Weimarer Republik

.. wer im Reich politisch die Hosen an hatte, war immer und zu jedem Zeitpunkt klar: Der Kaiser und die oberen Zehntausend.
...

Thane hat richtige Hinweise gegeben.

Falls es Klarheit darüber gab wer "politisch die Hosen an hatte", so nahm diese doch beständig ab.
"..lag es auf der Hand, daß die traditionellen preußischen Eliten eine äußerst schwierige Aufgabe zu bewältigen hatten, wenn sie ihre Herrschaft über ein Land erhalten wollten, das mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine Phase ungewöhnlich dynamischer Modernisierung und Expansion eintrat."
Dominik Lieven - Abschied von Macht und Würden - Der Europäische Adel 1815 - 1914 / Seite 48

Der Adel und seine Autokratien befanden sich insgesamt auf dem Rückzug und sahen sich neuen Einflüssen ausgesetzt die vorher, insbesondere vor der industriellen Revolution, nicht vorhanden waren.
Das hat verschiedene Ursachen und ich versuche mal ein paar zu nennen:
- Der Aufstieg der Kapitalisten als nicht-adelige Gruppe (Geldadel) verursacht eine deutliche Relativierung des bisherigen Herrschaftsgefüges.
- Mit steigender Vielfalt von Einflüssen und Möglichkeiten steigt auch der Bedarf an einer effektiven Bürokratie und deren Einfluss. Den dafür notwendigen Personalbedarf kann der bisher herrschende Adel nicht mehr aus eigenen Reihen decken. Es ergeben sich auch hier gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten die vorher nicht gegeben waren.
- Mit der Eisenbahn steigt nicht nur die Mobilität der Menschen sondern auch der Gedanken. Durch die Verkürzung von Raum und Zeit entsteht eine tagesaktuelle Presse. Damit entsteht auch erstmals das was man heute „public opionion“ bezeichnet.
- Die Alphabetisierung schreitet rasch voran. (Als Vorreiter kann hier wohl England sehen und es ist bemerkenswert, in welchem Ausmaß Frauen davon profitierten - http://www.econ.ucdavis.edu/faculty/gclark/papers/Clark - JEEA.pdf – Siehe Grafik PDF-Seite 3)
- Die Arbeiterbewegung wächst in diesem raschen Umbruch (man muss sich vor Augen halten, dass es niemals vorher eine vergleichbare Dynamik gab) unaufhaltsam, und zwar weit Nationen-übergreifend.

Es ist längst nicht mehr klar 'wer die Hosen anhat'. Und das gilt in besonderer Weise für herrschende Monarchien, also für solche in denen es einen Obersten Entscheider gibt, der sich auf Gottes Gnaden beruft.
Es ist auch kein Zufall, dass die Staaten, die dieses alte Selbstverständnis hatten, nach dem ersten Weltkrieg entweder zerplatzen und ein neues Selbstverständnis finden (Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich), und die, die 'nur' eine neue Ordnung begründen (Russland und Deutsches Reich)

Der Kaiser Wilhelm hatte jedenfalls nicht mehr die Hosen an, die er auf Paraden trug,
… und auch nicht der Zar, nicht der Franz-Josef , und der osmanische Sultan war schon fast daran gewöhnt, dass man ihm die Hosen auszog.

Also, ich tät mal sagen:
Diese Hosen hatten Hosenträger, die richtig ausgeleiert waren. :)
 
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Das ändert aber alles nichts an der Korrektheit meiner Aussage, nämlich das Wilson doch in Sachen Demokratisierung des Reiches nachgeholfen hat und dies vor allem, und das ist sehr wichtig, auch so vom revisionistischen eingestellten Teil der Bevölkerung so empfunden wurde.

Als externer Impuls hat er die ohnehin vorhandene Friedensbewegung im DR bzw. die revolutionäre Situation Ende Oktober 1918 !!!! dynamisiert. An diesem Punkt kann man sich vermutlich einigen. Also bestenfalls vom 23. 10. 1918 bis zum 9. 11. 1918, also maximal 14 Tage, eine unmittelbare Bedeutung haben können, für die eskalierende Situation im DR.

Die Aussagen in der 3. Note von Lansing vom 23.10. waren ebenfalls vage und vielsagend, was möglicherweise beabsichtigt war. Und genau dieses dynamisierte dann auch - zunächst - die "Revolution von Oben" und erzeugte den Eindruck bei den politischen und militärischen Eliten, dass KW II ein zentrales Hindernis für die Verhandlung über die 14 Punkte wäre.

Aber der Verfallsprozess und die Um- bzw. Neugestaltung des politischen Systems - als Nachfolger des DR - verlief auch unabhängig von der Intervention von Wilson.

Von Ulrich ist dieser 1918 eingeleitete Vorgang als "innere Revolutionierung" bezeichnet worden (V. Ulrich: Zur inneren Revolutionierung der wilhelminischen Gesellschaft des Jahres 1918, in:Duppler & Groß (Hrsg.) Kriegsende 1918, 1999, Oldenbourg, S.273 ff)

Es waren die internen politischen Akteure, auch die Matrosenaufstände etc., die die Dynamik der Neugestaltung ausmachten und da war Wilson nur noch eine Randerscheinung für den - kurzen - Weg über die parlamentarische Monarchie zu einer republikanischen Verfassung.

Allerdings, kann ich auch nach der Durchsicht von mehreren Büchern, u.a. von Kolb, Jesse oder Neitzel zum Kriegsende, keine Hinweise auf eine wichtige oder herausragende Rolle von Wilson für die Demokratisierung im DR Ende 1918 finden. Auch wenn Wilson sie gerne für sich reklamiert hätte.
 
Als externer Impuls hat er die ohnehin vorhandene Friedensbewegung im DR bzw. die revolutionäre Situation Ende Oktober 1918 !!!! dynamisiert. An diesem Punkt kann man sich vermutlich einigen. Also bestenfalls vom 23. 10. 1918 bis zum 9. 11. 1918, also maximal 14 Tage, eine unmittelbare Bedeutung haben können, für die eskalierende Situation im DR.

Die Aussagen in der 3. Note von Lansing vom 23.10. waren ebenfalls vage und vielsagend, was möglicherweise beabsichtigt war. Und genau dieses dynamisierte dann auch - zunächst - die "Revolution von Oben" und erzeugte den Eindruck bei den politischen und militärischen Eliten, dass KW II ein zentrales Hindernis für die Verhandlung über die 14 Punkte wäre.

Aber der Verfallsprozess und die Um- bzw. Neugestaltung des politischen Systems - als Nachfolger des DR - verlief auch unabhängig von der Intervention von Wilson.

Von Ulrich ist dieser 1918 eingeleitete Vorgang als "innere Revolutionierung" bezeichnet worden (V. Ulrich: Zur inneren Revolutionierung der wilhelminischen Gesellschaft des Jahres 1918, in:Duppler & Groß (Hrsg.) Kriegsende 1918, 1999, Oldenbourg, S.273 ff)

Es waren die internen politischen Akteure, auch die Matrosenaufstände etc., die die Dynamik der Neugestaltung ausmachten und da war Wilson nur noch eine Randerscheinung für den - kurzen - Weg über die parlamentarische Monarchie zu einer republikanischen Verfassung.

Allerdings, kann ich auch nach der Durchsicht von mehreren Büchern, u.a. von Kolb, Jesse oder Neitzel zum Kriegsende, keine Hinweise auf eine wichtige oder herausragende Rolle von Wilson für die Demokratisierung im DR Ende 1918 finden. Auch wenn Wilson sie gerne für sich reklamiert hätte.


Die kurze Zeitspanne der "Waffenstillstandsverhandlungen" kann gar nicht hoch genug für die übergroße Mehrheit des deutschen Volkes veranschlagt werden.

Bis zu dem Zeitpunkt der Absendung der Note an Wilson in der Nacht vom 03.10. auf dem 04.10.1918 war den Deutschen doch gar nicht der große Ernst der militärischen Lage bewusst. Wie sollte sie es auch sein?
Jedenfalls war die Nachricht von dem Gesuch um die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen ein gewaltiger Schock. Dann wurde aus der Einleitung zu einer bedingungslosen Kapitulation übergeleitet und letztendlich wurde auch die Änderung der Staatsform angemahnt. Das wurde in der Öffentlichkeit gar nicht gut aufgenommen und die neue Staatsform wurde als von außen aufgezwungen empfunden. Selbst Ebert wollte die Monarchie eigentlich erhalten.

Die wörtliche Formulierung vom 08.Oktober lautet:
"Der Präsident glaubt auch zu der Frage berechtigt zu sein, ob der Kanzler nur für diejenigen Gewalten spricht, die bisher den Krieg geführt haben. Er hält die Antwort auf diese Frage von jedem Standpunkt aus für außerodentlich wichtig.! (1)



(1) Der Waffenstillstand, Band 1, S.11
 
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Anfang Februar 1919, Monate vor Unterzeichnung des Friedensvertrages und entgegen der Bestimmungen des Waffenstillstandes, geschah Folgendes:

Mit "Blockade" hatte das wegen der erlaubten Mengen nichts mehr zu tun. Sie könnten schlicht nicht beschafft werden.

Silesia hat auf die problematische Instrumentalisierung eines Aspekts des Gesamtthemas "Versailler Vertrag" bereits hingeweisen.

Aus meiner Sicht, in Anlehnung an MacMillan, ein paar ergänzende Aspekte.

Im Verlauf des Jahres 1918 begann die militärische Überlegenheit der alliierten Armeen durch die Demilitarisierung deutlich zu schwinden. Im November 1918 standen noch 198 Divisionen zur Verfügung, eine Durchsetzung der alliierten Vorstellungen über die Neuordnung Europas durchzusetzen. Im Juni 1919 waren es nur noch 39 Divisionen und man ging auf alliierter Seite nicht davon aus, dass man in der Lage wäre gegen deutschen Widerstand bis auf Berlin damit vorzustoßen (vgl. Macmillan, Pos. 3233).

Vor diesem Hintergrund und vor der Erkenntnis, dass die harten Bedingungen im deutschen Volk mehrheitlch abgelehnt wurden, stellte sich für die Alliierten die Frage der Fähigkeit der Durchsetzung der Vertragsbedingungen des VV.

Und da verblieb lediglich das Instrument der Blockade, wobei es - neben den Aspekten, die Silesia gezeigt hatte - bereits auch Widerstände aus der RN gab, die Lebensmittelversorgung von Kindern und Frauen zu behindern, obwohl sie bis ca. Mitte 1919 formal aufrechterhalten blieb, so der "Erste Seelord" (vgl. ebd. Pos. 3252). Die Moral der Armee, die mit dem Hunger konfrontiert war, ließ nach.

Unabhängig davon durfte - und Silesia wies bereits darauf hin - entsprechend den Bedingungen des Waffenstillstandsabkommen, Lebensmittel nach Deutschland eingeführt werden.

Die Verantwortung, die vor allem die revisionistische deutschnationale Propaganda den Alliierten zuschob und den Begriff der "Hungerblockade" für ihre Ziele instrumentalisierte, war inhaltlich nicht zutreffend, wie bereits dargestellt.

Die Lieferungen, so eine Bedingung der Alliierten, sollten durch die deutsche zivile Marine geleistet werden, die relativ sicher in deutschen Häfen lag. Dieses Ansinnen verhinderten die - deutschen !!! - Schiffseigner, da sie befürchteten, dass ihre Schiffe konfisziert werden könnten.

Zudem wollte bzw. forderte die deutsche Regierung, da Devisen nicht vorhanden waren, dass die Lebensmittellieferungen nach Deutschland durch Kredite aus den USA zu finanzieren waren, was politisch in den USA zu dem Zeitpunkt nicht mehrheitsfähig war.

Es war letztlich ein Telegramm, das von der britischen Armee in Deutschland kam, dass Lloyd George im "Supreme Council" gegen die Franzosen die Lieferung von Lebensmittel nach Deutschland durchsetzte, da eine Hungersnot drohte. Bezahlt durch noch vorhandene Goldreserven des DR, die die Franzosen als Reparation gefordert hatten (ebd. Pos. 3261).

Die ersten Lebensmittellieferungen erfolgten somit im März 1919.

Es sollte aber bei der Diskussion über dieses Thema auch hingewiesen werden, dass die Frage der Lebensmittelversorgung insgesamt ein massives Problem Anfang der zwanziger Jahre in Europa war und am gravierendsten in Ost-Europa in Erscheinung trat.

https://books.google.de/books?id=EHzgiYw0kegC&printsec=frontcover&dq=paris+1919&hl=de&sa=X&ei=0NhmVe3_EImhsAG4zoKQDA&ved=0CCQQ6AEwAA#v=onepage&q=paris%201919&f=false
 
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Es ist längst nicht mehr klar 'wer die Hosen anhat'. Und das gilt in besonderer Weise für herrschende Monarchien, also für solche in denen es einen Obersten Entscheider gibt, der sich auf Gottes Gnaden beruft.

Es ist auch kein Zufall, dass die Staaten, die dieses alte Selbstverständnis hatten, nach dem ersten Weltkrieg entweder zerplatzen und ein neues Selbstverständnis finden (Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich), und die, die 'nur' eine neue Ordnung begründen (Russland und Deutsches Reich)

Volle Zustimmung. Die einzelne Aspekt beleuchten die Widersprüche der dramatischen Veränderungen durch die Industriealisierung auf der einen Seite und einer aristokratisch geprägten, teilweise in ihren Strukturen verkrusteten - Gesellschaft auf der anderen Seite.

Und es ist auch kein Zufall, dass ein ausgesprochen intelligenter, weitsichtiger Vertreter dieser aristokratischen Gesellschaft, Durnovo, - als Russe, die Gefahren für die autokratischen Regime in Russland und im Deutschen Reich benennt und die gemeinsamen Interessen herausstellt, anstatt das Trennende, das durch die "westlichen Modernisierer" betont wurde (vgl. z.B. D. Lieven: Russia`s Rulers under the old Regime, S. 296ff)

Diese Sicht bzw. die erkannten Gefahren kann ebenfalls auf das DR übertragen werden und benennt die Probleme der abnehmenden Legitimation nach der Wahl 1912 im DR.

In diesem Sinne ist es fast eine Ironie der Geschichte, dass sich zwei autokratische Regime, obwohl eigentlich mehr gemeinsame Interessen vorlagen, durch einen Krieg politisch erledigt haben.
 
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Das wurde in der Öffentlichkeit gar nicht gut aufgenommen und die neue Staatsform wurde als von außen aufgezwungen empfunden. Selbst Ebert wollte die Monarchie eigentlich erhalten.

Für diese These kann ich leider keine Evidenz in der Literatur erkennen. Und die ca. 40 Prozent, die Januar 1919 und Juni 1920 die SPD/USPD gewählt haben, wird man auch nicht als "Monarchisten" bezeichnen können, die diese Staatsform präferiert haben könnten.

Fakt ist:

1. Die SPD hatte traditionell eine starke Bindung an die britische Labour-Partei und sah im britischen Modell einer liberalen, demokratischen parlamentarischen Monarchie ein vorbildliches Modell.

Insofern war eine parlamentarische Monarchie - nach britischem Vorbild - durchaus mit dem demokratischen Welt der SPD - Führungsschicht kompatibel.

Dennoch, so Faulenbach zu Ebert: "Er war die Überzeugung der führenden Sozialdemokraten, dass in der Konstellation nach dem Ersten Weltkrieg nur eine demokratisch-parlamentarische Politik die Probleme der Zeit lösen konnte." [2, S. 39]

2. Dieses Modell lag dem politischen Weltbild der SPD zugrunde, die einen Bürgerkrieg im russischen Stil vermeiden wollte. Und somit, wie Abendroth es kritisiert, eine stabile Plattform bildete und die Arbeiter, das katholische Milieu und das liberale Bürgertum zu einem tragenden Faktor der neuen Weimarer Republik machen wollte. Und damit den traditionellen monarchisch gesinnten Eliten das inkludierende Arrangement - widerwillig - mit der Weimarer Republik erleichterte [1, S. 91ff]

3. Es war zudem nach dem 7.11.1918 die SPD, in der Person von Scheidemann, die ultimativ den Rücktritt des Kaisers gefordert hatte und mit dem Austritt aus der Regierung drohte. Den sie auch wahr machte als KW II nicht zurückgetreten ist [4, S. 146ff].

4. Dennoch ließ die SPD die revolutionäre Situation nicht eskalieren und in diesem Sinne schreibt beispielsweise Hildebrand [3, S. 377], "Es war in der Stunde höchster Gefahr die Sozialdemokratie, die Staat und Nation vor der Revolution und dem Auseinanderbrechen rettete."

Und somit haben sich die "vaterlandslosen Gesellen" einmal mehr - nach dem "Burgfrieden" - als zentraler Garant der kontinuierlichen deutschen Entwicklung historisch verstanden und den politischen Pragmatismus höher bewertet haben, wie ideologische Positionen die auf eine radikale Neugestaltung im Rahmen einer Revolution hinausgelaufen wären.

Und in diesem Sinne war Ebert bereit, die Monarchie und ihre Unterstützer in die neue Weimarer Republik einzubinden, um den Bürgerkrieg zu vermeiden, aber nicht, weil er diese Regierungsform als wünschenswert hielt.

Und er brauchte auch keine Nachhilfe von einem Herrn Wilson, welche Regierungsform die deutschen Sozialdemokraten als wünschenswert ansehen sollten.

1.Abendroth, Wolfgang (1965): Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung. Frankfurt am Main: Suhrkamp
2.Faulenbach, Bernd (2012): Geschichte der SPD. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Beck
3.Hildebrand, Klaus (1999): Das vergangene Reich. Deutsche Aussenpolitik von Bismarck bis Hitler. Berlin: Ullstein
4.Kuhn, Axel (2004): Die deutsche Arbeiterbewegung. Stuttgart: Reclam
 
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Kann ja sein, aber möglicherweise ist "Historie" pathetisch. Zumindest deckt sich meine Darstellung beispielsweise mit Anderson: Lehrjahre der Demokratie", wie an anderer Stelle im Forum ausführlicher dargestellt.

Zu der provozierenden Absicht, meine Darstellung in Anlehnung an Peukert und MacElligott, als pathetisch zu bezeichnen, sage ich nichts, weil sich da ohnehin jeglicher Kommentar erübrigt.

Ein Feuerwerk an Autoritätsargumenten. "Pathetisch" ist kein wertendes Adjektiv. Insofern verstehe ich deine helle Aufregung nicht, wenn ich diese Autoren indirekt "angreife". Wenn ich dich verärgert habe, bitte ich es dennoch zu entschuldigen.

Das ist sicherlich falsch, da die Reichskanzler seit 1912 zunehmend den Reichstag in die Politikformulierung einbeziehen mußten, wie Du schnell an der Behandlung des "Hindenburg-Programms" erkennen könntest, wenn Du in die entsprechende Literatur sehen würdest.

Ab 1912 musste der Reichstag vielleicht deutlicher einbezogen werden. Die Abschaffung der Staatsform stand bei den Entscheidungen, in die der Reichstag involviert war jedoch wohl kaum auf dem Programm, nicht wahr? Deshalb irrelevant für die Frage nach Demokratie in Deutschland.

Ansonsten ist es sicherlich korrekt, dass die Demokratisierung in Preußen bzw. dem DR massiv behindert wurde, dennoch entwickelten sich Strukturen der politischen Interessenvertretung, wie es auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preussen 1867 - 1914, S. 576ff darstellt.
Die deutschen Kaiser, eigentlich allgemein der herrschende Adel gaben in der Frage Volksbeteiligung immer nur soviel nach, wie sie unbedingt mussten, damit das Fass nicht überlief. Insofern ist die Institution Reichstag, die Sozialgesetzgebung etc nicht Ausdruck des guten Willens der Herrschenden, auf eine Demokratie hinzuarbeiten, sondern einfach nur Selbstschutz. An den bestehenden, monarchischen Strukturen wollten die Eliten nichts ändern.

Der Prozess der Demokratisierung ist langwierig und stellt sich nicht über Nacht ein und schon gar nicht durch die Forderung von Wilson, wie die umfangreiche Literatur zum "Transition Process" der ehemaligen UdSSR in eine demokratische Gesellschaft belegt (vgl. z.B. G. Gill: The Dynamics of Democratization.) Und zusätzlich in der Literatur zur Parteiensoziologie ebenfalls als Prozess abgebildet ist (wie beispielsweise im Klassiker von Almond and Verba: Civic Culture)

Wie schnell das mit dem Umsturz von Staatsform zu Staatsform gehen kann, lehrt uns doch gerade das Jahr 1918.

Nebenbei dachte der Zar bis 1917 auch nicht an "Demokratie", was somit für den Gange der Geschichte somit völlig irrelevant ist, was Herrscher denken, die von Revolutionen zum Abtreten gezwungen werden. Das Vorstellungsvermögen von Herrschern scheint an dem Punkt ein wenig beschränkt ausgebildet zu sein.

Wie unsicher die Sache mit Revolutionen ist, zeigt das Jahr 1848. Hier kam eine jahrzehntelange Bestrebung des Volkes zum Tragen, die weit mehr Rückhalt im Volk als die Revolution Lenins hatte. Und die Demokraten wurden damals einfach niederkartätscht. Insofern ist der Wille des Volkes für die Realpolitik oftmals ziemlich irrelevant, da unterm Strich nämlich doch immer die Mächtigen entscheiden.
Was den Zar angeht: Der wurde nicht von Intellektuellen mit Zukunftsvision verjagt, sondern vom wütenden Mob auf der Straße, der nicht unbedingt Demokratie, sondern was zu essen wollte. An dessen Spitze setzten sich Intellektuelle und lenkten die ganze Sache in ihre Bahnen.

Um aber auf die deutsche Entwicklung zurück zu kommen: Es ist wahr, dass es bereits weeeeeit vor 1918 demokratische Kräfte und Gedanken in Deutschland gab. Die hatten jedoch nie die Macht, sich in irgendeiner Form durchzusetzen oder hatten sie zumindest nicht lange genug und waren daher auch nicht richtungsweisend. Es wurde den Demokraten vielleicht der kleine Finger des Kaisers und der Industriellen gereicht, um sie ruhig zu stellen, jedoch nie tatsächlich nachgegeben. Diese Chance kam eben erst 1918 und zwar sehr plötzlich, nicht aufgrund eines zig-jährigen Vorspiels.
Diese Interpretation reiht sich ein in die seit kurzem betriebene Sichtweise, die Demokratie, die Bundesrepublik sei der Zielpunkt der Geschichte und alles, was vorher war, würde nur auf die Demokratie zu streben. Immer häufiger bekommt man das Gefühl vermittelt, man würde sozusagen in einem neutralen Raum des Stillstandes sitzend auf die bewegte Geschichte zurück schauen und sich sagen: "Naja, wir haben jetzt ja die Volksherrschaft und das da ist alles Schnee von gestern". Diese Form der in gewisser Weise selbstgerechten, unbeteiligten Sicht auf die Geschichte halte ich für gefährlich, weil sie blind macht für eventuelle nahende Gefahren für die Demokratie.

Die Sache mit dem Literaturbeleg:
Man kann Fakten, Zahlen und Daten mit Literatur belegen. Bei allgemeinen Aussagen wie unserer ist es jedoch verdammt schwer und bei Meinungen unmöglich, sich auf Autoren zu beziehen, denn da driftet die ganze Sache immer mehr in eigene Wahrnehmung und individuelle Vorstellungen ab.
Zudem glaube ich kaum, dass ich als ungebildeter Prolet mit deinem scheinbar unermüdlichen Bücherfundus auch nur im Ansatz mithalten könnte. Außerdem ist das hier ein Internetforum, sodass ich vermutete, die Sitten seien etwas lockerer und man würde nicht an jeden Beitrag Anforderungen wie an eine Klausur stellen.

Jedoch möchte ich noch einmal um Entschuldigung bitten, falls du dich in irgendeiner Form persönlich angegriffen fühltest, das war zu keinem Zeitpunkt meine Absicht.:winke:
 
Man kann Fakten, Zahlen und Daten mit Literatur belegen. Bei allgemeinen Aussagen wie unserer ist es jedoch verdammt schwer und bei Meinungen unmöglich, sich auf Autoren zu beziehen, denn da driftet die ganze Sache immer mehr in eigene Wahrnehmung und individuelle Vorstellungen ab.

Das ist Deine persönliche Meinung und das ist mir soweit egal.

Diese Sichtweise wird jedoch an einer Reihe von Punkten in der Regel in den Sozialwissenschaften bzw. der Historiographie anders gesehen.

1. Das Regelwerk der akademischen Erkenntnistheorie, trotz unterschiedlicher Auffassungen im Einzelnen, widerspricht Dir. Lediglich einzelne postmoderne Theoretiker haben Ansätze zu einer individualistischen literarischen Geschichtsdeutung formuliert, aber sie spielen nahezu keine Rolle für die akademische Historiographie. Deshalb basieren unsere Erkenntnismodelle auf der Formulierung einer Hypothese bzw. Theorie, der empirischen Fundierung und dem breiten pluralistischen Diskurs bzw. der - auch empirischen - Überprüfung.

Überflüssig zu sagen, dass Deine - subjektive - Sichtweise somit weder in einem LK-Geschichte der Oberstufe noch in einem Seminar der Sozialwissenschaften respektive Historiographie eine Akzeptanz finden würde. Das Konsequenz lautet, der Kandidat hat "Null-Punkte" und würde somit bestimmte Fächer in der Schule und in weiterführenden Bildungseinrichtungen nicht mit Erfolg absolvieren können.

2. Dass diese etablierten Modelle der Erkenntnistheorie Sinn machen und vom Diskurs der jeweiligen Disziplin leben, ist überflüssig zu sagen, weil es Dich vermutlich ohnehin nicht interessiert, da Dir dieses Modell sicherlich bekannt sein dürfte.

3. Problematisch wird zudem die Konsequenz aus Deiner Beanspruchung, das subjektive Recht auf die Deutung von historischen Ereignissen zu haben. Du sagst damit eigentlich nichts anderes, als dass jede Deutung die gleiche Berechtigung hat.

Und das ist mindestens für ein Ereignis, den Holocaust, nicht unproblematisch, da Deine Deutung von historischer Erkenntnis in der Konsequenz die Leugnung dieses Ereignissen als legitim annehmen muss.
 
Zuletzt bearbeitet:
...
Die deutschen Kaiser, eigentlich allgemein der herrschende Adel gaben in der Frage Volksbeteiligung immer nur soviel nach, wie sie unbedingt mussten, damit das Fass nicht überlief.
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Das denke ich ist richtig dargestellt.
Es zeigt auch die Bewegung im Gefüge der Gesellschaft.
Der Adel befand sich seit langem auf einem Rückzug und den stärker werdenden Forderung nach Teilhabe wird scheibchenweise nachgegeben, "damit das Fass nicht überlief".
Dieses Bild trifft es ja.
Es wurde den Demokraten vielleicht der kleine Finger des Kaisers und der Industriellen gereicht, um sie ruhig zu stellen, jedoch nie tatsächlich nachgegeben. Diese Chance kam eben erst 1918 und zwar sehr plötzlich, nicht aufgrund eines zig-jährigen Vorspiels.
Aus Sicht des Kaisers hatte das geerbte Gottesgnadentum nicht den kleinen Finger gereicht, sondern eine Hand abgegeben.
Wie Du schon anmerkst gab es da ja auch die "Industriellen". Diese Gruppe ist mächtig und beeinträchtigt die Macht der Kaisertums, und dabei gibt es sie gar noch nicht solange. Zudem wird sie beständig stärker.
Der Kaiser damit schwächer.
Nun kommen die Arbeiter. Auch die werden unaufhaltsam stärker.

Es gibt eine Richtung in die es sich entwickelt. Diese heißt Teilhabe aller.
Die Weimarer Republik entstand auf dieser Grundlage.
 
Für diese These kann ich leider keine Evidenz in der Literatur erkennen. Und die ca. 40 Prozent, die Januar 1919 und Juni 1920 die SPD/USPD gewählt haben, wird man auch nicht als "Monarchisten" bezeichnen können, die diese Staatsform präferiert haben könnten.

Fakt ist:

1. Die SPD hatte traditionell eine starke Bindung an die britische Labour-Partei und sah im britischen Modell einer liberalen, demokratischen parlamentarischen Monarchie ein vorbildliches Modell.

Insofern war eine parlamentarische Monarchie - nach britischem Vorbild - durchaus mit dem demokratischen Welt der SPD - Führungsschicht kompatibel.

Dennoch, so Faulenbach zu Ebert: "Er war die Überzeugung der führenden Sozialdemokraten, dass in der Konstellation nach dem Ersten Weltkrieg nur eine demokratisch-parlamentarische Politik die Probleme der Zeit lösen konnte." [2, S. 39]

2. Dieses Modell lag dem politischen Weltbild der SPD zugrunde, die einen Bürgerkrieg im russischen Stil vermeiden wollte. Und somit, wie Abendroth es kritisiert, eine stabile Plattform bildete und die Arbeiter, das katholische Milieu und das liberale Bürgertum zu einem tragenden Faktor der neuen Weimarer Republik machen wollte. Und damit den traditionellen monarchisch gesinnten Eliten das inkludierende Arrangement - widerwillig - mit der Weimarer Republik erleichterte [1, S. 91ff]

3. Es war zudem nach dem 7.11.1918 die SPD, in der Person von Scheidemann, die ultimativ den Rücktritt des Kaisers gefordert hatte und mit dem Austritt aus der Regierung drohte. Den sie auch wahr machte als KW II nicht zurückgetreten ist [4, S. 146ff].

4. Dennoch ließ die SPD die revolutionäre Situation nicht eskalieren und in diesem Sinne schreibt beispielsweise Hildebrand [3, S. 377], "Es war in der Stunde höchster Gefahr die Sozialdemokratie, die Staat und Nation vor der Revolution und dem Auseinanderbrechen rettete."

Und somit haben sich die "vaterlandslosen Gesellen" einmal mehr - nach dem "Burgfrieden" - als zentraler Garant der kontinuierlichen deutschen Entwicklung historisch verstanden und den politischen Pragmatismus höher bewertet haben, wie ideologische Positionen die auf eine radikale Neugestaltung im Rahmen einer Revolution hinausgelaufen wären.

Und in diesem Sinne war Ebert bereit, die Monarchie und ihre Unterstützer in die neue Weimarer Republik einzubinden, um den Bürgerkrieg zu vermeiden, aber nicht, weil er diese Regierungsform als wünschenswert hielt.

Und er brauchte auch keine Nachhilfe von einem Herrn Wilson, welche Regierungsform die deutschen Sozialdemokraten als wünschenswert ansehen sollten.

1.Abendroth, Wolfgang (1965): Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung. Frankfurt am Main: Suhrkamp
2.Faulenbach, Bernd (2012): Geschichte der SPD. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Beck
3.Hildebrand, Klaus (1999): Das vergangene Reich. Deutsche Aussenpolitik von Bismarck bis Hitler. Berlin: Ullstein
4.Kuhn, Axel (2004): Die deutsche Arbeiterbewegung. Stuttgart: Reclam


Die MSPD hatte im Juni 1920 fast die Hälfte ihrer Wähler verloren. Die Demokratie wurde meines Wissens nach als von außen aufgezwungenes empfunden.
Deine Literaturliste ist ja auch nicht vollständig. So fehlt beispielsweise die große Biographie von Mühlhausen über Ebert oder die Werke von Mommsen, Winkler oder Schulze zur Weimarer Republik.

Friedrich Ebert und die anderen Volksbeauftragten haben mit durchaus ehrbaren Motiven es verabsäumt Tabula rasa zu machen und die alten konservativen Eliten aus ihren Machtpositionen zu entfernen.

Ebert war mit einer Monarchie mit sozialen Einschlag unter parlamentarischen System einverstanden. Das ist Fakt.

Die MSPD wollte nicht unbedingt die Revolution, stellte sich aber sofort an deren Spitze um das Chaos zu vermeiden. Die neue Regierung sollte in Einvernehmen mit dem Parlament gebildet werden, was eben auch die bürgerlichen Parteien mit einbezog.

Deshalb war Ebert am 09.11. ja auch so sauer auf Scheidemann.

Du findest keinen Hinweis auf die
 
Friedrich Ebert und die anderen Volksbeauftragten haben mit durchaus ehrbaren Motiven es verabsäumt Tabula rasa zu machen und die aLen konservativen Eliten aus ihren Machtpositionen zu entfernen.

Nun, dass ist so der SPD meiner Meinung nach nicht vorzuwerfe. Tabula rasa hätte die konservativen Kräfte noch mehr gegen die Weimarer Republik aufgebracht und wahrscheinlich zu weiteren Putschversuchen mit höheren Erfolgsaussichten geführt. Für die Stabilität äußerst kontraproduktiv.
 
Nun, dass ist so der SPD meiner Meinung nach nicht vorzuwerfe. Tabula rasa hätte die konservativen Kräfte noch mehr gegen die Weimarer Republik aufgebracht und wahrscheinlich zu weiteren Putschversuchen mit höheren Erfolgsaussichten geführt. Für die Stabilität äußerst kontraproduktiv.

Für die spätere Stabilität der Republik wäre es von nicht zu überschätzender Bedeutung gewesen, an den Schalthebeln der Macht in den Beamtentum und Justiz und Reichswehr zuverlässige, republikanisch gesinnte Gefolgsleute zu haben.
 
Für die spätere Stabilität der Republik wäre es von nicht zu überschätzender Bedeutung gewesen, an den Schalthebeln der Macht in den Beamtentum und Justiz und Reichswehr zuverlässige, republikanisch gesinnte Gefolgsleute zu haben.

Stellt sich die Frage, ob es überhaupt so weit gekommen wäre. Aber driftet zu sehr in "Was wäre wenn..." ab.
 
Das erging im Übrigen Eisner in Bayern nicht anders. Ihm wurde später von der kommunistischen Geschichtsschreibung vorgeworfen, dass er die monarchistischen Beamten in seiner kurzlebigen bayrischen Räterepublik nicht ersetzte. Eisner, wenn er sich denn noch würde wehren können würde vermutlich fragen, "durch wen?".
 
"Durch wen?" ist sehr berechtigt, aber praktisch die alten republikfeindlichen Elemente in Amt und Würden zu belassen war verhängnisvoll und das diese Herren unverbesserlich sind, dazu hätte es keiner Glaskugel bedurft.
 
Das ist Deine persönliche Meinung und das ist mir soweit egal.

Diese Sichtweise wird jedoch an einer Reihe von Punkten in der Regel in den Sozialwissenschaften bzw. der Historiographie anders gesehen.

1. Das Regelwerk der akademischen Erkenntnistheorie, trotz unterschiedlicher Auffassungen im Einzelnen, widerspricht Dir. Lediglich einzelne postmoderne Theoretiker haben Ansätze zu einer individualistischen literarischen Geschichtsdeutung formuliert, aber sie spielen nahezu keine Rolle für die akademische Historiographie. Deshalb basieren unsere Erkenntnismodelle auf der Formulierung einer Hypothese bzw. Theorie, der empirischen Fundierung und dem breiten pluralistischen Diskurs bzw. der - auch empirischen - Überprüfung.

Überflüssig zu sagen, dass Deine - subjektive - Sichtweise somit weder in einem LK-Geschichte der Oberstufe noch in einem Seminar der Sozialwissenschaften respektive Historiographie eine Akzeptanz finden würde. Das Konsequenz lautet, der Kandidat hat "Null-Punkte" und würde somit bestimmte Fächer in der Schule und in weiterführenden Bildungseinrichtungen nicht mit Erfolg absolvieren können.

2. Dass diese etablierten Modelle der Erkenntnistheorie Sinn machen und vom Diskurs der jeweiligen Disziplin leben, ist überflüssig zu sagen, weil es Dich vermutlich ohnehin nicht interessiert, da Dir dieses Modell sicherlich bekannt sein dürfte.

3. Problematisch wird zudem die Konsequenz aus Deiner Beanspruchung, das subjektive Recht auf die Deutung von historischen Ereignissen zu haben. Du sagst damit eigentlich nichts anderes, als dass jede Deutung die gleiche Berechtigung hat.

Und das ist mindestens für ein Ereignis, den Holocaust, nicht unproblematisch, da Deine Deutung von historischer Erkenntnis in der Konsequenz die Leugnung dieses Ereignissen als legitim annehmen muss.

Geht es auch eine Hausnummer kleiner? Wir unterhalten uns doch nur Geschichte und nicht über Philosophie.
 
Geht es auch eine Hausnummer kleiner? Wir unterhalten uns doch nur Geschichte und nicht über Philosophie.

Nein, sicherlich nicht. Aber der Reihe nach:

1. Es gibt nicht "die Geschichte"! wie im folgenden Link schon einmal angesprochen.

http://www.geschichtsforum.de/f72/das-handelnde-individuum-der-geschichte-43556/

2. Die Darstellung von Geschichte ist eine Interpretationleistung, wie in Beitrag in obigem Thread dargestellt (vgl. Beitrag unten)

3. In diesem Sinne ist die Frage der Rekonstruktion von Geschichte ein diskursiver Akte, der konsensual erfolgt oder auch nicht nicht. In diesem Fall liegen rivalisierende "Paradigmen" (nach Kuhn) der Intrepation vor, wie beispielsweise während des "Kalten Krieges" in der Form einer westlichen, überwiegend "traditionellen" "Historiographie" und einer östlichen - überwiegend dem historischen Materialismus folgende Sichtweise.

Im Ergebnis lagen unterschiedliche Interpretationen von geschichtlichen Ereignissen vor.

4. Der diskursive Konsens in der Historiographie wird, von Zeit zu Zeit, bei bestimmten Ereignissen in Frage gestellt. Bekanntestes Beispiel ist vermutlich die Reinterpretation des Ausbruchs des WW2 durch AJP Taylor (The Origins of the Second World War) und hatte zu einer intensiven Neubewertung geführt, der abschließend jedoch in nahezu allen Punkten widersprochen worden ist (G. Martel (Eds): The Origins of the Second World War. AJP Taylor and the Historians).

Somit ist die Revision von geschichtlichen Darstellungen ein Aspekt, der immanent in die Darstellung von Geschichte integriert ist.

Dennoch folgt die Frage der "Verifikation" bzw. der Falsifikation von historischen Darstellungen klaren methodischen Vorgaben (Quellenkritik etc. Ursi weist gerne auf das kleine Einmaleins der Historiker hin).

Und dieses methodische Korsett gilt als erkenntnistheoretische Vorgaben für die seriöse akademische Geschichtsschreibung.

Und es verhindert, dass idiosynkratische Deutungen von historischen Ereignissen eine Rolle im öffentlichen Diskurs spielen. Und im Extremfall sind es dubiose "Verschwörungstheorien" oder auch die Leugnung des Holocaust, die ein Ergebnis der komplett subjektiven Deutung von Geschichte sind.

Und dagegen hat sich meine Sicht gewendet, weil diese Vorgehensweise das Ende von "Geschichtsschreibung" bedeutet, da sie in der Konsequenz völlig fraktal ist und nahezu nicht mehr intersubjektiv nachvollziehbar.

Und da geht es nicht eine Nummer kleiner.

In der Historiographie wird selten die Frage thematisiert, in welchem Zusammenhang die Erkenntnisgewinnung zum Gestand steht, der historisch erklärt werden soll. Oder anders, was ist eigentlich eine dem Gegenstand angemessene historische Erklärung.

Es liegen zwar unterschiedliche Modelle vor, welche Erkenntnistheorie und Methoden für die Historiographie prinzipiell angemessen sind. Dennoch, so formulieren Esser u.a. "Nach wie vor stehen viele Praktiker und auch Theoretiker …den "Erkenntnisinteressen" und der Verwertbarkeit wissenschaftstheoretischer Analysen kritisch und reserviert gegenüber;"

Diese Kritik hat bereits Lazarsfeld aus einer anderen Perspektive zugespitzt formuliert und betont die geringe praktische Relevanz der Erkenntnistheorie, die sich einseitig auf die Form der Erkenntnisgewinnung im Bereich der Naturwissenschaften bezieht. Einem Modell, das sich stark an der Formulierung von allgemeingültigen Gesetzen orientiert und diese zur Grundlage einer Historiographie machen möchte. Eine Idee, die beispielsweise dann bei Kraft als methodischer Anspruch an die Historiographie ausformuliert ist und die explizite Übernahme des Modells des "Erklärens" fordert.

Diesem Anspruch nach Überprüfung von Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte und ihrer gesetzmäßigen Erklärung steht ein Gegenstand entgegen, der nicht selten durch singuläre Ereignisse gekennzeichnet ist. Der Komplexität des Gegenstands steht zudem in der Regel eine sehr eingeschränkte Quellenbasis gegenüber, die ein Testen von Hypothesen und ihre gesetzesmäßige Verallgemeinerung normalerweise nicht erlaubt.

Vor diesem Hintergrund formuliert Sewell: "Theory has a strikingly less central place in history than in the social science disciplines". Dieser Befund geht teilweise auf die Arbeit von Droysen (1858) zurück, der für die Naturwisschaften das Ziel formulierte, "erklären" zu wollen und grenzte dagegen die Historiographie ab, die "verstehen" will. Diese Idee wurde im Wesentlichen von Dilthey systematisch ausformuliert.

Eine deutliche Positionsbestimmung für die Historiographie nahmen Gardiner 1952 und Dray 1957 vor, indem sie das positivistische Paradigma kritisierten und beanspruchten, dass sich historische Erklärungen nicht auf allgemeine Gesetze stützen würden. Dray formuliert seine Ansichten über historische Akteure im Rahmen eines "Rational-Action-Modells" und unterstellt im weberschen Sinne eine zweckrationale Absicht der Handlung und fragt nach der Motivation für eine Handlung. Diese ergänzt er durch Überlegungen zur Beziehung von Zwecken und dem angemessenen Einsatz von Mitteln, um ein erstrebenswertes Ziel zu erreichen.

Diese Motivation für das Handeln des Individuums, so Gardiner (S.138), wird durch die Beziehung zur Struktur bzw. Umwelt beeinflusst und bildet somit einen Teil der Determination für Handlungen.

In der Formulierung der Re-enanctment-Theorie von Collingwood (vgl. Gerber, S. 39ff) bedeutet historisches Verstehen der Versuch, "sie als eine Handlung zu erkennen, …, so wie der [historisch] Handelnde diese gesehen hat" (ebd. S. 41). Es stellt sich somit dem Historiker die Aufgabe, einer möglichst präzisen Rekonstruktion der strukturellen Voraussetzungen für Handlungen, der Ziele und Gewinne von alternativen Handlungsoptionen und der letztlich getroffenen Entscheidung und seine Begründung.

Eine wichtige Erweiterung für die analytische Philosophie der Historiographie wurde durch Anscombes Buch, "Intention" angeboten. Sie betonte im Rahmen ihrer Theorie die "Intentionalität" des handelnden Individuums. Mit dieser Position eröffnete sie die Ausformulierung einer eigenständigen "verstehenden" Erkenntnistheorie, die sich auf die Handlung von Individuen konzentriert (vgl. Wright, S. 36).

Eine Ergänzung für dieses Erklärungsmuster bildete die Arbeit von Taylor 1964. Er fügte der intentionalen Handlungstheorie von Anscombe zusätzliche Annahmen über die Logik von Verhaltensweisen von Individuen hinzu. Diese Arbeiten beschleunigten unter anderem auch den Niedergang des Behaviorismus in den Sozialwissenschaften.

Bei von Wrights "praktischem Syllogismus" werden die bisherigen Modelle zusammengefasst (vgl. das Modell S. 126). Dieser Position widerspricht Gerber (S. 58) und hält sie für ergänzungsbedürftig und streicht vor allem heraus, dass die bisherigen Ansätze die Problematik "des sozialen und kollektiven Handelns" nicht ausreichend berücksichtigen (ebd. S.61) und fordert, (S.240), dass eine historische Erklärung die "kollektive Intentionalität" erkennt, indem das soziale bzw. kollektive Handeln analysiert wird.

Gerber geht zudem auf die Bedeutung der "Struktur" ein, die das Handeln der einzelnen Akteure auch beeinflussen und schreibt: " In der Geschichtstheorie ist das intentional handelnde Subjekt der Geschichte in erster Linie deshalb immer wieder mit Skepsis und Vorbehalt betrachtet worden, weil dessen Handeln sich auf der Grundlage von sozialen Strukturen vollzieht." (S.297).

D. Gerber: Analytische Metaphysik der Geschichte | H-Soz-Kult

SEHEPUNKTE - Rezension: Geschichte - Ergebnis von Handlungen, nicht von Konstruktionen. Warum die Geschichtswissenschaft Doris Gerbers Frage nach dem "Wesen der Geschichte" nicht ausweichen sollte - Ausgabe 13 (2013), Nr. 6

Ihr Vorschlag für die weitere Entwicklung der analytischen Metaphysik der Geschichte ist dabei in den Kontext der Sichtweise von Wehler einzuordnen und seiner Kritik an poststrukturellen bzw. postmodernen Ansätze zur Historiographie wie den von Hayden White, Foucault oder Lyotard.

Zudem ergeben sich bei der Betonung des intentional handelnden Individuums direkte Anknüpfungspunkte zur "Realistischen Theorie", die wesentlich von Bhaskar mit formuliert wurde, und auf die sich die Arbeit von Archer beziehen.

Anscombe, E: Intention, 1957
Bhaskar, R.: A Realist Theory of Science, 1975
Dray, W: Laws an d Explanation in History, 1957
Esser H., K. Klenovits, H. Zehnpfennig: Wissenschaftstheorie, 2. Bände, 1977
Gardiner, P. The Nature of Historical Explanation, 1961
Gerber, D. : Analytische Metaphysik der Geschichte, 2012
Kraft, V.: Geschichtsforschung als strenge Wissenschaft, in: Topitsch, E.(Hg.): Logik der Sozialwissenschaften, 1967, S. 37-52
Lazarsfeld, P.F.: Wissenschaftslogik und empirische Sozialforschung, in: Topitsch, E.(Hg.): Logik der Sozialwissenschaften, 1967, S. 37-52
Sewell, W.H.: Logics of History. 2005
Taylor, C.: The Explanation of Behavior, 1964
Wright von, G.H: Erklären und Verstehen, 1984
 
Das denke ich ist richtig dargestellt.
Es zeigt auch die Bewegung im Gefüge der Gesellschaft.
Der Adel befand sich seit langem auf einem Rückzug und den stärker werdenden Forderung nach Teilhabe wird scheibchenweise nachgegeben, "damit das Fass nicht überlief".
Dieses Bild trifft es ja.

Vielen Dank für die Blumen! :schlau:


1. Das Regelwerk der akademischen Erkenntnistheorie, trotz unterschiedlicher Auffassungen im Einzelnen, widerspricht Dir. Lediglich einzelne postmoderne Theoretiker haben Ansätze zu einer individualistischen literarischen Geschichtsdeutung formuliert, aber sie spielen nahezu keine Rolle für die akademische Historiographie. Deshalb basieren unsere Erkenntnismodelle auf der Formulierung einer Hypothese bzw. Theorie, der empirischen Fundierung und dem breiten pluralistischen Diskurs bzw. der - auch empirischen - Überprüfung.

Und inwiefern habe ich dem widersprochen? Ich sagte lediglich, eine Hypothese wird schwer bis unmöglich belegbar, je allgemeiner sie wird und je mehr persönliche Ansichten mit in die Hypothese hereinspielen.


3. Problematisch wird zudem die Konsequenz aus Deiner Beanspruchung, das subjektive Recht auf die Deutung von historischen Ereignissen zu haben. Du sagst damit eigentlich nichts anderes, als dass jede Deutung die gleiche Berechtigung hat.

Solange sie sich auf objektive Belege stützt (z.B. Zitate historischer Persönlichkeiten etc.) schon. Wenn man allerdings die subjektive Äußerung eines Anderen als Beleg nimmt, beispielsweise "Gummibärchen schmecken nicht" und als Beleg "Käpt'n Blaubär hat das auch gesagt" kann das natürlich nicht als Beweis gelten. Deshalb habe ich auch etwas gegen diese "Autoritätsgläubigkeit" die in Literaturbelegen oft zum Ausdruck kommt. Man hebt zitierte Akademiker leicht auf einen Sockel der Unberührbarkeit.

Und das ist mindestens für ein Ereignis, den Holocaust, nicht unproblematisch, da Deine Deutung von historischer Erkenntnis in der Konsequenz die Leugnung dieses Ereignissen als legitim annehmen muss.

Leugnung des Holocaust ist eine ziemliche Geschmacklosigkeit und aufgrund erdrückender Beweislage auch ganz schöner Schwachsinn. Jedoch ist die Sache nicht unproblematisch, da sie unter Strafe steht. Einen akademischen Grund gibt es nicht. Wie gesagt, es ist geschmackloser Schwachsinn, aber aus geschichtswissenschaftlicher Sicht mehr auch nicht.
 
Nachgang zu Wilsons Einmischung in die inneren Verhältnisses des Deutschen Reiches

Ich habe ja schon oben geschrieben, das im Zuge der Notenoffensive Wilsons, auch eine Demokratisierung des Deutschen Reiches auf Wilsons Agenda stand. Ziemlich anmaßend, wenn man sich die damaligen inneren Verhältnisse der USA ansieht.

Wilson lehnte die Monarchie als Regierungsform kategorisch ab. Deshalb ließ er auch den päpstliche Friedensappell des Jahres 1917 scheitern. Wilson lehnte Erörterungen mit dem Deutschen Kaiserreich ab, da dass Wort seiner gegenwärtigen Beherrscher für die Dauerhaftigkeit etwaiger Vereinbarungen solange keine überzeugende Bürgschaft sei, als es nicht durch den beweiskräftigen Ausdruck des Willens des deutschen Volkes selbst unterstützt werde.

Und das vor dem Hintergrund, dass das französische Heer im Frühjahr 1917 seine Angriffsfähigkeit praktisch eingebüßt hatte. Seit März 1917 musste mit den Kriegsaustritt Russlands gerechnet werden, der sich dann ja auch Ende 1917 Anfang 1918 schrittweise vollzog. Die Engländer hatten auch so ihre Nöte mit den deutsche U-Bootkrieg. Italien erlitt eine sehr schwere Niederlage und hat all seine territorialen Gewinne verloren. Lediglich gegenüber der Türkei konnten Fortschritte erzielt werden. Die Alliierten waren also in Bedrängnis und man wartete auf die USA. Bis dahin sollten noch unendliche viele Soldaten sterben, zumal die jungen US-Amerikaner ohnehin nur als Kanonenfutter dienten. Weder Frankreich, noch England und Russland haben das Kaiserreich besiegen können, aber man wollte nach wie vor das Eingeständnis der Niederlage des Deutschen Reiches.

Und US Präsident Wilson hat keine anderen Sorgen als die Regierungsform im Deutschen Reich.
 
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