Loten waren sie sicherlich ganz bequem, vor allem aber dienten sie als Windfang, der die an den stevenkastelllosen Nachbauten festgestellte, durch die große Lateralfläche des Hecks verursachte Luvgierigkeit zumindest etwas dämpfen konnte. (Ich hatte einmal Gelegenheit, an der Pinne der Kieler Kogge zu stehen und weiß, welchem Preß man sich mit aller Kraft entgegenzustemmen hat.)

Auf die "Violine" möchte ich vorerst nicht eingehen, denn zu diesem Thema kann man wirklich nur spekulieren. Die Kastellfrage ist jedoch alles andere als spekulativ :)=
 
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An der Rekonstruktion der Bremer Kogge hat es mich schon immer gestört, dass sie völlig das reichlich vorhandene zeitgenössische Bildmaterial ignoriert.

Abgesehen vom fehlenden Bugkastell, stört mich das m.E. zu große und plumpe Heckkastel, dass dazu noch völlig waagerecht liegt, wie die Brücke eines modernen Hafenschleppers, während bei allen mir bekannten Darstellungen, das Kastell mehr oder wenig geneigt dem Decksprung folgt.

Was ist aber mit der "Violine" gemeint?
 
Viele Nachbauten historischer Schiffe sind nicht besonders gelungen. Ich denke da nur an die "Golden Hind" von der es einen ganz grauenhaften Nachbau in England gibt. Die deutschen Koggenimitate sind auch nicht der Knüller.
Die besen Nachbauten historischer Schiffe liefern da die Holländer.
Die Bugkastelle der Koggen waren, wenn man die Siegelbilder betrachtet ziemlich klein und dürften höchstens drei bis vier Bogenschützen Platz geboten haben. Als Ausguckplatz und für das Lot auszuwerfen war es aber sicher sehr tauglich.
 
Die "Violine" ist eine Wortschöpfung des Zeichners der Rekonstruktionspläne der Bremer Kogge Werner Lahn für ein merkwürdig konturiertes Brett, das sich am Vordersteven der Kogge befindet. (Wenn ich wüsste, wie man hier Abbildungen postet, würde ich das gerne machen. Also ist vorerst Googeln angesagt ...)

"Violine" ist vielleicht etwa gewagt assoziiert. "Pinnkompaß" wäre wahrscheinlich treffender, obwohl ich damit meiner Deutung dieses merkwürdigen Teils vorgreife. Storno also, bis auf weiteres zumindest. :)=

Was die Positionierung des Heckkastells betrifft bin ich allerdings weniger durch den durchaus zeittypischen mangelnden Sprung und seiner dem Original entsprechenden Größe irritiert, sondern vielmehr durch seine Ausgestaltung als friedliche Sonnenterrasse, wo man den Zeitumständen angemessen doch eher von einer gut bewehrten Gefechtsstation ausgehen sollte. Ich werde das noch ausführlich ansprechen.
 
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@Galeotto

Im Gegensatz zur Landarchitektur ist nahezu alles, was jemals an Schiffen gebaut wurde unwiederruflich zerstört. Deswegen ist die Rekonstruktion dieser architektonischen Konstrukte zum Verständnis der Geschichte auch so wichtig.
Nachbauten von Schiffen sollten uns ein möglichst korrektes Bild der Vergangenheit vermitteln und deshalb muß man sie auch kritisieren, wenn sie diesem hohen Anspruch nicht genügen. Ich würde mich hier nie mit den absurden Theaterkoggen der Störtebekerfestspiele beschäftigen, aber sobald eine Wissenschaftlichkeit vorgegeben wird, muß diese auch kritisiert werden, wenn es denn etwas zu kritisieren gibt :)=
 
Ich bitte einmal folgende Koggennachbauten zu googeln:

"Kieler Kogge" - der qualitativ beste Rekonstruktionsversuch der originalen Bremer Kogge.

"Ubema von Bremen" - schon etwas zweifelhafter, vor allem durch den merkwürdigen Papierkorb im Masttop.

"Roland von Bremen" - ein reines Touristenschiff in Ikea- Kiefer- Optik und mit aufdringlich gestaltetem Klappmast.

Kamper Kogge - sehr schöne Nachempfindung des Kampener Koggenfundes.

Poeler "Kogge" - auch "Wismaria" genannt. Die freie Interpretation eines Wrackfundes aus dem späten 18. Jahrhundert, fälschlicherweise als mittelalterliche Kogge bezeichnet.

Alle diese Schiffsnachbauten sind mit einem Heckkastell, jedoch ohne Bugkastell ausgerüstet. Die ersten drei haben die Bremer Kogge als Vorbild, womit der Grund dieser Bauweise klar sein dürfte. Was aber bewog die Erbauer der beiden anderen Schiffe, genauso zu verfahren? Ihre Vorbilder waren weit weniger gut erhalten und von Resten von Aufbauten kann bei ihnen schon gar keine Rede sein. Auch sie orientierten sich also an den Vorgaben der Bremerhavener Koggenexperten, ohne sich an der Fragwürdigkeit einer einkastelligen Kogge zu stören.
 
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@Nosferatu , ich bin vollkommen Deiner Meinung dass ein historischer Nachbau so korrekt wie möglich sein sollte. Man muss allerdings auch bedenken, dass die Schiffsbauer, sobald sie mit ihrem Gefährt in See stechen wollen den heutigen Sicherheitsbesimmungen unterliegen. So sind sie Z. B. verpflichtet die Segler mit einem Motor auszustatten was schon einmal den Traum von der historischen Korrektheit scheitern lässt. Vielleicht hat irgend ein Beamter ernstafte Bedenken über die Sicherheit des Kastens auf dem Vordersteven, schon darf er nicht draufgebaut werden.
Im Genfer See schwimmt beispielsweise ein recht gelungener Nachbau einer französischen Galeere. Er war gut bis die Segel dazukamen. Statt der Lateinersegel waren da plötzlich Gaffelsegel zu sehen, die niemals auf Galeeren zu finden waren. Offenbar erlaubten da auch irgendwelche Sicherheitsvorschriften nicht die überlangen Lateinerruten einzusetzen. Inzwischen ist die Galeere vollkommen zum Touristenpartypott verkommen. Aber das ist wohl der Preis dafür, dass alles, wofür Geld ausgegeben wird auch Geld verdienen muss.
 
@Galeotto

Diese Regulierungswut macht wirklich viel kaputt, das ist leider wahr :-(
Und wenn man sich dem widersetzt, wie im Fall der niederländischen "Kamper Kogge", darf man nur mit Schlepperbegleitung auslaufen. Manchmal ist die Erfüllung solcher Auflagen aber auch nur ein willkommener Vorwand, um möglichst viel Profit aus solchen "Nachbauten" zu ziehen, wie etwa bei der berüchtigten "Lisa von Lübeck", die einen Holk von ca. 1480 darstellen soll. (Ein reines, haarsträubend "rekonstruiertes" Kommerzschiff, dessen angebliche wissenschaftliche Fundiertheit nur dazu diente, möglichst viele Fördergelder einzustreichen.)
Galeeren mit Gaffelrigg sind natürlich auch sehr gewöhnungsbedürftig. Darauf ist noch nicht einmal Chapman in Schweden gekommen.

Aber um auf die diversen Koggennachbauten zurückzukommen, so haben wir hier doch tatsächlich das merkwürdige Phänomen, daß ein unvollständiges Wrack in seiner Unvollständigkeit als Vorbild einer ganzen Generation von Koggenreplikas dient. Wobei einzuschränken ist, daß man sich durchaus die Unkorrektheit erlaubte, die Nachbauten des Bremer Kogge mit Ruder und Mast auszustatten, obwohl diese Bauteile am Wrack selbst nicht aufzufinden waren :)=
 
Ich nehme an, Ihr kennt alle das Ebersdorfer Koggenmodell:

Ebersdorfer Koggenmodell ? Wikipedia

und die "Coca de Mataró":

mataro

Letztere stammt zwar aus einer anderen geografischen Umgebung (Mittelmeer) und ist Kraweel gebaut, ihre Aufbauten enthalten jedoch viele Details die man auch auf Nordeuropäischen Darstellungen (Altarbildern, Codices, Seekarten und Siegel) wiederfindet.

Eigentlich gibt es, zwischen den Archäologischen Resten, den bildlichen Darstellungen und den Modellen, keinen Grund einen historisch völlig inkorrekten Nachbau eines Schiffes aus dem späten Mittelalter zu liefern.
 
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Wunderschöne Modelle sind das und wohl auch mit die ältesten, die uns erhalten blieben (von ägyptischen einmal abgesehen).

Allerdings handelt es sich bei beiden um Votivschiffe, die zwar alle Details korrekt wiedergeben, die Proportionen der realen Vorbilder aber verzerren. Meist sind solche Modelle zu gedrungen gebaut, was sich besonders bei der Katalanischen Nao aus Mataró feststellen lässt. Aber auch dem Ebersdorfer Modell sollte man in dieser Hinsicht nicht trauen und es schon gar nicht in exakt denselben Proportionen in Originalgröße nachbauen, wie das gerade im Freilichtmuseum Ukranenland geschieht.

Dieses Ebersdorfer Modell zeigt schon einen auffällig gerundeten Vordersteven, obwohl es noch nicht dem modernen Typus des Holks entspricht. Aber Koggen wurden ja auch noch nach 1400 gebaut und vielleicht lediglich in solchen baulichen Details der Mode der Zeit angepasst. Andererseits ist nicht auszuschliessen, daß solche Steven nicht doch schon vor 1400 auftraten, etwa infolge einer Verschmelzung von Knorre und Kogge. Das schwedische Kalmarboot von etwa 1250 könnte ein solcher Fall sein.
 
Die proportionen sind bei mittelalterlichen Darstellungen immer ein Problem. Auch bei den Bildern. Trotzdem vermitteln sie viele nützliche Details. Die Schiffe auf der Warwick Roll sind z.B. auch desproportioniert, sie zeigen aber eine Fülle an Informationen, so z:B. der Bug eines Schiffes, das der Coca de Mataró sehr ähnelt.

Das Ebersdorfer Modell weicht m.E. in den Proportionen übrigens von der Bremer Kogge nicht so stark ab und zeigt auch die charakteristischen Balkenköpfe die durch die Beplankung gehen.
 

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Ja, die Schiffe der Warwick Roll sind auch schon veritable Karracken, die man anhand dieser einmaligen Zeichnungen ziemlich vorbildgetreu rekonstruieren könnte, zumindest ihr äußeres Erscheinungsbild. Die Personenstaffage ist wie immer viel zu groß wiedergegeben, aber das kennt man ja :)=

Es gibt tatsächlich eine Menge brachliegender Quellen, aber unsere Kollegen von der Modellbauerei lassen lieber die hunderttausendste Victory wiedererstehen, bevor sie sich an solche faszinierende Vorlagen wagen. Leider! :-(

Und das Ebersdorfer Modell bewegt sich tatsächlich im von der Bremer Kogge gewohnten Rahmen, das stimmt. Dennoch ist es natürlich absurd, dieses Modell laserzuvermessen und es penibel genau umzusetzen. Solche Aktionen dienen vor allem dem (zweifelhaften) wissenschaftlichen Renommeé, mit dem sich die Rekonstruktionsprojekte gerne schmücken. Bei der "Lisa von Lübeck" war es der erfolgreiche wissenschaftlich durchgeführte Test des Rumpfmodells im Strömungskanal, der dem zu bauenden Schiff günstige Schwimmeigenschaften bescheinigte und dem ganzen Projekt den Stempel der Wissenschaftlichkeit aufdrückte. Ungeachtet des Umstandes, daß die Lübecker einfach die Risse der englischen Karracke "Mary Rose" von 1515 nahmen, um diese für ihren Ostsee-Holk von 1480 zu verwenden :)=

Die von dir erwähnten Balkenköpfe außenbords sind ja ein typisches Koggenmerkmal, das bei keinem anderen Schiffstyp vorkommt. "Durchgebalkt" nannte man diese Schiffe und jeder wusste, daß es sich um eine Kogge handelt.
 
Koggen des 14. Jahrhunderts kann man oft auf Stadtsiegeln sehen. Soweit ich diese gesehen habe, sind die Koggen darauf auch ganz ohne Kastelle.
Kieler Hanse Siegel.jpg
Na ja, bevor man über Nachbauten meckert ... man sollte sie als Versuche ansehen. Allerdings, Gaffelbetakelung bei einer Galeere des Mittelmeeres geht gar nicht. Ich glaube, die ist gemeint:
Galere.jpg
Die Batavia finde ich unteranderem auch sehr schön:
batavia.jpg
 
Rurik, das war doch der Name der russischen Brigg, mit der Adalbert von Chamisso seine Weltreise unternahm. Ich habe das Heck dieses Schiffes einmal für eine Museumsausstellung nachgebaut bzw. nachempfunden. Die ausführenden Handwerker wunderten sich, in wieviele Richtungen gleichzeitig sich Hölzer verbiegen lassen. Sie waren ja nur ihre 90°Winkel gewohnt :)=
Aber das ist eine andere Geschichte...

Du zeigst hier das Kieler Siegel mit der frühesten Erwähnung von 1365. Daß Koggen durchaus ohne Kastelle gebaut wurden, hatte ich ja schon erwähnt. Koggen hatten wie die anderen Schiffstypen des Mittelalters eine jahrhundertelange Entwicklungsgeschichte hinter sich, an deren Ende sich erst die Kastelle herausbildeten, und das wohl auch nur bei den größeren Exemplaren. Worum es mir hier geht, ist zu beweisen, daß es entweder nur Koggen ohne Kastelle gab oder aber Koggen mit Kastellen, während auf dem heutigen Koggenmarkt anscheinend nur Koggen mit nur einem Kastell gefragt sind, was eben kein historisches Vorbild hat.
Dieses Kieler Schiff beweist übrigens, daß Koggen bis zu einem gewissen Grad am Wind segeln und wohl auch kreuzen konnten. Die Rah ist hier bis zum Anschlag längsgebrasst und das Segel wirkt wie das Gaffelsegel eines Schoners.

Den Bau der Batavia in Lelystad habe ich über viele Jahre verfolgt. Leider ist das Ijsselmeer aber zu flach, um mit ihr segeln zu können, weswegen sie nur noch als stationäres Museumsschiff dient. Dein Foto zeigt sie anlässlich der Olympiade in Sydney, als sie sich das erste und letzte mal so richtig im Meer austoben konnte :)=

Danke übrigens für die Galeerenabbildung! Ich kannte dieses Schiff bisher noch nicht.
 
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Koggen des 14. Jahrhunderts kann man oft auf Stadtsiegeln sehen. Soweit ich diese gesehen habe, sind die Koggen darauf auch ganz ohne Kastelle.

Mich persönlich stört das Fehlen des Vorderkastells auch weniger, als die Audführung des plumpen rechteckigen und völlig waagerechten Achterkastell.

Die Betakelung der Galeere ist echt schade, das Schiff sieht ansonsten recht gelungen aus. Ich könnte mit jedoch vorstellen, dass es rein praktische Gründe hat: Die Lateinerbesegelung ist nicht einfach zu handhaben und die lange Stenge ist sehr schwer. In Spanien gibt es eine kleine aber aktive Traditionsszene, die noch die Fischerboote im alten Stil segelt. Und schon bei einem mittleren Llaud braucht man vier bis fünf kräftige Mann um das Segel zu hissen.

Die Batavia ist, zumindest was man von aussen betrachten kann, eine tolle Rekonstruktion.
 
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Hallo Nachbar :)=


Danke nochmal für deine Hilfe beim Bilder hochladen!
Ich versuch´s jetzt einfach mal. Vielleicht klappt´s...
Tatsächlich! Geht doch...

Das ist hier nur mal so ne Art 3D-Skizze aus einem Karton-Bastelbogen der Bremer Kogge gebaut. Eigenmächtigerweise habe ich mir erlaubt, diese in Einklang mit den seinerzeit üblichen Koggenabbildungen zu bringen. Das Kastell fügt sich hervorragend in die Gesamtoptik ein und wenn dann noch das Heckkastell den mittelalterlichen Vorbildern entspricht, dann wirkt auch das nicht mehr so plump und unfertig. (Das Kastell des Originals war übrigens bereits schief gezimmert und hängt vielleicht achterlich auch etwas durch. Ob das an den verzogenen Hölzern des Wracks liegt oder ob damals tatsächlich so grob gebaut, um nicht zu sagen gepfuscht wurde, kann ich allerdings nicht beurteilen.)

Daß die Unterscheidung in Handels- und Kriegsschiffe damals bei der Hanse unbekannt war, hatte ich ja schon angedeutet. Deswegen tragen so gut wie alle Koggen des späten 14. Jahrhunderts diese typischen Kastelle, die wie gesagt als Deckung für die Bogenschützen dienten. Die Öffnungen waren gewissermassen Vorläufer der späteren Stückpforten.

Ein großes Schiff wie die Bremer Kogge, das sogar mit aufwendigen Wantschutzkästen ausgerüstet war, trug m.E. auf jeden Fall diese mannshohen Zinnen, die in zeitgenössischen Abbildungen gelegentlich die Struktur der norddeutschen Backsteingotik zeigen. Aufgemalt natürlich nur, vielleicht, um die Wehrhaftigkeit ihrer Städte auch auf See zu demonstrieren. Deswegen auch die von mir angewandte Farbgebung Ziegelrot/Hellgrau, was ja auch die Hansefarben Rot/Weiß wiedergibt.
 

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Die Betakelung der Galeere ist echt schade, das Schiff sieht ansonsten recht gelungen aus. Ich könnte mit jedoch vorstellen, dass es rein praktische Gründe hat: Die Lateinerbesegelung ist nicht einfach zu handhaben und die lange Stenge ist sehr schwer. In Spanien gibt es eine kleine aber aktive Traditionsszene, die noch die Fischerboote im alten Stil segelt. Und schon bei einem mittleren Llaud braucht man vier bis fünf kräftige Mann um das Segel zu hissen.

Geplant waren die Lateinersegel ursprünglich. Ich denke aber doch, dass der Sicherheitsaspekt durchaus eine Rolle spielte. Über 20 Meter lange Hölzer über den Köpfen der Touristen an ein paar Tauen hängen zu lassen wird keine Haftpflichtversicherung mittragen. Die großen Lateinerruten waren nicht ungefährlich wie schon in zeitgenössischen Berichten nachzulesen ist. So erwähnt Michael Heberer einen Unfall mit einer niederstürzenden Lateinerrah und auch Jean Martheilhe erwähnt die Möglichkeit, dass ein plötzlicher Seitenwind der auf die riesigen Segel traf eine schmale Galeere sehr schnell zum kentern bringen konnte. Das Setzen der Lateinerrah auf einer Galeere war nicht so schwer ,wie bei einem Fischerboot da sie über Fallblöcke mit entsprechender Übersetzung verfügten. Kleine Boote haben diese in der Regel nicht. Cervantes und Heberer schildern mit welcher unglaublichen Geschwindigkeit die Segel gesetzt und die Rahen auf -und abgefiert werden konnten.

Die Batavia finde ich auch sehr gelungen. Ich schrieb ja schon, dass die Holländer wahrscheinlich die besten Repliken bauen. Gegenwärtig arbeiten sie an der "Zeven Provinzien" ,die sicher auch wieder sehr gut wird.
 
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