Nach wie vor finde ich die Diskussion um ein Enddatum des Lagers in Anreppen sehr interessant.
Zunächst einmal kann ich die Erklärung Kühlborn's (relative Fundarmut, Fehlen von Münzen mit dem VAR-Gegenstempel) gut nachvollziehen. Eine relativ kurze Belegungszeit dieses Lagers scheint daher nicht auszuschliessen. Dann müßte man davon ausgehen, daß dieses Lager lediglich für die Feldzug Kampagne des Tiberius 4/5 n. Chr. angelegt worden ist und somit wahrscheinlich nur max. 2 Jahre in Betrieb war. An der gigantischen Anlage in Oberaden erkennt man durchaus, daß die Römer wohl sehr pragmatisch gehandelt haben. Dieses Lager in Oberaden hatte mit dem Sieg, bzw. der Umsiedlung der Sugambreer offensichtlich seinen Zweck verloren und wurde somit planmäßig geräumt und aufgelassen. Der archäologische Befund spricht da wohl eine eindeutige Sprache.
Trotzdem, bei allem Pragmatismus:
In gewissen Belangen sticht das Lager in Anreppen aber auch ein wenig heraus. Es gibt auch gewisse Unterschiede zu den anderen Militärlagern an der Lippe, zunächst rein baulicher Natur. Hier sei einmal an die Dimensionen der Gebäude erinnert. So waren die Unterkünfte für die Centurionen in Anreppen vergleichsweise gut dimensioniert. Es gab sogar unterschiedlich große Centurionenunterkünfte dort. Und diese Unterkünfte waren einzelstehende Gebäude im Unterschied zu z.B. Haltern. Dann dieses prätorium, welches nahezu palastartige Strukturen aufweist und mit seiner Größe und auch Beschaffenheit einzigartig im ehemaligen Germanien ist.
Und noch etwas:
In Anreppen gab es auch eine Therme - was meines Wissens in Haltern oder Oberaden nicht der Fall ist. Und diese waren durchaus gut gebaut, z.B. mit entsprechender Fußbodenheizung und einer Ofenanlage. Diese Ofenanlage ist das einzig bekannte steinerne Bauwerk der Lippelager.
Und dann die auffälige Anzahl und auch Größe der Speichergebäude. Auch dieses Merkmal ist eher alleinstehend für die Lippelager.
Hinweisen muß man auch auf die Lage des Lagers. Es ist nunmal der östlichste Punkt an der Lippe. Bis Anreppen war die Lippe wohl gerade noch schiffbar. Somit wohl der östlichste Punkt um Güter per Schiff zu transportieren.
Ein anderer Punkt ist natürlich auch die Zeit.
Offensichtlich wurde mit dem Bau des Lagers wohl im Herbst 4 n.Chr. begonnen. Der Bau wurde aber 5 n.Chr. fortgesetzt (vergl. die dendrochronologischen Untersuchungen). Nachdem der Tiberius den Feldzug 5 n.Chr. entsprechend abgeschlossen hatte, war Germanien wohl zu einem großen Teil unter römischer Kontrolle, so daß man eine mögliche Provinzialisierung vorantreiben konnte. Warum sollte man da auf ein solches Lager verzichten? Für Varus war es der östlichste Stützpunkt an der Lippe, ein Lager welches ihm persönlich alle Annehmlichkeiten (prätorium) bot. Aber nicht nur ihm sondern auch seinen Soldaten (großzügige Unterkünfte, Therme). Und dann natürlich die Speichergebäude für den Nachschub, bzw. die Verpflegung für die Legionäre auf einem Marsch weiter nach Osten - z.B. für ein Sommerlager.
Und das Lager war gut gesichert:
Es gab einen gut dimensionierten Spitzgraben (ca. 7m breit und zwischen 2,3 und 2,4m tief). Im nördlichen Teil bot die Lippe einen zusätzlichen Schutz. Im südlichen Teil gab es einen zweiten (und evt. sogar dritten?) vorgeschobenen Spitzgraben. Dazu die übliche Holz/Erde Mauer. Normalerweise müßte man davon ausgehen, daß diese Anlage insbesondere nach den erfolgreichen Tiberius Feldzügen auch mit einer relativ kleinen Lagermannschaft gut zu verteidigen war. Zumahl die Germanen nicht in der Lage waren eine solche Anlage wirksam anzugreifen. Und aufgrund der Kapazitäten an Speichergebäuden hätte auch eine mögliche Belagerung zwecks Aushungerns wenig Sinn gemacht. Ich könnte mir schon denken, daß sich eine solche Anlage wie in Anreppen mit relativ geringem personellem Aufwand durchaus aufrechterhalten ließ - vieleicht ja auch deshalb die Fundarmut.
Bleibt die Frage nach dem Sinn dieser Anlage. Darüber kann man trefflich streiten und spekulieren. War sie lediglich für die Fortführung des Feldzuges von Tiberius 5 n.Chr. geplant? Oder hatte die Anlage darüber hinaus eine wichtige Aufgabe, wie z.B. die Speicherung von Getreide oder die Kontrolle der wichtigen Lippe Linie möglchst weit östlich?
Mögliches Fazit:
Die Lage dieses Lagers (weit östlich an der Lippe) war optimal. Die Anlage bot gute Speicherkapazitäten und war nahezu hervorragend ausgebaut und ließ sich wohl auch mit geringerem personellen Aufwand gut verteidigen. Die gute strategische Lage des Lages und die entsprechende Infrastruktur müssen die Frage erlauben:
Warum sollten die Römer diese Anlage nach nur so kurzer Zeit aufgeben?
So jetzt ist dieser Beitrag viel länger geworden als ich es ursprünglich geplant habe. Es gibt aber auch so viele grundsätzliche Fragen.:rotwerd: