Sind wir alle Homo Erectus ?

Im Verhältnis zum Neanderthaler ist nicht einmal gesichert, dass er ausgestorben ist.

Nach dieser Logik wäre auch der Auerochse nicht ausgestorben, da er ja im Hausrind aufgegangen ist.

Da es heute keine Neanderthaler (und Auerochsen) mehr gibt, kann man sie doch wohl als ausgestorben betrachten.

Kann es sein, dass die Diskussion gerade in einer Sackgasse steckt?:grübel:
Den Auerochsen würde ich ungern als Beispiel heranziehen, weil dabei der Mensch seinen Beitrag leistete durch künstliche Zucht.

Der Begriff "Aussterben" ist eng mit dem Artbegriff verknüpft. Wir haben zwar in diesem Thread und in anderen herausgearbeitet, dass auch Artgrenzen fließend sind, für die Definition von "Aussterben" ist es aber hilfreich, feste Artgrenzen vorauszusetzen.
Aussterben (biologischer und paläontologischer Fachbegriff: Extinktion) bezeichnet das Ende evolutionärer Stammlinien durch den Tod aller Nachkommen. Für Theorien und Modellbildung ist meist die angemessene Betrachtungsebene die der Population. Eine Population ist ausgestorben, wenn alle ihre Mitglieder tot sind, d.h. die Populationsgröße auf Null gefallen ist. Existieren weitere Populationen derselben Art an anderen Orten, handelt es sich um ein lokales Aussterben. Eine biologische Art stirbt aus, wenn ihre letzte Population ausstirbt.
Aussterben ist im Prinzip ein natürlicher Vorgang und auf längere Frist betrachtet das unausweichliche Schicksal der meisten Populationen und Arten. Die begrenzte Lebensdauer von Arten resultiert allerdings nicht ausschließlich auf Aussterbevorgängen. Die Lebensspanne einer Art endet entweder durch Aussterben oder aber dadurch, dass sie sich in zwei oder mehr von der Ursprungsart unterschiedliche Tochterarten aufspaltet (vgl. Artbildung), seltener dadurch, dass sie sich mit einer verwandten Population vermischt (Hybridisierung).[1] Endet eine Population oder Art durch Aussterben, geht ihre genetische Information verloren.
aus Aussterben ? Wikipedia

Nach deiner Logik wäre es aber dann so, dass jede relativ kleine Gruppe als "ausgestorben" gelten müsste, wenn sie in einer größeren Gruppe aufgeht. Will man demnach das Aussterben einer relativ kleinen Gruppe vermeiden, müsste man sie von allen größeren Gruppen genetisch getrennt halten. Ich denke das Konzept gab es schon einmal. Andererseits ist das Genmaterial der kleinen Gruppe ja immerhin in verstreuter Form in der größeren Gruppe noch präsent. Es sollte schon einen Unterschied machen, ob das Genmaterial noch präsent ist oder aber unwiderbringlich verloren.

Nach der obigen Wikidefintion, die sich mit meinem Verständnis deckt, kann man beim Neandertaler nur vom lokalen Aussterben sprechen, jedenfalls dann, wenn man davon ausgeht, dass Neandertaler, Sapiens und Erectus untereinander fortpflanzungsfähig waren, was durch die Forschungsergebnisse der letzten Jahre immer wahrscheinlicher wird. Was den Erectus betrifft, ist es außerdem das zentrale Thema dieses Threads.

Bei den Hominiden ist es wahrscheinlich nicht so, dass die genetische Information des Neandertalers oder Erectus komplett verlorenging, weil die Population durch Aussterben endete, sondern die genetischen Informationen veränderten sich durch Entwicklung/Evolution. Was nach obiger Definition dem Aufspalten der Ursprungspopulation in verschiedene Tochterpopulationen entspricht, bei diesem Vorgang spricht man aber nicht von Aussterben.
 
Der Neanderthaler war entweder eine eigene Art oder eine Population innerhalb der Art Homo sapiens. Es scheint so, daß Neanderthaler-DNA in geringem Maße im H.s. vorhanden ist. Warum ist immer noch unklar und umstritten. Unklar ist ebendso, wann es geschah, auch wenn jüngste Analysen auf einen Zeitraum von 64-47ky ausgehen. passen würde dieser zeitraum, da beide Populationen im Vorderen Orient nebeneinander lebten bzw. benachbart waren. e könnte natürlich genauso sein, daß bereits eine ältere homo sapiens Population sich mit Neanderthalern vermischte und diese Gene an eine jüngere Population weitergab.

Wie dem auch sein, der Neanderthaler als Art, so er denn eine war, ist dennoch ausgestorben, da geringe genetische Spuren kein Weiterleben einer Art bedeuten. Das gleiche gilt für eine Neanderthalerpopulation als teil der Art H.s. Auch hier wäre die gesamte Population verschwunden.
 
Ach ja, erectus.
Leider ist es auch beim erectus gar nicht klar, in wie weit wir es mit einer Art zu tun haben. man könnte zB den Erectus in eine asiatische und eine afrikanische Art unterteilen, wobei in Afrika Homo ergaster sich zu Homo heidelbergensis entwickelte und in eine asiatische mit Homo erectus. Es wäre sogar möglich, daß wir eine ältere Homo erectus Art in Asien hatten und eine jüngere mit Homo pekinensis. Aber genauso gut könnte es sich um eine einzige Homo erectus Art mit größerer Variation handeln. Interessant für mich ist auch immer, wie Dali, Mapa und ähnliche Funde in dieses Bild passen. Sind es Entwicklungen aus Homo pekinensis oder wanderten diese jüngeren Typen aus Afrika/Europa zu? Stammt der Neanderthaler von Homo ergaster ab oder vom Homo heidelbergensis (also inklusive afrikanische H.h.). Alles spannende Fragen.
 
Das gleiche gilt für eine Neanderthalerpopulation als teil der Art H.s. Auch hier wäre die gesamte Population verschwunden.
Nach meinem Verständnis entspräche dieses Szenario nur dem lokalen Aussterben.
Existieren weitere Populationen derselben Art an anderen Orten, handelt es sich um ein lokales Aussterben.
Verwendet man den Begriff Aussterben zu inflationär, führt das mE zu Mißverständnissen.
Besonders wenn die Threadfrage lautet "Sind wir alle Homo erectus"?

Die speziellen Körpermerkmale der Neanderthaler kann ich mir am besten mit einer sehr kleinen Ursprungsgruppe erklären, die mow zufällig ausgestattet war. Unter den harten Umweltbedingungen der letzten Kaltzeit könnten diese Merkmale weiter selektiert worden sein.
 
Nach meinem Verständnis entspräche dieses Szenario nur dem lokalen Aussterben. Verwendet man den Begriff Aussterben zu inflationär, führt das mE zu Mißverständnissen.
Besonders wenn die Threadfrage lautet "Sind wir alle Homo erectus"?

Ich würde keinen Widerspruch zwischen dem Thementitel und der Frage des Aussterbens der Neandertaler sehen.

"Lokales Aussterben" bzw. local extinction verstehe ich enger, und regional bezogen.

Zuzustimmen ist, den Begriff des Aussterbens bezogen auf einen genetischen Pool einer Population zu präzisieren. In der Weise komme ich oben mit der "Rechnung" nicht klar, genetische Anteile zu einer Populationsgröße zu multiplizieren.

Die Frage dieser Definition des Aussterbens müßte klären, was unter "verlorener genetische Information" zu verstehen ist. Das bezieht sich nach meinem Verständnis auf den genetischen Pool als Ganzem, so dass bei dem oben angesprochenen "interbreeding" nicht die Suche von verbleibenden genetischen "Spuren" dazu führen kann, das Aussterben zu verneinen.

Wikipedia halte ich bei der Frage nicht für ergiebig, siehe die Schwammigkeit von "genetischer Information" bzgl. Spannbreite des Genpools einer Population.
 
Ich mag diesen Begriff Sackgasse nicht oder überhupt die idee, daß eine Art die ausstirbt, einer Art die nicht ausstirbt unterlegen ist. Wo ziehst du die Grenze zwischen Homo ergaster und homo heidelbergensis. Es sieht doch eher so aus, daß es eine mehr oder weniger gradlinige Enticklung gab, mit stetig wachsenden Hirnen und weniger kräftigen Kiefern etc. Wo willst du die Trennlinie ziehen, zwischen Steinheim

Homo erectus, Homo sapiens und Homo neanderthalensis werden von der Forschung als verschiedene Arten betrachtet. Das ist völlig unstrittig. Erectus und Neandertaler existierten noch zehntausende von Jahren neben dem archaischen Homo sapiens. Beide Arten zeigen eindeutige morphologische Merkmale, die es jedem Paläoanthropologen erlauben, sie vom archaischen Homo sapiens zu unterscheiden. Letzte Neandertaler finden sich vor etwa 30 000 Jahren. Ähnlich sieht das beim afrkanischen Homo erectus aus. Auch er existierte noch lange neben dem Homo sapiens, bis er irgendwann ausstarb.

Beim afrikanischen Homo erectus gab es allerdings eine Entwicklungslinie, die sich vor etwa 500 000 abspaltete und zum Homo sapiens entwickelte. Die parallele Linie des Homo erectus hingegen starb aus.
 
Homo erectus, Homo sapiens und Homo neanderthalensis werden von der Forschung als verschiedene Arten betrachtet. Das ist völlig unstrittig. Erectus und Neandertaler existierten noch zehntausende von Jahren neben dem archaischen Homo sapiens. Beide Arten zeigen eindeutige morphologische Merkmale, die es jedem Paläoanthropologen erlauben, sie vom archaischen Homo sapiens zu unterscheiden. Letzte Neandertaler finden sich vor etwa 30 000 Jahren. Ähnlich sieht das beim afrkanischen Homo erectus aus. Auch er existierte noch lange neben dem Homo sapiens, bis er irgendwann ausstarb.

Beim afrikanischen Homo erectus gab es allerdings eine Entwicklungslinie, die sich vor etwa 500 000 abspaltete und zum Homo sapiens entwickelte. Die parallele Linie des Homo erectus hingegen starb aus.
Das Neanderthaler und Homo sapiens zwei Arten sind, ist keinesfalls unumstritten und wenn ich dich an die Multiregionale Hypothese erinnern darf, dann geht diese davon aus, daß sich die modernen Populationen jeweils aus älteren indigenen Populationen entwickelt haben, also zB die Ostasiaten aus Homo pekinensis. Nicht, daß ich dem zustimme, aber von unumstritten kann wohl kaum die Rede sein.
 
Das ist so nicht ganz korrekt. In der Tat findet diese These in China besonderen Anklang und dieser ist überwiegend wohl ideologisch begründet, Wolpoff ist aber kein Chinese.
 
Doch, das ist unumstritten. Die Versuche, den Neandertaler als Unterart des Homo sapiens zu klassifizieren, sind Geschichte.
Svante Pääbo zumindest hält diese Frage für offen, da es keinen verbindlichen Maßstab dafür gibt, ab welchem morphologischen und genetischem Abstand von zwei Arten auszugehen ist.
 
Svante Pääbo zumindest hält diese Frage für offen, da es keinen verbindlichen Maßstab dafür gibt, ab welchem morphologischen und genetischem Abstand von zwei Arten auszugehen ist.

Dazu habe ich in einem Nachbarthread gesagt:

Der erst vor einiger Zeit wissenschaftlich ermittelte Genfluss zwischen Homo sapiens und Neandertaler schien einigen Beleg dafür zu sein, den Neandertaler als Unterart bzw. Subspezies des Homo sapiens anzusehen.

Wenn ich die Tiefen des Internets durchforsche, finde ich allerdings keine Hinweise, dass sich diese Ansicht durchgesetzt hat. Auf jeden Fall hat die hier lange diskutierte Artschranke, falls es sie denn gab, zwischen Sapiens und Neandertaler nicht lückenlos funktioniert.
 
Ich will ja auch gar nicht behaupten, daß es sich in jedem Fall um eine Art handeln muß. Wir haben halt nur keinen klaren Artbegriff und können auch nicht sagen, ob ausgestorbene Populationen zu einer oder zu verschiedenen Arten gehörten.
 
Ich will ja auch gar nicht behaupten, daß es sich in jedem Fall um eine Art handeln muß. Wir haben halt nur keinen klaren Artbegriff und können auch nicht sagen, ob ausgestorbene Populationen zu einer oder zu verschiedenen Arten gehörten.

Immerhin haben sich die Paläoanthropologen ziemlich einvernehmlich entschlossen, bestimmte Formen des Menschen wie Homo rudolfensis, Homo habilis, Homo erectus, Homo neanderthalensis und Homo sapiens als eigene Arten zu klassifizieren.

Andererseits ist man sich bei einigen Formen uneinig. Das betrifft zum Beispiel den Heidelberg-Menschen, den einige als Variante des Homo erectus sehen, während andere ihn als eigene Art - Homo heidelbergensis - klassifizieren wollen. Davon abgesehen wird es stets Zwischenformen geben, bei denen die Biologen uneins sind, ob sie sie nun einer vorhandenen Art zuschlagen oder eine neue Art kreieren sollen.
 
Homo erectus, Homo sapiens und Homo neanderthalensis werden von der Forschung als verschiedene Arten betrachtet. Das ist völlig unstrittig.

Kommt auf die Betrachtungsweise an. Das Problem mit Artgrenzen ist, dass sie sich im Laufe der Zeit bilden oder verschieben. Natürlich gab es eine Zeit, als die Vorfahren derer, die später zum Homo sapiens wurden, sich noch mit dem Homo erectus paaren konnten (so der H.s. sich aus dem H.e. entwickelt hat...); eine Art. Irgendwann später klappte das nicht mehr; zwei Arten. Eine klare Grenze lässt sich genauso wenig ausmachen wie zwischen "Kind" und "Erwachsenem" (juristische Setzungen alla vollendetes 18. Lebensjahr mal außen vor gelassen): Es gibt einen Unterschied, aber keinen exakten Zeitpunkt, an dem dieser festgemacht werden kann. Dass macht es auch so schwer, Artgrenzen und Artbildungsprozesse zu fassen.
 
Kommt auf die Betrachtungsweise an.

Es kommt vor allem auf die Betrachtungsweise der Forschungsdisziplin an. Und die hat den genannten Formen unzweideutige Artnamen verliehen. Dass einige neue Funde immer wieder die Frage aufwerfen, zu welcher Art sie zählen, und dass es dabei Grenz- und Ermessensfälle gibt, versteht sich von selbst. Immerhin gibt es Übergangszonen von der einen Art zur nächsten, sodass es bei einigen Skelettresten strittig ist, wie man sie klassifizieren soll.

Das ganze Klassifizierungsschema ist nicht so starr, wie es aussieht und niemand kann in jedem Fall exakt sagen, ob ein Skelettrest noch dieser oder schon jener Art angehört. Das gilt vor allem für benachbarte Arten wie Homo habilis und Homo rudolfensis, oder Homo erectus und archaischer Mensch. Dass hingegen ein Neandertaler klar vom Heidelbermensch unterschieden werden kann und ein Habilis vom Erectus, dürfte eindeutig sein.
 
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