@ Köbis17
Du hattest mich gestern nach den Rekonstruktionsprinzipien bei alten Schiffen gefragt, die durch überkommene Pläne oder ähnliches nicht belegt sind.
Bereits Ende des 18. Jahrhunderts begann man sich für die Schiffe der Antike zu interessieren und versuchte sie zeichnerisch zu rekonstruieren, allerdings kamen dabei ziemliche Phantasiegebilde heraus, weil die Quellen meist romantisch verfälscht und fast schon karikiert wurden.
Als dann die ersten Wikingerschiffe gefunden wurden, setzte eine regelrechte Begeisterung für alte Schiffe ein, so auch im deutschen Kaiserreich, wo Amateurforscher begannen, die Wikingerzeit, die Hanse oder auch die kurbrandenburgische Marine als Vorläufer der kaiserlichen Marine in Zeichnung und Modell wiederauferstehen zu lassen.
Hansekoggen waren dabei schon immer das bevorzugte Sujet auch für Modellbauer. Eigentlich definiert wurden sie aber erst 1956 durch Paul Heinsius, der in seiner Dissertation "Das Schiff der hansischen Frühzeit" Kriterien herausarbeitete, an denen man den Koggentyp festmachen konnte. (Die Bremer Kogge konnte dadurch erst eindeutig identifiziert werden.)
Heinsius wertete dafür systematisch Siegelabbildungen aus, die bis dahin nicht besonders ernst genommen wurden, weil man annahm, daß sie die Schiffe verzerrten. Anhand dieser Siegel und der Auswertung von Archivalien ließen sich jedoch die Unterschiede zwischen Knorre, Holk und Kogge eindeutig festlegen.
Mit der Bremer Kogge hatte man nun erstmals ein originales Koggenexemplar in der Hand, das natürlich zum Nachbau einlud, um die Segeleigenschaften, die Geschwindigkeit und das Seeverhalten eines solchen Schiffes erstmals zu überprüfen.
Etwas anderes ist es, wenn man kein Original hat und überwiegend nach bildlichen und textlichen Quellen zu rekonstruieren gezwungen ist. Das wurde beispielsweise in Lelystad beim Bau der Batavia praktiziert. Von der originalen Batavia war kaum etwas erhalten geblieben, so daß man die Bautechnik der nach holländischer Art gebauten Vasa an die Bedürfnisse des zeitgleichen Ostindienfahrers anpasste, die Textquellen beachtete und ansonsten pragmatisch vorging und das Schiff unter der Leitung des erfahrenen Holzschiffbauers Willem Voß vollendete. Man nannte das ganze "Experimentelle Archäologie".
Unter dieser Flagge der experimentellen Archäologie segelte dann auch das Lübecker Rekonstruktionsprojekt eines Holks des späten 15. Jahrhunderts, der "Lisa von Lübeck".
Kurioserweise datierte man diesen Dreimaster lange Zeit in das frühe 15. Jhdt. da man es versäumt hatte, das erste Auftauchen von kraweelen Schiffen dieser Art zu recherchieren. Dann nahm man einfach den Rumpf der Karracke "Mary Rose" aus dem 16. Jhdt. und setzte ihm ein Kastell aus dem 15. Jahrhundert auf, was zu der bisher einmaligen Konstruktion eines allseits überkragenden Heckkastells über einem Spiegelheck führte.
In dem Buch "Lisa von Lübeck. Das Hanseschiff des 15. Jahrhunderts" eines Herrn Burkhard Bange ist dann noch neben anderem Unsinn nachzulesen, daß das Unterwasserschiff nach gutem alten hansischen Brauch mit Kupferplatten beschlagen wurde, um den gefräßigen Schiffsbohrwurm fernzuhalten. Diese Methode kam allerdings erst im 18. Jhdt. bei der Royal Navy auf und der Schiffsbohrwurm Teredo navalis gelangte auch erst während der letzten Jahrzehnte in die westliche Ostsee.
Das wäre alles halb so tragisch, wäre diese Projekt nicht mit Millionen aus öffentlichen Steuermitteln gefördert worden. Es genügte offensichtlich, einen "Wissenschaftlich-technischen Beirat" ins Leben zu rufen und ein Rumpfmodell in den Strömungskanal der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau in Berlin zu setzen und schon erhielt man seine wissenschaftlichen Weihen. So kann´s also auch laufen mit dem historisch fundierten Nachbau alter Schiffe, um wieder zum Thema zurückzukommen. Auf diesem Gebiet sind wenige wirkliche Fachleute unterwegs. Selbst die Schiffahrtsabteilung des Deutschen Technikmuseums Berlin präsentierte einmal ein schlimm historisierendes Dreimastermodell aus der Vorkriegszeit als "Votivschiff einer Kogge". Irgendwann wurde dieser Staubfänger wieder entfernt, aber wahrscheinlich erst nach Hinweisen von Besuchern. Auch das schon erwähnte Modell des Danziger Holks von 1400 rangiert in diesem Museum noch immer unter der Bezeichnung "Kogge", obwohl international längst bekannt ist, welche eigentliche Bezeichnung und somit Bedeutung gerade diesem Schiff zukommt
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