Europa vor dem 1. Weltkrieg

Auch wenn das Einstellen lange her ist, muss man diesen Satz hier doch kritisch betrachten.
Meines Wissens nach besass das Deutsche Reich niemals auch nur annaehernd eine gefaehrliche Hochseeflotte gegenueber Grossbritannien, deswegen duerfte dies eher ein vorgeschobenes Argument sein.
Grossbritannien sah eher eine Gefahr in einem deutsch dominierten Europa und / oder der extremen wirtschaftlichen Macht seit 1871, die sich auf lange Sicht vom Pfundweltmarkt, und damit von GB haette loesen koennen, das war das letzte, was man in Grossbritannien wollte. (Auch ein Stichwort; Made in Germany als Diffamierung, welche zum Guetesiegel wird.)
Des weiteren, wie man ja am spaeteren Einbruch Russlands und der dringend benoetigten Hilfe der Anglobrueder in Frankreich gesehen hatte, haetten diese beiden alleine gegen die Mittelmaechte den Krieg nicht gewinnen koennen.
Ich denke deswegen, hier spielt vor allem wirtschaftlicher Einfluss und die beruehmte balance of power weit mehr eine Rolle, als irgend eine Flottenpolitik oder semirelevante Marokkogeschichten.

Es ist eigentlich relativ einfach:

Wenn Du in die Quellenlage der britischen Politik blickst, erkennst Du recht schnell, wie umfassend sich das Flottenwettrüsten in strategische Überlegungen und politische Handlungen (übrigens auch als Bremsspuren in die britischen Haushalte) eingegraben hat. Den Faktor "klimatisch" vor 1914 abzustreiten, entspricht nicht dem Stand der Forschung.

Umgekehrt findest Du "ökonomische Bremsspuren" in der britischen Außenpolitik nur insoweit, als diese ganz allgemein im Hochimperialismus jener Zeit verbreitet war (so zB Bagdad-Bahn). Was Konkurrenz und das Überschwemmen britischer Märkte jener Zeit angeht (zB die "grain inflation", oder Wettbewerb auf fernen Märkten) lohnt auch ein Blick auf die USA. Es gibt da interessante Untersuchungen, wie sich die deutsch-britische Wirtschaftskonkurrenz abseits üblicher verbreiteter Klischees darstellte.

Wie dann das deutsch-französisch-russische Wettrüsten zu Lande 1911/14 belegt, ist Balance of Power sozusagen die Kehrseite der Medaille "Weltmachtstreben". 1914 machte der britischen Politik eher die eingeleitete und kalkulierbare russische Aufrüstung Sorgen als die des Deutschen Reiches. Ironischerweise betrieb die deutsche Seite ihre Risikopolitik in der Julikrise und das Vabanquespiel einer Detente genau in dem Augenblick 1914, als sich die britische Regierung in ihrem globalem Denkansatz mit dem Dreh- und Angelpunkt Indien/China über die kommende russische Supermacht den Kopf zerbrach.

Ganz so einfach ist das also alles nicht. Turgot hat schon die wichtigen Hinweise gegeben, auch auf die eskalierende und in weiten Bereichen nationalistisch-hetzende Wirkung der Presse in den europäischen Großmächten ("Pressekriege", ob nun deutsch-britisch, russisch-deutsch, deutsch-französisch etc.).
 
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Danke an Turgot und Silesia fuer die aufschlussreichen Beitraege, sollte diese wohl in mein denken hierzu einbeziehen.
 
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Meines Wissens nach besass das Deutsche Reich niemals auch nur annaehernd eine gefaehrliche Hochseeflotte gegenueber Grossbritannien, deswegen duerfte dies eher ein vorgeschobenes Argument sein.
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Auf den ersten Blick ist die Aussage richtig und ich möchte Turgot und auch Silesia widersprechen, denn auch auf den zweiten Blick ist diese Aussage richtig.

Aus 2. Gründen ... nicht nur Deutschland hegte stark ambitionierte Flottenbauprogramme um die Jahrhundertwende. Genauso stark war der Flottenaufbau in den USA und Japan, aber auch Frankreich, Russland (vor allem nach dem Desaster von 1904/05) sowie Italien und Österreich-Ungarn.
Damit sah sich Großbritannien insgesamt in seiner Weltmachtstellung gefährdet!
Ich verweise dabei auf die Invasion Scare und dem Naval Scare von 1909!

Demnach hat die Angst der Briten vor einer Invasion (von wem auch Immer!) die Rüstungsspirale im Flottenbau, auch mit neuen Schiffstypen, wie dem Schlachtkreuzer oder dem neuen Großlinienschiff, angefacht bzw. seinen quantitativen Vorsprung selbst relativiert und den Seemächten Deutschland und USA praktisch eine neue Ausgangslage im Flottenwettrüsten geschaffen, die sofort aufgenommen wurde bzw. es waren die einzigsten Mächte, die den hohen wirtschaftlichen Anforderungen des neuen Flottenbaus der Engländer folgen konnten.

Hier also zu sagen, das DR sei der Initiator des Rüstungswettlaufs vor 1914 und es sei somit ein Grund für den Weltkrieg, ist nach diesen Erkenntnissen zur kurz gedacht.
 
Auf den ersten Blick ist die Aussage richtig und ich möchte Turgot und auch Silesia widersprechen, denn auch auf den zweiten Blick ist diese Aussage richtig.

Aus 2. Gründen ... nicht nur Deutschland hegte stark ambitionierte Flottenbauprogramme um die Jahrhundertwende. Genauso stark war der Flottenaufbau in den USA und Japan, aber auch Frankreich, Russland (vor allem nach dem Desaster von 1904/05) sowie Italien und Österreich-Ungarn.
Damit sah sich Großbritannien insgesamt in seiner Weltmachtstellung gefährdet!
Ich verweise dabei auf die Invasion Scare und dem Naval Scare von 1909!

Nach dem die russische Flotte von der japanischen auf dem Grund des Pazifik befördert worden war, wurde ganz eindeutig die deutsche Hochseeflotte als Bedrohungsfaktor wahrgenommen bzw. hochstilisiert. Denn die französische galt mit Abschluss der Entente Cordiale nicht mehr als feindlich und es war das erklärte Ziel der neuen britischen liberalen Regierung mit Russland zu einem Ausgleich zu kommen. Die deutsche Flotte war zu jenem Zeitpunkt, so meine ich, zahlenmäßig die zweitstärkste.

Italien war zwar noch formal Mitglied des Dreibundes, wurde aber schon nicht mehr als Gegner gesehen.

Demnach hat die Angst der Briten vor einer Invasion (von wem auch Immer!) die Rüstungsspirale im Flottenbau, auch mit neuen Schiffstypen, wie dem Schlachtkreuzer oder dem neuen Großlinienschiff, angefacht bzw. seinen quantitativen Vorsprung selbst relativiert und den Seemächten Deutschland und USA praktisch eine neue Ausgangslage im Flottenwettrüsten geschaffen, die sofort aufgenommen wurde bzw. es waren die einzigsten Mächte, die den hohen wirtschaftlichen Anforderungen des neuen Flottenbaus der Engländer folgen konnten.

Hier also zu sagen, das DR sei der Initiator des Rüstungswettlaufs vor 1914 und es sei somit ein Grund für den Weltkrieg, ist nach diesen Erkenntnissen zur kurz gedacht.

Natürlich ist das Flottenrüsten nicht der Anlass für den Weltkrieg.

Die wiederkehrende Invasionshysterie in Großbritannien galt einer angeblichen Landung der deutschen Flotte. Mal abgesehen von den technischen Möglichkeiten der Hochseeflotte, wurde diese Massenhysterie natürlich auch gerne von den interessierten britischen Kreisen instrumentalisiert, um von Unterhaus die entsprechenden Mittel für den weiteren Ausbau der Flotte bewilligt zu bekommen. Die Regierung wusste genau, das diese Gerüchte Blödsinn waren, denn dies wurde mehrfach gründlich untersucht.
 
Nach dem die russische Flotte von der japanischen auf dem Grund des Pazifik befördert worden war, wurde ganz eindeutig die deutsche Hochseeflotte als Bedrohungsfaktor wahrgenommen bzw. hochstilisiert. Denn die französische galt mit Abschluss der Entente Cordiale nicht mehr als feindlich und es war das erklärte Ziel der neuen britischen liberalen Regierung mit Russland zu einem Ausgleich zu kommen. Die deutsche Flotte war zu jenem Zeitpunkt, so meine ich, zahlenmäßig die zweitstärkste.
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Der Two Power Standard der englischen Flottenbauprogramme von 1889 war damit sicherlich "gestorben" ... doch die ersten deutschen Großkampfschiffe, die den neuen britischen Exemplaren annähernd ebenbürtig waren, wurden erst nach 1909 in Dienst gestellt ...
Ich denke, der Aufbau der US Navy war wesentlich stärker, als der der kaiserlichen deutschen Marine. Nur spielete die US Navy im europäischen Konzert keine Rolle.

Ich frage mich bis heute, wie die britische Admiralität glauben konnte, daß eine Flotte mit so eine schlechten geographischen Lage auch nur annähernd den britischen Inseln gefährlich werden konnte!
 
Natürlich ist es nicht der Anlass, sondern ein Faktor, der die Lage zwischen den Großmächten vor 1914 mit geprägt hat.

Zum Invasion-Scare, der einen ungünstigen Ausgang des maritimen Wettrüstens antizipierte: 'We want eight and we won't wait!'
(1909, Druck auf die britische Regierung, 4 Dreadnoughts und 4 Battlecruiser pro Jahr zu bauen)

Ich frage mich bis heute, wie die britische Admiralität glauben konnte, daß eine Flotte mit so eine schlechten geographischen Lage auch nur annähernd den britischen Inseln gefährlich werden konnte!

Diese "schlechte geographische Lage" bezeichnete Tirpitz mal als das "Messer an der Kehle". Es kommt halt drauf an.:winke:

Wir hatten hier mal einen User "Admiral", der vorgerechnet hat, welches Verhältnis Anfang August 1914 bestand, und der über deutsche Erfolgschancen nachdachte. Das war "knapp", sehe ich zwar selbst im August 1914 hinsichtlich der Erfolgschancen noch nicht als kritisch an, aber man muss die globale Verwendung der britischen Flotte beurteilen, und damit die denkbare Zersplitterung. Tirpitz während des "Kriegsrates" im Dezember 1912: "in eineinhalb Jahren sind wir fertig".

Genau das war Ausgangspunkt des Denkens im Two-Power-Standard. 1913/1914 war man - bei gewonnenem Flottenwettrüsten! - dennoch gezwungen, das Mittelmeer faktisch zu räumen und den Schutz der französischen Marine zu überlassen. Diese Vorstellung wäre in Navy-Köpfen noch 1900 undenkbar gewesen, als so betrachtete Lebensader des Empire nach Indien.
 
Wenn man nun aber bedenkt, dass das Reich 1913/1914 "fertig" sein sollte mit seinem Flottenbauprogramm um zur Royal Navy aufzuholen, welche zudem ueber die ganze Welt versprengt umherfaehrt, das Mittelmeer und Suez dringend sichern muss und auch ansonsten sich bedroht sieht, wirkt das ganze dann nicht obsolet angesichts der Tatsache dass die Royal Navy dennoch eine grobe 8:5 (rein quantitiv nehme ich an, Quelle Wikipedia) Ueberlegenheit am Skagerrak hatte und ebenfalls ohne weitere Stoerungen bis weit nach Ende des Krieges die Ostsee blockieren konnte? Anmerkung hierbei waere noch, dass die Briten die deutsche Flotte NICHT besiegt oder gar gaenzlich versenkt haetten.
Oder fuehlt sich Grossbritannien diesbezueglich erst saturiert, wenn es die theoretische Moeglichkeit einer britischen Invasion Ostpreussens in Aussicht gehabt haette, was ja auch in den damalig aktuellen Konstellationen unmoeglich war?
Falls jemand zum Flottenverhaeltnis (Zahlen, Bewaffnung, Ausbildung von Admiralen und Besatzung, Modernisierungsgrad der Schiffe!) von 1910-1914 Quellen hat, wuerde mich das doch nun brennend interessieren, wie bei all dem Ach und Weh schliesslich so eine "leicht" erkaufte Blockade dauerhaft zustande kommen konnte.
Ich sehe da immernoch mehr den Schein als das sein bezueglich der Angst vor Wilhelms Hochseeflotte.
 
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Was die Flottenrüstung angeht,
hab ich ein paar Fragen an unsere Experten.

So wie ich es verstehe, waren weder das UK noch das DR in der Lage im Kriegsfalle sich aus eigener Scholle ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen.
Immerhin sind, wenn ich es recht verstehe, ca 400.000 Bürger des DR im WKI verhungert.

Wenn es so war, dass das UK bereits in Friedenszeiten auf Nahrungmittelimporte angewiesen war, dann hätten diese ja, im Gegensatz zum DR, nur auf dem Seeweg erfolgen können.

Ich vermute das, weiß es aber nicht, und es würde mich interessieren unsere Historiker dazu sagen.

Grüße hatl
 
Wenn man nun aber bedenkt, dass das Reich 1913/1914 "fertig" sein sollte mit seinem Flottenbauprogramm um zur Royal Navy aufzuholen, welche zudem ueber die ganze Welt versprengt umherfaehrt, das Mittelmeer und Suez dringend sichern muss und auch ansonsten sich bedroht sieht, wirkt das ganze dann nicht obsolet angesichts der Tatsache dass die Royal Navy dennoch eine grobe 8:5 (rein quantitiv nehme ich an, Quelle Wikipedia) Ueberlegenheit am Skagerrak hatte und ebenfalls ohne weitere Stoerungen bis weit nach Ende des Krieges die Ostsee blockieren konnte? Anmerkung hierbei waere noch, dass die Briten die deutsche Flotte NICHT besiegt oder gar gaenzlich versenkt haetten.
Oder fuehlt sich Grossbritannien diesbezueglich erst saturiert, wenn es die theoretische Moeglichkeit einer britischen Invasion Ostpreussens in Aussicht gehabt haette, was ja auch in den damalig aktuellen Konstellationen unmoeglich war?
Falls jemand zum Flottenverhaeltnis (Zahlen, Bewaffnung, Ausbildung von Admiralen und Besatzung, Modernisierungsgrad der Schiffe!) von 1910-1914 Quellen hat, wuerde mich das doch nun brennend interessieren, wie bei all dem Ach und Weh schliesslich so eine "leicht" erkaufte Blockade dauerhaft zustande kommen konnte.
Ich sehe da immernoch mehr den Schein als das sein bezueglich der Angst vor Wilhelms Hochseeflotte.


Mit der Aussage "in eineinhalb Jahren sind wir fertig" meinte Tirpitz, das die Hochseeflotte fertig für den Krieg ist, nicht aber, das die zahlenmäßig zur Royal Navy aufgeschlossen hätte.

In den britischen Plänen spielte eine Landung in Schleswig Holstein eine Rolle, die aber schließlich verworfen worden war.
 
Mit der Aussage "in eineinhalb Jahren sind wir fertig" meinte Tirpitz, das die Hochseeflotte fertig für den Krieg ist, nicht aber, das die zahlenmäßig zur Royal Navy aufgeschlossen hätte.

Genau. Es ging 1912 um die Papierlage, für Tirpitz in einem nach den Bauplanungen "ungünstigen" Zeitpunkt. Zudem war der KW-Kanal für die Verschiebungen zwischen Ost- und Nordsee erst 1914 fertig.

Zu der Diskussion, den Quellen und der Literatur (einschließlich des Abzugs der Dreadnoughts aus dem Mittelmeer 1913) beispielsweise:

http://www.geschichtsforum.de/f62/d...kade-1914-1918-a-20564/index3.html#post375490
http://www.geschichtsforum.de/f62/offensive-der-hochseeflotte-im-august-1914-a-32235/
Lesenswert sind dazu die u.a. Studien von Lambert, Sumida und Brooks.
 
Ergänzend dazu:

Epkenhans, Die wilhelminsche Flottenrüstung 1908-1914,
Berghahn, Der Tirpitz-Plan und schließlich
Hobson, Maritimer Imperialismus
 
Bei der Interpretation solcher Zahlen, von Aktennotizen, von Äußerungen, von Artikeln spielen wie immer sehr viele Wertungen eine Rolle, in die ideologische Vorprägungen einfließen. Man kann zu den jeweils genehmen Schlüssen gelangen. Man sollte zum Thema jedenfalls auch das Buch von C. Clark "Die Schlafwandler" lesen. In der Zeit war dazu kürzlich ein Interview mit Clark und einem polnischen Historiker (dessen Namen ich aus der Erinnerung lieber nicht schreibe, kann nur falsch werden), der vieles ganz anders sieht. Das ist das Wunderbare an der Geschichtswissenschaft. ;)
 
Bei der Interpretation solcher Zahlen, von Aktennotizen, von Äußerungen, von Artikeln spielen wie immer sehr viele Wertungen eine Rolle, in die ideologische Vorprägungen einfließen. Man kann zu den jeweils genehmen Schlüssen gelangen.

Kann man schon, allerdings stellt sich die Frage, ob die internationale Scientific Community der Historiker, die die seriöse Aufbereitung und Interpretation der Quellen überprüft, sich auch den Schlussfolgerungen anschließt.

Und: Trotz der Möglichkeit der variierenden Interpretation und auch der widersprechenden Sichtweisen ist es nicht ganz so beliebig, wie hier angedeutet. Und es gibt immer wieder Beispiele, das sich historische Interpretationen aufgrund einer neuen Quellenlage wandeln.

Man sollte zum Thema jedenfalls auch das Buch von C. Clark "Die Schlafwandler" lesen.

Gute Idee! Was sind denn die zentralen Thesen von ihm und wo ergeben sich Abweichungen zu anderen Darstellungen????

In der Zeit war dazu kürzlich ein Interview mit Clark und einem polnischen Historiker (dessen Namen ich aus der Erinnerung lieber nicht schreibe, kann nur falsch werden), der vieles ganz anders sieht.

Und was hat der polnische Historiker denn alles anders gesehen?
 
Gute Idee! Was sind denn die zentralen Thesen von ihm und wo ergeben sich Abweichungen zu anderen Darstellungen????

Clark stellt resümmierend* den Stand der herrschenden (=Mehrheits-)Meinung zum Kriegsrat 1912 dar, und verweist darauf, dass Röhl mit seiner "programmatischen" Deutung ausweislich der Puiblikationen und dem Diskussionsstand auf einem Historiker-Kongreß in der Minderheit ist.

Oben war allerdings nicht die weite Interpretation des "Kriegsrates" als Programmatik angesprochen, sondern speziell das Argument von Tirpitz in Bezug auf die Frage der Flottenrüstung und der Kriegsbereitsschaft der Marine in 1912. Egal, ob Wilhelm nun in seiner Empörung tatsächlich ernsthaft an einen Krieg dachte oder nicht, Tirpitz gab mit Blick auf den Rüstungsstand eine zeitlich dilatierende Antwort.

Die hat er - insoweit ohne Raum für Ausdeutungen - im Dezember 1912 verneint. Die weitergehende Deutung von Röhl, so bei Clark zitiert und zurückgewiesen, stand hier nicht in der Kontroverse.

* auch nicht überraschend aufgrund seiner bisherigen Äußerungen in der Kontroverse
 
Die geostrategischen Positionen für Briten und Deutsche waren sehr unterschiedlich:

Deutschland brauchte die Hochseeflotte nicht für bestimmte "Pflicht"aufgaben, konnte sie also im Zweifelsfall bündeln und gezielt einsetzen. Die Briten mussten einen beträchtlichen Teil für Aufgaben in den verschiedenen Regionen der Welt vorhalten. Dort wären sie aber einem konzentrierten Angriff unterlegen und hätten nur defensiv auf Verstärkung warten können. In diesem Szenario war eine starke Flotte direkt vor der eigenen Haustür sehr lästig.

Ein geschickter Schachzug wäre für die Briten gewesen, wenn sie durch koloniale Zugeständnisse an Deutschland der Hochseeflotte eine zersplitternde Rolle zugewiesen hätte. Das gab aber die Entwicklungen bei der Bildung der Kolonialreiche nicht her.
 
Deutschland brauchte die Hochseeflotte nicht für bestimmte "Pflicht"aufgaben, konnte sie also im Zweifelsfall bündeln und gezielt einsetzen. Die Briten mussten einen beträchtlichen Teil für Aufgaben in den verschiedenen Regionen der Welt vorhalten. Dort wären sie aber einem konzentrierten Angriff unterlegen und hätten nur defensiv auf Verstärkung warten können. In diesem Szenario war eine starke Flotte direkt vor der eigenen Haustür sehr lästig.

Das bringt die Sache auf den Punkt!

In einer weiteren Interpretation der "Folgen" kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass das maritime Wettrüsten zwischen GB/D mit den Ausgangs-Voraussetzungen 1904/11 die britisch-frz. Entente geradezu betoniert hat.

Mit dieser deutschen Bedrohung war es politisch für GB ausgeschlossen, die Bindung mit Frankreich aufgrund der übrigen globalen Herausforderungen für Großbritannien zu lösen. 1912/13 zeigte dann, dass man wegen des Wettrüstens die "Sicherheitspartnerschaft" mit Frankreich im Mittelmeer auf lange Sicht unauflösbar benötigte.

Die Logik deutscher Risikopolitik 1905/11/14, die Entente zu testen oder gar aufzubrechen, war dieser betonierenden Wirkung diametral entgegengesetzt, insoweit in gewissem Maße (in dem man fortgesetzt beides "betrieb") realitätsfern.

1914 hatte sich diese Problematik angesichts der annoncierten russischen Marinerüstung aus britischer Sicht sogar noch verfestigt. Man kann hier zu den britischen "Sicherheitsperspektiven" die Arbeiten von Schröder und Besteck empfehlen. Den "Scaremongers" auf britischer Seite standen auf deutscher Seite nationalistische, koloniale, ökonomische (Rüstungsindustrie) etc. Interessen gegenüber, die eine Deeskalation des Flottenrüstens verhinderten (obwohl diese "vor der Haustür" keinen Sicherheitsgewinn brachte).
 
Ich kann mir durchaus eine Einigung zwischen britischen und deutschen Interessen vorstellen, so wie mit Frankreich (1899 Sudanvertrag) und mit Russland (1907 Vertrag von St. Petersburg).

Aber in Deutschland wurde solche Art von Diplomatie zu sehr auf Krawall angegangen, das Deutsche Reich hätte ein Recht darauf, dass solche Abkommen zustande kommen. Und das dürfte ein Grund für mehrere nicht zustande gekommene Verträge sein, 1914 kam dann die Quittung trotz durchaus vorhandener Sympathien...
 
Das bringt die Sache auf den Punkt!

In einer weiteren Interpretation der "Folgen" kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass das maritime Wettrüsten zwischen GB/D mit den Ausgangs-Voraussetzungen 1904/11 die britisch-frz. Entente geradezu betoniert hat.

Kann man, muss man aber nicht.;)

Frankreich und auch Großbritannien waren sich nämlich bereits während der Verhandlungen zur Entente Cordiale, also vor der Krise, darüber vollkommen einig das Deutsche Reich aus der Marokkofrage herauszuhalten. Man wollte die Spanier mit ins Boot holen und das war es auch schon. Bereits in diesen Stadium war die einstehende Entente bemüht, die europäische Großmacht Deutsches Reich schlicht zu ignorieren. Man darf bei dem damaligen Denken hinsichtlich Prestige und Würde einer Großmacht davon ausgehen, das auch eine andere Großmacht wenig amüsiert reagiert hätte. Unstrittig ist das extrem aggressive und vollkommen überzogene Auftreten des Reiches.

Mit dieser deutschen Bedrohung war es politisch für GB ausgeschlossen, die Bindung mit Frankreich aufgrund der übrigen globalen Herausforderungen für Großbritannien zu lösen. 1912/13 zeigte dann, dass man wegen des Wettrüstens die "Sicherheitspartnerschaft" mit Frankreich im Mittelmeer auf lange Sicht unauflösbar benötigte.

Es ging den dem Foreign Office ganz unbedingt darum, den Franzosen ihre Zuverlässigkeit zu beweisen. Nur: Die Entente war 1905 noch kein militärisches Bündnis, ja es gab auch noch keine bindenden Absprachen; die kamen erst im Zuge der Krise und dann inoffiziell und auf britischer Seite schon fast illegal am Kabinett und Parlament vorbei. Die Briten hatten sich zu jener Zeit festgelegt und sind diesen Kurs bis 1914 entschlossen weitergegangen.

Die Logik deutscher Risikopolitik 1905/11/14, die Entente zu testen oder gar aufzubrechen, war dieser betonierenden Wirkung diametral entgegengesetzt, insoweit in gewissem Maße (in dem man fortgesetzt beides "betrieb") realitätsfern.

Die deutsche Politik war in der Tat vollkommen kontraproduktiv!
 
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