Verhältnis Byzanz zu den westeuropäischen Staaten

Carolus

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Wie entwickelte sich das Rechtsverhältnis des (Ost-)Römischen Reiches bzw. Byzantinischen Reiches zu den Staaten in West- bzw. Mitteleuropa im frühen Mittelalter?

In der Spätantike entstanden die "barbarischen" Föderatenstaaten der Franken, Westgoten, Ostgoten, Langobarden, Vandalen auf dem Territorium des Römischen Reiches. Formell bestand eine Oberhoheit des Römischen Kaisers in Konstantinopel, und diese Germanenstaaten waren immer noch Teil des Reiches.

Mit der Kaisererhebung Karls des Großen im Jahre 800 aufgrund einer "vermeintlichen" Thronvakanz wurde die universale Kaiserwürde in den Westen "zurückgeführt". In den Folgejahren erkannten sich die beiden Kaiser gegenseitig an. -> Zweikaiserproblem ? Wikipedia

Mußten die Herrscher der Germanenreiche ihre Treue zum Kaiser "schwören"? Galten Anweisungen und Rechtsnormen aus Konstantinopel auch im Westen?
 
Spätestens nach 476 dürfte mit einer nominellen Herrschaft der römischen Kaiser über die Foederati Schluss gewesen sein. Und - abgesehen von den Westgoten die ja tatsächlich für das römische Reich Polizeiaufgaben in Spanien übernahmen (vor der westgotischen Ansiedlung in Spanien) waren ja auch viele der Völkerwanderungskönigreiche keineswegs vertraglich an das römische Reich gebunden (wiewohl es wohl lokal offenbar Versuche von Übereinkünften gab, etwa Childerich mit Syagrius). Zwischen dem Oströmischen Reich und Ostgoten, Westgoten, Vandalen etc. herrschte immer wieder offener Krieg.
 
Mußten die Herrscher der Germanenreiche ihre Treue zum Kaiser "schwören"? Galten Anweisungen und Rechtsnormen aus Konstantinopel auch im Westen?

Mir sind aus dem hohen Mittelalter auf Anhieb keine wie auch immer gearteten Untergebenheitsbeziehungen der westlichen Reiche zu Byzanz bekannt. In der Spätantike kenne ich nur die Beispiele Odoaker und Theoderich, die ja mehr oder weniger auf Weisung des Ostkaisers in Italien aktiv wurden. Nach dem Ende des Ostgotenreichs und der Etablierung der Langobarden in Italien hatte es keine politischen Verbindungen Galliens, Hispaniens und Germaniens zum Ostreich mehr gegeben. Das Frankenreich expandierte losgelöst von Einflüssen aus Byzanz und die Westgoten waren schon schnell der islamischen Expansion zum Opfer gefallen.

Nachdem Karl der Große im Westen das Kaisertum restaurierte, war dieses für die dortigen Königreiche (fränkische Teilreiche) zum Dreh- und Angelpunkt geworden. Gegenüber dem Ostkaiser jedenfalls war keiner der Könige zur Treue verpflichtet. Die Separierung zu diesem hatte sich ja außerdem durch das bis haute bestehende Kirchenschisma verfestigt. Der Gegensatz zwischen barbarischem Westen und griechischem Osten wird besonders im Konflikt zwischen den Süditalienischen Normannen mit Byzanz deutlich, der sich vom 11. bis 12. Jahrhundert erstreckte. Die Normannen hatten in Unteritalien und Sizilien auf Kosten von Byzanz ein Königreich erobert und darüberhinaus einen Dauerkrieg mit dem Kaiser geliefert.
 
Spätestens nach 476 dürfte mit einer nominellen Herrschaft der römischen Kaiser über die Foederati Schluss gewesen sein.
die sapaudischen Burgunden fühlten sich als Untertanen des oströmischen Kaisers, so lange, bis sie von den Merowingern annektiert wurden. Irgendeiner der burgundischen Könige schrieb doch einen Brief an Ostrom: "vester est populus meus" usw.
noch Chlodwig bekleidete offiziell irgendein "römisches" Amt, erst danach - wohl wegen keiner militärischen Bedrohung durch Ostrom - wurde den Merowingern egal, was der Kaiser so sagte :)
das oströmische eingreifen bei den Vandalen und den Ostgoten wurde "oströmisch rechtlich" begründet: Gelimer wie auch Witigis galten als Usurpatoren.
die span. Westgoten kündigten quasi der oströmischen formell-nominellen Oberherrschaft und kochten ihr eigenes Süppchen, vertrieben die geringfügigen Landgewinne der justinianischen Reconquista.

so ungefähr im Verlauf des 6. Jh. endete das bestreben der Barbarenherrscher, römische Ämter zu bekleiden.

Nachtrag: aus byzantinischer Perspektive gesehen, wurde es nach Justinian zunehmend schwerer bzw unmöglich, Ansprüche auf das ehemalige Westreich festzuhalten - lediglich Teile von Italien blieben länger in byzantinischem Besitz
 
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,Nach dem Ende des Ostgotenreichs und der Etablierung der Langobarden in Italien hatte es keine politischen Verbindungen Galliens, Hispaniens und Germaniens zum Ostreich mehr gegeben. Das Frankenreich expandierte losgelöst von Einflüssen aus Byzanz und die Westgoten waren schon schnell der islamischen Expansion zum Opfer gefallen.

Naja doch. Im Zuge der justinianischen Restauration gelang es auch Südspanien wieder zu erobern. Die Provinz Spania hatte immerhin gut 80 Jahre Bestand.

die sapaudischen Burgunden fühlten sich als Untertanen des oströmischen Kaisers, so lange, bis sie von den Merowingern annektiert wurden. Irgendeiner der burgundischen Könige schrieb doch einen Brief an Ostrom: "vester est populus meus" usw.
noch Chlodwig bekleidete offiziell irgendein "römisches" Amt, erst danach - wohl wegen keiner militärischen Bedrohung durch Ostrom - wurde den Merowingern egal, was der Kaiser so sagte :)

Aber war das wirklich "Hörigkeit" oder innen- bzw. außenpolitisches Kalkül?

das oströmische eingreifen bei den Vandalen und den Ostgoten wurde "oströmisch rechtlich" begründet: Gelimer wie auch Witigis galten als Usurpatoren.
Das sagt aber mehr über das byzantinische Selbstverständnis aus, als über die politischen Realitäten.

Wenn man so will, fußen die westgotischen Rechtscodices auf einer römischen Tradition. Aber darin ist eher Pragmatismus zu sehen, als politische Abhängigkeit.
 
Soweit ich das überblicke, erloschen die Föderatenverträge mit Westrom nach dessen Untergang. Was die Westgoten angeht, so wurden sie von Kaiser Julius Nepos im Jahr 475 aus dem Föderatenverhältnis entlassen und waren von da ab souverän. Das galt meines Wissens auch für das Toledanische Reich in Spanien, wo mir Föderatenverträge mit mit Ostrom, dem Nachfolger Westroms, nicht bekannt sind. -

Dass Spanien von Ostrom immer noch zu seiner Einflusssphäre gezählt wurde, zeigt das militärische Eingreifen zugunsten eines westgotischen Rebellen an der Südküste Hispaniens, wo 552 ein oströmisches Expeditionskorps landete. Auf einen Föderatenvertrag berief sich Ostrom jedoch meines Wissens nicht und es wird wohl auch keiner bestanden haben.

Anders sieht das bei den Ostgoten aus, wo sich Odoaker und Theoderich nach dem Untergang Westroms sowohl um den Titel magister militum als auch patricius bemühten, die ihnen faktisch kaisergleiche Macht verliehen. Theoderich herrschte dann als princeps romanum und "an Stelle des Kaisers" über Italien. Anders als bei den Westgoten bestand damit zumindest de jure ein Abhängigkeitsverhältnis.

Die fränkischen Stämme waren wie auch andere Germanen auf römischem Boden anfangs Föderaten. Von einem Föderatenverhältnis mit Ostrom ist nach dem Untergang Westroms und der Errichtung des merowingischen Frankenreichs allerdings nichts bekannt. Zudem ist anzunehmen, das foedera erloschen oder auch gekündigt werden konnten, wenn eine der Personen, die den Föderatenvertrag geschlossen hatten, starb.

Was die Vandalen betrifft, so sagt Gideon Maier, dass die Vandalen vermutlich als einizige niemals reguläre Föderaten gewesen seien Amtsträger und Herrscher in der Romania Gothica: Vergleichende ... - Gideon Maier - Google Books

Die Langobarden waren während ihrer Wanderung im römischen Reichsgebiet Föderaten des Kaisers, nach ihrer Reichsgründung in Italien ist jedoch von einem Föderatenverhältnis nicht mehr die Rede. Gleichwohl ist anzunehmen, dass die oströmischen Kaiser ihren Besitzanspruch auf Italien nie aufgaben. Das Mittelalter: Geschichte im Überblick - Ulrich Knefelkamp - Google Books

Man sieht also, dass die Geschichte der Föderatenverhältnisse durchaus unterschiedlich ist. Prinzipiell betrachteten jedoch die römischen Kaiser alle Germanenreiche auf römischem Reichsgebiet als abhängige Gebilde, die dem Kaiser Treue schuldeten, auch wenn sich da de facto nicht (immer) durchsetzen ließ.
 
Das sagt aber mehr über das byzantinische Selbstverständnis aus, als über die politischen Realitäten.
den Vandalen und Ostgoten machte die justinianische Reconquista den Garaus, was auch zu den politischen und militärischen Realitäten des 6. Jhs. gehört.
bei den Vandalen wirkt der casus belli sehr konstruiert - bei den Ostgoten war es wohl die gotische Ermordung der letzten Amaler (diese galten ja seit Theoderich als oströmische Vasallen), die dann als casus belli genutzt wurde; jedenfalls betrachtete Ostrom Italien zu dieser Zeit (Gotenkriege) als noch zum Reich gehörend und sie holten es sich wieder.
 
Soweit ich weiß, gab es nach der translatio imperii auf Karl den Großen keine "Treuepflicht" oder "Vasallierung" der westlichen Königreiche gegenüber dem byzantinischen Kaiser. Zumindest nicht offiziel. Es ist aber trotzdem so, dass es Kontakte zwischen Frankenreich und Byzanz gegeben hat. Immerhin hat Karl der Große mit Theophanu eine byzantinische Prinzessin geheiratet. Man kann darin finde ich durchaus den Versuch sehen die eigene kaiserliche Legitimität durch Heirat zu erhöhen und die Kontinuität der römischen Reichsidee zu betonen. Reichsteilungen waren den Römern ja nun beileibe nicht unbekannt ;-).
Soweit ich mich erinnere war Alexios I Komemnos der letzte byzantinische Kaiser der versucht hat westliche Adlige - im Rahmen des 1. Kreuzzugs durch Lehnseid an sich zu binden. Konstantiopel blieb den Kreuzfahrern so lange verschlossen bis sie sich zu einem formalen Treueeid dem byzantinischen Kaiser gegenüber genötigt sahen. Dieser Versuch war allerdings auch eher kurzlebig . . .
 
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Soweit ich weiß, gab es nach der translatio imperii auf Karl den Großen keine "Treuepflicht" oder "Vasallierung" der westlichen Königreiche gegenüber dem byzantinischen Kaiser. Zumindest nicht offiziel. Es ist aber trotzdem so, dass es Kontakte zwischen Frankenreich und Byzanz gegeben hat. Immerhin hat Karl der Große mit Theophanu eine byzantinische Prinzessin geheiratet.

Byzanz erkannte die Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 nicht an, sodass es zu scharfen Meinungsverschiedenheiten und schließlich sogar ab 806 zu kriegerischen Handlungen kam, in deren Verlauf Karls Sohn Pippin das zu Byzanz gehörende Venedig belagerte, aber nicht vollständig erobern konnte. Da der byzantinische Kaiser militärisch auf dem Balkan gegen Bulgarien engagiert war, kam es 812 zum Frieden von Aachen.

Dort wurde auch das Zweikaiserproblem zumindest formal dadurch gelöst, dass Karl den Titel "Imperator" künftig ohne den Zusatz "der Römer" führte, während sich die byzantinischen Kaiser als Basileus tôn Rhômaion, also „Kaiser der Römer“ bezeichneten. Das besiegelte die beiderseitige Anerkennung von zwei Kaisern und löste - zumindest de facto - das Zweikaiserproblem ? Wikipedia.

Mit dem Schwinden der politischen Bedeutung von Byzanz für das Abendland wurde auch das Kaiserproblem zunehmend gegenstandslos und 927 erkannte der byzantinische Kaiser Romanus I. sogar den bulgarischen Zaren Peter I. als gleichrangig an.

Irgendeine Treue- oder Gefolgspflicht der karolingischen Kaiser gegenüber Byzanz gab es also nicht, was im übrigen auch für die merowingischen Könige des Frankenreichs gilt.
 
Immerhin hat Karl der Große mit Theophanu eine byzantinische Prinzessin geheiratet. Man kann darin finde ich durchaus den Versuch sehen die eigene kaiserliche Legitimität durch Heirat zu erhöhen und die Kontinuität der römischen Reichsidee zu betonen.
Da verwechselst Du wohl Karl den Großen mit Otto II.
Möglicherweise plante Karl allerdings, die damalige oströmische Kaiserin Irene zu heiraten.

Reichsteilungen waren den Römern ja nun beileibe nicht unbekannt
Eigentlich schon. Die diversen römischen "Reichsteilungen" waren nur administrativer Natur, aber keine staatsrechtlichen Spaltungen. Entweder teilten sich mehrere Kaiser (mehr oder weniger) einvernehmlich regional die Regierung auf, betrachteten das Reich aber trotzdem als Einheit, oder mehrere Kaiser bekämpften einander, wobei jeder die Herrschaft über das Gesamtreich beanspruchte. Die Reichseinheit an sich wurde nicht formell aufgegeben.
 
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