Wahrheit in der Geschichte - dt. Sonderwegs These

ElComandante

Neues Mitglied
Suavelos liebe alle,

Ich arbeite für die nächste Geschichtsstunde an folgender
Fragestellung:

" 'Vieles kann er [Der Historiker] nur plausibel machen.'
Erläutern sie dieses Zitat durch Darstellung der These des
deutschen Sonderweg."

Ich muss dazu eine Folie erstellen.
Zuerst habe ich mir den sogenannten Sonderweg per
Schaubild aufgezeichnet, nun stellt sich jedoch die Frage, an
welchen Beispielen ich deutlich machen kann, wieso man diesen
Sonderweg plausibel machen muss.

Meine Beispiele wären: Scheitern der 48er-Revolution, Einheit durch
eine 'Revolution von oben' (Bismarck), Legendenbildung (Dolchstosslegende),
instabile Demokratie aufgrund der alten Eliten aus dem Kaiserreich!

Was fällt euch noch dazu ein und wie kann man diese These widerlegen?

Ich meine, dass es ja nicht DEN Weg zur Moderne/Demokratie gibt und man,
wenn man einen dt. Sonderweg aufzeigt, auch Sonderwege anderer Staaten aufzählen muss (z.b. Amerika)!

Slán
ElComandante
 
Nun, wenn es einen deutschen Sonderweg gibt, gibts auch einen allgemeinen...
Also erstemal den allgemeinen Weg zeigen und dann den Sonderweg daran herausarbeiten.
Die Schwierigkeit, die ich sehe, ist, die anderen sind auch alle eigene Wege gegangen.
 
Die Sonderwegsthese gilt eigentlich als überholt.

Hier ein interessantes Interview:

Deutsche Geschichte: Vom zweiten zum "Dritten Reich" | ZEIT ONLINE

Auszug daraus:

ZEITGeschichte: Herr Malinowski, die Frage, welche Traditionslinien vom Kaiserreich zum Nationalsozialismus führen, ist in Deutschland jahrzehntelang heftig diskutiert worden. Zu welchen Ergebnissen ist die Geschichtswissenschaft gekommen? Gilt sie noch, die These vom deutschen Sonderweg?

Stephan Malinowski: Die Sonderweg-These ist seit Mitte der achtziger Jahre zermahlen worden in den Mühlen der empirischen Forschung. Vor allem Fritz Fischer hatte sie in den sechziger und siebziger Jahren vertreten. Seine Kernthese, die er 1978 unter dem Titel Bündnis der Eliten präsentierte, lautete, dass es vor dem Ersten und vor dem Zweiten Weltkrieg dieselben gesellschaftlichen Kreise gewesen seien, die Deutschland ins Verderben getrieben hätten. Sie hätten die gleichen Ziele, die gleichen ökonomischen Großprojekte verfolgt. Erst von den achtziger Jahren an aber wurden diese Zusammenhänge überhaupt empirisch erforscht. Es zeigte sich dabei, dass eine Kontinuität der Ziele leichter zu belegen ist als eine Kontinuität der Eliten, die sie verfolgten. Eines der wichtigsten deutschen Forschungsprojekte dazu war das von Jürgen Kocka zur Geschichte des europäischen Bürgertums. Es ergab, dass die Kontinuitäten der Machtstrukturen in fast allen europäischen Ländern größer waren als in Deutschland, wo es 1918 durch den verlorenen Weltkrieg zu einem enormen Bruch kam. Die These vom deutschen Sonderweg als Abweichung von einem – letztlich imaginären – europäischen Standardweg ist deshalb längst korrigiert worden. Auf dem diesjährigen Historikertag wurde sie nicht einmal erwähnt. Deutsche Geschichte besteht eben nicht einfach nur aus einem Bündel problematischer Traditionslinien.

Und hier noch ein Interview mit Heinrich August Winkler:

http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2010/03/Text-Interview

@ElComandante

Hast du dich mit der Sonderwegsthese schon genauer auseinander gesetzt? Wenn ja, welche Literatur hast du verwendet?
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun, wenn es einen deutschen Sonderweg gibt, gibts auch einen allgemeinen...
Also erstemal den allgemeinen Weg zeigen und dann den Sonderweg daran herausarbeiten.
Die Schwierigkeit, die ich sehe, ist, die anderen sind auch alle eigene Wege gegangen.

Es gibt eine Deutsche Sonderwegstheorie. Die soll nun be- oder widerlegt werden. Das ist die Aufgabe.
 
Nun , Beaker, so sehe ich das auch...
Nur wenn ich einen Sonderweg aufzeigen will, muß ich den anderen kennen und dann beide Wege aufzeigen.
Dabei wird es sich eben ,meiner Meinung nach, so man korrekt arbeitet und ergebnisoffen , herausstellen, das es diesen Weg nicht gibt. Oder besser, das es zwischen dem deutschen und anderen eben ähnliche Gemeinsamkeiten und auch ähnlich trennendes gibt.
1815/1848/1918/1948/1968 haben ja zum Teil tiefere Wurzeln als nur die Geschichte davor.
 
Kann ich davon ausgehen, dass der Großteil darin übereinstimmt, dass der
letzlich imaginäre - europäische Standardweg
so aussieht:

Eine Revolution der Bürger zwingt das alte System (Absolutismus) in die Knie
und erzwingt dadurch ein neues, "moderneres" System, in dem die Bürger partizipieren können
und keinem (oder vielleicht seltener) König/Kaiser unterstehen, der über sie bestimmt.
Also Einheit & Freiheit.

Abweichen davon würden dann Frankreich, die einen Nationalstaat bereits hatten,
der aber unfrei war, durch einen absolutistischen Herrscher.
Auch England ? Da habe ich leider wirklich gar keine Ahnung, wie es zum
Parlament kam :still:

@Ursi: Danke für die beiden Zeit-Interviews,
die haben mich jetzt weiter gebracht!

Leider muss ich ehrlich zugeben, dass ich mich bisher eher
weniger mit dem "deutschen Sonderweg" auseinandergesetzt habe
-also keine Lektüre dazu vorliegen habe- und ich mich auf meine Grundkenntnisse des Unterrichts gestützt haben.

@Wilfried: Ich komme gerade nicht darauf, welches
Ereignis du mit 1968 meinst, kannst du mir auf die Sprünge helfen?
 
Leider muss ich ehrlich zugeben, dass ich mich bisher eher
weniger mit dem "deutschen Sonderweg" auseinandergesetzt habe
-also keine Lektüre dazu vorliegen habe- und ich mich auf meine Grundkenntnisse des Unterrichts gestützt haben.

Ich suche dir morgen noch was raus. Wenn das noch reicht in deiner Zeitplanung :winke:
 
@Wilfried: Ich komme gerade nicht darauf, welches
Ereignis du mit 1968 meinst, kannst du mir auf die Sprünge helfen?

Anschlag auf Rudi Dutschke und die daraus erwachsenden Unruhen in den Universitätsstädten. Gleichzeitig (aber früher) Studentenunruhen in F.
David Cohn-Bendit als Vermittler zwischen den deutschen und den französischen Studenten.
 
@ElQuijote:

Anschlag auf Rudi Dutschke und die daraus erwachsenden Unruhen in den Universitätsstädten.
Gleichzeitig (aber früher) Studentenunruhen in F. David Cohn-Bendit als Vermittler zwischen den
deutschen und den französischen Studenten.

Danke ElQuijote! Könnte man hier - sofern man den Sonderweg betrachtet -
also einen Rückweg zum "Standardweg" sehen?

@ursi

WOW ! Super dankeschön, damit kann ich jetzt wirklich gut in die Diskussion einsteigen!

Ich kam am Freitag noch zu folgender Frage:

Wenn ich in einer Diskussion mich mit der Aussage konfrontiert sehe, dass
allein die Sonderwegsthese den Nazinalsozialismus erklären kann, wie kann
man dagegen argumentieren?
Natürlich kann ich nun Historiker wie Malinowski und Winkler anführen, aber
damit widerlege ich ja nur.
Kann man auch auf eine andere Theorie hinweisen, wenn ja auf welche?

Zum Schluss nochmals danke für die Mühen der Literatursuche und der
Kommentare!
 
Nun, ohne Aufrechnung und weitere Diskussion über Nationalsozialismus, Kriegsschuld, Verbrechen:
Mussolini, Franco, ev. Pilsudzki
 
Und sollte einer doch insistieren, nicht darauf einlassen. Vorallem, wenn er nichts mit den Namen anfangen kann.
Meiner Meinung nach gibt es keinen Sonderweg zum dt .Nationalsozialismus und seinen Verbrechen, leider. Sowas ist , meine ich , in ähnlicher Form auch heute noch jederzeit auf dieser Welt nochmal möglich.
 
Ausgehend von the „Fourth Turning“ und dem damit implizit zusammenhängenden amerikanischen „Sonderweg“, der unter dem Label „Amerikanischer Exzeptionalismus“ firmiert, nochmal ein paar Thesen zum deutschen Sonderweg.

Im Prinzip sollte die Sonderwegthese erklären helfen, warum in Deutschland ein NS-Regime entstehen konnte. Man kontrastierte es der Vorstellung, dass es ein „Normalweg“ geben würde, den beispielsweise GB und Frankreich als kapitalistische Demokratien gegangen seien.

Es wird, so auch Ursi in diesem Thread, resümierend davon ausgegangen, dass diese Sonderwegthese nicht mehr zutreffend sei.

Für "meine Begriffe" [das ist natürlich Unsinn, weil ich nur nachvollziehe, was andere vorgedacht haben] ist diese Einschätzung zu modifizieren.

Betrachtet man die Beiträge in Rublack [Pflichtlektüre für jeden Interessierten!!!!], dann wird schnell ersichtlich, dass das klassische Narrativ vom Standardmodell der industriellen Entwicklung weltweit nicht zutreffend ist. Dieses belegen, als Beispiel, die Bücher von Pomeranz und Wong (auch in Rublack vertreten)

Generalisiert man diese Vorstellung, dann gibt es in gewisser Weise keine „Normalwege“, sondern für jedes Land bzw. Region eine spezifische Entwicklung, die eher der „Sonderwegthese“ Rechnung trägt. Und somit die nationale Entwicklung für jedes Land als eine Art „Sonderweg“ angemessen zu begreifen ist. Ohne politische Untertöne.

Erst aus der Verschiedenheit der nationalen Entwicklungen ergibt sich dann der erfolgversprechende Ansatz, komparativ Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu analysieren.

In diesem Sinne war der deutsche Sonderweg auch eine Art von deutscher Variante des amerikanischen Exzeptionalismus. Ähnliches gilt analog für GB, Frankreich, Italien, sicherlich auch Russland oder auch den Balkan inklusive dem Osmanischen Reich.

Es ist also nicht der „Sonderweg“ als Narrativ, der überholt ist, sondern überholt ist die damit verbundene Vorstellung, dass es einen „Normalweg“ für Länder geben würde. Die historische Entwicklung in das 3. Reich war ein deutscher Sonderweg. Ebenso wie der Weg in den Stalinismus ein Sonderweg war.

Die Revision bezieht sich damit auf den westlichen „Master-Narrativ“, der modifiziert wurde, wie die Beiträge in Rublack deutlich belegen. Das „demokratische-kapitalistische Normalmodell“, das implizit der – westlichen - Historiographie zugrunde lag, ist „tot“. Es lebe der „Sonderweg“ als historischer Erklärungsansatz.


Pomeranz, Kenneth (2012): The great divergence. China, Europe and the making of the modern world economy. Princeton (N.J.): Princeton University Press
Rublack, Ulinka (Hg.) (2013): Die neue Geschichte. Eine Einführung in 16 Kapiteln. Frankfurt am Main: Fischer
Wong, R. Bin (1997): China transformed. Historical change and the limits of European experience. Ithaca: Cornell University Press
 
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