Welchen Teil des Ultimatums hat Serbien 1914 nicht erfüllt?

Ich will auf damalige sprachliche Konventionen im Bereich der Diplomatie hinaus.

Es sind Diplomaten und vor allem die Presse mit mehreren Muttersprachen beteiligt und die Macht solcher Worte hat Europa 1870 erlebt.

Die sprachliche Wucht des Ultimatums - wobei es eigentlich keine sprachlichen Verständnisunterschiede gab - sind oben anhand der englischen Reaktion oder auch der Reaktion der kleineren europäischen Länder wie Belgien und Niederlande dargestellt.

silesia schrieb:
Eine Auswahl der Wertungen zum öu Ultimatum: die größten pessimistischen Erwartungen übertroffen, exzessiv, kriegerisch, ein Vorwand zum Krieg mit dem Ziel der Auslöschung Serbiens, wird die Haltung zu Serbien trotz des Mordes in Europa außerhalb von Deutschland und ÖU zum Kippen bringen, DR steht hinter dieser Aktion. Nehmen wir dazu die Meinung abseits der Großmächte, die hier nicht als Treiber oder Akteure oder Betroffene vor dem 25.7.1914 gelten können: Belgien, Niederlande, Schweiz, Schweden, Norwegen.

Diese Wertung betrifft die betont gesetzte kurze Frist von 48 Stunden nach einem Zuwarten von 3 Wochen, den Inhalt, die scharfe Form. Im Kontext steht außerdem, dass in Europa die Spatzen von den Dächern pfiffen: Deutschland steht hinter diesem scharfen Vorgehen zur Kriegsvorbereitung, während deutscherseits durch die Botschafter und Berlin die Mitwirkung an dem Ultimatum, ja sogar Kenntnis vom österreichischen Text bis zum 23.7. komplett bestritten wurde.

Dieser so wahrgenommene "exzessive" Text der öu-Note veranlasste Belgien am 24.7.1914, einen Tag nach Übergabe des Ultimatums und 24 Stunden vor Ablauf, seine Botschafter in Paris, London, Wien und Berlin dringend vor dem Ausbruch eines Krieges zu waren, und - belgische "Kriegsvorbereitung" - bereits vorsorglich den Text einer Neutralitätsdeklaration an alle Botschafter zu übergeben.

Auf Details kam es bei den Reaktionen und Wertungen nicht an, sondern auf das "Gesamtkunstwerk" und die Begleitmusik.
 
Oh, Missverständnis: Ich meine nicht die Reaktionen und Wertungen sondern die zwei Tage später möglichen Lösungsversuche.

Denn nach dem Ultimatum konnte die Uhr natürlich nicht zurück gedreht werden. Ein Kompromiss hätte nur dann funktionieren können, wenn Serbiens Hoheitsrecht nicht in Frage gestellt werden würde (Untersuchungen hätten also nicht gegen Serbien durchgeführt werden dürfen) und andererseits die bewusste Schärfe des Ultimatums "vorzeigbares" für Wien gebracht hätte.

Letzteres wäre wohl aber nur mit einer funktionierenden serbischen Strafverfolgung UND der Bereitschaft auch serbische Staatsbürger zu verurteilen gelungen. Zusätzlich hätte es noch einen Mechanismus für zu erwartende Vorwürfe gebraucht, denn das Vertrauen war allgemein bekannt nicht groß.

Ich suche also weniger nach einem tatsächlich möglichen Ausweg als vielmehr nach diplomatischen Lösungsansätzen in einer bereits verfahrenen Situation.
 
Ich suche also weniger nach einem tatsächlich möglichen Ausweg als vielmehr nach diplomatischen Lösungsansätzen in einer bereits verfahrenen Situation.

Die erste Voraussetzung dafür wäre gewesen, eine Verlängerung der taktisch gesetzten Frist (noch dazu terminlich abgestimmt auf den Poincare-Besuch in Petersburg) überhaupt in Erwägung zu ziehen.

Im Prinzip ist das der britische Vorschlag "zu reden", bzw. eine Konferenz einzuberufen. Es ist plausibel, bei einem Zeitgewinn für alle von einer letztlich diplomatischen Lösung auszugehen, wobei der Ausgangspunkt für ÖU sicher nicht schlecht gewesen wäre. Knackpunkt jeder Satisfaktion in dieser Form für ÖU wäre aber, dass der Status Quo und die Machtlage auf dem Balkan damit zementiert worden wäre.

Auf den Punkt gebracht war die Ausschaltung Serbiens das politische Ziel. Ich weiß nicht, wie das hätte diplomatisch erreicht werden können. Gewinner wäre aber vielleicht das Deutsche Reich gewesen, weil nach einem Konferenzangebot Großbritannien die Unterstützung für RUS entzogen hätte, was auch für FRA entscheidend gewesen wäre. Die diplomatischen Beziehungen GB/RUS hätten sich evt. wesentlich verschlechtert, da wäre eine Altlast geblieben. Dann wäre die Risikopolitik aufgegangen.

Hätte, hätte ...
 
Nicht zu eskaliere n wäre sehr wichtig gewesen. Die frühzeitige russische Mobilmachung war verheerend; ebenso die französischen Zusagen.
 
Nicht zu eskaliere n wäre sehr wichtig gewesen. Die frühzeitige russische Mobilmachung war verheerend; ebenso die französischen Zusagen.

Die Teilmobilmachung war Konsequenz und politische Reaktion auf die bekannten Absichten ÖUs, das Ultimatum zum Krieg zwecks Beseitigung Serbiens zu benutzen. Diese Wahrnehmung hatten selbst die neutralen kleineren Länder Europas. Entsprechende diplomatische Warnungen, aus denen klar war, dass Russland das nicht hinnehmen werde, wurden bis zum 24.7. wurden von ÖU missachtet. siehe hier:
Als der österreichische Botschafter Giesl nach Belgrad nach dem 7.7.1914 auf seinen Posten zurückkehren wollte, wurde er von Berchtold folgendermaßen instruiert: „Wie immer die Serben auf das Ultimatum reagieren, Sie haben die diplomatischen Kontakte zu beenden und es muss zum Krieg kommen“. [2, S. 15]
2. F. Fellner: Austria-Hungary, in: K. Wilson: Decisions for War. 1995, S. 9-26

Auf diese Kriegspläne wurde logisch nachvollziehbar mit dem Versuch der militärischen Abschreckung geantwortet: völlig richtig wurde dabei russischerseits (wie in ganz Europa) vermutet, dass das Deutsche Reich hinter dem Ultimatum und dem Kriegskurs mit einer Unterstützung steckt, woraus sich die plausible Position ergab:
"The only hope of stopping Germany is calm resolution preparedness to begin military operations"
Bobroff, War accepted but unsought: Russia's growing militancy and the July Crisis 1914, S. 247 - in: Levy/Vasques, The Outbreak of the First World War - Structure, Politics and Decision-Making, 2014.



Zur russischen Erklärung der Kriegsvorbereitungsphase und Zeilmobilmachung:

http://www.geschichtsforum.de/f62/k...d-russlands-vom-deutschen-blankoscheck-48521/

silesia schrieb:
Er beschreibt als Quelle für den 16.07. den italinienischen Außenminister. Dieser informiert den italiniensichen Botschafter in St. Peterburg und kuz danach soll Sazonow es ebenfalls gewußt haben. Wohl nicht direkt, sondern es wurde jemand in der "Linie" informiert und hat es nach oben kommuniziert.
Im Juli war der ital. Außenminister San Guiliano aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit in Fiuggi. Dort weilte auch der - "chatty" (mitteilsame) - deutsche Botschafter Hans von Flotow. Von ihm erführ Guiliano am 16.07, dass Ö-U beabsichtigte, Gewalt gegen Serbien anzuwenden.

Am 17.07 erfuhr er zudem, dass Ö-U ein Ultimatum an Serbien formulierte, die für Serbein unannehmbar wären und darin duch das DR unterstützt würde (vgl. FN 53).

Ab dem 21.07 kannten die Italiener die Details der geplanten Aktionen von Wien und Berlin und diese wurden unter anderem nach St. Petersburg telegrafiert.

Diese detaillierte Nachricht an die Botschaften wurde durch die Russen aufgefangen und dechiffriert. Sodass R und F ab dem 21.07. über die differenzierten Planungen "im Bilde" waren. Und sich das ursprünglich diffuse Bild seit dem 16.07. konkretisierte.

Der italienische Außenminister San Guiliano informierte am 16.7. morgens seine Botschafter über die Gespräche mit Flotow, wonach ÖU Forderungen an Serbien stellen werde (speziell: staatliches Vorgehen gegen pan-serbische Propaganda) und ggf. Gewalt anwenden werde. Neben der Information von Flotow gab es gleichlautende Vermutungen in Italien aus "Wiener Kreisen", vorwiegend wohl Presse.

Sazonow war bis 18.7. abwesend, und informierte sein Außenministerium über ein Gespräch mit dem italienischen Botschafter Carlotti (vom 16.7.), in dem ihn Carlotti über die beabsichtigte Note (unklaren Inhalts, aber mit Androhung von Gewalt) an Serbien unterrichtet hat. Völlig konträr dazu waren die Auskünfte des Botschafters von ÖU, der von "völlig friedlichen Absichten ÖUs" berichtete. Der scharfe Gegensatz stärkte Sazonows Mißtrauen.

Von den neuen italienischen Nachrichten erfuhr Sazonow am 22.7. Demnach sei San Guiliano davon überzeugt: "that Austria was preparing a great blow and aims to annihilate Serbia". Parallel wurde San Guiliano aber auch von französchen Diplomaten zitiert, man müssen auf ÖU einwirken, damit nur akzeptable Bedingungen an Serbien gestellt werden, oder sich Maßnahmen auf das Territorium von ÖU beschränken (er schlug die "Schließung serbischer Clubs" zB in Wien (sic!) vor).

Die Gespräche mit Poincare müssen in dem Zeitpunkt der Information Sazonows bereits gelaufen sein, denn er wurde vom Zar am 22.7. um 18 Uhr verabschiedet, während der über diese neue Nachricht sehr aufgeregte Sazonow erst am 23.7. morgens um 4 Uhr die Meldung an seine Botschaften weiterkabelte, speziell an seinen russischen Botschafter in Wien Shebeko, wonach er "credible information" habe, "Austria is planning to undertake measures against Serbia". Für dieses Telegramm morgens um 4 Uhr ist Sazonow ins Büro geeilt, vermutlich wird man (Schlling, der für die Dechiffrierungen zuständig war) ihn also in der Nacht informiert haben.

Sazonow verlangte von Shebeko, Wien sofort "freundlich, aber ganz bestimmt" auf die "gefährlichen Konsequenzen" hinzuweisen, sofern die Maßnahmen ÖU Forderungen enthielten, die unannehmbar seien. Wien sei auch darauf hinzuweisen, dass sowohl Frankreich als auch Russland die Beseitigung Serbiens nicht hinnehmen würden. Er kündigte Shebeko außerdem an, dass Frankreichs Botschafter in Wien eine identische Warnung in Kürze abgeben würde. [Dabei muß es sich um eine Erwartung gehandelt haben, aufgrund der miot Poincare geführten Gespräche]

sowie
http://www.geschichtsforum.de/f62/m...914-smoking-guns-48394/index2.html#post714610
zur Kriegsvorbereitungsphase, Teil-Mobilmachung und Mobilmachung.
 
Wenn ÖU Serbien hätte beseitigen wollen, dann hätte ein Angriff direkt nach dem Attentat erfolgen müssen. Da wäre die Öffentlichkeit dabei gewesen. Also Attentat, Mobilmachung und Ultimatum und dieses anders formuliert. Ziel hätte z.B. sein können Serbien zu einem verlustreichen Kampf zu zwingen oder Zugeständnisse zu machen.

Im Verlauf der Julikrise ergab sich so aber eine Absprache zwischen Russland und Frankreich und der Start der Mobilmachung in Russland.

Allerdings war der eigene Vorlauf viel zu groß und der Automatismus verschiedener Dinge wurde nicht wirklich überblickt.
 
Auf "What If" lässt sich vieles vertreten.

Man kann es so auch konträr sehen: der Krieg war nicht die erste europäische Erwartung, vor dem Ultimatum. Mombauer schreibt:

"Es war fast allen europäischen politisch und militärisch Verantwortlichen bewusst, dass die Ermordung Franz Ferdinands ernste Konsequenzen haben könnte. Man hoffte aber allgemein, dass es nicht zu größeren Verwicklungen kommen werde. Im britischen Außenministerium schrieb Sir Arthur Nicolson am 30. Juni an den britischen Botschafter in Petersburg: «Die Tragödie, die sich kürzlich in Sarajewo abgespielt hat, wird, wie ich hoffe, nicht zu weiteren Verwicklungen führen.» Im Ausland wurde allgemein anerkannt, dass Österreich-Ungarn Anspruch auf Satisfaktion hatte. Man hoffte aber, diese werde nicht ausschweifen in antiserbische Agitation oder gar die Souveränität Serbiens beeinträchtigen. So zumindest wurde aus Paris und Petersburg gewarnt. Das Recht auf Kompensation wurde Wien in der Tat zugesprochen." [Anm: Das war es dann aber auch schon - mit Ausnahme von Wilhelm II., nach dem "mit den Serben aufgeräumt werden müsse"]..."

Weiterhin: auch in Wien fehlte die Plausibilität für einen sofortigen Krieg, man könnte als erstes an die durch das Begräbnis ausgestrahlten Signale denken. Dazu wieder Mombauer:

"In Wien war die offizielle Reaktion auf das Attentat gemischt, und es gab, so Imanuel Geiss, eine «peinliche Diskrepanz zwischen offizieller Empörung und dem ‹Begräbnis dritter Klasse› einerseits, öffentlicher Indifferenz und interner Erleichterung über das Abtreten des Thronfolgers andererseits». Gewiss, nach außen hin gab man sich empört und gramvoll, und der Tod des Thronfolgers wurde als großer Verlust dargestellt. Aber sein aufbrausendes Temperament und seine unberechenbaren Launen hatten den Erzherzog bei seinen zukünftigen Untertanen nicht beliebt gemacht. Auch bei seinem Onkel, Kaiser Franz Joseph, stand er nicht zuletzt wegen seiner dem Wiener Hofzeremoniell nicht gerecht werdenden morganatischen Ehe mit Sophie von Hohenberg nicht besonders hoch im Kurs. Zugleich genoss er auch am Ballhausplatz, wo sich das österreichisch-ungarische Außenministerium befand, kein hohes Ansehen, vor allem wegen seiner toleranten Einstellung gegenüber den Minoritäten der Doppelmonarchie. "
 
Wenn ÖU Serbien hätte beseitigen wollen, dann hätte ein Angriff direkt nach dem Attentat erfolgen müssen. Da wäre die Öffentlichkeit dabei gewesen. .....

Insbesondere baute man auf deutscher Seite darauf, dass eine rasch erfolgende kriegerische Antwort durch ÖU das Risiko eines europäischen Konflikts mindern würde,
da die vorhandene internationale Empörung, auch die des Zaren, über das Attentat dabei hilfreich sein würde.
Nun gab es aber Gründe für ÖU nicht sofort loszuschlagen.
Ein Grund mag darin bestanden haben, dass viele Soldaten gerade auf Ernteurlaub waren, ein anderer Grund ist in dem Umstand zu sehen, dass die Entscheidungsfindung der Doppelmonarchie zeitaufwändig war.
Die ungarische Seite war ja nicht gleich bereit einer Aggression zu folgen, da sie eine Verschärfung der ohnehin bestehenden Minderheitenproblematik befürchtete. Zudem war gerade für den ungarischen Teil der Monarchie die Ermordung des Thronfolgers gewissermaßen ein Glücksfall. Denn die von diesem verfolgte innere Strategie der Aufwertung des slavischen Bevölkerungsteils zu eigener Autonomie, analog zur ungarischen, hätte die mühsam errungene Sonderstellung Ungarns (Transleithanien) relativiert.
Zudem sah sich ausgerechnet der oberste Militär Conrad von Hötzendorf, der ja stets auf einen Präventivkrieg gegen Serbien (und auch zwischendurch mal gegen Italien) gedrungen hatte, garnicht in der Lage eine schnelle Mobilisierung durchzuführen.
Es ging also nicht so schnell;
und mit der verrinnenden Zeit wurde die Empörung schwächer während das Misstrauen wuchs, und damit auch die Gefahr des großen Krieges.

Es ging hier, so wie es verstehe, um eine "Öffentlichkeit" im internationalen Rahmen,
aber auch um verschiedene Wahrnehmungen innerhalb der Doppelmonarchie.
 
Für die Entscheidungsfindung in Wien war die Meinung des deutschen Verbündeten bzw. dessen Unterstützung von erheblicher Bedeutung. Das war derZweck der Mission von Hoyos. Nur Hoyos hat wohl in Berlin suggeriert, das Wien bereits die Weichen gestellt waren, was nicht der Fall war. Hoyos hat Wilhelm getäuscht.

Und zur russischen Mobilmachung, das diese nur ein "genialer Bluff" gewesen sein soll, glaube ich nicht. Ich habe in meiner Literatur, die ist nicht gerade gering zum Thema ist, keinen einzigen entsprechenden Hinweis gefunden. Es wurden sage und schreibe 1,1 Millionen Soldaten mobilisiert und das angeblich nur für die Abschreckung. Wie wollte und sollte das denn bitte kommuniziert werden?
Die Mobilmachung konnte vom Deutschen Reich und Österreich-Ungarn nur als das aufgefasst werden, was sie war, nämlich die unmittelbare Phase zur Vorbereitung der militärischen Streitkräfte Russlands für den Krieg und wirkte daher grauenhaft eskalierend.
 
Für die Entscheidungsfindung in Wien war die Meinung des deutschen Verbündeten bzw. dessen Unterstützung von erheblicher Bedeutung. Das war derZweck der Mission von Hoyos. Nur Hoyos hat wohl in Berlin suggeriert, das Wien bereits die Weichen gestellt waren, was nicht der Fall war. Hoyos hat Wilhelm getäuscht.
....

Es spricht viel dafür, dass Wien bereits "die Weichen gestellt" gestellt hatte.
Dies in dem Sinn, dass ein Krieg gegen Serbien, unabhängig von dessen Reaktion, eine beschlossene Sache war.
Nun hatte aber Wien auch noch Budapest zu berücksichtigen.
Hätte Berlin eine vergleichsweise starke Gegenmetropole (etwa ein vergleichsweise starkes München), in eine sich dadurch komplizierende Entscheidungsfindung einbeziehend integrieren müssen, ..die Preussen hätten womöglich nicht so schnell geschossen..
Wilhelm mag getäuscht worden sein.
Es stellt sich aber die Frage, inwiefern dies einer vorhandenen Sachlage entsprach,
oder dem Selbstverständis eines überforderten Möchtegernautokraten des "fin de siecle".
Unwahrscheinlich scheint es mir zu sein, dass die wechsel- und launenhaften Einschätzungen Wilhelms hierzu, am Vorabend des gesellschaftlichen Umbruchs, für allzu ernsthaft genommen wurden.
War es nicht so, dass selbst im innersten Zirkel der Macht, dieselbe als eine Verwelkende verstanden wurde?
 
Nun gab es aber Gründe für ÖU nicht sofort loszuschlagen.
Ein Grund mag darin bestanden haben, dass viele Soldaten gerade auf Ernteurlaub waren, ein anderer Grund ist in dem Umstand zu sehen, dass die Entscheidungsfindung der Doppelmonarchie zeitaufwändig war.
Die ungarische Seite war ja nicht gleich bereit einer Aggression zu folgen, da sie eine Verschärfung der ohnehin bestehenden Minderheitenproblematik befürchtete. Zudem war gerade für den ungarischen Teil der Monarchie die Ermordung des Thronfolgers gewissermaßen ein Glücksfall. Denn die von diesem verfolgte innere Strategie der Aufwertung des slavischen Bevölkerungsteils zu eigener Autonomie, analog zur ungarischen, hätte die mühsam errungene Sonderstellung Ungarns (Transleithanien) relativiert.
Zudem sah sich ausgerechnet der oberste Militär Conrad von Hötzendorf, der ja stets auf einen Präventivkrieg gegen Serbien (und auch zwischendurch mal gegen Italien) gedrungen hatte, garnicht in der Lage eine schnelle Mobilisierung durchzuführen.
Das sind ja mehrere Punkte. Der Ernteurlaub darf aber doch kein Hinderungsgrund gewesen sein. An anderen Stellen wurde auf das zivile Leben (viel zu) wenig Rücksicht genommen, warum also hier?
Die Entscheidungsfindung hat natürlich lange gedauert, aber mein Punkt ist ja, dass die Befürworter eines Krieges den Zeitablauf hätten forcieren müssen, so wie andere hätten bremsen müssen. Es wurde aber erst noch viel ausgelotet, so dass auch andere (vor allem Frankreich und Russland) tätig wurden.
Die Person des Thronfolgers und die geringe Trauer in Ungarn spielen eigentlich keine Rolle, denn es geht nicht um Vergeltung für den Mord, es geht um die Ausnützung der Tat weil die Gelegenheit sich ergeben hat.
Die Mobilisierung war Anfang August auch nicht schneller, das Argument hätte dann jegliche Offensivaktionen gestoppt. Aber das Einleiten der Mobilisierung (wenn schon nicht die Durchführung) hätte beschleunigt werden können und müssen. An dem Punkt haben sich die Russen einen guten Vorteil gesichert.

Das Ultimatum hätte gerade für die Befürworter eines Präventivkrieges also nicht erst nach einer Antwort kommen dürfen. Es hätte viel früher nach dem Mord kommen müssen und nach einer (zumindest) Teilmobilmachung gegen Serbien. Dann hätte die Drohung klar im Raum gestanden mit einem "Fügt Euch, sonst..." und es hätte nicht der diplomatisch kurze Zeit von zwei Tagen bedurft (bei damaligen Kommunikationsgeschwindigkeiten) und Eindruck zu hinterlassen. Wäre man dann während der Mobilisierung zum Entschluss gekommen, ein Angriff ist nicht sinnvoll, dann hätte ein Verzicht immer noch positiv verpackt werden können (Friedenswunsch, ausreichende Satisfaktion wurde erhalten, blablabla). Aber zu so einem Vorgehen hat doch keiner das Wort geredet, oder?
 
Das Ultimatum hätte gerade für die Befürworter eines Präventivkrieges also nicht erst nach einer Antwort kommen dürfen. Es hätte viel früher nach dem Mord kommen müssen und nach einer (zumindest) Teilmobilmachung gegen Serbien. Dann hätte die Drohung klar im Raum gestanden mit einem "Fügt Euch, sonst..." und es hätte nicht der diplomatisch kurze Zeit von zwei Tagen bedurft (bei damaligen Kommunikationsgeschwindigkeiten) und Eindruck zu hinterlassen. Wäre man dann während der Mobilisierung zum Entschluss gekommen, ein Angriff ist nicht sinnvoll, dann hätte ein Verzicht immer noch positiv verpackt werden können (Friedenswunsch, ausreichende Satisfaktion wurde erhalten, blablabla). Aber zu so einem Vorgehen hat doch keiner das Wort geredet, oder?

Wenn ich das richtig interpretiere, deutest Du die Möglichkeit an, dass es einen anderen Ablauf in Bezug auf die Reaktionen der Großmächte (und hier interessieren GB/FRA/RUS) gegeben haben könnte, wenn die militärische Reaktion ÖU mit Rückendeckung des DRs schneller gekommen wäre.

Darüber kann man spekulieren, aber wir sollten eine Orientierung an den tatsächlichen Abläufen nicht verlieren. Also eine "5-Fragen-Probe":

1. welche Erwartungen an die österreichische Reaktion bestanden tatsächlich von Seiten anderen Staaten in einer denkbaren Konfrontation: war sofortiger Krieg oder ein Unterwerfungsvorgang vergleichbar dem Ultimatum (wurde dieses inhaltlich so allgemein erwartet, oder erst ab Mitte Juli?) ein allgemein nachweisbares Szenario?

2. Gibt es Quellenhinweise in GB/FRA/RUS, die sich politisch-strategisch-militärisch mit einem öu-Krieg gegen Serbien und passiven Reaktionen darauf explizit beschäftigen?

3. Gibt es Quellenhinweise dieser Staaten, die mindestens politisch-strategische Grundlinien oder Analysen offenlegen, die zwar nicht unmittelbar 2. betreffen, aber "gewisse Plausibilitäten" begründen, dass man bei einer schnellen Reaktion passiv geblieben wäre?

4. Gibt es zwar 1., 2., und 3. nicht, aber gibt es aktuelle Forschungsliteratur, die diesen Gedanken in einer Analyse zu plausibilisieren versuchen? Das könnten Vergleiche sein, oder sozio-politische Modelle, die eine solche Passivität zB als "Schockreaktion" nahelegen?

5. Gibt es noch einen Aspekt außerhalb von 1. bis 4., der bedenkenswert wäre? (mir fällt ad hoc keiner ein)

Das würde ich als Anforderung an eine minimale Objektivierung ansehen.

Wenn es nichts dergleichen von 1. bis 4. gibt, würden wir uns im freien Raum der Spekulation bewegen. Dann lässt sich alles und nichts vertreten, das hilft aber zum Thema nicht weiter.

Wilhelm mag getäuscht worden sein.
Es stellt sich aber die Frage, inwiefern dies einer vorhandenen Sachlage entsprach,
oder dem Selbstverständis eines überforderten Möchtegernautokraten des "fin de siecle".
Unwahrscheinlich scheint es mir zu sein, dass die wechsel- und launenhaften Einschätzungen Wilhelms hierzu, am Vorabend des gesellschaftlichen Umbruchs, für allzu ernsthaft genommen wurden.

Nun, die wechsel- und launenhaften Einschätzungen des Kaisers stimmten jedenfalls beim Einstielen des Risikogedankens mit denen von Bethmann-Hollweg überein, vom Kaiser seit dem 5.7., aber auch an Bord während der Seereise eher burschikos, von Bethmann eher professionell formuliert:

- die Krise auszunutzen, um die politischen Beziehungen zwischen GB-RUS-FRA eskalieren und möglichst brechen zu lassen.
- den aus d/öu Sicht bestehenden "Schurkenstaat" Serbien - der laut d/öu Quellen außerhalb der zivilisierten Staatenwelt steht - bei der Gelegenheit zu beseitigen
- den lokalen Krieg zur Beseitigung Serbiens einzuleiten
- Russland von jeder Unterstützung Serbiens durch glasklares deutsches "backing" von ÖU abzuhalten

Immerhin wurde so der Blankoscheck "ernstgenommen" und von der Außenpolitik und den deutschen politischen Führungszirkeln "quergezeichnet". Das "nicht-ernst-nehmen" würde ich eher auf Wilhelms Rückzieher vom 27./28.7. beziehen, als wahrscheinlich wurde, dass die Risikopolitik gescheitert ist.
 
Zu Nr. 1 - Erwartungen - hier die unmittelbare Einschätzung aus dem Protokoll des ÖU Ministerrates vom 7.7.1914 über die Frage des Europäischen Krieges (sozusagen die Selbsteinschätzung), ...

(Als "minutes" abgedruckt zB bei Mombauer, Origins, Dokument 134)

... hier als Ergebnis zitiert nach Rauchensteiner:

"Bei Durchsicht der Protokolle dieses gemeinsamen Ministerrats fällt auf, dass die Forderung nach einem Krieg gegen Serbien schon unmissverständlich erhoben wurde, bevor noch Conrad die von ihm verlangten militärstrategischen und operativen Auskünfte gegeben hatte, die allerdings nicht protokolliert werden durften. Eines ist ebenso unmissverständlich aus diesem Protokoll zu ersehen: Nach dem Vortrag Conrads musste sich jeder Sitzungsteilnehmer darüber im Klaren sein, dass es sich mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht um einen isolierten österreichisch-serbischen, sondern um einen europäischen Krieg handeln würde. Conrad hatte zu drei Problemen Stellung zu nehmen: Ob es möglich sei, gegen Serbien und erst nachträglich gegen Russland zu mobilisieren. Die Antwort war: Ja, wenn die vollständige Mobilmachung nicht später als am 5. Tag des Aufmarsches gegen Serbien erfolgt. Die zweite Frage ging dahin, ob es möglich sei, zur Einschüchterung Rumäniens größere Truppenkontingente in Siebenbürgen zu belassen. Das war eine Frage, an der der ungarische Ministerpräsident vorrangig interessiert war. Conrad bejahte ebenfalls. Die dritte Frage war, wo man den Kampf mit Russland aufnehmen könne. Conrad erläuterte den Kriegsfall »R«. Monate später meinte Conrad gegenüber dem stellvertretenden Chef der kaiserlichen Militärkanzlei, Feldmarschallleutnant Marterer, er sei sich »der Schwere der Lage voll bewusst gewesen, aber als Soldat konnte er doch nicht vom Krieg abraten«. Das Fazit des gemeinsamen Ministerrats war: »Es entspinnt sich aufgrund dieser Aufklärungen eine längere Debatte über die Kräfteverhältnisse und den wahrscheinlichen Verlauf eines europäischen Krieges.«"
 
Wenn ich das richtig interpretiere, deutest Du die Möglichkeit an, dass es einen anderen Ablauf in Bezug auf die Reaktionen der Großmächte (und hier interessieren GB/FRA/RUS) gegeben haben könnte, wenn die militärische Reaktion ÖU mit Rückendeckung des DRs schneller gekommen wäre.
Naja, dass die Reaktionen anders ausgefallen wären, wenn die Aktion anders gelaufen wäre, das ist nicht überraschend, eher wenn nicht.

Mein Punkt ist ein anderer: Das Ultimatum wurde 27 Tage nach dem Mord gestellt. Die Entscheidung dazu kam in einer internen Verständigung 9 Tage vorher mit dem Ziel der Ablehnung. Da waren bereits die Deutschen konsultiert usw.

Diese 9 Tage wurden aber nicht zur eigenen Vorbereitung genutzt, denn die Teilmobilmachung wurde erst nach der Ablehnung und nach der Teilmobilmachung Russlands und der Generalmobilmachung Serbiens eingeleitet. Hier wurde also Zeit vertan, die bei den bekannten eigenen Zeitplänen kostbar war. Zumindest eine verdeckte Mobilmachung hätte anlaufen müssen (zumindest hätte ich als Militär sie vehement gefordert).

Drei Tage nach der Ablehnung Serbiens erfolgte die Kriegserklärung und erst weitere Tage später wurde die Generalmobilmachung angeordnet. Der Krieg war also wirklich nicht eilig, oder?

Gerade die Ausführungen zum Ministerrat vom 7.7. zeigen ja das Bewusstsein um die Situation. Ein lokaler Krieg war nur sehr kurz zu erwarten bevor es in einen großen Krieg umschlagen würde. Zur Abschreckung Russlands hätten hier die nicht gegen Serbien marschierenden Truppen die Deutschen durch ihre Mobilmachung unterstützen müssen.

Für mich ergeben sich daraus folgende Fragen:

1. Warum hat es 9 Tage vom Beschluss des Ultimatums bis zur Übergabe gedauert?
2. Haben die Befürworter hier eine Beschleunigung versucht?
3. Warum wurde das doch eh von allen Seiten als scharf gestellte Ultimatum nicht stärker mit Truppen untermauert? Angst vor dem Vorwurf der Kriegstreiberei?
4. Nachdem eine ablehnende Antwort auf die noch nicht furmierte antwort Serbiens vorbereitet wurde, warum hat die Kriegserklärung noch 3 Tage gebraucht? Waren hier andere Vermittlungsversuche der Grund oder wurde nicht genug von den Kriegsbefürwortern gedrückt?
5. Nach der Kriegserklärung erfolgten bereits am Folgetag Artillerieangriffe auf Belgrad, aber es dauerte insgesamt 3 weitere Tage um die Generalmobilmachung auszurufen - immerhin einen Tag länger als in Russland.

Die Kriegstreiber in Wien haben sich für meinen Geschmack ziemlich lange mit dem erreichten zufrieden gegeben anstatt nun wirklich den Krieg zu forcieren. Dabei ist ÖU hinter den anderen Mächten zurückgefallen.
 
Naja, dass die Reaktionen anders ausgefallen wären, wenn die Aktion anders gelaufen wäre, das ist nicht überraschend, eher wenn nicht.

Mit der Aktion meinst Du vermutlich: Reaktion "ohne Verzögerung".

Mit der angesetzten Schlussfolgerung springst Du komplett über die oben gestellten 5 Fragen hinweg und unterstellst ein Ergebnis: "wäre anders ausgefallen".

Wieso? Mit welcher Begründung aus Quellen und Literatur?
Das "überraschend" ist für mich keineswegs plausibel und orientiert sich nicht an den Quellen. Hast Du Vorbehalte gegen diese Objektivierung einer solchen These:

silesia schrieb:
1. welche Erwartungen an die österreichische Reaktion bestanden tatsächlich von Seiten anderen Staaten in einer denkbaren Konfrontation: war sofortiger Krieg oder ein Unterwerfungsvorgang vergleichbar dem Ultimatum (wurde dieses inhaltlich so allgemein erwartet, oder erst ab Mitte Juli?) ein allgemein nachweisbares Szenario?
2. Gibt es Quellenhinweise in GB/FRA/RUS, die sich politisch-strategisch-militärisch mit einem öu-Krieg gegen Serbien und passiven Reaktionen darauf explizit beschäftigen?
3. Gibt es Quellenhinweise dieser Staaten, die mindestens politisch-strategische Grundlinien oder Analysen offenlegen, die zwar nicht unmittelbar 2. betreffen, aber "gewisse Plausibilitäten" begründen, dass man bei einer schnellen Reaktion passiv geblieben wäre?
4. Gibt es zwar 1., 2., und 3. nicht, aber gibt es aktuelle Forschungsliteratur, die diesen Gedanken in einer Analyse zu plausibilisieren versuchen? Das könnten Vergleiche sein, oder sozio-politische Modelle, die eine solche Passivität zB als "Schockreaktion" nahelegen?
5. Gibt es noch einen Aspekt außerhalb von 1. bis 4., der bedenkenswert wäre? (mir fällt ad hoc keiner ein)
Das würde ich als Anforderung an eine minimale Objektivierung ansehen.


Mein Punkt ist ein anderer: Das Ultimatum wurde 27 Tage nach dem Mord gestellt. Die Entscheidung dazu kam in einer internen Verständigung 9 Tage vorher mit dem Ziel der Ablehnung. Da waren bereits die Deutschen konsultiert usw.
Das ist ein anderer Punkt als der oben und eine weitere Fragestellung.

Ich versuche gern, darauf aus meiner Sicht eine Antwort zu geben. Die Verzögerungen sind hinreichend gut nachvollziehbar.

Können wir aber erst einmal Deine Ausgangsthese untersuchen, die ich so verstanden habe:?
dass es einen anderen Ablauf in Bezug auf die Reaktionen der Großmächte (und hier interessieren GB/FRA/RUS) gegeben haben könnte, wenn die militärische Reaktion ÖU mit Rückendeckung des DRs schneller gekommen wäre
Oder habe ich das doch falsch verstanden?
 
Können wir aber erst einmal Deine Ausgangsthese untersuchen, die ich so verstanden habe:?
OK, wenn da Klärungsbedarf besteht (und sei es nur der allgemeinen Übereinstimmung wegen).

Die von Dir formulierte These fusst ja auf meiner Bemerkung über Kriegstreiber, die einen anderen forcierten Ablauf hätten betreiben müssen. An welchen Stellen hätte eine solche Forcierung nun etwas geändert?

(wie gesagt, DASS eine Änderung im Geschichtsablauf eintritt wenn die Ausgangssituation sich ändert, das halte ich für relativ einleuchtend - aber für sich betrachtet auch nicht aufschlussreich. Interessant wird es erst, wenn diese Änderung aus der Situation heraus geschlussfolgert wird und dieser Unterschied im Verlauf als Argumentation verwendet wird. Als Beispiel sei eine Schlacht betrachtet. Der eine General hat sie um 8:00 mit einem Befehl eröffnet. Hätte er diesen Befehl nicht gegeben, dann wäre die Schlacht anders abgelaufen {meine These ;)}. Wichtig wäre das aber nur, wenn man den Verlauf der Schlacht mit diesem Befehl in Verbindung bringt, also z.B. den Zeitverlauf auf beiden Seiten vergleicht oder z.B. unterstellt, dass der Befehl um 8:05 deutlich anders ausgesehen hätte. Ansonsten wäre anders einfach nur anders und das Ergebnis nicht signifikant. Es hängt halt von der Fragestellung ab.)

Für die Julikrise bedeutet das, hätte ÖU einen messbaren militärischen Vorteil durch eine Forcierung gehabt (Mobilmachung vor Russland und Serbien)?
Welchen Vorteil hatte die triple Entante durch die Konsultationen während des Julis (insbesondere Frankreich und Russland)?
Waren diese Vorteile ausschlaggebend für das Verhalten gegenüber ÖU bzw. Serbiens?

Ich sehe bei diesen Fragen zwar durchaus Unterschiede im Verlauf, letztlich aber keinen entscheidenden Einfluss auf die Auswirkungen. Die Verwobenheit der Bündnisse, die Starrheit der militärischen Planung besonders in Deutschland und die mangelnde Weitsicht aller in Bezug auf Auswirkungen eines Krieges machten einen lokalen Krieg gegen Serbien praktisch unmöglich. In einem großen Krieg standen sich zu ausgeglichene Kräfte gegenüber, die sich nur gegenseitig erschöpfen konnten. Hier hätte eine gewonnene Schlacht mehr oder weniger nicht viel ausgemacht. Und größere Auswirkungen wie z.B. eine frühere oder spätere Revolution in Russland oder eine größere Meuterei im Westen sind spekulativ weil keine direkten Zusammenhänge bestehen.
 
Mach kurz nachgefragt: Fand die Julikrise nur in zwei europäscihen Hauptstädten?m

Die Diskussion wird schon wieder auf Wien und Berlin fokussiert. Ganz so als ob Paris und Petersburg nur den Frieden bewahren wollten und sich nichts zu Schu8lden kommen lassen haben.

Und warum findet sich in so vielen Werken kein Hinweis auf die m.E. nach abstruse These von der Mobilmachung zwecks Friedenerhalt.
 
Das sind ja mehrere Punkte. Der Ernteurlaub darf aber doch kein Hinderungsgrund gewesen sein. An anderen Stellen wurde auf das zivile Leben (viel zu) wenig Rücksicht genommen, warum also hier?....

Das Einbringen der Ernte war sicher eine Grundvoraussetzung dafür überhaupt Krieg führen zu können. Damit war eine Behinderung der Ernte strategisch nicht sinnvoll. Gefüllte Lebensmittelspeicher sind keine geringere Voraussetzung als etwa vorhandene Munitionslager.
Interesant wäre es zu erfahren, welchen Anteil Soldaten auf Ernteurlaub an der Gesamternte hatten. Kennt jemand Zahlen?

Zu Nr. 1 - Erwartungen - hier die unmittelbare Einschätzung aus dem Protokoll des ÖU Ministerrates vom 7.7.1914 über die Frage des Europäischen Krieges (sozusagen die Selbsteinschätzung), ...

(Als "minutes" abgedruckt zB bei Mombauer, Origins, Dokument 134)

... hier als Ergebnis zitiert nach Rauchensteiner:

"Bei Durchsicht der Protokolle dieses gemeinsamen Ministerrats fällt auf, dass die Forderung nach einem Krieg gegen Serbien schon unmissverständlich erhoben wurde, bevor noch Conrad die von ihm verlangten militärstrategischen und operativen Auskünfte gegeben hatte, die allerdings nicht protokolliert werden durften. Eines ist ebenso unmissverständlich aus diesem Protokoll zu ersehen: Nach dem Vortrag Conrads musste sich jeder Sitzungsteilnehmer darüber im Klaren sein, dass es sich mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht um einen isolierten österreichisch-serbischen, sondern um einen europäischen Krieg handeln würde. ....«"

Als ich das gelesen hatte (Seite 102) war ich schon erstaunt. Denn bisher hatte ich ja angenommen, dass auch Ö-U einen begrenzten Konflikt für wahrscheinlich hielt.
 
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