Das Neue an Napoleons Strategie?

Auch wenn wir etwas ab von der Ursprungsfrage kommen, habe ich etwas quergelesen. In dem Buch "Napoleon privat" von Octave Aubry (in der norwegischen Uebersetzung) finden sich ein paar Hinweise:

Auf St. Helena war Schach tatsæchlich angesagt, zu der Napoleon oft einlud, jedenfalls in der Anfangszeit.
Auf dem Weg dorthin, auf dem brit. Schiff "Northumberland", spielte er nachmittags Karten (leider nicht præzisiert, welches Spiel).

Zu besseren Zeiten, als Erster Konsul, findet sich der Hinweis auf ein Kartenspiel namens "Reversis"
Reversis - Wikipedia, the free encyclopedia

Frei uebersetzt: "Er betrog die ganze Zeit, wæhrend die Mitspieler lachten und protestierten." Also reine Unterhaltung offensichtlich.

Zum Thema "Schach und Napoleon" finden sich sogar Bilder im Netz, u.a. Napoleon mit Bertrand.

Gruss, muheijo

Aubry ist ein gutes Stichwort:

Zur Überfahrt auf dem Northumberland:

"Gegen drei Uhr kleidet er (N.) sich an und begibt sich in den Salon, wo er mit Gourgaud, Bertrand oder Montholon so lange Schach spielt, bis der Admiral hereinkommt und ihm meldet, dass das Diner serviert ist." [1/Seiten 131-132]

"Nach Einbruch der Dunkelheit geht er (N.) in den Salon zurück und schlägt vor, Einundzwanzig zu spielen. Das ist sein Lieblingsspiel, das schon in Malmaison unter dem Konsulat im Schwange war. Es machte ihm Spass, das Glück zu befragen. Jedesmal setzt er ein Goldstück und läßt den Gewinn sich häufen bis er verliert. So verliert er regelmäßig 10 bis 12 Napoleondor. Einmal allerdings gewinnt er dem Admiral 1600 Franken ab und hört auf, da Cockburn merken läßt, dass er nicht weiter spielen möchte." [1/Seite 133]

Grüße
excideuil

[1] Aubry, Octave: „Sankt Helena“ Bd 1-Die Gefangenschaft Napoleons, Eugen Retsch Verlag, Erlenbach-Zürich und Leipzig, o.J.
 
Vielleicht noch ein, zwei (oder auch drei) Bemerkungen zur Strategie Napoleons:

Grundsätzlich könnte man wohl sagen, dass Bonaparte als "Erbe" der Französischen Revolution von der "Entfesselung Bellonas" profitiert hat: Von der Indienststellung aller personellen, wirtschaftlichen und geistigen Kräfte (z. B. Propaganda) für den Krieg. Die Enthegung des Krieges, Ausgangspunkt auf dem Weg zu den "totalen" Kriegen des 20. Jahrhunderts, nahm 1793 mit der levée en masse ihren Anfang.

Zweitens: Das herausragende Merkmal napoleonischer Operationsführung ist ihre Schnelligkeit. Weil sich Bonapartes Armeen "aus dem Land ernährten" (lies: plünderten), also im Herbst und Frühjahr nicht auf den Nachschub aus Magazinen angewiesen waren, konnten sie ihre Gegner durch verblüffende Marschleistungen beim Aufmarsch und bei der Verfolgung schwer überraschen. Besonders deutlich wird das zum Beispiel 1805 bei der Kapitulation Macks nahe Ulm und 1806 nach der Schlacht bei Jena.

Drittens: Napoleon setzte die Feldartillerie, eine fachlich anspruchsvolle und daher überwiegend "bürgerliche" Waffe, auf dem Schlachtfeld zum ersten Mal als geschlossene Masse wie eine Art Rammbock ein. Geschütze dienen dem Artilleristen Napoleon nicht mehr lediglich als Flankendeckung für infanteristische Linearformationen oder als Mittel der Schlachteinleitung, sondern sind künftig nicht zuletzt ein Instrument der Schlachtentscheidung. Auch diese Entwicklung verweist bereits auf die industrialisierte Kriegführung des 20. Jahrhunderts.

Viertens: Auf taktischer Ebene perfektionierte Napoleons Grande Armée das "Tiraillieren". Die Tirailleurs, also selbstständig fechtende Plänkler, waren ebenfalls ein Erbe der Revolutionskriege. "Jägerformationen" gab es zwar auch schon im 18. Jahrhundert in den stehenden Heeren der Fürstenstaaten; doch in Massen wurden solche Verbände erst seit ungefähr 1794 eingesetzt. Solche Tirailleurs machten der gegnerischen Linieninfanterie schwer zu schaffen und zermürbten deren Willen zum Widerstand.

Viele Grüße,
Mundharmonika
 
Deine Analyse des Einflusses von N. auf die "RMA" (Revolution in Military Affairs) ist insgesamt sehr zutreffend.

Pauschal kann man wohl sagen, dass es nicht die innovative Nutzung von Waffentechnik war, sondern eher sein innovatives taktisches, operatives und strategisches Denken. Und die Fähigkeit, ähnlich wie bei FdG, sämtliche Aspekte des staatlichen Handelns relativ "friktionsfrei" für seine Kriegsführung zu integrieren.

Revolution in Military Affairs ? Wikipedia

Zu den unten genannten Aspekten würde noch die deutliche Erweiterung der staatlichen "Bürokratie" zählen und ihre Fähigkeit, die Ressourcen des Staates (Steuern etc.) noch effektiver, im Vergleich zum Absolutismus, zu mobilisieren (vgl. dazu beispielsweise M. Mann: The Sources of Social Power. Vol. 2. The Rise of Classes and Nation States, 1760-1914, 2012, S.389 "Civil and military personell and bureaucracy)

Grundsätzlich könnte man wohl sagen, dass Bonaparte als "Erbe" der Französischen Revolution von der "Entfesselung Bellonas" profitiert hat: Von der Indienststellung aller personellen, wirtschaftlichen und geistigen Kräfte (z. B. Propaganda) für den Krieg. Die Enthegung des Krieges, Ausgangspunkt auf dem Weg zu den "totalen" Kriegen des 20. Jahrhunderts, nahm 1793 mit der levée en masse ihren Anfang.

Insgesamt zeigt sich in dieser Entwicklung auch die problematische Seite der nationalstaatlichen Entwicklung und daß das eigentlich liberale bürgerliche Projekt, im Gegensatz zu den aristokratischen Eliten, der Bildung von Nationalstaaten in der weiteren Historie (1914-18 & 1939 - 45) auch sehr dunkle Seiten zeigen wird wie beis Giddens beschrieben(A. Giddens: The Nation-State and Violence. 1987).

Zweitens: Das herausragende Merkmal napoleonischer Operationsführung ist ihre Schnelligkeit.

Das ist auch zutreffend. Zu erweitern wäre es noch durch Überlegungen von Fuller (J.F.C. Fuller: The Coduct of War. 1789-1961, 1992, S. 48ff) der in der konsequenten "Offensive", der "Mobilität", der "Überraschung" und der "Konzentration" insgesamt die Merkmale seiner erfolgreichen Kriegsführung sieht.

Weil sich Bonapartes Armeen "aus dem Land ernährten" (lies: plünderten), also im Herbst und Frühjahr nicht auf den Nachschub aus Magazinen angewiesen waren, konnten sie ihre Gegner durch verblüffende Marschleistungen beim Aufmarsch und bei der Verfolgung schwer überraschen. Besonders deutlich wird das zum Beispiel 1805 bei der Kapitulation Macks nahe Ulm und 1806 nach der Schlacht bei Jena.

Das ist auch richtig, zumindest teilweise, und Elting (J.R. Elting: Swords around a Throne. Napoleons Grande Armee, 1988, z.B. S. 459 Marches and Bivouacs) beschreibt diese neue und flexiblere Form der Organisation der Logistik, losgelöst von traditionellen Magazinen. Dennoch darf man nicht übersehen dass die Logistik für den Russland-Feldzug beachtlich war, wie van Creveld es darstellt (M. van. Creveld: Supplying War. 2004 S. 40ff An Army marches on its stomache). Wie insgesamt die Mobilisierung der materiellen Ressourcen für die Kriegsführung.

Drittens: Napoleon setzte die Feldartillerie, eine fachlich anspruchsvolle und daher überwiegend "bürgerliche" Waffe, auf dem Schlachtfeld zum ersten Mal als geschlossene Masse wie eine Art Rammbock ein.

Viertens: Auf taktischer Ebene perfektionierte Napoleons Grande Armée das "Tiraillieren".

Die wohl umfangreichste und systematischste - zeitnahe - Darstellung der Veränderung der Kriegsführung durch Napoleon findet sich bei Jomini (A-H. de Jomini: The Art of War, 1862). Neben Clausewitz wohl der "Klassiker" zum militärischen Denken seiner Zeit.

Neben den Punkten, die Du auf taktischer Ebene beschreibst, würde ich noch die Nutzung der "Kolonne" als "Schock"-Formation sehen.

Und noch zusätzlich ergänzt durch die Konzentration der Kavallerie, die er, ähnlich wie die Artillerie, als "Armee-Reserve" (wie die Garden) sich direkt zuordnet und sowohl den Zeitpunkt und den Ort des Einsatzes bestimmt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dazu Delböck (1920, Geschichte der Kriegskunst - Die Neuzeit; 4.Buch, Kap.2), eine kurze schematische Gegenüberstellung der friderizianischen und der napoleonischen Strategie:

F: Die Armee bildet einen einzigen, einheitlichen Körper
N: Die Armee zerfällt in Korps und Divisionen

F: Die Führer der Treffen oder Treffenteile haben keine andere Funktion, als das Kommando des Feldherren weiter zu geben und voranreitend den Truppen ein Beispiel der Todesverachtung zu geben
N: Die mittleren Führer haben selbständige Aufgaben und Gelegenheiten, ihre Erfahrung und ihr fachkundiges Urteil in Anwendung zu bringen

F: Der Feldherr lässt nach einer bestimmten Idee aufmarschieren und angreifen
N: Der Feldherr lässt die Schlacht an der ganzen Front beginnen und entscheidet von Moment zu Moment, wo und wie er sie fortsetzt und die Entscheidung suchen soll (on s'engage partout et apès on voit)

F: Keine oder sehr geringe Reserve
N: Sehr starke Reserve

F: Erster Stoß am heftigsten
N: Letzter Stoß am heftigsten

F: Der Zufall spielt eine große Rolle
N: Der Zufall hat seine Macht, vermag aber Überlegenheit an Zahl und Führung nicht aufzuheben
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht noch ein, zwei (oder auch drei) Bemerkungen zur Strategie Napoleons: (...)
Gut zusammengefasst. Ich würde noch hinzufügen, dass die "Entfesselung der Bellona" auch in den Gefechten selbst sichtbar wurde. In der Zeit der Kabinettskriege stand den Heerführern nur eine begrenzte Zahl von Soldaten zur Verfügung. Damit mussten sie "haushalten". Entsprechend bemüht waren sie, eigene Verluste nicht zu groß werden zu lassen und folglich verlustreiche Gefechte zu vermeiden. Clausewitz weist darauf mit der überspitzenden Formulierung hin, es sei damals das Ziel der Strategie gewesen, möglichst gar keine Gefechte zu führen - und wenn es doch mal passiert sei, dann sei es fast als Zeichen für das Versagen des Feldherrn gewertet worden.

Diese Art von Zurückhaltung übte Napoleon nicht mehr. Er suchte gezielt das Gefecht.

MfG
 
Divisionsgliederung

Alle Ergänzungen von Maelonn und thanepower, aber auch den Hinweis von Hundenase auf Delbrück (der für die "Ermattungsstrategen" übrigens eine für seine Zeit ungewöhnliche Sympathie hegte, etwa wenn er nach dem Ersten Weltkrieg die Operationsführung Ludendorffs scharf kritisierte, Falkenhayn hingegen lobte) muss man, so denke ich, zu einhundert Prozent unterschreiben. Mit Blick auf unsere Gegenwart besonders aufschlussreich finde ich die Bemerkung von Maelonn, dass man anhand der napoleonischen Strategie und dem Kriegsbild der Französischen Revolution auch die problematischen Aspekte der nationalstaatlichen Entwicklung in Europa ablesen könne - sehr wahr! Überspitzt könnte man vielleicht sagen: Ohne Valmy, Austerlitz und Jena kein Verdun.

Auf der taktischen Ebene muss man darüber hinaus wohl noch die französische Divisionsgliederung hervorheben; über Divisionen - also bewegliche "Kleinarmeen", in denen alle drei Waffengattungen vertreten waren - verfügten die österreichischen und preußischen Heere zum Beispiel nicht. Diese Gliederung aber war ein weiterer Grund für die Schnelligkeit und für die geschickte Schwerpunktbildung der Grande Armée.

Der Russlandfeldzug 1812 war aus meiner Sicht sogar für die Kriegführung Napoleons ein Sonderfall: Denn eine Truppenstärke von rund einer halben Million Mann (plus etwa 150.000 Pferde!) machte eine überwiegende Versorgung "aus dem Lande" von vornherein unmöglich.

Viele Grüße,
Mundharmonika
 
Napoleon führte eine moderne Gliederung ein, hatte Melder und einen Stab, führte die Kolonnen ein und die einzelnen Befehlshaber der Korps und Divisionen konnten in ihrem Bereich freier agieren.

Letztlich war aber auch bei Napoleon der finale Schlag immer die Brecheisen-Methode: mit der Masse seiner Armee das gegnerische Zentrum zerschlagen.

Und er behielt immer viel größere Reserven in der Hinterhand, als es in den Kriegen des 18. Jahrhunderts üblich war. Dort gab es nur kleine Reserven, der ganze Rest wurde sofort in die Schlacht geworfen.
 
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Napoleon führte eine moderne Gliederung ein, hatte Melder und einen Stab, führte die Kolonnen ein
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und die einzelnen Befehlshaber der Korps und Divisionen konnten in ihrem Bereich freier agieren.

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Letztlich war aber auch bei Napoleon der finale Schlag immer die Brecheisen-Methode: mit der Masse seiner Armee das gegnerische Zentrum zerschlagen.

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Und er behielt immer viel größere Reserven in der Hinterhand, als es in den Kriegen des 18. Jahrhunderts üblich war. Dort gab es nur kleine Reserven, der ganze Rest wurde sofort in die Schlacht geworfen.
1. Die Kolonnentaktik war prinzipiell eine typische französische Kampfweise schon Mitte des 18.Jh.. Vgl. Rocoux (1746) und Laffeldt (1747)!

2.
Das würde ich so eher unterschreiben. Wobei die Eigenständigkeit der Korpskommandeure auch negative Folgen haben konnte wie 1800 bei Meßkirch, wo ein Korpskommandeur General Moreaus Befehle einfach ignorierte und nicht zur Schlacht erschien, was den halbwegs unbeschadeten Abzug der Österreicher unter Kray beförderte.
Prinzipiell war die Korpsstruktur allerdings deutlich besser als was vorher v.a. im Ancien Régime existierte, wo der Oberbefehlshaber einer Armee vor jeder Schlacht aufwändig die einzelnen Einheiten neu strukturieren musste (nach hierachischem Rang (Prestige/Tradition) der Regimenter).

3.
Das wäre ja für den Feind arg leicht zu durchschauen gewesen. Waterloo mag da ein Beispiel dafür sein, aber Napoléon war kein solcher Narr als Feldherr, dass er nicht seine Schlachtführung der Platzierung der Feinde auf dem Schlachtfeld bzw. der Topographie angepasst hätte. Austerlitz ist da ein schönes Beispiel. Letztlich mag die Schlacht auf den Pratzener Höhen entschieden worden sein, aber die Flügel waren auch sehr wichtig.

4.
Reserven kannte das 18.Jh. durchaus. Man muss das bei den Schlachten im Detail anschauen. Nehmen wir z.B. Mollwitz, so gab es dort 2 Treffen bspw. auf preußischer Seite. Also die Hälfte der Infanterie als potenzielle Reserve?
Was sicher anders war, dass man nicht bestimmte Korps immer wieder als Reserven zurück hielt. Die Garden (Alte, Junge etc.) unter Napoléon wäre da ein Beispiel. Im Ancien Régime erholten sich die Garden nicht und wurden auch nicht für irgendwas aufgespart, sondern sahen es als eine Ehre an, an vorderster Front vom Anfang der Schlacht an mitzukämpfen. Möglichst an heiklen Stellen (Verteidigung einer Schlüsselstellung z.B.).
 
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