Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??

Zu den Lieferanten von Zyklon B:
es gab in der unmittelbaren Nachkriegszeit einen Prozess der britischen Besatzung gegen Mitarbeiter und Geschäftsführung der Firmen, die Zyklon B hergestellt und an die SS geliefert haben. Da nachgewisen werden konnte, dass einige Mitarbeiter wußten, dass das eigentlich als Schädlingsbekämpfungsmittel entwickelte Produkt zum Massenmord in Auschwitz und anderen Orten eingesetzt wurde, gab es auch Verurteilungen (darunter m. W. auch Todesurteile).

Zurück zum Fall Gröning: ich habe bisher nur die Berichterstattung in diversen Online-Medien verfolgt, aber bisher noch keine offizielle Urteilsbegründung gefunden. Deswegen meine eingangs gestellte Frage, ob Gröning eine Alternative zum Dienst im Auschwitz hatte. Für einen Soldaten bzw. SS-Angehörigen galt der Grundsatz von Befehl und Gehorsam. Hätte er den Dienst im KZ verweigern können und dürfen? Laut seiner eigenen Aussage versuchte er mehrfach erfolglos, sich versetzen zu lassen.
 
Lieber EQ,
mir ist die Systematisierung, Bürokratisierung und Industrialisierung der "Endlösung" sehr wohl bewusst. Armenier, auch noch KhoiKhoi (Hottentotten) wurden in die Wüste zum Verdursten getrieben, Cromwells Engländer liessen aufmüpfige Iren verhungern, diese und ähnliche Anlässe boten Sadisten ausreichend Gelegenheit, ihre Neigung auszuleben. Alles Völkermorde, jeder für sich verbrecherisch, aber bei aller Ungeheurlichkeit immer noch irgendwie "menschlich", weil sie Elemente von Spontaneität in sich trugen. Das über sein Ausmaß hinaus gehende Erschreckende am Holocaust ist die Mechanisierung in deutscher Gründlichkeit. Da blieb (fast) nichts dem Zufall oder den Launen eines Unteroffiziers überlassen. Alles wurde sauber geplant, organisiert, auf Listen und in Statistiken festgehalten, und bis zum KZ-Grundriß hin standardisiert. Zusammen mit Auschwitz entstand gleich noch eine Fabrik, wo die als arbeitsfähig eingestuften Häftlinge zur Kostendeckung des "Projekts" beitragen durften, und nach ihrer Ermordung wurden Kleidung, Zahngold, ja selbst Haare der Kriegswirtschaft bzw. -finanzierung zugeführt. Ein ordentlicher Deutscher läßt halt nichts verkommen. Man wundert sich beinahe, warum die SS nicht zum Erfinder der Kraft-Wärme-Kopplung wurde, bei all den Leichenverbrennungen, die anfielen.
Diese Industrialisierung, und Einbettung in die "normale" Wirtschaft, bedeutete auch, daß es nur schwer möglich war, sich "rauszuhalten". Ob Mitwirkung an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der mit der Intention nachfolgender ethnischer Säuberung geführt wurde, da wirklich als "saubere" Alternative taugt? Und die Glücklichen, die fernab von allem weiter ihre Äcker bestellen durften, nahmen irgendwann Zwangsarbeiter als Erntehelfer. Es fällt verdammt schwer, irgendwen zwischen 16 und 65 zu finden, der sich nicht auf die eine oder andere Art an völkerrechtswidrigen Verbrechen beteiligte.
Ich hatte, Du wirst Dich wohl erinnern, an anderer Stelle von meinem wertkonservativ motivierten,antifaschistischen Großvater berichtet. Kürzklich erzählte mein Vater erwas mehr: Mein Großvater war während des Kriegs Versorgungsoffizier im Bereich der Eisenbahndirektion Hamburg. Keine Ahnung, welche Position - wohl nicht Leiter, aber schon gehoben. Er organisierte v.a. Truppentransporte und Nachschublieferungen per Bahn an die Ostfront. Die SS hatte für Judendeportationen ihre eigenen Leute, z.B. Eichmann, aber natürlich mussten die sich mit der Wehrmacht über verfügbares Material und Zugläufe verständigen.
Ich habe mich, umabhängig vom Gröning-Prozeß, gefragt, was mein Großvater wohl getan haben mag, als er die Ankündigung der Judendeportation aus Hamburg auf den Schreibtisch bekam. So schnell wie möglich alles verfügbare Wagenmaterial blockieren? Kriegswichtige Transporte ankündigen, und die SS um Verschiebung der Deportationen bitten? Und wenn das alles nicht half, höchstens ein paar Wochen Verzögerung brachte, und die Transporte doch gen Auschwitz rollten? Ihnen den Weg freimachen, damit die Leute so schnell wie möglich die Viehwagen verlassen können? Oder im Gegenteil versuchen, die Ankunft in Auschwitz so lange wie möglich zu verzöger, weil mein Großvater natürlich weiß, daß kein Rücktransport geplant ist? Vielleicht sogar so viel Chaos erzeugen, daß die SS es sich zwei mal überlegt, ob sie noch eine Deportation aus Hamburg durchführt? Oder hat er resigniert und mitgespielt, in der Erkenntnis, eh nichts ändern zu können? Hätte ihm zwar nicht ähnlich gesehen, aber wer weiss...
Im Endeffekt war auch mein Großvater nur ein Rädchen im Getriebe. Er diente nicht den Nazis, aber aus Überzeugung heraus Deutschland. Zumindest bis Stalingrad hat er aktiv an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mitgewirkt, was letztendlich (auch wenn er das damals weder wusste noch wissen konnte, der Beschluß zur "Endlösung" fiel ja erst Anfang 1943) die Befreiung der Vernichtungslager verzögerte.
Es liegt mir fern, meinen Großvater mit Gröning in eine Reihe zu stellen. Lezterer war fraglos in seiner Jugend ein feiger, korrupter Opportunist, der - milde ausgedrückt - mit den rassistischen und menschenverachtenden Ideen und Taten der SS wenig Probleme hatte. Gewissenlos? Wohl nicht ganz, wie seine Äu0erungen vor Gericht zeigen; aber Menschen reifen bekanntlich mit dem Alter. Das alles sind jedoch moralische Kategorien, keine juristischen.
Mein Gefühl ist, daß das Gericht mit seinem Urteil den direkt Prozeßbeteiligten gerecht geworden ist. Die diversen Nebenkläger wollten eine, wie immer geartete, symbolische Anerkennung und Wiedergutmachung des Leids und Unrechts, daß ihnen angetan wurde. Und sie brauchten ein Zeichen, daß Deutschland - trotz allem, was geschah, immer noch kulturelle Heimat oder Bezugspunkt*- lernfähig und -willig ist. Auf der anderen Seite erhielt ein Greis kurz vor seinem Lebensende die Gelegenheit zur Beichte, und erlangte letztendlich Absolution mit einer Strafe, die er wohl nie antreten wird. Ein Freispruch hätte wohl keinen im Gerichtssal glücklich gemacht. Das Urteil zeugt von psychogischer und auch diplomatischer Kompetenz.
Dennoch - Moral hin und Psychologie her: Objektiv hat sich Gröning nicht mehr oder weniger schuldig gemacht als 80% seiner Zeitgenossen, mein Großvater wohl eingeschlossen. Beim Recht geht es nicht um Moral oder Überzeugung, sondern um Taten. Die Anstifter -Hitler, Göring, Göbbels etc., stehen außer Frage, genauso wie ihre Vollstrecker (Höß, Mengele). Wo man ihrer habhaft werden konnte, wurden sie auch bestraft. Die bewußten Beihelfer - willfährige und wissentliche Helfer, ohne deren Engagement der Holocaust nicht möglich gewesen wäre - wurden ab und zu zur Rechenschaft gezogen. Scheinbar kaum vor deutschen Gerichten (Ältere erinnern vielleicht noch den Namen Filbinger), sondern v.a. von den Alliierten (Zyklon B - danke Dir, Carolus), oder in Israel (Eichmann). Auch hier habe ich keine Zweifel an der Schuld, weder im juristischen noch moralischen Sinn, und hätte mir mehr Gerechtigkeit gewünscht.
Aber irgendwo beginnt die Grauzone. Da geht es um individuelle Verantwortlichkeit für einzelne Taten. Und man muß sich zunehmend die Frage stellten, ob eine Person objektiv überhaupt in der Lage war, den Gang der Dinge maßgeblich zu beeinflussen. Hier hat es sich das Gericht aus meiner Sicht zu einfach gemacht. Bloß weil Gröning Buchhalter im KZ Auschwitz, und nicht in der Fabrik nebenan, die der gleichen Idee entsprang und zum Vernichtunssystem gehörte, war, ihn zur Beihilfe des Mordes in 300.000 Fällen zu verurteilen, paßt einfach nicht. Die Grauzonen zwischen Mittäter, Mitläufer und Mitmacher wider Willen besser zu beleuchten, hätte dem wohl letzten Prozeß im Zusmmenhang mit dem Holocaust gut angestanden. Die Chance wurde verpaßt.
Mehr noch - wir sind zurück bei der Kollektivschuld, vom Bremer Finanzbeamten zum Lokführer gen Auschwitz zum IG Farben Lagerarbeiter, der auch mal eine Palette Zyklon B bewegte. Mein Großvater mittendrin, der den gleichen Job wie Eichmann machte, aber eben kein Eichmann war.
 
der Beschluß zur "Endlösung" fiel ja erst Anfang 1943)

Ich habe mir jetzt nur dieses Jahr aus deinem Beitrag rausgesucht, weil es nicht stimmt. Ich vermute mal du meinst damit Anfang 1942 und die Wannseekonferenz. Wenn du diese Konferenz meinst, dann stimmt es eben auch nicht, dass dort der Beschluss der Endlösung gefallen ist. Denn 1942 war die schon lange im Gange, hier ein paar Hinweise dazu:

Am 20. Januar 1942 fand auf dem Anwesen am grossen Wannsee 56 -58 eine Besprechung statt, die als Wannsee-Konferenz in die Geschichte einging. Die Villa in der diese Besprechung stattfand war das Gästehaus der SS. Dieses Datum stellt in der Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa während des zweiten Weltkrieges eine wichtige Zäsur dar. Es gibt einige Irrtümer und Spekulationen um diese Konferenz. Weit verbreitet ist die Ansicht, bei der Wannsee-Konferenz sei die „Endlösung“ beschlossen worden. Die revisionistische und neonazistische Publizistik versucht anhand von pseudowissenschaftlichen Gutachten zu beweisen, dass dieses Protokoll von den Amerikanern nachdem Krieg gefälscht wurde.

Situation 1941/42

Bis in die fünfziger Jahre herrschte die Meinung vor, dass an dieser Konferenz der Beschluss gefasst wurde, die europäischen Juden zu ermorden. Diese Auffassung ist aber falsch, wie die neuere Forschung heute weiss. Der Mord an den europäischen Juden begann schon vor der Wannsee-Konferenz.

Entstehungsgeschichte der „Endlösung“

Mordaktionen im besetzten Russland. Vor dem Angriff auf die Sowjetunion wurden vier Einsatzgruppen aufgestellt. Auftrag: Ermordung sowjetischer Funktionäre und Ermordung der in Russland lebenden Juden.

22.6.1941 Operation Barbarossa

Polen
Oktober und November 1941 wurden zwei kleine Vernichtungslager errichtet. Tötung durch Motorabgasen.
Im KZ Belzec wurden Gaskammern errichtet. Vernichtungslager für die Juden der Distrikte Lublin und Lemburg

Chelmno, umgebaute Gaswagen. Erster Einsatz 8.12.1941

Und in Auschwitz wurden ab dem 3.9.1941 erste Versuche mit Zyklon B an russischen Kriegsgefangenen unternommen.

Diese Beispiele aus der Sowjetunion und Polen zeigen deutlich, dass eine Entscheidung im Hinblick auf den Massenmord zumindest an sowjetischen Juden bereits 1941 gefallen sein muss.

Dann der Blick auf die Teilnehmer der Konferenz: Dieses Gremium konnte keine solchen Entscheidungen treffen. Die ranghöchsten anwesenden Vertreter der zivilen Behörden waren auf der Ebene der Staatssekretäre anzusiedeln, die der SD und SS waren Chef der Hauptämter. Wäre an dieser Konferenz tatsächlich der Entscheid zur Endlösung der Judenfrage gefällt worden, dann hätte Hitler als Reichskanzler, die Minister und Himmler als Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei anwesend sein müssen.

- Hitlers Führungsstiel war es nicht grundsätzliche Entscheidungen im Kollektiv und nach einer ausführlichen Diskussionsrunde zu treffen.

Die Frage lautet also: Wenn der Massenmord bereits ausgeführt wurde, was geschah dann am 20. Januar 1942 am Grossen Wannsee?

Herbst 1941

Hitler und Himmler stellen die Weichen zur Deportation der Juden aus den europäischen Machtbereich.

Sept. 1941
Juden aus dem Grossdeutschen Reich und der Tschechoslowakei sollten nach Osten deportiert werden. Frankreich gab die Zusage, dass sobald es die Transportkapazitäten zuliessen, die franz. Juden deportiert werden.

Okt. 1941

Zusage Hitlers an die slowakische Staatsführung den Transport zu übernehmen.

15.101941 Deportationen der deutschen, luxemburgischen, österreichischen und tschechischen Juden.
Ziele waren Lodz, Minsk, Kaunas, Riga und für die tschechischen Juden liess Heydrich ein Ghetto in Theresienstadt einrichten.

Betroffen waren zwischen dem 15.Oktober 1941 bis Januar 1942 52 000 Menschen, mehrere Tausend wurden bereits vor Beginn der Konferenz ermordet.

Probleme:
Aus der Sicht der Täter gab es in dieser Zeit massive Behinderungen bei der Definition, Registrierung und finanzieller Ausbeutung der Opfer, Einsammlung, Verschleppung und Einquartierung.


Die Deportationen vom November und Dezember 1941 nach Minsk, Kowno und Riga brachten für die Planer unvorhersehbare Schwierigkeiten:

- Der Generalkommissar für Weissruthenien Wilhelm Kube beschwerte sich nach einem Inspektionsbesuch im Minsker Ghetto, dass sich unter den Mitte November aus Berlin, Bremen, Brünn, Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg verschleppten Juden auch Personen befanden, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatten oder deren Verwandte in der Wehrmacht waren. Hier waren bei der Organisation der Transporte durch die örtlichen Gestapo stellen fälschlicherweise Personen deportiert worden, die nach den Richtlinien des RSHA zunächst verschont werden sollten. Aber nicht nur in den Zielorten erhoben sich solche Proteste, auch in den Heimatstädten der Verschleppten versuchten die Arbeitsämter, Rüstungsinspektionen und nicht zuletzt die Betriebe, die Arbeitsjuden von der Liste streichen zu lassen.

- Die Deportationen nach Kowno war eine Improvisation weil das eigentliche Ziel Riga noch keinen Platz hatte. Die knapp 5 000 Verschleppten aus Berlin, Breslau, Frankfurt/Main, München und Wien wurden am 25. und am 29. November 1941 von den Einsatzkommando 3 in der Festungsgräben des Forts IX in Kowno erschossen. In der Stadt Riga schliesslich befand sich bereits ein Ghetto mit ca. 30 000 lettischen Juden, die am 30. Nov. und am 8. Dez, nur deshalb in den Wäldern um Riga erschossen wurden, um die ankommenden Transporte Platz zu machen. Ein Transport von etwa 1000 Menschen aus Berlin kam genau zu diesem Zeitpunkt in Riga an und auch diese Juden wurden gleich erschossen. Hier muss man davon ausgehen, dass die Erschiessungen nicht zentral geregelt wurden. Denn es gibt eine Telefonnotiz von Himmler vom selben Tag darauf steht: Berliner Juden nicht liquidieren. Auch wurden die Erschiessungen in Riga von der Bevölkerung wahrgenommen worden. Und es gab Proteste.

Diese Schwierigkeiten waren der entscheidende Grund für die Sitzung am Wannsee. Denn zwischen den Planungen in Berlin und den Realitäten an Ort bestanden grosse Diskrepanzen.

Wie du nun hoffentlich siehst, war 1943 die "Endlösung" bereits im Gange und nicht erst am Anfang.

Quellen siehe hier: http://www.geschichtsforum.de/f66/wannseekonferenz-13085/
 
Zuletzt bearbeitet:
@Augusto:

Das Strafgericht hat die einzige Aufgabe, auf Grund bestehender, somit vorgegebener Normen und in unabhängiger und unbefangener Beweiswürdigung und Sachverhaltsaufklärung ein Urteil in diesem Strafverfahren zu sprechen.

Dein Beitrag zielt letztlich auf die Kollektivschulddebatte ab, und darunter auf Fallvergleich mit deinem Großvater. Er steht mit solchen "Blickrichtungen" sicher nicht allein, wie der öffentlichen Debatte zu entnehmen ist. Solche Debatten sind gesellschaftlich-politischer Natur und bedienen sich ethisch-moralischer Massstäbe, die nur begrenzt justiziabel sind. Im Ergebnis werden künstlich Hürden gebaut und Begriffllichkeiten gebastelt, an denen man dann "das Gericht" kläglich scheitern sieht.

1. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, über eine Kollektivschulddebatte zu befinden. Aufgabe des Gerichts war es vielmehr, den Beihilfe-Tatbestand zu prüfen.

2. Das Gericht ist an den hier vorliegenden Sachverhalt gebunden. Irgendwelche anderen Sachverhalte oder "Vergleiche" sind nicht Gegenstand des Prozesses.

3. Da keine Haupttäterschaft in Rede stand (unmittelbare Tötungshandlungen), war die Auslegung und Anwendung des Beihilfe-Tatbestandes de lege lata geboten. Damit stieß das Gericht in einen Problembereich vor, der an die "Teilnehmer-Eigenschaft" (bei Beihilfe oder Anstiftung) und die limitierte Akzessorität zur Haupttat angehängt ist:

"Die Bestrafung des Teilnehmers an einem vorsätzlichen Tötungsdelikt markiert einen strafrechtlichen Grundsatzstreit zwischen Rechtsprechung und strafrechtlichem Schrifttum. Die Frage, ob beispielsweise die Strafbarkeit eines Anstifters zum Mord stets voll akzessorisch zu der des Haupttäters erfolgt, oder ob insoweit eine Lockerung der Akzessorietät nach Maßgabe von § 28 in Betracht kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. "
MüKo StGB § 211 Tz 256.

"Teilnehmer": was ist hier "positives Tun" der konkreten Beihilfehandlung? Losgelöst vom NS-Massenmord umfasst das physische Tathilfe wie auch psychische Beihilfe: "Die konkreten Mittel der Beihilfe sind also generell unbegrenzt und können grundsätzlich durchaus auch in Verhaltensweisen liegen, die als solche (in einem anderen Kontext) sozial unauffällig (Tragen einer Leiter für einen anderen; Reichen von Werkzeugen; Verleih von Gegenständen etc) sind ..."
Würdest Du also den Morden Deines Nachbarn dadurch beihelfen, dass Du ihm als Steuerberater "berufstypisch" oder als "Alltagshandlung" Aufzeichnungen über die anschließend verbrachte Kleidung der Opfer führst, kann Beihilfe nachweisbar sein. Gleichwohl:
"Solche „neutralen“ Handlungen sollen in bestimmten Fällen mangels eines hinreichenden deliktischen Bezugs aus dem Bereich strafbarer Beihilfe ausgeklammert werden, obwohl sie (mit-)ursächlich für die Haupttat geworden sind "
Schönke/Schröder, Tz10 zu § 27
Damit kommen wir zum Kernproblem des Nachweises, denn die Rechtsprechung verfährt wie folgt.
"Diese subjektiven Umstände werden aber teilweise aus objektiven Tatumständen gefolgert. In den praxisrelevanten Fällen berufstypischer Handlungen soll es dabei entscheidend darauf ankommen, ob das Verhalten des Haupttäters ausschließlich auf die Verwirklichung einer Straftat abzielt und ob dies dem Unterstützer bekannt war"

- Abstimmung der Beihilfehandlung auf die Haupttat
- objektive Qualität der Unterstützungshandlung im Hinblick auf die Haupttat
- messbare Förderungswirkung für die Haupttatverwirklichung
- Abstimmungsvorsatz des Gehilfen?
Schönke/Schröder, Tz10 zu § 27

Was ist also mit dem Reichsbahnstellwerker oder eben dem Taxifahrer, der den Bankräuber zur Bank fährt, der anschließend im Verlauf des Überfalls den Wachmann erschießt? Was ist mit dem Buchhalter, was mit dem Reichsbahnbeamten, was mit dem Vor-Untersuchungsarzt bei Euthanasiefällen, der anschließend Sterbemitteilungen an die nahen Angehörigen schreibt, mit den Tötingen aber "direkt nichts zu tun hatte"? Wem war was zu welchem Zeitpunkt bekannt? Und ist dieses Wissen prozessual nachweislich und vorsätzlich mit der "Alltagshandlung" verknüpft worden?

Das BGH-Urteil 2 StR 589/72 zu diesem Arzt ist ein Musterbeispiel, wie öffentliches Kopfschütteln, Unverständnis und sogar Empörung über ein Urteil vorprogrammiert ist, das letztlich den Beihilfe-Vorwurf bei "Benachrichtigungsschreiben" (ein sicher unauffälliges oder sogar unwichtiges Rädchen im System des systematischen Mordens) als materiell-rechtlich möglich ansieht, die Verurteilung aber am Mangel an Beweisen scheitern lässt. Damit wird es Teil einer Debatte über das allgemeine Versagen der Justiz (die an anderen Stellen ohne Zweifel vorliegt), obwohl hier lediglich rechtsstaatliche Grundprinzipien des Tatnachweises angewandt wurden.

Hier wird drastisch deutlich, dass die Verknüpfung von Beihilfe- und einzelfallbezogenen Nachweis-Fragen mit ethisch-moralischen oder politisch-gesellschaftlich motivierten "Kollektivschuldsbattten" absurd ist, bei denen der "Schuldbegriff" völlig anders aufgestellt ist.


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Presseberichten zufolge wird von mindestens einem Nebenkläger Revision eingelegt. Die Diskussion wird wohl weitergehen.
 
Diese Industrialisierung, und Einbettung in die "normale" Wirtschaft, bedeutete auch, daß es nur schwer möglich war, sich "rauszuhalten". ...Es fällt verdammt schwer, irgendwen zwischen 16 und 65 zu finden, der sich nicht auf die eine oder andere Art an völkerrechtswidrigen Verbrechen beteiligte.
Das Problem ist oben mit der Bezugnahme auf Beihilfe/Alltagshandlungen beschrieben, und kann nur einzelfallbezogen geklärt werden.

Das "Nachweisproblem" ist allgegenwärtig, und nicht auf NS-Verbrechen beschränkt. Die Diskussion hierüber geht an der Rechtsfrage der Beihilfe vorbei, wenn hier losgelöst ein eigenes "Beihilfeverständnis" konstruiert wird.

Mein Großvater war während des Kriegs Versorgungsoffizier im Bereich der Eisenbahndirektion Hamburg. Keine Ahnung, welche Position - wohl nicht Leiter, aber schon gehoben. Er organisierte v.a. Truppentransporte und Nachschublieferungen per Bahn an die Ostfront. Die SS hatte für Judendeportationen ihre eigenen Leute, z.B. Eichmann, aber natürlich mussten die sich mit der Wehrmacht über verfügbares Material und Zugläufe verständigen.

Beihilfe lässt sich nach dem oben beschriebenen prinzipiell nicht ausschließen und ist eine Frage des einzelnen Sachverhalts und seines Nachweises.

Das alles sind jedoch moralische Kategorien, keine juristischen. Mein Gefühl ist, daß das Gericht mit seinem Urteil den direkt Prozeßbeteiligten gerecht geworden ist. ...Das Urteil zeugt von psychogischer und auch diplomatischer Kompetenz.
Aufgabe des Gerichtes ist es nicht, Prozessbeteiligten gerecht zu werden, und psychologische oder diplomatische Kompetenzen nachzuweisen, sondern den Sachverhalt auf die Verwirklichung des gesetzlich gegebenen Beihilfe-Tatbestandes zu prüfen. Verfehlt es diese Aufgabe, ist das Sache der Revision, dieses zu korrigieren.

Objektiv hat sich Gröning nicht mehr oder weniger schuldig gemacht als 80% seiner Zeitgenossen, mein Großvater wohl eingeschlossen.

Ja, und, was soll denn bei den 80% strafrechtlich herauskommen? Exkulpation eines bestimmten Angeklagten oder Verschärfung des Urteils wegen der 80%?


Aber irgendwo beginnt die Grauzone. Da geht es um individuelle Verantwortlichkeit für einzelne Taten. Und man muß sich zunehmend die Frage stellten, ob eine Person objektiv überhaupt in der Lage war, den Gang der Dinge maßgeblich zu beeinflussen.

Die Grauzonen der Beihilfe (a) im Einzelfall (b) zu klären und (c) nachzuweisen, ist Sache des Gerichts.
Es ist auch nicht Tatbestandsmerkmal der Beihilfe, "den Gang der Dinge maßgeblich zu beeinflussen".
 
@Silesia,
vielleicht habe ich einen Informationsvorsprung, weil Lüneburg nicht allzuweit entfernt liegt, und unsere Tageszeitung mit eigenem Reporter von jedem Prozeßtag berichtet hat. Zu einigen entsprechenden Fakten komme ich später. Zunächst ein paar Punkte, die mir in Deinen generellen Ausführungen aufgefallen sind:
Damit kommen wir zum Kernproblem des Nachweises, denn die Rechtsprechung verfährt wie folgt.
"Diese subjektiven Umstände werden aber teilweise aus objektiven Tatumständen gefolgert. In den praxisrelevanten Fällen berufstypischer Handlungen soll es dabei entscheidend darauf ankommen, ob das Verhalten des Haupttäters ausschließlich auf die Verwirklichung einer Straftat abzielt und ob dies dem Unterstützer bekannt war"
Wer war der Haupttäter, dem Gröning Beihilfe in 300.000 Fällen leistete?

  • Das "NS-Regime"? Der Begriff an sich ist so unscharf, daß er wohl kaum bei juristischer Berwertung verwendbar ist.
  • Die SS als Betreiber des Lagers? Wäre ein interessanter Ansatz. Damit wäre die SS eine kriminelle Vereinigung gewesen, was dann u.a. impliziert, daß die BRD Renten an Mitglieder einer kriminellen Vereinigung gezahlt hat und noch zahlt. Können wir aber wohl ausschließen, weil die Gröning zugerechneten 300.000 Morde sich lediglich auf Auschwitz, nicht auf sonstige "Operationen" der SS im fraglichen Zeitraum beziehen.
  • Der Betrieb Auschwitz I (Rechtspersönlichkeit ggfs. über HGB darstellbar)? Kommt zahlenmäßig nicht hin, weil der Großteil der Tötungen ja in Auschwitz II (Birkenau) erfolgte.
  • Bleibt also plausibel nur der Gesamtkomplex Auschwitz I-III plus Außenlager.
Die Anklage bezog sich auf zwei Tätigkeiten Grönings:

  1. Er hatte eigener Aussage zufolge drei Mal Dienst an der "Rampe" in Birkenau während der Ankunft von Deportationszügen aus Ungarn. Die Ankömmlinge wurden direkt in die Gaskammern geführt. Grönings Aufgabe bestand darin, den Abtransport ihres Gepäcks zu organisieren und zu überwachen, und dafür zu sorgen, daß der Bahnsteig bei Ankunft des nächsten Zuges wieder "ordentlich" aussah.
    Hier kann man aus meiner Sicht ernsthaft über Beihilfe nachdenken. Grönings Aufgabe, was ihm auch bewußt war, bestand darin, zu "reibungslosem" Abmarsch der Deportierten in die Gaskammern beizutragen und Beunruhigung zu vermeiden. Dabei hat er vermutlich aktiv mitgewirkt ("Ihrem Gepäck passiert schon nichts, darauf passe ich auf", etc.). Wenn das Urteil auf Beihilfe in 20-30.000 Fällen gelautet hätte, hätte ich kein Problem gehabt. Aber 300.000 Menschen sind in 3 Tagen sicher nicht an der Rampe ausgestiegen.
  2. Er war in der Buchhaltung (unter anderem?) mit der Erfassung und "Verwertung" der den Deportierten abgenommenen Vermögensgegenstände befasst. Anklage und Urteil beziehen sich dabei "nur" auf die 300.000 nach Auschwitz deportierten und dort getöteten ungarischen Juden. Der Anklagevorwurf lautete, damit hätte er zur finanziellen Unterstützung der SS beigetragen und einen zumindest untergeordneten Beitrag zum Massenmord geleistet. Diesen Vorwurf hat das Gericht offenbar bestätigt.
Den offensichtlichen Eiertanz um die Frage herum, ob die SS eine kriminelle Vereinigung war, habe ich oben schon angerissen. Falls dies verneint wird, kann aus der Tatsache, daß Gröning zum Vermögenszuwachs seines Arbeitgebers beitrug, eigentlich keine Beihilfe zum Mord abgeleitet werden. Andere buchhalterische Aufgaben, wie vielleicht Zyklon B-Einkauf, waren nicht Gegenstand des Verfahrens. Hier darf man auf die Urteilsbegründung gespannt sein.

Gröning trat 1940 in die Waffen-SS ein. Daß die damals schon kein Kegelverein war, dürfte er gewußt haben, aber die Lager in Auschwitz gab es damals noch nicht. Er arbeitete zuerst in der Besoldungsstelle der SS, und wurde im September 1942 nach Auschwitz versetzt. Zu dieser Zeit war Auschwitz noch primär Arbeitslager, und versorgte das nahegelegene Kautschukwerk der IG Farben mit Arbeitskräften. Auschwitz II bestand zwar schon, die Vergasung war aber dort wohl noch in der "Testphase". Die großen Krematorien mit Gaskammern gingen erst im 1. Halbjahr 1943 in Betrieb. Gröning hatte nicht um Versetzung gebeten. Ihm wurde nach eigenen Angaben Versetzung angekündigt, den Zielort Auschwitz erfuhr er kurz vor Dienstantritt dort.
Ich denke nach den von Dir wiedergegebenen Kriterien reicht der Dienst Grönings in Auschwitz allein nicht zur Begründung des Beihilfevorwurfs aus. Weder zielte Auschwitz bei seinem Dienstantritt ausschließlich auf das Verbrechen Mord (die dort ebenfalls verwirklichten Verbrechen Freiheitsberaubung, Zwangsarbeit u.a.m. standen nicht zur Anklage und wären wohl auch verjährt), noch war diese verbrecherische Absicht Gröning vor seinem Dienstantritt dort bekannt.
Natürlich hat er schnell mitbekommen, was dort lief. Eigener Aussage zufolge hat er drei Versetzungsanträge erfolglos eingereicht, diese sind aber nicht aktenkundig. Im Oktober 1944 wurde er zu eine SS-Feldeinheit versetzt, ganz untätig war er also wohl nicht.
Aus dieser Sachlage Vorsatz zu konstruieren, ist problematisch. Gröning übte seine Dienstpflicht gegenüber seinem Arbeitgeber aus, nachdem er ohne nachweisbares eigenes Zutun von einer "harmlosen" (Zahlstelle) in eine verbrecherische (Auschwitz) Abteilung versetzt wurde. Aktiv mitwirkend, willfährig oder widerwillig? Dies ist ohne Befragung seiner Kollegen, Vorgesetzten o.ä. kaum zu klären, und da dürfte wohl kaum noch einer am Leben sein.

Das bringt uns zum Problem: Alles, was Du an Rechtsgrundsätzen und Beurteilungsmaßstäben zitiert hast, bezieht sich auf Einzeltäter und von diesen prinzipiell unabhängigen Unterstützer. Hier liegt der Fall einer verbrecherischen Organisation und deren Dienstverpflichtetem vor. Formal wohl kein Befehlsnotstand, aber de facto vergleichbar. Gibt es vergleichbare Fälle? Der Buchhalter, der herausfindet, daß sein Arbeitgeber Geldwäsche betreibt, kann Anzeige erstatten und in Zeugenschutz gehen. Die Wahl hatte Gröning nicht. Ich glaube auch nicht, daß die SS so etwas wie "Kündigung" kannte.
Also konnte das Gericht hier nicht aufgrund bestehender Normen urteilen, es hat neues, dem spezifischen Sachverhalt angepaßtes Recht gesetzt. Dieses Recht besagt offenbar, daß die Befolgung von Dienstpflicht keine Schuldbefreiung darstellt, sondern bei kriminellem Verhalten der Organisation auch deren Angestellte zu Beihelfern werden, selbst wenn ihre konkrete Tätigkeit berufsüblich ist [wie gesagt, Grönings Präsenz an der Rampe ist ein ganz anderer Fall, aber dafür wurde er nicht (nur) verurteilt].

Das bringt mich wieder zurück zur Frage des/der Haupttäter: Stand Auschwitz allein, oder muß es in Verbindung mit dem IG-Farben-Werk gesehen werden? Wie weit sind die Deportationen betrachtbar, ohne die deutsche Reichsbahn mit ins Kalkül zu ziehen. Was ist mit all den Ministerien und Organisationen, die (von ursi oben schön herausgearbeitet) sich auf Durchführungsebene auf der Wannsee-Konferenz abstimmten? Und was bedeutet das Gröning-Urteil für deren Mitarbeiter? Ja klar, da sind viele
echte Beihelfer dabei, die davongekommen sind. Aber letztendlich leistete auch die Sekretärin, die die Einladung zur Wannsee-Konferenz tippte, Beihilfe. Wir sind vielleicht nicht bei der Kollektivschuld angekommen, aber ziemlich nah dran.
Ja, und, was soll denn bei den 80% strafrechtlich herauskommen? Exkulpation eines bestimmten Angeklagten oder Verschärfung des Urteils wegen der 80%?
Bei den 80% soll strafrechtlich gar nichts herauskommen. Das Thema sind die 5-10% echten Beihelfer - die Gaskammerkonstrukteure, KZ-Finanzierer in deutschen Banken, Zahngoldhändler, Richter am Volksgerichtshof etc., von denen sich vielleicht 1% überhaupt verantworten mußte. Das Versäumnis ist leider nicht mehr korrigierbar.
Die 80%, und ihre Nachkommen, sollen sich fragen, wie es zu dem Völkermord in seiner typisch deutschen Gründlichkeit kommen konnte, und wie man dafür sorgen kann, daß so etwas nie wieder geschieht. Alles andere hat Bertold Brecht schon beantwortet - unbefriedigend, aber eine befriedigendere Antwort gibt es wohl nicht
maßnahmen gegen die gewalt
 
Naja was ich denke ist (kurz und knapp auf den Punkt gebracht): Alle die für das System oder im System (und dadurch zur Erhaltung des Systems) und nicht gegen das Systemv der NS- Herrschaft(passiv oder aktiv) gearbeitet haben, müssen sich der Beihilfe schuldig bekennen. Jeder muss sich verantworten, warum er nicht sein möglichstes getan hat um das menschenfeindliche Handeln zu stoppen, zu verlangsamen oder zu verändern.
 
Naja was ich denke ist (kurz und knapp auf den Punkt gebracht): Alle die für das System oder im System (und dadurch zur Erhaltung des Systems) und nicht gegen das Systemv der NS- Herrschaft(passiv oder aktiv) gearbeitet haben, müssen sich der Beihilfe schuldig bekennen. Jeder muss sich verantworten, warum er nicht sein möglichstes getan hat um das menschenfeindliche Handeln zu stoppen, zu verlangsamen oder zu verändern.

hmmm, da gelangt man aber schnell zur Kollektivschuld, weil im totalitären Staat jeder für bzw. im System gearbeitet hat. Sogar die Tätigkeit von KZ-Häftlingen, die als Zwangsarbeiter in der Industrie oder Landwirtschaft beschäftigt waren, würden dann unter die "Beihilfe" fallen.
 
hmmm, da gelangt man aber schnell zur Kollektivschuld, weil im totalitären Staat jeder für bzw. im System gearbeitet hat. Sogar die Tätigkeit von KZ-Häftlingen, die als Zwangsarbeiter in der Industrie oder Landwirtschaft beschäftigt waren, würden dann unter die "Beihilfe" fallen.

Oh stimmt. Man müsste also das Wort "freiwillig" mit einbauen. Nur müsste man ganz genau definieren, was freiwillig bedeutet.
 
Zur Frage, Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??, lautet meine Antwort ganz unmissverständlich: JA!!!

Dies kurz und knapp gesagt, weil...
Ich kann mir nicht vorstellen dass man nach Studium der Zeit von 1933 – 1945 zu einer anderen Schlussfolgerung gelangen kann.
Logischer Weise enthält deshalb auch dieser Thread hier, eröffnet im Juni 2013, sehr viele Aussagen die das unterstützen was jetzt Turgot kurz und knapp schreibt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zur Frage, Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??, lautet meine Antwort ganz unmissverständlich: JA!!!

Ich weiß, es gibt keinen direkten Vergleich und die Dimension der menschenverachtenden Taten ist in der Neuzeit traurig unerreicht, aber wir haben in Deutschland eine weitere menschenverachtende Diktatur (nach 1945), bei denen Verantwortliche nur zum teil oder nachlässig verurteilt wurden, obwohl hier die Verantwortlichen näher an den Taten stehen und auch aus der nähe der Zeit die Verurteilung spüren.
Aber das Thema ist leider noch nicht aufarbeitbar ...
 
Ich weiß, es gibt keinen direkten Vergleich und die Dimension der menschenverachtenden Taten ist in der Neuzeit traurig unerreicht, aber wir haben in Deutschland eine weitere menschenverachtende Diktatur (nach 1945), bei denen Verantwortliche nur zum teil oder nachlässig verurteilt wurden, obwohl hier die Verantwortlichen näher an den Taten stehen und auch aus der nähe der Zeit die Verurteilung spüren.
Aber das Thema ist leider noch nicht aufarbeitbar ...

Das wird erst aufgearbeitet, wenn der Kapitalismus zusammenbricht. Im Westen hat mancher gerne mit dem "Unrechtsstaat DDR" zusammengearbeitet, den sie nach außen so sehr verurteilt haben. Aldi und Ikea, dass wissen wir heute, haben in der DDR produzieren lassen. Medikamente wurden im Osten getestet, und auch unseren Giftmüll hat die DDR entsorgt.

Wenn das mal aufgearbeitet wird, werden wir aber zugeben müssen, dass Westdeutschland von der die Mauer im Grunde profitiert hat. Sie hat die billigen Importe durchgelassen und hat die billigen Arbeitskräfte ausgesperrt. Ja , und man konnte sich noch darüber mokieren, denn dass die DDR der bessere deutsche Staat war, hat keiner ernsthaft behauptet, der auch nur bis 3 zählen konnte.

Den Sozialstaat der alten BRD, der diesen Namen noch verdiente, hatten wir einer Systemkonkurrenz während des Kalten Krieges zu verdanken. Die alte BRD gehörte vor der Wende zu den Staaten, in denen die höchsten Löhne Europas gezahlt wurden, heute gehört sie zu den Schlusslichtern, und die Lebensverhältnisse des "Prekariats" haben sich DDR- Niveau angenährt.
In Punkto Bespitzelung ist die Stasi schon hoffnungslos veraltet, NSA, BND und Verfassungsschutz zeigen wohin es geht. Abgesehen davon dürfte die Stasi auch genug Belastendes über West-Politiker und Wirtschaftsgrößen auf Lager gehabt haben. Viele, die die DDR kannten, sagen, die Eliten sind durchmarschiert, und den Opfern geht es schlecht und schlechter, jedenfalls kam Frank Rüdiger Halt von der Iniative gegen SED Unrecht zu diesem Schluss. Dass Know How der Stasi wurde im Personenschutz, Sicherheitssektor etc noch gebraucht, und manche Seilschaften hielten bis lange nach der Wende.

Der BGS- Beamte, der damals Hauptmann Rudi Arnstadt von den Grenztruppen erschoss- die Älteren werden sich an den Vorfall noch erinnern- wurde Jahre später, lange nach der Wende regelrecht hingerichtet mit einem Schuss ins Auge- genau wie Arnstadt. Man geht von einem Racheakt der Stasi aus, der Fall wurde aber abgeschlossen.

Euer "Sudelede" von Schnitzler tingelte Ende der 90er durch Talkshows, und der "Klassenfeind BRD" hat am Ende seine Rente finanziert und die seiner Frau. Weil er polarisierte und immer noch dasselbe sagte, wurde er gerne in Talkshows eingeladen. Wenigstens mussten wir Wessis nicht im gleichen Staat mit dem leben. Ich habe kürzlich im Internet eine Aufzeichnung der Sendung "Ich stelle mich" vom RBB von 1998 oder 1999 gesehen, und das war schwer erträglich, die gleichen Phrasen zu hören.

Ich glaube, dir und jedem DDR- Bürger würde der Hut hochgehen, selbst heute noch! Aber gerade weil Schnitzler gut für Krawall und Quote war, wurde er gerne eingeladen.

Wenn da einst mal aufgearbeitet wird, weiß Gott, was für ein Dreck da aufgewirbelt würde! Wer hätte bis vor ein paar Jahren gedacht, dass der Polizeibeamte, der 1967 Benno Ohnesorg umbrachte, IM der Stasi war!
 
Zur Frage, Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??, lautet meine Antwort ganz unmissverständlich: JA!!!

Ich frage mich ob es überhaupt einen juristischen Begriff "Nazi-Verbrecher" oder "NS-Verbrecher" gibt.
Gibt es einen solchen Begriff nicht, was ich vermute, dann ist ja die Fragestellung ob solche "Verbrecher" "heute noch" bestraft werden sollen, irreführend. Und das in dem Sinn, dass hier eine Besonderheit der Behandlung von Straftätern vorläge, während Missetaten in einem anderen Zusammenhang nicht vergleichbar behandelt werden würden. Das ist, wie ich es verstehe, nicht der Fall.
Vielleicht findet sich ein 'Jurist' im Forum, der das fachkundig klären kann.

Noch eine Anmerkung, weil mir die Fragestellung "heute noch?" fragwürdig, um nicht zu sagen suggestiv, erscheint:
1992 wird Erich Mielke, der nicht der Gattung NS-Verbrecher zugeordnet werden kann, wegen eines Mordes angeklagt, den er als junger Kommunist 1931 begangen haben soll, und wohl auch hat.

Ich stimme Dir zu und sehe es so wie Du sagst,
Das in der Weise, dass es mir scheint, dass eine Nichtverfolgung dieser Verbrechen, weil sie "Nazi-Verbrechen" sind, das Gift einer nachträglichen Legitimation beinhalten würde.
 
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#125

Du irrst dich in einigen Punkten und deine Witzeleien zwischendrin finde ich nur mäßig witzig. Aber da habe ich jetzt auch wirklich keine Lust drüber zu diskutieren. Ich stelle nur eines fest:

Mehr noch - wir sind zurück bei der Kollektivschuld, vom Bremer Finanzbeamten zum Lokführer gen Auschwitz zum IG Farben Lagerarbeiter, der auch mal eine Palette Zyklon B bewegte. Mein Großvater mittendrin, der den gleichen Job wie Eichmann machte, aber eben kein Eichmann war.

Du hast offenbar nicht begriffen, was Kollektivschuld bedeutet.
Was dein Großvater gemacht hat oder nicht, darum werde ich mir kein Urteil erlauben. Ich lege dir aber das Buch "Opa war kein Nazi" ans Herz, das zeigt, wie Enkel mit den durchaus ehrlichen Angaben ihrer Großeltern umgehen.
 
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Ergänzend der Hinweis auf eine neuere Studie zu den Helferinnen, Herkunft, Rekrutierungswellen, Tätigkeiten, Gewaltentgrenzung, in den Konzentrationslagern:

Mailänder, Gewalt im Dienstalltag: Die SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek 1942-1944, aus 2009 und 2015 inzwischen auch in englischer Sprache herausgegeben.

Kapitel 3 befasst sich mit einigen beispielhaften Lebenswegen bzw. "Karrieren" in den Konzentrationslagern.
 
Hier noch ein Artikel des NDR:

Fall Gröning: Die Schuld eines "kleinen Rädchens" (Seite 1)

"Angesichts von Hunderten Kinderwagen, Abertausenden von Brillen, Schuhen, Kleidungsstücken und Zahngold muss jedem, der in Auschwitz in der Verwaltung tätig war, klar gewesen sein, dass er Teil des Systems der Vernichtung war", macht Susanne Willems deutlich. Aber schon allein die Ankunft in Auschwitz hätte gereicht haben müssen, um zu erkennen, dass hier massenhaft Menschen umgebracht werden. "Dazu musste man nicht einmal Dienst an der Rampe in Auschwitz-Birkenau haben", betont die NS-Forscherin. Dabei hätten sich die Täter absetzen können, sei es durch Versetzung oder in letzter Konsequenz auch durch Fahnenflucht. Warum sie dies nicht taten, sei auch damit zu erklären, dass sie sich nicht schuldig fühlten und sich offenbar als Teil des nationalsozialistischen Weltanschauungskampfes begriffen.
 
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