Wallfahrtsort, ein Jahrtausende altes Kontinuum?

Ein tieferes Bekanntwerden römischen Geistes, römischer Kultur und römischer Bildung in der Masse der Provinzialen, im einheimischen Volkstum, hat nicht stattgefunden. Dies zeigt auch die Tatsache, daß kein Ortsname aus der römischen Zeit unseres Landes, die immerhin Jahrhunderte gedauert hat, auf uns gekommen ist, zum Unterschied vom rätischen Gebiet.

Die einleuchtendste Erklärung für das Verschwinden so vieler Ortsnamen aus der römischen Zeit wäre der drastische Bevölkerungsschwund, von dem ja schon die Rede war.

Es sind ja (vor allem im Osten Österreichs) nicht nur romanische Ortsnamen verschwunden, sondern auch fast alle vorrömischen/keltischen Ortsnamen. Was an keltischen Namen erhalten ist, sind meistens Flussnamen (Enns, Sulm, Kamp), und die beweisen in diesem Zusammenhang nichts.

Da, wo vorrömische Ortsnamen erhalten sind, wurden sie in in romanisierter Form weitergegeben:

"Am Lautstand der eingedeutschten Ortsnamen wird deutlich, daß ihre Integrierung ins Bairisch-Althochdeutsche auf einer vulgärlateinischen oder daraus weiter entwickelten romanischen Basis erfolgte, so daß sie als antik-romanische Ortsnamen bezeichnet werden dürfen. Aus morphologischer Sicht kann noch hinzugefügt werden, daß bei den Siedlungsnamen Wels und Lorch die lateinischen lokativischen Ablative Ovilabīs und Laurācō die Ausgangsformen bildeten, was bei Wels das auslautende -s und bei ahd. Lôrahha die aus zu -a entwickelte Endung und damit der Übergang von einem lat. neutralen o- zu einem germ. femininen ō-Stamm deutlich erkennen läßt. So gibt es auch keinerlei sprachliche Hinweise darauf, daß zumindest während der späteren Römerzeit das Keltische und jenes indogermanische Idiom fortbestanden, aus dem die indogermanisch-voreinzelsprachlichen Ortsnamen hervorgingen, oder daß diese Sprachen sogar über das Ende der Römerherrschaft hinaus weitergelebt hätten, wie dies Eberhard Kranzmayer annahm. Da die Übernahme der antiken Ortsnamen ins Bairisch-Althochdeutsche im mündlichen Verkehr erfolgte, ergibt sich daraus auch das Vulgärlateinische als die Umgangssprache von Ufernorikum und Oberpannonien zumindest im 5. Jahrhundert. Diese namenkundlichen Erkenntnisse bestätigt auch eine Beobachtung an der vom Ende der Römerzeit stammenden Vita Severini. Ihr Verfasser Eugippius unterscheidet nämlich nicht zwischen den heimischen Einwohnern und den aus Italien zugezogenen Romanen, die er in gleicher Weise als Romani bezeichnet, was sowohl auf eine durchgängige kulturelle als auch sprachliche Romanisierung der norischen Bevölkerung schließen läßt, und auch Severin selbst konnte in den norischen Orten überall lateinisch reden."

Peter Wiesinger, Antik-romanische Namentraditionen im Donauraum
In: Probleme der älteren Namenschichten, Heidelberg 1991 (Hrsg. Ernst Eichler)
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber trotz der Zitate bin ich skeptisch, was die nur oberflächliche bis gar nicht vorhandene Romanisierung betrifft: immerhin zählte das Gebiet einige Jahrhunderte zum römischen Imperium. Und die Häufigkeit von Ortsnamen römischer (lateinischer) Herkunft ist nicht zwingend ein Indikator: der romanisierte (größere) Teil der britischen Insel verfügt über keltische, lateinische und angelsächsische Ortsnamen; von Caesar bis in die Spätantike währte dort die Romanisierung, und sie kämpfte tapfer aber vergeblich gegen die angelsächsische Eroberung im 5./6. Jh.
Die britische Insel wurde von Römern kriegerisch unterworfen. Auch für Rätien gilt das gleiche, nicht aber für Norikum. Wie schon erwähnt, war vielleicht deswegen der Assimilierungsdruck geringer. Dass gerade in Norikum keine Ortsnamen aus der Römerzeit geblieben sind, ist ein Indiz dafür.

Die einleuchtendste Erklärung für das Verschwinden so vieler Ortsnamen aus der römischen Zeit wäre der drastische Bevölkerungsschwund, von dem ja schon die Rede war.
Es sind ja (vor allem im Osten Österreichs) nicht nur romanische Ortsnamen verschwunden, sondern auch fast alle vorrömischen/keltischen Ortsnamen. Was an keltischen Namen erhalten ist, sind meistens Flussnamen (Enns, Sulm, Kamp), und die beweisen in diesem Zusammenhang nichts.
Den drastischen Bevölkerungsschwund hat es in Ufernorikum gegeben, d.h. nördlich der Alpen, nicht oder nicht in diesem Ausmaß im Binnennorikum südlich des Alpenhauptkammes. Zudem haben sich keltischen oder noch älteren Flussnamen erhalten, was auf genügend große Restbevölkerung schließen lässt.


So gibt es auch keinerlei sprachliche Hinweise darauf, daß zumindest während der späteren Römerzeit das Keltische und jenes indogermanische Idiom fortbestanden, aus dem die indogermanisch-voreinzelsprachlichen Ortsnamen hervorgingen, oder daß diese Sprachen sogar über das Ende der Römerherrschaft hinaus weitergelebt hätten, wie dies Eberhard Kranzmayer annahm.
Ja, da gibt es keine Hinweise, weil die Kelten so gut wie nichts aufgeschrieben haben. Aber das beweist nicht, dass die autochthone keltische Bevölkerung durchgängig lateinisch sprach.


Diese namenkundlichen Erkenntnisse bestätigt auch eine Beobachtung an der vom Ende der Römerzeit stammenden Vita Severini. Ihr Verfasser Eugippius unterscheidet nämlich nicht zwischen den heimischen Einwohnern und den aus Italien zugezogenen Romanen, die er in gleicher Weise als Romani bezeichnet, was sowohl auf eine durchgängige kulturelle als auch sprachliche Romanisierung der norischen Bevölkerung schließen läßt, und auch Severin selbst konnte in den norischen Orten überall lateinisch reden."
Das kann man auch dadurch erklären, dass alle freien Noriker zu dem Zeitpunkt (eigentlich schon ab 212 n. Chr.) römische Bürger waren.
 
Wenn die Namen romanisch sind, die archäologisch fassbaren Äußerlichkeiten romanisch sind und schlecht aber doch lateinisch geschrieben wurde, beweist das zwar tatsächlich nicht zwingend ein wirkliches Eindringen der romanitas, aber das Gegenteil noch viel weniger: Dafür, dass das nur Äußerlichkeiten waren, fehlt erst recht jeder Beweis.
Von Beweisen habe ich nicht gesprochen, sondern von Indizien, von denen es inzwischen eine Menge gibt – Zitat aus „Das Christentum in Slowenien in der Spätantike“ von Rajko Bratož, Laibach, in "Kulturhistorische und archäologische Probleme des Südalpenraumes in der Spätantike“:

Bei all dieser dynamischer Entwicklung des Christentums in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts aber wirkt der Bericht recht anachronistisch, daß im Jahr 388 in Emona der Kaiser Theodosius, ein eifriger Katholik, der vier Jahre später das Heidentum verbot, mit einem heidnischen Feierakt durch heidnische Geistliche in all ihrem Ornat empfangen wurde. (Rajko Bratož bezieht sich hier auf Panegyricus Latini Pacati Drepani dictus Theodosio 37, 3-4 (ed. R. A. B. Mynors, Oxford 1973))


Aus den Inschriften darf ferner nicht geschlossen werden, daß die einheimische Bevölkerung, die sordida plebs, Latein zu lesen und zu schreiben imstande war oder daß sie lateinisch gesprochen hat.
[...]
Dafür sprechen auch unbeholfen geschriebene Buchstaben und orthographische Fehler.


Bemerkung: Das ist ein Zitat aus "Kulturhistorische und archäologische Probleme des Südalpenraumes in der Spätantike“, Aufsatz von Adolf Lippold, Regensburg: „Romanisierung und Christianisierung des Ostalpenraumes um 400 n.Chr.“.
Krakelige Buchstaben und orthographische Fehler zeigen lediglich, dass da jemand geschrieben hat, der nicht sehr geübt im Schreiben war.
Das ist richtig, aber wenn das sehr oft an verschiedenen Orten auftritt, wie Adolf Lippold es festgestellt hat, verliert das Argument an Gewicht, denn es kann nicht überall nur ungeübte (Ab)Schreiber gegeben haben, und wenn doch, dann dürfte die Romanisierung der Bevölkerung nicht sehr tief gewesen sein.


Jedenfalls haben sie zur Zeit der Spätantike in ihren Grabsitten keinerlei keltische Spuren hinterlassen.

"Alle bekannten Friedhöfe des 4., 5., und 6./7. Jahrhunderts in Norikum zeigen romanisches Totenbrauchtum, was bedeutet, daß die romanisierte und weitgehend bzw. in zunehmendem Maße christianisierte Bevölkerung in der Regel beigabenlos und ohne Trachtausstattung bzw. Schmuck beigesetzt wurde. …“
Das ist nicht ganz richtig – Zitat aus der von Franz Glaser geschriebenen und verantworteten Schrift des Römermuseums Teurnia (Kärnten) „Vom Keltendorf zur Römerstadt“, 2014 (Fettschrift von mir):

Das Erdbegräbnis im Leichentuch wurde gebräuchlich. Im 5. und 6. Jahrhundert wurde nur noch die Hälfte der Frauen in ihrer festlichen Kleidung samt ihrem Schmuck bestattet.
[…]
Die keltischen Frauen trugen noch lange während der römischen Kaiserzeit, bis ins 2./3. Jahrhundert nach Chr., keltische Kleidung, während die Männer – stärker in das öffentlcihe leben eingebunden – sich bald römisch kleideten.
[…]
Als typisches Merkmal der Frauentracht gilt auch die norische Haube. Eigentlich handelt es sich um ein Tuch, das in unterschiedlicher Weise haubenartig um den Kopf gelegt wurde.
[…]
Zwar waren im Kärntner Raum in römischer Zeit keine Legionen stationiert, doch abkommandierte Legionäre und Abteilungen versahen ihren Dienst am Amtssitz des Satthalters in der provinzhauptstatt und sorgten für die Sicherheit an den Straßenstationen.
[…]
Zahlreich sind daher die kleinen Marmoraltäre, die meist aufgrund eines Gelübdes den Göttern geweiht wurden. Weihegeschenke bleiben auch in der christlichen Kirche gebräuchlich bis hin zu den neuzeitlichen Votivbildern mit der Darstellung des Gnadenbildes und/oder des Ereignisses, das zur Stiftung Anlass gab.
[…]
Auf dem geschnittenen Halbedelstein eines Siegelringes setzt die Stadtgöttin (Teurnia) mit Mauerkrone dem Apollon (Grannus) einen Siegeskranz auf. Das Heiligtum des keltischen Heilgottes Grannus spielte schließlich eine zentrale Rolle für die Stadt und lockte Heilung suchende Menschen aus nah und fern zu einem Kuraufenthalt.


Wie man nach diesen Zitaten vielleicht erahnen kann, war ich in der vorigen Woche in Teurnia (St. Peter in Holz) und in Globasnitz sowie auf dem Hemmaberg, wo ich sehr gut gemachten Museen und bestens hergerichteten historischen Stätten vorfand. Muss aber das gesammelte Material erst durchsehen und sortieren.
 
Die britische Insel wurde von Römern kriegerisch unterworfen. Auch für Rätien gilt das gleiche, nicht aber für Norikum. Wie schon erwähnt, war vielleicht deswegen der Assimilierungsdruck geringer.
Assimilierungsdruck im Sinne eines Zwanges gegen Besiegte gab es hie wie da nicht. Auch im gewaltsam unterworfenen Gallien lebten alte Stammesstrukturen noch eine geraume Zeit fort.

Das ist richtig, aber wenn das sehr oft an verschiedenen Orten auftritt, wie Adolf Lippold es festgestellt hat, verliert das Argument an Gewicht, denn es kann nicht überall nur ungeübte (Ab)Schreiber gegeben haben, und wenn doch, dann dürfte die Romanisierung der Bevölkerung nicht sehr tief gewesen sein.
Auch die Wandkritzeleien, die man insbesondere in Pompeji gefunden hat, lassen häufig zu wünschen übrig. Das zeigt lediglich, dass die Schreiber erstens nicht sehr schreibgeübt waren und zweitens häufig eher nach der Aussprache schrieben und nicht nach der von Gebildeten verwendeten Orthographie.
 
Dass gerade in Norikum keine Ortsnamen aus der Römerzeit geblieben sind, ist ein Indiz dafür.
:nono:
1. In Norikum sind Ortsnamen aus der Römerzeit erhalten geblieben.

2. Dass in Norikum (etwa im Vergleich zu Rätien) nur wenige Ortsnamen aus der Römerzeit (d. h. auch nur wenige keltische Ortsnamen, die in der Römerzeit weiterverwendet wurden) sich bis heute gehalten haben, ist bitte ein Indiz für was?

Dion schrieb:
Den drastischen Bevölkerungsschwund hat es in Ufernorikum gegeben, d.h. nördlich der Alpen, nicht oder nicht in diesem Ausmaß im Binnennorikum südlich des Alpenhauptkammes.

Wenn wir nach den Ortsnamen gehen, ist da eher ein West-Ost-Gefälle festzustellen: Im westlichen Ufernorikum und im westlichen Binnennorikum haben sich Ortsnamen aus römischer Zeit erhalten.


Das ist richtig, aber wenn das sehr oft an verschiedenen Orten auftritt, wie Adolf Lippold es festgestellt hat, verliert das Argument an Gewicht
Das Argument verliert doch nicht an Gewicht, im Gegenteil:

Wenn man feststellt, dass häufig Latein von Schreib-Ungeübten geschrieben wurde, ist das doch ein Beleg dafür, dass die lateinische Sprache nicht nur in den Schichten verbreitet war, wo das Schreiben zur alltäglichen Kommunikation gehörte.

Ja, da gibt es keine Hinweise, weil die Kelten so gut wie nichts aufgeschrieben haben.
Mit dem Mangel an keltischen Inschriften argumentiert Wiesinger doch gar nicht.* Das Argument lautet, dass die Ortsnamen in romanisierter Form ins Deutsche gelangt sind.
Das deutet darauf hin, dass die bajuwarische Neubevölkerung die alten Ortsnamen von einer romanisch sprechenden Vorbevölkerung übernommen hat.

Zudem haben sich keltischen oder noch älteren Flussnamen erhalten, was auf genügend große Restbevölkerung schließen lässt.
Da sind wir uns ja einig. Nur besagt das Alter dieser Flussnamen nichts über die Sprache dieser Restbevölkerung. Die war, soweit sich das feststellen lässt, romanisch.

Das ist nicht ganz richtig – Zitat aus der von Franz Glaser geschriebenen und verantworteten Schrift des Römermuseums Teurnia (Kärnten) „Vom Keltendorf zur Römerstadt“, 2014 (Fettschrift von mir):
Was das keltische Brauchtum betrifft, sehe ich keinen Widerspruch zum Gleirscher-Zitat.
Spuren keltischer Traditionen sind bis ins 2. und 3. Jahrhundert zu finden.
In den Friedhöfen des 4., 5., und 6./7. Jahrhunderts gibt es keine keltischen Spurern mehr.

Der Trend zum Verzicht auf Tracht, Schmuck und Beigaben hängt mit der zunehmenden Christianisierung der romanischen Bevölkerung zusammen, nicht mit Romanisierung einer keltischen Bevölkerung.



* Eine einwandfrei keltische Inschrift aus dem 2. Jahrhundert gibt es immerhin:
tuile de Grafenstein • 4455 • L'encyclopdie • L'Arbre Celtique
 
Assimilierungsdruck im Sinne eines Zwanges gegen Besiegte gab es hie wie da nicht.
Das sehe ich anders. Erstens sollte man hier das Selbstbewusstsein und den Stolz der Noriker nicht unterschätzen, die, anders als die Gallier, nicht militärisch besiegt und unterworfen wurden. Julius Caesar führte regelrechte Vernichtungskriege gegen Gallier, die hundertausende Opfer forderten, was ganz sicher großen Eindruck machte auf die Überlebenden. Und zweitens: Noch lange nach der Eroberung wurden Druiden, die eigentlichen Träger der keltischen Kultur, in Gallien verfolgt – zuletzt systematisch und hart von Kaiser Claudius (10 v.-54 n. Chr.).

Das alles hat im Norikum nicht stattgefunden, d.h. die keltische Bevölkerung konnte noch lange ihre Kultur pflegen und nach althergebrachten Sitten und Gebräuchen leben.


Auch die Wandkritzeleien, die man insbesondere in Pompeji gefunden hat, lassen häufig zu wünschen übrig. Das zeigt lediglich, dass die Schreiber erstens nicht sehr schreibgeübt waren und zweitens häufig eher nach der Aussprache schrieben und nicht nach der von Gebildeten verwendeten Orthographie.
Wenn man die heutigen Wandkritzeleien, Graffiti genannt, betrachtet, dann ist es mit deren Orthographie auch nicht weit her. :D

Im Ernst: Willst Du Wandkritzeleien tatsächlich mit Werken ausgebildeter Steinmetze vergleichen, die ihre Arbeit nach Vorgaben wohlhabender Auftraggebern erledigten?
 
Im Ernst: Willst Du Wandkritzeleien tatsächlich mit Werken ausgebildeter Steinmetze vergleichen, die ihre Arbeit nach Vorgaben wohlhabender Auftraggebern erledigten?

Noch mal zur Erinnerung, was dein Gewährsmann Lippold geschrieben hat, worauf deine Behauptung einer Nicht- oder Kaumromanisierung des Noricums beruht:
Dafür sprechen auch unbeholfen geschriebene Buchstaben und orthographische Fehler.
Sollen das jetzt deine beauftragten Steinmetze gewesen sein?
 
2. Dass in Norikum (etwa im Vergleich zu Rätien) nur wenige Ortsnamen aus der Römerzeit (d. h. auch nur wenige keltische Ortsnamen, die in der Römerzeit weiterverwendet wurden) sich bis heute gehalten haben, ist bitte ein Indiz für was?
Es geht hier um den Romanisierungsgrad der ursprünglich keltischen Bevölkerung Binnennorikums. Mehrere römische Ortsnamen sprächen für einen höheren Romanisierungsgrad, gar keine oder nur wenige für einen niedrigen.

Jedenfalls haben sich in der Umgebung des heutigen Hemmaberges keltische Orts- und Landschaftsnamen erhalten – siehe bitte dazu auch meinen Beitrag vom 02.05.2015, 12:32, in dem ich zu Hemmaberg zitierte und schrieb:

Hier wurde die Gottheit IOUENAT verehrt. Wer den Berg mit offenen Augen und offenem Herzen betritt, wird erkennen, dass der Schöpfer hier mit Schönheit nicht gegeizt hat. Im Mittelalter hieß der Berg noch Jaun-Berg, so auch das Dorf und die Gegend: Jauntal (Podjuna). Das Volk singt seiner Heiligen auf diesem Berg: „Hema v Slovenjah čuva podjunski svet ...” (Hemma in Slovenjach wacht über das Jauntal ...)

Man beachte die Ähnlichkeit: IOUENAT – Jaun, Jaun-Berg, Jauntal.


Wenn man feststellt, dass häufig Latein von Schreib-Ungeübten geschrieben wurde, ist das doch ein Beleg dafür, dass die lateinische Sprache nicht nur in den Schichten verbreitet war, wo das Schreiben zur alltäglichen Kommunikation gehörte.
Hier verweise ich auf meine Bemerkung zu den Steinmetzen.


Das Argument lautet, dass die Ortsnamen in romanisierter Form ins Deutsche gelangt sind.
Das deutet darauf hin, dass die bajuwarische Neubevölkerung die alten Ortsnamen von einer romanisch sprechenden Vorbevölkerung übernommen hat.
Klar sind keltischen Namen romanisiert worden – im weiteren Verweise ich auf Fritz Lochner von Hüttenbach, den ich meinem Beitrag vom 28.05.2015, 22:06 zitiert habe.


Nur besagt das Alter dieser Flussnamen nichts über die Sprache dieser Restbevölkerung. Die war, soweit sich das feststellen lässt, romanisch.
In wie weit die Restbevölkerung Binnennorikums romanisch war, ist eine strittige Frage, sonst schrieben wir nicht unsere Beiträge hier.


Was das keltische Brauchtum betrifft, sehe ich keinen Widerspruch zum Gleirscher-Zitat.
Spuren keltischer Traditionen sind bis ins 2. und 3. Jahrhundert zu finden.
In den Friedhöfen des 4., 5., und 6./7. Jahrhunderts gibt es keine keltischen Spurern mehr.
Wie kann man keinen Widerspruch sehen, wenn Gleirscher schreibt

"Alle bekannten Friedhöfe des 4., 5., und 6./7. Jahrhunderts in Norikum zeigen romanisches Totenbrauchtum, was bedeutet, daß die romanisierte und weitgehend bzw. in zunehmendem Maße christianisierte Bevölkerung in der Regel beigabenlos und ohne Trachtausstattung bzw. Schmuck beigesetzt wurde. …“

und Franz Glaser dagegen schreibt – ich wiederhole:

Das Erdbegräbnis im Leichentuch wurde gebräuchlich. Im 5. und 6. Jahrhundert wurde nur noch die Hälfte der Frauen in ihrer festlichen Kleidung samt ihrem Schmuck bestattet.

Bemerkung: Hervorhebungen sind von mir.
 
Es geht hier um den Romanisierungsgrad der ursprünglich keltischen Bevölkerung Binnennorikums. Mehrere römische Ortsnamen sprächen für einen höheren Romanisierungsgrad, gar keine oder nur wenige für einen niedrigen.

Du zäumst das Pferd von hinten auf. Es ist ja nicht so, dass mit der Aufgabe römischer Ortsnamen die prärömischen Ortsnamen wieder an ihre Stelle rückten, was tatsächlich ein Beleg für eine schwache Romanisierung wäre, die nur die Administration erfasst hätte. Nein, sie fallen schlicht und ergreifend weg und die Orte werden aufgelassen und fallen wüst oder aber die Orte erhalten neue, slawische Namen. Eben nicht vorrömische zurück.

Wie kann man keinen Widerspruch sehen, wenn Gleirscher schreibt [...] und Franz Glaser dagegen schreibt

Ich markiere mal rot:

Gleirscher schrieb:
"Alle bekannten Friedhöfe des 4., 5., und 6./7. Jahrhunderts in Norikum zeigen romanisches Totenbrauchtum, was bedeutet, daß die romanisierte und weitgehend bzw. in zunehmendem Maße christianisierte Bevölkerung in der Regel beigabenlos und ohne Trachtausstattung bzw. Schmuck beigesetzt wurde. …“

Glaser schrieb:
Das Erdbegräbnis im Leichentuch wurde gebräuchlich. Im 5. und 6. Jahrhundert wurde nur noch die Hälfte der Frauen in ihrer festlichen Kleidung samt ihrem Schmuck bestattet.

Hier werden allmähliche Wandlungsprozesse im archäologischen Befund beschrieben.
 
Noch mal zur Erinnerung, was dein Gewährsmann Lippold geschrieben hat, worauf deine Behauptung einer Nicht- oder Kaumromanisierung des Noricums beruht:
Dafür sprechen auch unbeholfen geschriebene Buchstaben und orthographische Fehler.
Sollen das jetzt deine beauftragten Steinmetze gewesen sein?
Ja. Fritz Lochner von Hüttenbach bezieht sich in seiner Untersuchung „Zur Herkunft der römerzeitlichen Personennamen in der Steiermark“ auf Inschriftsteine, auf denen er 630 verwertbare Namen gefunden hat. Und da sich nur eine privilegierte Bevölkerungsschicht Grab- und Widmungssteine errichten lassen konnte, zeigen diese Steine, wenn man das so betrachten will, nur den Romanisierungsgrad dieser Schicht an – die unteren Schichten dürften noch weniger romanisiert sein.
 
Es ist ja nicht so, dass mit der Aufgabe römischer Ortsnamen die prärömischen Ortsnamen wieder an ihre Stelle rückten, was tatsächlich ein Beleg für eine schwache Romanisierung wäre, die nur die Administration erfasst hätte. Nein, sie fallen schlicht und ergreifend weg und die Orte werden aufgelassen und fallen wüst oder aber die Orte erhalten neue, slawische Namen. Eben nicht vorrömische zurück.
Ich habe nie gesagt, dass prärömischen Ortsnamen wieder an die Stelle der römischen rückten. Nur dort, wo es eine Bevölkerungskontinuität gegeben hat – ich wies in diesem Zusammenhang auf das Beispiel Hemmaberg -, erhalten sich in Regel auch die Namen, wenn auch in ein wenig veränderten Form. Darüber dürfte wohl Konsens herrschen.

Ich markiere mal rot:
Gleirscher
"Alle bekannten Friedhöfe des 4., 5., und 6./7. Jahrhunderts in Norikum zeigen romanisches Totenbrauchtum, was bedeutet, daß die romanisierte und weitgehend bzw. in zunehmendem Maße christianisierte Bevölkerung in der Regel beigabenlos und ohne Trachtausstattung bzw. Schmuck beigesetzt wurde. …“
Glaser
Das Erdbegräbnis im Leichentuch wurde gebräuchlich. Im 5. und 6. Jahrhundert wurde nur noch die Hälfte der Frauen in ihrer festlichen Kleidung samt ihrem Schmuck bestattet.
Hier werden allmähliche Wandlungsprozesse im archäologischen Befund beschrieben.
Erstens bezieht sich "in zunehmendem Maße" auf die Christianisierug, die nicht mit der Romanisierung gleichzusetzen ist.

Zweitens ist ein großer Unterschied, wenn jemand sagt, es wurde „in der Regel beigabenlos und ohne Trachtausstattung bzw. Schmuck beigesetzt“, und ein anderer sagt, selbst gegen Ende des besagten Zeitraums wurden „nur noch die Hälfte der Frauen in ihrer festlichen Kleidung samt ihrem Schmuck bestattet“, was eine fifty-fifty-Situation darstellt.

Und drittens: Du unterschlägst, was Sepiola geschrieben hat:
Spuren keltischer Traditionen sind bis ins 2. und 3. Jahrhundert zu finden.
In den Friedhöfen des 4., 5., und 6./7. Jahrhunderts gibt es keine keltischen Spurern mehr.
Bei ihm gibt es schon ab dem 4. Jahrhundert überhaupt keine keltischen Spuren mehr. Und darauf habe ich geantwortet.
 
Ich bin nicht darüber informiert, wie das in der nämlichen Provinz gehandhabt wurde, kann aber die Behauptung, dass Grabsteine nur privilegierten Römern vorbehalten waren, zurückweisen. Es gibt Gräber von Bäckern, Friseuren, Fleischern, Freigelassenen...

Beispielsweise der Grabstein einer nur 20 Jahre alten algerischen Bäckersfrau, einer Freigelassenen:
PRIMOGENIA FAVSTA
VALERIAES C IVLI ZETI
PISTORIS VXSORIS L
OB MERITIS SVIS V A XX
Hast du den Verschreiber bemerkt? Ux-s-or?
Oder, wiederum einer Freigelassenen und Bäckersfrau, aus Ostia:
D(ecimus) Numisiu(s) / D(ecimi) l(ibertus) Antioc(us) / pistor / Marcia / L(uci) l(iberta) Straton/ice uxor.
Aber gehen wir doch ins Noricum, da lässt ein Sklave eine Inschrift für sich und seine Angehörigen aufstellen:
SEXSTVS A C
SEVERI L ET
SECVNDAE CON
V F SIB ET QVARTO
FRATRI ET CRINVONI
SERVO ANO XX
Ein weiterer norischer Sklave für sich selbst, seine Frau und seine Tochter:
Cupitus / Cam(mi) Sabini / serv(us) f(ecit) sibi et / Pri() Vibiae con(iugi) / an(norum) XXV et Samu/[dae C]u[p(iti)] fil(iae) [a]n(norum) II
Die 25jährige Frau und die 2jährige Tochter waren offenbar ziemlich zeitgleich gestorben, vermutlich also Opfer einer Krankheit, eines Unfalls, eines kriegrischen Akts oder einer sonstigen Katastrophe.

In Freilassing ließ die teure (karissimae) Frau des verstorbenen Maurus, des Sklaven von Matulus Iuvenis, der 36jährig verstorben war, ihrem Mann einen Grabstein aufstellen:
annorum(?)] / XXXVI Maurus ser/vus Matuli Iuvenis / coniugi karissim(a)e / vi(v)us fecit
Oder hier aus Holzbichel:
Hic re[quies]/ci(t) servus Xr(sti) / Nonnosus diac(onus) / qui vixit annos / pl(us) m(inus) LIII obiit / IIII Non(as) Septemb(res) / et deposit(us) est in / h<o=UN>c loco XIII Kal(endas) / Aug(ustas) indict(ione) XI / tertio post cons(ulatum) / Lampadi et Ores/tis vv(irorum) cc(larissimorum
Das dritte Jahr nach dem Konsulat von Lampadius und Orestes. Die waren drei Jahre lang in dieser Paarung Konsuln, 530, 531 und 532, dementsprechend kannst du das ungefähre Todesjahr des Diakons Nonnosus und Alter der Inschrift ausrechnen.
 
Ich habe nie gesagt, dass prärömischen Ortsnamen wieder an die Stelle der römischen rückten.

Niemand hat behauptet, dass du solches gesagt hättest. Das Problem ist, dass du aus der Slawisierung des norischen Raumes im Frühmittelalter Schlussfolgerungen über die Romanisierung der prärömischen Bevölkerung in den Jahrhunderten davor ziehst. Und das funzt nun mal nicht. Da müsstest du erst mal begründen, warum eine keltische Bevölkerung leichter slawisiert werden sollte als eine romanische, was du mit deiner Schlussfolgerung implizit voraussetzt.

Erstens bezieht sich "in zunehmendem Maße" auf die Christianisierug, die nicht mit der Romanisierung gleichzusetzen ist.
Auch das hat niemand behauptet.

Zweitens ist ein großer Unterschied, wenn jemand sagt, es wurde „in der Regel beigabenlos und ohne Trachtausstattung bzw. Schmuck beigesetzt“, und ein anderer sagt, selbst gegen Ende des besagten Zeitraums wurden „nur noch die Hälfte der Frauen in ihrer festlichen Kleidung samt ihrem Schmuck bestattet“, was eine fifty-fifty-Situation darstellt.
Es sind verschiedene Sichtweisen auf ein und denselben Sachverhalt. In den Formulierungen weisen aber beide Autoren auf den prozessualen Charakter hin, der eine auf die Abnahme ("nur noch die Hälfte") von grabbeigabengebenden Bestattungen, der andere auf die Zunahme beigabenloser Gräber.
Sie stehen also entgegen deiner Behauptung nicht im Widerspruch zueinander sondern nehmen lediglich andere Blickwickel, der eine von der christlichen, der andere von der heidnischen Perspektive ein (was keine Aussage über den jeweiligen religiösen Hintergrund der beiden ist).

Und drittens: Du unterschlägst, was Sepiola geschrieben hat: Bei ihm gibt es schon ab dem 4. Jahrhundert überhaupt keine keltischen Spuren mehr. Und darauf habe ich geantwortet.

Ist denn da von keltischem Brauchtum irgendwo explizit die Rede oder interpretierst du das nur in den Text hinein? Ich lese dort nur etwas von christianisiert und noch nicht christianisiert. Lies noch mal dein "erstens":

Erstens bezieht sich "in zunehmendem Maße" auf die Christianisierung, die nicht mit der Romanisierung gleichzusetzen ist.
 
Zu den Grabsteinen kann ich nur sagen, dass ich meine Angabe vom Fritz Lochner von Hüttenbachs Untersuchung „Zur Herkunft der römerzeitlichen Personennamen in der Steiermark“ habe – Zitat:

„Nur eine höhere privilegierte Bevölkerungsschicht war im allgemeinen, eine upper class, die sich, schon aus finanziellen Gründen, Grab- und Widmungssteine errichten lassen konnte, also eine zahlenmäßig sehr geringe Schicht einer bessergestellten Klasse.
[…]
Der Durchschnittsbürger blieb in der Regel unbekannt.“

Wie man sieht, hätte ich besser zitiert statt etwas salopp wiederzugeben, wobei ich die wichtigen Wörter „im allgemeinen“ und „in der Regel“ weggelassen habe.

Verbleiben wir vielleicht bei der Formulierung: Wer es sich (finanziell) leisten konnte, ließ sich einen Grab- und/oder Widmungsstein errichten, der Durchschnittsbürger blieb in der Regel unbekannt.

Zu deinem 2. Posting nehme ich später Stellung.
 
Es ist relativ egal, ob du korrekt zitiert oder nur salopp paraphrasiert hast: Deine Schlussfolgerung, dass das Noricum nicht romanisiert war, ist einfach aus dem vorliegenden Material nicht zu ziehen.
 
Es geht hier um den Romanisierungsgrad der ursprünglich keltischen Bevölkerung Binnennorikums.

"Ursprünglich keltisch"?
Möchtest Du da nicht auch ein bisschen Skepsis walten lassen?
Lochner von Hüttenbach ist ja der Ansicht, dass die Kelten erst ab 250 v. Chr. in die Ostalpen gedrungen seien, und dass es bis in die römische Zeit noch ein nichtkeltisches Bevölkerungselement gegeben habe.

Jedenfalls haben sich in der Umgebung des heutigen Hemmaberges keltische Orts- und Landschaftsnamen erhalten
Ja klar, da hat z. B. der Name der römischen Siedlung Iuenna, die wiederum einen (mutmaßlich) keltischen Namenspatron hat, eine Spur hinterlassen.
Es gibt aber keine Siedlung, die den Namen weitergetragen hätte.

Ein erhaltener Siedlungsname mit (mutmaßlich) rein romanischem Namenshintergrund im selben Bezirk wäre Kanaren.*
Ganz in der Nähe befand sich das zweifellos romanische Muntferran ("Eisenberg"). Der Name ist zwar heute von der Landkarte verschwunden, wird aber noch 1307 urkundlich erwähnt. Der heutige Name Ruden ist aus dem Slawischen herzuleiten (slowenisch ruda = Erz). Ruden (Kärnten) ? Wikipedia

Insgesamt sind aber romanische Ortsnamen (einschließlich römischer/romanisierter Ortsnamen keltischen oder vorkeltischen Ursprungs) Ortsnamen im östlichen Norikum sehr selten.

Je weiter man nach Westen kommt, desto zahlreicher werden die romanischen Ortsnamen. In Oberkärnten finden wir Namen wie Frondéll, Kornat, Monséll, Tramún. Im östlichsten Teil des ehemaligen Binnennorikum (Osttirol) verlief im 8. Jahrhundert die slawisch-romanische Sprachgrenze. In den Gemeinden Kals, Anras und Tilliach hat sich die romanische Sprache bis ins Mittelalter gehalten.

Besonders interessant ist das Kalser Tal, dort hat das Romanische sogar das Slawische noch eine Zeitlang überlebt:

Sprachschichten in Kals am Großglockner - Gemeinde Kals am Großglockner

Selbstverständlich finden wir auch im Osten unter den romanischen Ortsnamen welche mit vorrömischen Ursprung.


Wie kann man keinen Widerspruch sehen, wenn Gleirscher schreibt
Geschrieben habe ich:
Was das keltische Brauchtum betrifft, sehe ich keinen Widerspruch zum Gleirscher-Zitat.
Ich nehme an, da siehst Du auch keinen Widerspruch.


*Heinz Dieter Pohl, Zum romanischen Namensgut Kärntens und Osttirols.
In: Studia onomastica et indogermanica
(Festschrift für Fritz Lochner von Hüttenbach zum 65. Geburtstag)
Graz 1995
 
Das sehe ich anders. Erstens sollte man hier das Selbstbewusstsein und den Stolz der Noriker nicht unterschätzen, die, anders als die Gallier, nicht militärisch besiegt und unterworfen wurden. Julius Caesar führte regelrechte Vernichtungskriege gegen Gallier, die hundertausende Opfer forderten, was ganz sicher großen Eindruck machte auf die Überlebenden. Und zweitens: Noch lange nach der Eroberung wurden Druiden, die eigentlichen Träger der keltischen Kultur, in Gallien verfolgt – zuletzt systematisch und hart von Kaiser Claudius (10 v.-54 n. Chr.).

Das alles hat im Norikum nicht stattgefunden, d.h. die keltische Bevölkerung konnte noch lange ihre Kultur pflegen und nach althergebrachten Sitten und Gebräuchen leben.
Dass die Noriker nicht militärisch besiegt worden wären, stimmt eben nicht. Sie wurden kurz vor der Unterwerfung ihres Landes bei einem Einfall ins römische Reich geschlagen. Lies meinen #87.

Wie weit es mit dem Stolz und Selbstbewusstsein der Noriker her war, ist auch die Frage. Ihr Reich lag den Römern schon lange faktisch offen. Bereits 171 v. Chr. zog der römische Konsul Gaius Cassius Longinus durch Gebiet, das der Norikerkönig Cincibilus offenbar als seines betrachtete, wobei der Konsul zuerst befahl, dass ihm Führer gestellt würden, und dann das durchzogene Land auch noch verwüstete und Tausende versklavte. Statt militärisch Widerstand zu leisten, schickte Cincibilus seinen Bruder nach Rom, um sich beim Senat zu beschweren. Später während der Kimbernkriege erscheinen die Noriker als weitgehend machtlose Zuschauer, während sich Römer und Germanen auf ihrem Gebiet bekriegen. Als König Voccio Caesar für den Bürgerkrieg Hilfstruppen schickte, wird man auch hinterfragen müssen, wie freiwillig diese Sendung eigentlich erfolgte; immerhin hatte Caesar den Tod von Voccios Schwester, der Gattin des Ariovist, verursacht.
Das sind natürlich nur wenige Beispiele aus einem langen Zeitraum, die letztlich nichts beweisen. Aber dennoch kann man meiner Meinung nach nicht so ohne Weiteres davon ausgehen, dass die Noriker stolz und selbstbewusst gewesen wären. Hast Du dafür Belege? Letztlich war Noricum schon lange vor seiner Eroberung eine Art Klientelstaat. Wir wissen von den römischen Klientelstaaten im Nahen Osten zur Genüge, wie die Römer mit ihnen und ihren ohnmächtigen Herrschern umsprangen. Daraus kann man zwar nicht zwingend Schlüsse auf das Verhältnis zu Noricum ziehen, zumal die Quellen zu Noricum kaum etwas hergeben, aber es sollten zumindest Zweifel angebracht sein, wie weit es mit dem Selbstbewusstsein und Stolz wirklich her war.

Das dritte Jahr nach dem Konsulat von Lampadius und Orestes. Die waren drei Jahre lang in dieser Paarung Konsuln, 530, 531 und 532,
Eigentlich nur 530. In den beiden Folgejahren wurden keine Konsuln ernannt, was in der Spätantike öfters vorkam, weswegen zur Datierung eben in Jahren nach ihrem Konsulat weitergezählt wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kleiner Nachtrag zu meinem letzten Beitrag:
Mit diversen anderen Klientelstaaten hat Noricum auch gemein, dass auch so mancher andere Klientelstaat relativ gewaltfrei in eine Provinz umgewandelt wurde. Stolz und Selbstbewusstsein der Bewohner muss das nicht unbedingt gefördert haben, zumal diese Staaten teilweise bereits während ihrer "Unabhängigkeit" komplett unter römischer Fuchtel standen. Ob es sich mit Noricum auch so verhalten hat, will ich nicht dezidiert sagen, da uns nähere Informationen dazu fehlen. Ich will nur zu bedenken geben, dass man aus der gewaltlosen Eingliederung Noricums ins Reich nicht so weitreichende Schlüsse auf Stolz und Selbstbewusstsein ziehen sollte.
 
Deine Schlussfolgerung, dass das Noricum nicht romanisiert war, ist einfach aus dem vorliegenden Material nicht zu ziehen.
Das kann man nur, wenn man die bisher gebrachten Argumente weitgehend ignoriert:

1. Römer traten nicht als Besatzer auf, hatten während ihrer Herrschaft im Binnennorikum keine Legionen stationiert - Zitat Wikipedia: Im nicht so exponierten Reichsinneren und geschützt durch den Alpenhauptkamm scheint Noricum mediterraneum außer den vigiles (Wachen) in den größeren Städten und an Straßenposten über keine stehenden Truppen verfügt zu haben.

2. Zitat aus Wikipedia: Die Stiefsöhne Kaiser Augustus’ eroberten 15 v. Chr. die Alpenländer. Diese Gebiete wurden daraufhin in die römischen Provinzen Noricum und Rätien eingegliedert. Die Eroberung Noricums dürfte nach der heute vorhandenen Quellenlage recht friedlich vor sich gegangen sein. Beziehungen Roms zu den Völkern nördlich der Alpen (bzw. an deren Südrand) sind ab dem 2. Jh. v. Chr. überliefert. Mit der römischen Eroberung der Alpenländer wurde auch das befreundete Noricum stärker an Rom gebunden und schließlich als Provinz dem römischen Reich einverleibt. Als Endpunkt dieses Prozesses wurden unter Kaiser Claudius fünf Municipia, und zwar Iuvavum, Teurnia, Virunum, Celeia und Aguntum eingerichtet.

3. Im Gegensatz zu Iuvavum (heute: Salzburg) und Celeia (Celje in Slowenien), sind Teurnia, Virunum und Aguntum (allesamt im heutigen Kärnten bzw. Osttirol befindlich) später verschwunden.

4. Insgesamt gibt es auf dem Gebiet der ehemaligen Provinz Noricum Mediteraneum (Binnennorikum) kaum romanische Ortsnamen. Den Grund dafür sehe ich mit Helge Gerndt in dem geringen Romanisierungsgrad der Bevölkerung: Dass trotz jahrhundertelanger Römerherrschaft die Bauern in ihrer Muttersprache nicht romanisiert worden waren, zeigt sich u.a. darin, dass keltische und illyrische Berg- und Flurnamen unmittelbar ins Slawische bzw. Deutsche, unter Umgehung des Lateinischen, übertragen werden konnten.

5. Noch die Hälfte der Frauengräber weisen im Binnennorikum im 5. und 6. Jhdt. Trachtenkleider und Schmuck auf, was auf einen Christianisierungsgrad von 50 Prozent schließen lässt. Ab dem Ende des 6. Jahrhunderts sind im Binnennorikum keine Bischöfe mehr nachweisbar, es ist aber anzunehmen, dass es weiterhin Christen gab, die ihren Kult (heimlich?) praktizierten. Eine Neuchristianisierung des Gebiets starteten die Bayern in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts mit der Gründung des Klosters Innichen und der sog. Slawenmission. Die wurde unter den Franken fortgesetzt, dauerte aber lange, weil sich anfangs nur die Eliten christianisieren ließen bzw. lassen mussten.

Vor allem aufgrund der Punkte 4 und 5 dieser Aufstellung betrachte ich die Frage nach wie vor als offen, ob die heutigen Kärntner Wallfahrten auf den Magdalensberg, Ulrichsberg und Hemmaberg auf vorchristliche Kulte zurückgehen. Ich werde hierzu weiter forschen.
 
Das kann man nur, wenn man die bisher gebrachten Argumente weitgehend ignoriert:

1. Römer traten nicht als Besatzer auf, hatten während ihrer Herrschaft im Binnennorikum keine Legionen stationiert - Zitat Wikipedia: Im nicht so exponierten Reichsinneren und geschützt durch den Alpenhauptkamm scheint Noricum mediterraneum außer den vigiles (Wachen) in den größeren Städten und an Straßenposten über keine stehenden Truppen verfügt zu haben.
Du ziehst einfach aus irgendwelchen Zitaten und Schnippseln Dinge heraus, die damit überhaupt nicht ausgedrückt sind. Dass dort (vielleicht!) keine Truppen stationiert waren, heißt nicht, dass das Noricum Sonderrechte hatte oder nicht romanisiert wurde. Dass die Eroberung des Noricum relativ widerstandslos vonstatten gegangen sein dürfte, bedeutet ebenso nicht, dass es Sonderrechte hatte. Merkst du eigentlich, dass hier Konjunktive benutzt werden oder so Weichmacher, wie scheinen etc.? Truppen waren i.d.R. verstärkt in den kaiserlichen Provinzen stationiert und weniger in den senatorischen Provinzen. Das lag am Befriedungsgrad der Provinzen bzw. ihrer Grenzen. In der Baetica, der romanisiertesten aller römischen Provinzen in der Diözese Hispania* waren auch spätestens seit Augustus keine Truppen mehr stationiert. Daraus würde aber niemand die absurde Schlussfolgerung ziehen, sie wäre kaum romanisiert worden.

*Bei der Cartaginensis und Tarraconensis war natürlich die Mittelmeerküste und das nähere Hinterland ebenso stark romanisiert, die abgelegeneren Gebiete aber nicht so sehr.
 
Zurück
Oben