Was waren Hitlers Gründe für den Halt bei Dünkirchen?

Rundstedt führte dazu folgendes aus: " Man bringt eine Operation zum Abschluß, bevor man an die nächste denken darf.

(Quelle: Rundstedt, Bemerkungen zum Feldzug im Westen, BA-MA, Study C-053, Seite 4, hier zitiert nach Frieser, Blitzkrieg-Legende, München 2005)

Die Operation, die zum Abschluß gebracht werden musste, war die Ausräumung des Kessels von Dünkirchen.

Die nächste Operation war die Erorberung ganz Frankreichs.

Cartier aber schreibt, dass Hitler, als Brauchitsch für die Rücknahme des Haltebefehls intervenierte, diesen Rundstedts (Brauchitsch´s Untergebenen!) Stellungnahme einholen ließ. Der Hitlers Meinung bestätigte.

Liddell Hart schreibt, dass man Klarheit über Hitlers Beweggründe nicht mehr bekommen wird. Er hält aber politische Motive für am wichtigsten. Den Briten eine schmachvolle Niederlage ersparen, um sie um so leichter für einen "fairen" Frieden zu gewinnen.
 
Cartier aber schreibt, dass Hitler, als Brauchitsch für die Rücknahme des Haltebefehls intervenierte, diesen Rundstedts (Brauchitsch´s Untergebenen!) Stellungnahme einholen ließ. Der Hitlers Meinung bestätigte.


Gemäß Frieser war Hitler am 24.Mai zu einem kurzen Besuch bei Rundstedts Heeresgruppe A. Dort hat Rundstedt Hitler über den Befehl des OKH, die Umgruppierung der Panzergruppen, informiert. Daraufhin hat Hitler diesen Befehl rückgängig gemacht. Er ging sogar noch darüber hinaus, in dem er Rundstedt es überließ, wie lange dieser Haltbefehl seine Gültigkeit behalten sollt. Das war natürlich ein massiver Affront gegen Brauchitsch und Halder. Als Quelle nennt Frieser das Kriegstagebuch der Heeresgruppe A.


Auf welche Quelle stützt sich denn Cartier.


Des Weiteren hat Hitler in der Folge von Brauchitsch bei seinen Umstimmungsversuchen , nach dem er ihm eine Standpauke gehalten hat, an von Rundstedt verwiesen. Das war natürlich eine herbe Demütigung für den Oberbefehlshaber des Heeres, der sich an seinen Untergebenen Rundstedt wenden sollte.

Halder hat sich auch so seine Gedanke gemacht. Er ließ einen Funkspruch an die Heeresgruppe A absetzen, aus dem hervorgeht, das die Fortsetzung des Angriffs bis zur Linie Dünkirchen - Cassel -Ostende freigegeben wird. Das Zauberwort ist hier "freigegeben", es wurd nichts befohlen. Rundstedt hat sich aber glatt geweigert diesen Funkspruch weiterzuleiten.

(Quelle 1.Jacobsen, der aus dem Kriegstagebuch der Heeresgruppe A zitiert hat, Dünkirchen
2.Frieser, Blitzkrieg-Legende, München 2005)


Liddell Hart schreibt, dass man Klarheit über Hitlers Beweggründe nicht mehr bekommen wird.


Das befürchte ich auch.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Mir scheint das auch die plausibelste Variante zu sein, besprochenen Anhaltebefehl Hitlers zu begründen und zu erklären, denn niemand konnte erahnen oder voraussehen, wie die französischen Truppen reagieren oder wie sich die Schlacht entwickelt - bzw. wie schnell die Abwehrfront zusammen brach. Insofern bzw. auf dieser Basis ist Hitlers Befehl durchaus nachvollziehbar.
Saludos!

Mit etwas Verzögerung nun der Blick in den Feindlagebericht, Abteilung Fremde Heere West.

Danach bestanden im Ganzen exakte und zutreffende Vorstellungen von den alliierten Verbänden im Kessel. Interessant ist auch, dass ebenso treffende Vorstellungen von den Verbänden "außerhalb" bestanden, was das Problem der Flankengefährdung von Süden angeht. Als Hauptproblem wurde der mögliche Durch- und Ausbruch bei Arras in den Lagemeldungen gewürdigt. Hier auszugsweise die wichtigen Passagen:

Lagebericht West Nr. 319 vom 21.5.1940, 13.00 Morgenmeldung:
... In Gegend Douai-Arras trat gegen den Durchbruch (!) hartnäckiger gruppenweiser Widerstand vorwiegend englischer Verbände in Erscheinung. ...
Starke Belegung der Häfen Dünkrichen und Boulogne und Abfahrt einer größeren Zahl von Transportern kann (!) darauf hinweisen, dass außer Lagern und rückwärtigen Diensten auch englische Truppenteile von dort abbefördert werden. ...
Feindwiderstand bei der Wegnahme von 4 Brückenköpfen am Südufer der Somme (Anm.: das ist die Südsicherung) zwischen Abbeville und Amiens nur gering.

Lagebericht West Nr. 320 vom 21.5.1940, 23.45 Abendmeldung:
... Seit dem frühen Nachmittag waren Bewegungen aus Gegend westl. Lillers-Bethune-La Bassee nach Süden festzustellen, aus denen sich ein Angriff gegen die Linie Hesdin-St.Pol-Arras entwickelte Bei der umschlossenen Feindgruppe wurde die Anwesenheit folgender französischer Divisionen bestätigt: ... An englischen Truppenteilen sind neu aufgetreten ...
Gegen die Südflanke des (Anm: eigenen) Durchbruchs zwischen der Küste und der Oise wurden an keiner Stelle Gegenangriffe geführt... Luftaufklärung über dem Gebiet der franz. 6. Armee beobachtete nur sehr wenig Bewegung und geringfügige Ausladungen ...
Die Schiffsbelegung der Kanalhäfen hat in Dünkrichen und Calais abgenommen, dagegen in Boulogne, Dieppe zugenommen...

Lagebericht West Nr. 321 vom 22.5.1940, 12.15:
Feind veteidigt unverändert zäh die Stellung Kanal von Gent bis Schelde. ...
Bei Arras wurde am späten Abend ein Angriff französischer Kräfte mit schweren PzKpfWagen abgewiesen. Ergebnisse der weiteren Kämpfe in der Nacht und des heute um 9.00 an dieser Stelle begonnenen deutschen Angriffs lassen sich noch nicht übersehen. ...
Gebiet südlich Abbeville (Anm: Südflanke) ... bis zu einer Entfernung (=Tiefe) von 30 km feindfrei gemeldet. Lebhafte Flüchtlings- und Räumungsbewegung, dazwischen vielleicht auch einzelne militärische Kolonnen in Richtung auf die untere Seine...

Lagebericht west Nr. 322 vom 22.5.1940, 23.45 Abendmeldung:
In Flandern und Artois umschlosser Feind: ... wurden am 22.5. Bewegungen in westlicher und südwestlicher Richtung beobachtet (Anm: das sind Räumungsbewegungen!) ...
mehrere französische Durchbruchsversuche mit Panzern zwischen Cambrai und Arras nach Süden wurden abgewiesen ... Einzelheiten über Lage und Truppenfeststellungen in dieser Gegend sind noch nicht bekannt; auch Angaben über Stärke des Feindwiderstandes zwischen Bethune und Boulogne fehlen noch. Durch Gefangene, die in den letzten Tagen zwischen Arras und Amiens gemacht wurden, wurde anwesenheit der franz. 4. Kolonial-ID und 1. Panzerdivision sowie der englischen 12. ID teil-mot., 23. ID mot. und 44. ID teil-mot. bestätigt, außerdem die der englischen 42. ID teil-mot. und 46. ID teil-mot. neu gemeldet (Anm: diese Meldung ist wegen der Durchmischung der Verbände völlig übertrieben!) ...
südlich Somme-Abschnitt zwischen Abbeville und Amiens war auch bis zum Nachmittag des 22.5. kein nennenswerter Feind festzustellen ...
Luftaufklärung war am 22.5. durch Witterung behindert, neue wesentliche Feststellungen haben sich nicht ergeben. Nach mehreren Meldungen hat beschleunigt Überführung weiterer Divisionen aus Nordafrika nach Frankreich begonnen ...

Lagebericht West Nr. 323 vom 23.5.1940, 12.30 Morgenmeldung:
Seit 22.5. abends besteht eine Dauer-Funkverbindung zwischen Kriegsministerium London und (Anm: eingeschlossener) englischer Armee in Frankreich...
Zwischen Valenciennes und Arras wurde nach Abweisung mehrerer neuer Durchbruchsversuche der Ring um den Feind enger geschlossen. Er wurde hier auf und hinter den Schelde-Kanal, den Sensee-Kanal und die Scarpe geworfen. Durchbruchsversuche bei Cambrai am 22.5. wurden von einem gemischten französich-englischen Panzerverband geführt. Außerdem wurden in dieser Gegened erneut Teile der engl. 12. ID teil-mot und 23. ID mot. bestätigt. Am 23.5. morgens waren Ansammlungen mit Panzern südlich Lens, nördlich davon jedoch kein Feind festzustellen...
In der Gegend St.Omer-Boulogne ... Feindabwehr nicht in einer zusammenhängenden Stellung, sondern (Anm: nur!) in örtlichen Widerstandsgruppen...
Transportbewegungen: in der Nacht vom 22./23.5. wurden Transportbewegungen durch Paris in Richtung Epernan in Tempo 72 (Anm: 72 Transport-Züge in 24 Stunden) beobachtet, dabei nach einer Truppenfeststellung wahrscheinlich neu aus Nordafrika überführte Einheiten...


Lagebericht West Nr. 324 vom 23.5.1940, 23.45 Abendmeldung:
Umschlossene Feindgruppe: ... südlich anschließend hat der Feind unter Druck des (deutschen) Angriffs die Schelde-Stellung aufgegeben. ... Teile der frz. 43. ID wurden nach Verschießen ihrer letzten Munition gefangen ... Bei Maubeuge wurde das letzte Fort genommen ... Am Schelde-Kanal starker Feinwiderstand, dort neben Festungstruppen Teile der frz. 1., 9., 15., und 25. ID., angeblich Teile der 4. und 10. ID (sehr zweifelhaft, vielleicht Marschbataillon?)
... bei Arras halten die Engländer noch den Stadtrand, außerdem in dieser Gegend noch gemischter frz.-engl. Panzerverband, der mehrere erfolglose Vorstöße nach Westen und Südwesten unternahm. (Anmerkung: nun ein wichtiger Hinweis, der Hitlers Entscheidung am 24.5. mittags und der HG A-Rundstedt morgens vorlag: )
Feststellungen im Funkverkehr lassen es als möglich erscheinen dasss umschlossene Feindkräfte einen Vorstoß gegen rückwärtige Verbindungen der nach Norden angreifenden Panzergruppe Kleist beabsichtigen. Bis zum Abend des 23.5. lagen jedoch noch keine Meldungen vor, dass ein derartiger Durchbruchsversuch begonnen hat. ...
Der (deutsche) Panzerangriff auf Lillers-St.Omer-Valias-Boulogne traf an mehreren Stellen auf hartnäckigen, jedoch unzusammenhängenden Widerstand... Reste der 1. und 2. frz. Panzerdivision wurden in einem frz. Armeebefehl vom 18.5. als "Trümmer" bezeichnet. In der umschlossenen Feiundgruppe ... sind mindestens 10 weitere Divisionen schon jetzt als fast aufgelöst anzunehmen (Anm: neben der frz. 68. ID). ...
Südfront: nichts Neues

Lagebericht West Nr. 325 vom 24.5.1940, 12.30 Morgenmeldung ), Anm: lag im OKH, Abteilung Fremde Heere West vor, kann bei Heeresgruppe A und Hitler um diese Zeit, zu der der Haltebefehl durch Hitler bestätigt wurde, NICHT vorgelegen haben:
... Zwischen Denain und Arras zäher Feindwiderstand, der jedoch am Kanal (!) südwestlich Denain und an der Scarpe ostwärts Arras durch unseren Angriff gebrochen wurde ... Über Feindeindruck im Gebiet zwischen Arras und Boulogne liegen keine neuen Meldungen vor. Anzeichen für Absichten eines neueren größeren Durchbruchsversuches aus dieser Gegend sind bis gestern Abend n i c h t zu erkennen gewesen. Mehrere Funksprüche und Gefangenenaussagen zeigen, dass bei eingeschlossener Feindgruppe Mangel an Munition, Verpflegung und Betriebsstoff eingetreten ist.

Lagebericht West Nr. 326 vom 24.5.1940, 23.45 Abendmeldung:
... zwischen Valenciennes und Arras leisteten Franzosen zähen Widerstand. Nordostwärts Arras ließ er jedoch vor unserem Angriff nach, Feind geht hier nach Norden zurück. Truppenfeststellungen ergaben beginnende Vermischung (Anm: als Zeichen der Auflösung und Vernichtung) auch bei englischen Verbänden. ... Vermischung der Verbände nimmt immer mehr zu, ihr Kampfwert ist vermindert. ... Boulogne wurde dem Feind .... genommenm um Calais wird hart gekämpft.
Neue französische Kräftegruppe zwischen Küste und Oise: ... Heranführen von Reserven aus Südfrankreich ...

Soweit die Meldungen im Originaltext.
Wenn man etwas tiefer in die Lage bei Dünkirchen und Arras einsteigt, so wie dass in den Schriften von Jacobsen erfolgt ...
Jacobsen, Dünkirchen, Neckargemünd 1958 (Reihe DWiK Nr. 19)
Jacobsen, Fall Gelb, Wiesbaden 1957, der Kampf um den deutschen operationsplan zur Westoffensive 1940
Jacobsen, Dokumente zur Vorgeschichte des Westfeldzuges 1939-1940 und Dokumente zum Westfeldzug 1940 (Studien und Dokumente zur Geschichte des ". Weltkrieges, Bände 2a und 2b), Göttingen 1956 und 1960
Jacobsen, Dünkirchen 1940, in: Entscheidungsschlachten des 2. WK, hrsg. von Jacobsen/Rohwer, S. 7-57 ...
sind dieses wohl die Schlüsselmeldungen der Abteilung FHW, aufgrund deren das OKH Entscheidungen treffen mußte.

Es handelt sich bei allen Meldungen also lediglich um das Problem des Ausbruchs aus dem Kessel, nicht eines südlichen Gegenangriffs zum Aufschluss des Kessels.

Frieser führt das Ganze für meinen Eindruck zu sehr auf ein "gruppenpsychologisches" Problem zurück. Wenn man einmal die klaren Regelungsstrukturen berücksichtigt, mag es einen Meinungsstreit gegeben haben, der
1. in der hierachischen Organisationstruktur "Korps-Armee-Heeresgruppe-führendes(!) OKH" eine klare Lösung beansprucht hätte, nämlich die des zuständigen OKH
2. der von Rundstedt unter Umgehung der Führungsstruktur in Ansprache Hitlers gelöst wurde.
Man kann den Operationsplan nicht auf den bloßen Durchstoß zum Kanal reduzieren, sondern zum Verständnis gehört auch das Hammer-Amboß-Prinzip in der Aufgabenverteilung zwischen Heeresgruppe A und B. Dieses Grundprinzip wurde durch den Haltebefehl verletzt, obwohl herausragende Feindaufklärungsergebnisse vorlagen, deren Richtigkeit bekannt war und nicht gegen die Fortführung der Operation sprachen.

Man könnte es auf den Punkt bringen: Rundstedt hatte hier hinsichtlich "Haltebefehl" nichts zu befehlen, er hat die Befehlsstruktur umgangen, Hitler hatte gegen die für die Tragweite der Anordnung allein fachlich kompetete Stelle (nämlich das mit der Führung der Gesamtoperation aller drei Heeresgruppen beauftragte OKH) entschieden.

Der Abtransport (der Gegenangriffe völlig unwahrscheinlich werden ließ) wurde schließlich mit Lagebericht 26.5., 12.15 Morgenmeldung glasklar erkannt:
... In Dünkirchen wurden 26.5. morgens 13 Kriegsschiffe und 9 Transporter beobachtet. um 7.30 liefen 6 Transporter zu je etwa 10.000 to aus. Auch in der vergangenen Nacht war Verkehr von Tranportern über den Kanal zu beobachten. Diese Feststellungen in Zusammenhang mit den Beobachtungen von Bewegungen in dem umschlossenen Raum nach Norden, des Herausziehens der englischen Verbände sowohl an der Lys wie aus Gegend Arras und am LaBassee-Kanal, endlich der Wortlaut des Befehls an den Kommandanten von Calais machen es wahrscheinlich, dass der A b t r a n s p o r t d e s b r i t i s c h e n E x p e d t i o n s k o r p s (Anm: Sperrschrift im Original) begonnen hat.


Quelle: Generalstab des Heeres, Lageberichte West der Abteilung Fremde Heere West vom 10.5. bis 30.6.1940, hrsg. durch den Abteilungschef, Oberstleutnant Liss.


Abschließend: Feind-Lagekarte 21.5.1940 der Abteilung FHW:
http://img181.imageshack.us/img181/2635/dnkrichenqt9.jpg
 
Aufschlußreich ist schließlich das Tagebuch von Bock, Herresgruppe B:

Bock schickt Fernschreiben am 21.5. über den Fortgang der Operationen an OKH, dass die Eskalation bis zum Haltebefehl ausgelöst hat:
"Feindwiderstand vor Heeresgruppenfront hat sich versteift... Zusammenwirken soll ermöglichen, einen starken Flügel der Heeresgruppe B längs der Küste vorzutreiben. Voraussetzung hierfür ist, dass Heeresleitung beabsichtigt, über Linie Valenciennes-Arras-Abbeville mit starken Kräften in nördlicher Richtung anzugreifen."

Antwort OKH am 21.5.1940:
"Beim OKH besteht folgende Auffassung: Absicht des OKH ist unverändert. Heeresgruppe B hat in ihrem Streifen durch angriff den Feind festzuhalten. Heeresgruppe A verlegt durch Angriff in Richtung Calais dem Feind den Abzug an die untere Somme. Ein Angriff der Heeresgruppe A in nördliche Richtung kommt erst nach Inbesitznahme des Höhengeländes nordwestlich Arras durch Infanteriedivisionen in Frage."

Kommentar Bock: "Das ist beim allerbesten Willen nicht zu verstehen. Der vierte Satz sagt genau das Gegenteil vom dritten."

Tagebuch 22.5.1940: ... stellt sich heraus, dass die angeblichen schweren Angriffe von Mons gegen die nordflanke des VII. AK blanker Unsinn waren. Die Lage dort ist genauso, wie sie sich uns darstellte und wie ich sie sowohl Keitel wie OKH dargestellt habe. Das ganze Affentheater war also überflüssig. Salmuth orientiert Halder, ich orientiere Keitel. Letzterer sagt, dass Heeresgruppe A (Rundstedt) und die 4. Armee (Kluge) ihm die Lage eben noch anders dargestellt hätten. Ich antworte: "Dann sind die beiden eben nicht im Bilde!." Warum nahm man mir die 4. Armee (Kluge) weg? Warum das XVI. Armeekorps (mot. (Hoepner, mit 2 Panzerdivisionen)? Warum das I. AK (Both)? Immer wieder bat ich, den Flankenmarsch dieser Korps zu unterlassen... Die führung beider Korps war ein Kinderspiel. Der Stoß über Valenciennes gehört in eine Hand, der Nordflügel der 4. Armee (Kluge) gehört zur Heeresgruppe B!"

Tagebuch 24.5.1940:
"Nachts kommt Befehl, dass die 4. Armee mit ihren nach Norden eingeschschwenkten Teilen und auch ihre nach Südwesten eingerichtete Front unter die Heeresgruppe B tritt.Damit ist das durchkämpfen der Schlacht endlich in eine Hand gelegt. Schade, dass das nicht früher geschah, damit wäre mancher Zeitverlust vermieden. Vormittags kommt Brauchitsch. Wir stimmen überein, dass auf der Naht zwischen 6. und 4. Armee scharf in n-w Richtung vorwärtsgedrängt wurde, dass auch die Masse der im Rücken des Feindes stehenden (deutschen) Panzerverbände weiter angreifen muss. Im Weggehen sagte er mir, dass die "Organe der Heeresgruppe(!)" den Anforderungen der Heeresleitung oft unfreundlichen Widerstand entgegensetzten. Wohl nicht ganz ohne Grund! Ich sage aber Abstellung dieses "Übelstandes" zu. ... Wie Brauchitsch eben weggefahren ist, erfahre ich durch den Verbindungsaufnahme zur 4. Armee ensandten Groeben, dass an der Somme bei und südostwärts Amiens erhebliche Angriffe (falsch!) von Engländern und Franzosen im Gange seien und Kluge drei von der Heeresleitung für die Schlacht im Norden bestimmte Divisionen dorthin, also nach Süden, habe abdrehen müssen. Weiter ist bei der 4. Armee (Kluge) ein Befehl des Führers eingegangen, wonach die Panzerverbände nicht weiter vorgehen sollen! Man will sie wohl für spätere Aufgaben schonen. Das kann sehr unerfreuliche auswirkungen für den Ausgang der bei mir im Gang befindlichen Schlacht haben. Ich orientiere Brauchitsch telefonisch. Mit dem Abdrehen der Divisionen ist er einverstanden, bei den Panzerverbänden müssen wir uns leider ... begnügen. Zwei Stunden darauf, als alle Unterlagen für dei Befehlsübernahme klar, alle Befehle fertig sind, kommt von Brauchitsch der Befehl, dass ich heute (!!!) das Kommando über die 4. Armee Kluge "noch nicht" zu übernehmen hätte; er (!!!) behielte sich den Zeitpunkt der Befehlsübernahme vor! Den Grund weiss ich nicht."

Taygebuch 25.5.1940:
"Befehl kommt, dass die angeordnete Befehlsübernahme über die 4. Armee (Kluge) nicht nur verschoben, sondern aufgehoben ist. Den Grund dafür erfahre ich auch heute nicht!"


Hier kaschierte also Brauchitsch mit Verein mit Halder gegenüber Bock, dass sie von Hitler befehlsseitig düpiert worden sind, ein "overriding" bereits getroffener Beschlüsse des operationsführenden OKH - die im übrigen bereits aus der Operationsplanung folgten - stattgefunden hatte. Eine (vielleicht die) wesentliche Ursache für den Ablauf liegt in dieser Zuordnungsfrage der 4. Armee zur Heeresgruppe B statt A, mit dem der Schlußverlauf der Operation und Kesselschlacht logischerweise in eine Hand gegeben werden sollte (ein ähnliches Beispiel: die 2. Ukrainische Front unter Konjew in der Kesselschlacht von Tscherkassy).

Bei der Zuordnungsfrage 4. Armee war allerdings zuvor Hitler vom OKH "hintergangen" worden, da mit Widerstand wegen der Flankenpsychose Rundstedts und Hitlers gerechnet worden ist. Wie schon erwähnt, bei Rundstedt könnte die Bzura-Erfahrung aus dem Polenfeldzug eine Rolle gespielt haben, bei Hitler die bekannten "politischen" Befürchtungen im Hinblick auf operative Krisen analog Narvik.


Quelle: Fedor von Bock, Kriegstagebuch.
 
OT:
Repos Vater hatte das Vergnügen bei jener Kampagne dabei zu sein. Im Raum Boulogne ergab sich ihnen ein zusammengewürfelter Haufen franz. und belgischer Soldaten.
Der franz. Offizier zerbrach seinen Degen und schmiss ihn den Deutschen vor die Füsse (in bester gallischer Tradition), der Belgier übergab ihn wortlos.

Repos Großvater hat die Beutestücke über die Besatzugszeit in einer Zwischendecke versteckt.
So hat Repo heute noch im Schrank einen zerbrochenen franz. und einen kompletten belgischen Degen stehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Als Hauptproblem wurde der mögliche Durch- und Ausbruch bei Arras in den Lagemeldungen gewürdigt.
...
sind dieses wohl die Schlüsselmeldungen der Abteilung FHW, aufgrund deren das OKH Entscheidungen treffen mußte.
...
Es handelt sich bei allen Meldungen also lediglich um das Problem des Ausbruchs aus dem Kessel, nicht eines südlichen Gegenangriffs zum Aufschluss des Kessels.
Frieser führt das Ganze für meinen Eindruck zu sehr auf ein "gruppenpsychologisches" Problem zurück. ...
Man könnte es auf den Punkt bringen: Rundstedt hatte hier hinsichtlich "Haltebefehl" nichts zu befehlen, er hat die Befehlsstruktur umgangen, Hitler hatte gegen die für die Tragweite der Anordnung allein fachlich kompetete Stelle (nämlich das mit der Führung der Gesamtoperation aller drei Heeresgruppen beauftragte OKH) entschieden.

Hier im Nachgang noch die quellenseitige Bestätigung.

1. Quelle: sieht bereits am 22.5. die Gefahr des Ausbruchs britischer und frz. Kräfte über Arras aus dem Kessel. Dieser Ausbruch wäre im Rücken der zur Kanalküste vorgestoßenen deutschen Panzerkräfte erfolgt. Die Quartiermeldungen dieser Gruppe berücksichtigten bereits ab 23.5. die Möglichkeit, im Rücken abgeschnitten zu werden und diskutierten das Versorgungsproblem im Fall der rückwärtigen "Abschneidung".

2. HG B sieht bereits am 22.5. den Abschluss der Dünkirchen-Operation nicht vor dem 3.6. vor. Man blieb von vornherein im Zeitplan. Außerdem wird die Absicht von Bock/HG B deutlich, den Dünkirchen-Kessel ohne Mitwirkung der HG A Rundstedt einzudrücken. Das belegt hier bereits ein Kompetenzgerangel, was durch den Haltebefehl "zu Gunsten" der HG B und zu Lasten der HG A entschieden wurde.

3. wie 1., am 23.5.

4. zweite Seite, enthält den Aufklärungsauftrag an die Luftwaffe, ob diese Bewegung über Arras in den Rücken der deutschen Panzerkräfte, und im Ausbruch vor der HG B erfolgen wird.

Der Haltebefehl vom 24.5. entschied damit
- die Abgrenzungsfrage zwischen Heeresgruppe A und B
- erfolgte, weil Ausbruch und Gegenangriff nebst Abschneidung bei Arras vermutet waren
 

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1. Quelle: sieht bereits am 22.5. die Gefahr des Ausbruchs britischer und frz. Kräfte über Arras aus dem Kessel. Dieser Ausbruch wäre im Rücken der zur Kanalküste vorgestoßenen deutschen Panzerkräfte erfolgt. Die Quartiermeldungen dieser Gruppe berücksichtigten bereits ab 23.5. die Möglichkeit, im Rücken abgeschnitten zu werden und diskutierten das Versorgungsproblem im Fall der rückwärtigen "Abschneidung".

Zu diesem Problem und der Befürchtung des (auch kurzfristigen) rückwärtigen Abschneidens von Kleist (inkl. Guderian) noch im Nachtrag die Quelle: Erfahrungsbericht über die Versorgung der Gruppe Kleist im Frankreichfeldzug, zum 22.5.1940 (Warnungen auch bereits am Vortag). Mit dem Eintreffen der ersten durchgeschleusten Züge bis Le Cateau und dem Abflauen der Versorgungskrise sollte ab dem 24.5. gerechnet werden.

Auf Grund der Quellen kann kaum davon ausgegangen werden, dass es sich "nur" um ein Problem des Kompetenzgerangels und der persönlichen Befindlichkeiten speziell zwischen OKH und Heeresgruppe, oder auch Armee und Panzergruppe gehandelt hat.

Erstaunlich ist, dass die vorliegende Literatur (inkl. Frieser) bislang offenbar keine vollständige Verwertung der vorliegenden KTBs der involvierten Grossverbände (AOK 4, 6 und 12, zugeordnete Gruppen Kleist und Guderian, vorlaufende Vermerke der HG A und B) vorgenommen hat.

Das oben gezeichnete Bild über die Flankenempfindlichkeit und das vorlaufende Kompetenzgerangel (von Frieser auch als Grund angeführt, mit Hinweis auf Rundstedt) wird jedenfalls dadurch bestätigt. In dem Punkt erscheint mir jedenfalls auch die Darstellung bei Frieser bzgl. der Quellen lückenhaft.
 

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Danke für den Link.:winke:

Abgesehen von der presseüblichen Dramaturgie spitzt er aber schön zu, worum es ging:

Einen Meinungsstreit zwischen OKH, Heeresgruppe, 2 Armeeführungen und Hitler über die Möglichkeit einer operativen "Krise", der aus unterschiedlichen Besorgnissen heraus geführt wurde.

Während das OKH das als Lapalie ansah, schätzen die nachgeordneten Stellen (mit weniger Übersicht) das als Besorgnis ein, während der (mit gar keiner Übersicht und operativer Erfahrung* ausgestattete) Hitler die "Flankenangst" vermutlich politisch mit dem um jeden Preis zu vermeidenden, wenn auch nur lokalen Rückschlag kombinierte. Recht logisch ist dann die Vorsicht, jeden Rückschlag durch Anhalten zu vemeiden und den vorsichtigeren Stellen die Oberhand zu geben.


* noch während der Bzura-Schlacht (Feldzug in Polen, September 1939, HG süd, wie hier ebenfalls von Rundstedt geführt, mit der ominösen Flankenangst) hatte das OKH die Oberhand und zog die "große Linie" trotz lokaler Krise einfach durch. Auf das dritte Flankenangst-Szenario traf Rundstedt im Juli/August 1941 während des Vormarsches auf Kiew, mit dem "Pripjet-Problem" (sowjet. 5. Armee) an/"in" der Seite. Das war der Auftakt zum Disput "Moskau oder Kiew" und zum Abdrehen von Teilen der HG Mitte aus der Moskau-Richtung nach Süden.
 
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Hitlerbiograf und Historiker Ian Kershaw hat vor fast 10 jahren mal einen sehr interessanten Artikel über einen Nicht ausgeführten haltebefehl und dessen Folgen verfasst: Wie der Zweite Weltkrieg ganz anders hätte verlaufen können | NZZ

Hunderttausende britischer, französischer und belgischer Soldaten waren im Mai 1940 im Hafen von Dünkirchen eingekesselt. Dann liess Hitler den Angriff abbrechen. Was wäre geschehen, wenn er sich anders entschieden hätte?

[mod]Bitte in Zukunft das Copy-Right beachten. Zitate sind erlaubt, dürfen aber max. 12 % oder 20 Seiten umfassen (oder waren es 20 % und 12 Seiten?). [/mod]
 
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Die Vorstellungen über einen anderen Kriegsausgang bei Ausbleiben des Haltbefehls sind Spekulation bzw. reine Phantasie, und und dienen nur als Grundstock für Legendenbildung.
 
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