Der Germanicus-Horizont: Kalkriese und ein Brand in Köln 13/14 n. Chr.

Sueton schreibt an der angegebenen Stelle, dass der Brukterer, der Tiberius ermorden wollte, "unter den Nächsten" verkehrte. (Sed re prospere gesta non multum afuit quin a Bructero quodam occideretur, cui inter proximos versanti et trepidatione detecto tormentis expressa confessio est cogitati facinoris.) Das wird wohl so zu verstehen sein, dass sich dieser Brukterer im Gefolge des Tiberius aufhielt. Jedenfalls lässt sich aus dieser Stelle nicht herauslesen, dass Tiberius damals im Brukterergebiet weilte. Auch Brukterer konnten mobil sein, und wenn er tatsächlich zum Umfeld des Tiberius gehörte, musste er erst recht dorthin ziehen, wohin dieser zog.
 
Hallo tela,

das den Fluss Lupia und die Stadt Lupia gibt ist genauso unstrittig wie den Fluss Amisia und den Ort. Anderes habe ich auch nicht behauptet.

Naja, darüber haben wir schon lange genug gestritten. Hab mich nur gewundert, dass du an dieser Stelle jetzt plötzlich die Übersetzung und Deutung als Fluss akzeptierst, die anderen ebenso eindeutigen Stellen aber sprachlich ziemlich verdrehen musst, um aus den Flüssen Städte zu machen.
Und wo sonst, als im Land der Brukterer, sollte Tiberius gewesen sein?

Germanien ist größer als das Land der Brukterer. Oder bist du wirklich der Meinung, dass sich Tiberius in der Zeit seines Kommandos in Germanien nur im Gebiet der Brukterer aufgehalten hätte?
Oder meinst du das dieser mal so dir nichts mir nichts bei den Cheruskern oder Chatten zu Besuch war? Der Brukterer von Sueton war schon ein guter Hinweis.

Ja, dass ein Brukterer versuchte den Tiberius zu ermorden. Nicht aber, dass dieser Mordversuch auch im Gebiet der Brukterer stattfand. Bei dieser Quellen"interpretation" ist klar der Wunsch (welcher auch immer) der Vater des Gedankens (siehe Beitrag Ravenik!).
 
Guten Morgen tela, guten Morgen Ravenik,

das dieser sich im Gefolge des Tiberius befand ist sehr unwahrscheinlich. Augustus hatte bekanntlich seine germanische Leibwache nach der Varus-Schlacht entlassen, und da soll sich ausgerechnet Tiberius mit einem Brukterer umgeben ? Wohl kaum. Sueton sagt auch im Satz voran, dass er mit größerer Zuversicht in die Schlacht zog. Deswegen geh ich davon aus, dass die versuchte Tötung sehr wahrscheinlich bei den Brukterern passiert ist.

Grüße

zur Verdeutlichung

Sueton Augustus - 49:

"Ebenso entließ der Kaiser die Germanentruppen, die er bis zur Niederlage des Varus in seiner Leibwache um sich gehabt hatte."

Wilhelm Capelle übersetzt den Satz in Sueton Tiberius - 19 in "Das alte Germanien" (Ausgabe 1937) folgendermaßen:

"Doch hätte nach einem glücklichen Gefecht nicht viel daran gefehlt, dass er <Tiberius> von einem Brukterer ermordet wurde: diesem war, da er sich in der Nähe des Feldherrn aufhielt und sich durch seine Angst verriet, durch Foltern das Geständnis seines Anschlages abgepresst worden."
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Sueton sagt auch im Satz voran, dass er mit größerer Zuversicht in die Schlacht zog. Deswegen geh ich davon aus, dass die versuchte Tötung sehr wahrscheinlich bei den Brukterern passiert ist.

Grüße

Bleibt aber weiterhin nicht durch den Text gedeckt. Wo die Schlacht stattfand, nach der er beinahe von einem Brukterer ermordet worden wäre, das sagt Sueton nicht. Deswegen bleibt es Spekulation.
 
Was die Stelle bei Sueton angeht, so müssen wir bedenken, dass offenbar unter Tiberius' Herrschaft eine negative Varus-Rezeption einsetzt. Varus war mehrfach erfolgreich Statthalter (Syrien, Africa) bis er dann in Germanien scheiterte, wo er nur fortsetzte, was Augustus und Tiberius begonnen hatten.
Er (bzw. sein Kopf, den Arminius an Marbod und dieser weiter nach Rom geschickt hatte) bekam ein ehrenvolles Begräbnis durch Augustus. Die früheste Quelle, die wirklich negativ über Varus spricht (und dabei auch alle späteren toppt) ist der Tiberius-Panegyriker Velleius, um 20 n. Chr. Sueton scheint sich aus dieser negativen Tradition zu bedienen.

Damit sollten wir es bei diesem kleinen Exkurs auch belassen.
 
Guten Morgen tela, guten Morgen Ravenik,

das dieser sich im Gefolge des Tiberius befand ist sehr unwahrscheinlich. Augustus hatte bekanntlich seine germanische Leibwache nach der Varus-Schlacht entlassen, und da soll sich ausgerechnet Tiberius mit einem Brukterer umgeben ? Wohl kaum. Sueton sagt auch im Satz voran, dass er mit größerer Zuversicht in die Schlacht zog. Deswegen geh ich davon aus, dass die versuchte Tötung sehr wahrscheinlich bei den Brukterern passiert ist.

Grüße

zur Verdeutlichung

Sueton Augustus - 49:

"Ebenso entließ der Kaiser die Germanentruppen, die er bis zur Niederlage des Varus in seiner Leibwache um sich gehabt hatte."

Wilhelm Capelle übersetzt den Satz in Sueton Tiberius - 19 in "Das alte Germanien" (Ausgabe 1937) folgendermaßen:

"Doch hätte nach einem glücklichen Gefecht nicht viel daran gefehlt, dass er <Tiberius> von einem Brukterer ermordet wurde: diesem war, da er sich in der Nähe des Feldherrn aufhielt und sich durch seine Angst verriet, durch Foltern das Geständnis seines Anschlages abgepresst worden."
Die germanische Leibwache wurde nur kurzzeitig von Augustus entlassen, aufgelöst wurde sie erst von Galba, weil die Leibwache sich am Sturz von Nero beteiligt hatte. Bisher ist nur bekannt, dass hauptsächlich Bataver und wenige Ubier in der Leibwache dienten, und nur vereinzelt Mitglieder anderer Gentes.
Es bestehen jedoch noch andere Möglichkeiten, warum sich ein Brukterer im Gefolge von Tiberius befinden konnte, zum Beispiel ein adeliges Mitglied einer (vermeintlich) römerfreundlichen Fraktion des Stammes, oder ein diplomatischer Vertreter. Zur germanischen Leibwache: http://ferrugo.de/documents/bataver.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,

habe den Thread gerade erst gesehen und mal mein altes Statistikbuch bemüht.
Das Fehlen von postvarianischen Münzen in Kalkriese im Vergleich zu ihrem Vorkommen in der Kölner Brandschicht ist statistisch hochsignifikant und zwar mit einer Sicherheit von über 99,9%.

Am besten passt das Modell der Gleichverteilung und eine Chi-Quadrat-Analyse.
Idee: Wenn das Fehlen in Kalkriese reiner Zufall wäre (was bei einer so großen Stichprobe sehr sehr unwahrscheinlich ist), müsste man bei gleicher Häufigkeit wie in Köln (Gleichverteilung) rein rechnerisch 228 (oder 14,3%) provarianische Münzen in Kalkriese erwarten können.
Jetzt haben wir eine Abweichung von beobachtete Häufigkeit = O Stück zu erwarteten Häufigkeit=228.
Es wird gerechnet (beobachtet Häufigkeit minus erwartete Häufigkeit) zum Quadrat geteilt durch erwartete Häufigkeit
(0-228)zum Quadrat geteilt durch 228 = 228

Mit dem Ergebnis von 228 gehe ich in die Tabelle (Freiheitsgrad = 1) der Chi-Quadrat-Verteilung.
Und siehe da, der Grenzwert für eine Gleichverteilung auf dem 99,9 % Niveau (mit einer Wahrscheinlichkeit 0,01% könnte doch eine Gleichverteilung vorliegen) liegt bei 10,828. Unser tatsächlicher Wert ist deutlich höher. Daher kann man zu über 99,9% sicher sein, dass es keine Gleichverteilung der postvarianischen Münzen in Kalkriese und der Kölner Brandschicht gibt.
(Rechnet man mit den Prozenten (relative Häufigkeit), kommt man zu dem gleichen Ergebnis.)

Das heißt aber auch, dass es sehr sehr unwahrscheinlich ist, dass das Fehlen der postvarianischen Münzen in Kalkriese reiner Zufall ist. - Wie immer man dieses Ergebnis auch im Hinblick auf die Historie interpretieren mag.
 
@Nemetona

Rein rechnerisch mag dein Zahlenwerk ja stimmen, doch wo werden die Faktoren "Zeitraum" und "Ursachen" potentieller Münzverluste berücksichtigt?
 
Huhu Xander,

war nur eine Spielerei meinerseits. Schon etwas ernst gemeint, da so ganz ohne Aussage zu den Fundplätzen ist das nicht.
Aber eben nicht so ernst, dass ich da nicht noch andere Aspekte sehe.
Lege das gerne mal auseinander, aber jetzt nicht.
Es ist spät und das Bett ruft.

VG ;-)
Nemetona
 
Vor kurzem ist ein Sonderheft der Zeitschrift "Archäologie in Deutschland" erschienen. Der Titel lautet

ICH GERMANICUS
FELDHERR PRIESTER SUPERSTAR

ich habe es erst angefangen. Aber was ich bisher gelesen habe, ist sehr ausgewogen. Zu strittigen Fragen der Zeit 9 uZ bis 16 uZ wird der Forschungsstand dargestellt und die widerstreitenden Positionen erläutert.

Zu der Münzverteilung der wichtigen rechtsrheinischen Fundstätten stellt einer Autoren -Stefan Burmeister - fest:

Stefan Burmeister schrieb:
Der numismatische Befund in Kalkriese ist somit eindeutig. Die jüngsten Münzbelege stammen aus der Zeit unmittelbar vor der Varusschlacht, jüngere Münzen gibt es nicht. So willkommen diese klare Aussage ist, so wenig hilft sie uns dennoch weiter. Denn auch in anderen Orten, in denen die Römer in den Jahren nach der Varusschlacht waren, gibt es keine Münzen aus dieser Zeit. Germanicus operierte bis 16 n. Chr. immerhin mit acht Legionen in Germanien. Von diesen Truppen findet sich keine Spur im archäologischen Fundgut - wider jeder Erwartung gibt es keinen Münzfund der eine Datierung in diese Jahre erlaubt. Das spricht dafür, dass die nach 10 n. Chr. ausgegebenen Münzen erst mit einigen Jahren Verzögerung an den Rhein gekommen sind. Das ist nicht ungewöhnlich, sondern zeigt einen Trend an, der sich bereits Jahre zuvor abzeichnete. Die Legionäre des Germanicus hätten demnach kein anderes Geld bei sich gehabt als die des Varus. Das wirft viele neue Fragen auf, macht aber auch deutlich, dass über die Münzen keine zeitliche Untescheidung zwischen der Varusschlacht und der Operationen des Germanicus möglich ist. Damit löst sich unser sicher geglaubter Datierungsansatz in Luft auf.

Wenn in der Diskussion das Problem der fehlenden Germanicus-zeitlichen Münzen rechtsrheinisch auftaucht, kommt ein nicht von der Hand zu weisendes Gegenargument. Den Truppen wurde verboten, Geld mit auf die Feldzüge des Germanicus zu nehmen. So gesehen kann man in Haltern auch keine Germanicus-zeitliche Münzen erwarten.

Was jedoch nicht wegzudiskutieren ist, sind die fehlenden "Germanicus"-Münzen in Waldgirmes. Welchen Zweck hatte Waldgirmes, wenn es über 9 uZ hinaus bestand? Einen militärischen Zweck sicherlich nicht, dass gibt das Fundgut nicht her. Wenn man aber Waldgirmes als Handelsplatz weiterführte, warum hat man dort keine Germanicus-zeitliche Münzen? Nach den Funden aus dem Kölner Brandhorizont wurde doch in Ara Ubiorum allerorten mit Germanicus-zeitlichen Münzen gezahlt. Warum aber in der Zivilsiedlung von Waldgirmes nicht?

Ich wohne 80 Kilometer von Köln entfernt. Weihnachtseinkäufe oder modische Großeinkäufe der Ehegattin werden in Köln getätigt. An meinem Wohnort gäbe es die 2-EUR-Länderserie (Holstentor, Neuschwanstein, etc.) nicht. Nun fahren wir nach Köln und kaufen ein. Dort ist in jeder Ladenkasse "Bremer Roland" und "Paulskirche". Auf dem Rückweg werden wir in Deuz gefilzt und müssen unser Euro-Sondermünzen wieder gegen simple Bundesadler eintauschen.

Ähnlich geht es dem Händler aus Waldgirmes. Er ist die Lahn entlang gereist und dann den Rhein stromab nach Ara Ubiorum. Auf dem Heimweg wird er dann durchsucht und muss alle neuen Münzen linksrheinisch lassen. Warum?
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,
habe den Thread gerade erst gesehen und mal mein altes Statistikbuch bemüht...
Am besten passt das Modell der Gleichverteilung und eine Chi-Quadrat-Analyse.

Aus welchen Gründen sollen die Anwendungsvoraussetzungen stochastischer Unabhängigkeit, hypothetischer Normalverteilung und gleichem Wahrscheinlichkeitsraum gegeben sein?

Dafür ist mE zu wenig über die Geldströme bekannt, siehe Diskussion über Gegenstempel, Fließgeschwindigkeiten, Verteilungsräume, Aufbewahrungspraktiken etc.

Wenn das nicht bekannt ist, bleiben das nur nette Zahlenspielereien.
 
Huhu,

stochastisch unabhängig sind die beiden Fundorte. Stochastistische Abhängigkeit heißt, dass man mit der ersten Stichprobe die Wahrscheinlichkeiten in der zweiten Stichprobe verändert. (Ziehen ohne Zurücklegen). Das ist hier nicht der Fall.

Ich sprach auch nicht von einer Normalverteilung sondern von einer Hypothese der Gleichverteilung - das kann man mit der Chi-Quadrat-Verteilung durchaus untersuchen. (Für eine Auswertung der gesamten Münzverteilung der beiden Fundplätze müsste ich Angaben zu allen Münzen haben - habe ich aber nicht hier zuhause.)

Das Konfidenzintervall gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Hypothese angenommen oder abgelehnt werden kann. Und da hat die Hypothese einer Gleichverteilung der prävarianischen Münzen in Kalkriese und der Brandschicht in Köln eine Wahrscheinlichkeit von 0,01%. Man kann die These mit sehr sehr hoher Wahrscheinlichkeit verwerfen.

Das sagt aber erst mal rein gar nichts darüber aus, wie es zu den Unterschieden gekommen ist. Nur es sagt bei einer so großen Fundmenge wie in Kalkriese einiges über die Wahrscheinlichkeit aus, das dort prävarianische Münzen zufällig übersehen wurden. Die liegt nämlich unter 0,01%.


Ach ja, noch was hierzu:

Wenn in der Diskussion das Problem der fehlenden Germanicus-zeitlichen Münzen rechtsrheinisch auftaucht, kommt ein nicht von der Hand zu weisendes Gegenargument. Den Truppen wurde verboten, Geld mit auf die Feldzüge des Germanicus zu nehmen. aber in der Zivilsiedlung von Waldgirmes nicht?

Wo bitte steht, dass den Truppen des Germanicus verboten wurde, Geld mit auf die Feldzüge nach Germanien zu nehmen?
Ich habe den Tacitus noch mal durchgeblättert und nichts gefunden und bei Cassius Dio habe ich auch nichts gefunden.
Habe ich was übersehen? Bitte nennt die Quelle.

Und, ach ja, wenn es dieses Verbot des Germanicus tatsächlich gegeben haben sollte und es befolgt wurden, KANN Kalkriese mit über 1600 Fundmünzen ja gar nicht aus den Feldzügen des Germanicus stammen. Es kann dann nur ein Teilbereich der ausgedehnten Schlachtaktivitäten im Rahmen der Varusschlacht sein. Dann gäbe es wohl auch keine Diskussionen darüber mehr.

Nur mal so.

VG
Nemetona
 
Huhu,

jetzt mal die Sache von seiten der schriftlichen Quellen betrachtet. Hier kommen eigentlich nur die ersten Bücher von Tacitus' Annalen infrage.
Was steht da explizit über Zugang von frischem Geld am Rhein - insbesondere auch über Zahlungen an die Legionen? - Erstaunlich viel für die Jahre 14 - 16 n. Chr. (erstaunlich, insbesondere wenn man die Diskussionen der vergangenen Jahre zur Verbreitungsgeschwindigkeit von Münzen bedenkt.)

Hier mal ein paar Dinge, die Tacitus berichtet:

- Zum Zeitpunkt des Todes von Augustus 14 n. befand sich Germanicus in GALLIEN (sic!) um "Schätzungen" durchzuführen. (Damit kann mMn entweder eine Volkszählung zur späteren Steuererhebung oder eine Volkszählung + evt. schon eine direkte Steuererhebung - zumindest wo möglich - gemeint sein.)
- Gleichzeitig kommt es zum Aufstand der Legionen in Niedergermanien - in den obergermanischen rumort es zwar, aber sie sind unentschlossen.
- Germanicus macht sich auf nach Niedergermanien (aus Gallien kommend) und kann mit arger Not den Aufstand stoppen. - Er zahlt Gelder aus der EIGENEN Reisekasse und der seiner Begleiter an die Legionen. (Was heißt eigene Reisekasse - welche Gelder und Münzen brachte Germanicus als und in der "eigenen Reisekasse" an den Rhein?).
- Anschließend zieht er zu den obergermanischen Truppen und zahlt ebenfalls Gelder aus.
= Im Spätsommer/Frühherbst 14 n. Chr. und damit vor den militärischen Operationen vom Herbst 14 und des Jahres 15 n. Chr. im Rechtsrheinischen hatten die ober- wie niedergermanischen Legionen Geldzahlungen aus der Reisekasse von Menschen erhalten, die sich zuvor x-Wochen bis Monate in Gallien aufgehalten hatte (wo ein paar Jahre zuvor neue Münzen geprägt und in Umlauf gebracht worden waren).

- Nach dem desaströsen Verlauf der Feldzüge des Jahres 15 n. Chr. braucht Germanicus dringend materielle und finanzielle (sowie unausgesprochen wohl auch personelle) Hilfe aus den anderen Provinzen, viele bieten Hilfe an. Germanicus lehnt zwar das angebotene Gold ab, nimmt aber materielle Unterstützung dankend an. Und - jetzt kommt's - er schickt im Winter 15/16 P. Vitellius und C. Antius nach Gallien um Steuern einzutreiben. ER - nicht der Kaiser oder Senat in Rom veranlassen die Steuereintreibung in Gallien. Und der Satz steht in direktem Bezug zu den Beschreibungen der Vorbereitungen zu einem neuen Feldzug in Germanien.
Meine Frage: Wo sind die Gelder aus der Steuereintreibung gelandet? - In Rom oder direkt in der Kriegskasse des Germanicus bei den Rheinlegionen?

Und etwas provokanter: Wenn Germanicus im Winter 15/16 auf eigenes Betreiben hin in der Lage ist - scheinbar unwidersprochen von Rom - in Gallien Steuereintreibungen zu veranlassen (die mit einiger Wahrscheinlichkeit bei ihm landen), könnten nicht auch schon die an die Legionen gezahlten Gelder von 14 aus gallischen Steuern bestanden haben, deren Eintreibung zum Zweck der Verwendung in Germanien ihm durch Augustus und Rom offiziell erlaubt waren?

Und wenn das nicht der Fall sein sollte, so wird die Reisekasse des Germanicus trotzdem im Herbst 14 zweifellos einen nicht unerheblichen Anteil von in Gallien kursierenden Münzen enthalten haben (darunter auch die Prägungen ab 10 n.Chr.), da er sich vorher x-Wochen oder Monate dort aufgehalten hatte. Und lt. Tacitus hat er aus dieser Reisekasse die Zahlungen an die Legionen getätigt.

So, jetzt zerreißt mich!
Ich bin nämlich der Auffassung, dass die Legionäre des Germanicus am Rhein (und auch auf ihren Feldzügen 15 und 16 sehr wohl über die ab 10 n. Chr. geprägten Münzen verfügt haben müssen. Das legen nicht nur die archäologischen Befunde in der Kölner Brandschicht (und ich bevorzuge archäologische Befunde) sondern auch die Berichte des Tacitus nahe.

VG
Nemetona
 
Germanicus provincia umfasste meines Wissens die Tres Galliae. Es ist also vollkommen normal, daß er in seiner Provinz Steuern erhebt. In seiner Position und mit seinem Auftrag auch außerordentliche. Es ist auch vollkommen normal, daß Steuern (Naturalien und Geld) zuerst für die Deckung des lokalen Bedarfs, wie des in Gallien stationierten Militärs verwendet wurden. Nur die Überschüsse der Provinzen gingen nach Rom. Die Gallien zu der Zeit eher nicht hatte. Es mag sein, daß er Geld aus Rom mitbrachte, oder weitere Mittel anforderte. Zuerst hatte er aber die Mittel aus Gallien selbst zu verwenden.
 
Zuletzt bearbeitet:
nemetona schrieb:
So, jetzt zerreißt mich!
Ich bin nämlich der Auffassung, dass die Legionäre des Germanicus am Rhein (und auch auf ihren Feldzügen 15 und 16 sehr wohl über die ab 10 n. Chr. geprägten Münzen verfügt haben müssen. Das legen nicht nur die archäologischen Befunde in der Kölner Brandschicht (und ich bevorzuge archäologische Befunde) sondern auch die Berichte des Tacitus nahe.
Hier wird niemand zerrissen - das verbietet schon die Nettiquette.

Stefan Burmeister ist Archäologe und Kurator der Germanicus-Ausstellung in Kalkriese. Als Mitarbeiter des Museums in Kalkriese müsste man doch eigentlich annehmen, dass ihm der Fund in Köln als Steilvorlage dienen müsste. Aber in seinen Ausführungen ignoriert er diesen Fund vollständig. Da Burmeister argumentiert, dass Münzen erst mit deutlicher Verspätung an den Rhein gelangt sind, wie ist dann der Fund in Köln einzuschätzen? Wird der Kölner Fund anhand der Münzen datiert, kann man einem Zirkelschluss unterliegen.

a) Schlussmünze stammt aus der Zeit von X. Also ist der Brand im Jahre X gewesen

b) Da im Jahre X schon die Münzen in Köln vorhanden waren, dann muss es auch im rechtsrheinischen diese Münzen zur Germanicus-Zeit gegeben haben

c) Sind an den Orten rechtsrheinisch keine Germanicus-Münzen vorhanden, dann sind diese halt vor Germanicus aufgelassen worden

Ist aber die Münze aus dem Jahre X erst mit 10 Jahren Verspätung nach Köln gelangt, dann sind alle diese obigen Annahmen hinfällig. Dann ist der Köner Brand in einer Zeit nach Germanicus passiert.

Und dieser These, vermute ich, könnte der Kurator von Kalkriese anhängen.
 
Huhu,

@Agricola
Danke, so oder so ähnlich hatte ich das in Erinnerung. Das bestätigt meinen Verdacht.

Ich hab's zwar normalerweise nicht so "mit den Römern" - aber da muss man leider "durch", wenn man in die Eisenzeit will. ;) (Archäologisch gesehen oft sogar wörtlich.)
Außerdem arbeite ich längst in einem ganz anderen Bereich und mache Archäologie nur noch hobbymäßig nebenbei, wenns zeitlich passt (habe aber einige Jahre Vor- und Frühgeschichte studiert).

@Flavius-Sterius
Stefan Burmeister ist Archäologe und Kurator der Germanicus-Ausstellung in Kalkriese. Als Mitarbeiter des Museums in Kalkriese müsste man doch eigentlich annehmen, dass ihm der Fund in Köln als Steilvorlage dienen müsste. Aber in seinen Ausführungen ignoriert er diesen Fund vollständig. Da Burmeister argumentiert, dass Münzen erst mit deutlicher Verspätung an den Rhein gelangt sind, wie ist dann der Fund in Köln einzuschätzen?

Das ist mir auch aufgefallen.
Ich hole mir für Bahnfahrten gerne mal die neuste AiD am Bahnhof als nette, leichte Lektüre. So ist mir auch das Sonderheft "Ich Germanicus" in die Hände gefallen.
Dabei hat es mich auch gewundert, dass ausgerechnet der Kurator von Kalkriese die These von Kalkriese als "Örtlichkeit der Varusschlacht" skeptisch zu sehen und der These der späteren Ausbreitung der Münzen ab 10 n. Chr. (im militärischen Zusammenhang) anzuhängen scheint.
Ob das tatsächlich so ist, kann ich nicht beurteilen.
Es kann auch einer Taktik bzw. dem Bestreben danach, den wissenschaftlichen Diskurs und die Interpretationsmöglichkeiten wieder zu öffnen und auf weitere Belege zu hoffen, die mehr Sicherheit geben, geschuldet sein.

Und dann ist in dem Heft noch ein Artikel, den St. Burmeister gemeinsam mit dem Hauptkritiker P. Kehne geschrieben und in dem - wohl Kehne - ein paar, meiner Meinung nach nicht stichhaltige, "Indizien" gegen Kalkriese als Teil der Varusschlacht untergebracht hat.
Das sieht für mich nach einem "Burgfrieden" aus und dem Versuch, den Kritiker Kehne "einzufangen", seinen kritischen Thesen einen Platz zu geben (ohne dass er direkt wieder polemisch oder beleidigend gegen Kalkriese schießt) und ihn damit in die wissenschaftliche Diskussion einzubinden - ohne dass wieder Keulen geschwungen werden.
Das Poltern Kehnes in früheren Jahren dürfte seinem Ansehen kaum zuträglich und mEn ausserdem ziemlich anstrengend für die "Kalkrieser" gewesen sein.

Nur mal so, meine Einschätzung aus der Ferne.

Ich hoffe übrigens auf mehr Funde in Bentumersiel und vielleicht auch auf weitere Zufallsentdeckungen in den in Frage kommenden rechtsrheinischen Gebieten. - Vielleicht bringen flächendeckende Lidar-Scans der betreffenden Gebiete ja weitere Ergebnisse. - Weiß jemand, ob diese durchgeführt wurden/werden?
Aber ich weiß ja, dass "die Archäologie" gewöhnlich ziemlich lange von Entdeckung eines Befundes, seiner Bearbeitung und ... und ... und (kein Schluckauf sondern Versuch, das Vergehen von Zeit zu verdeutlichen) ... und endlich (!) der Publikation braucht. ;)

@ELQ - Danke ;) - mit TS-Datierung sollte dem Argument des "Zirkelschlusses" eigentlich die Grundlage entzogen sein.

So, denne
einen schönen Sommerabend an alle.

VG
Nemetona
 
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Berichtigung

Arg... Fehlerkorrektur
Ich bin wohl etwas "eingerostet" ;)

Ich sprach auch nicht von einer Normalverteilung sondern von einer Hypothese der Gleichverteilung - das kann man mit der Chi-Quadrat-TEST durchaus untersuchen.

Das Konfidenzintervall gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Hypothese angenommen oder abgelehnt werden kann. Und da hat die Hypothese einer Gleichverteilung der postvarianischen Münzen in Kalkriese und der Brandschicht in Köln eine Wahrscheinlichkeit von 0,01%. Man kann die These mit sehr sehr hoher Wahrscheinlichkeit verwerfen.

Das sagt aber erst mal rein gar nichts darüber aus, wie es zu den Unterschieden gekommen ist. Nur es sagt bei einer so großen Fundmenge wie in Kalkriese einiges über die Wahrscheinlichkeit aus, das dort postvarianische Münzen zufällig übersehen wurden. Die liegt nämlich unter 0,01%.

Nemetona

VG
Nemetona
 
Wann wurde eigentlich die Münzanstalt in Lugdunensis eingerichtet? Weil wenn es diese zu Germanicus Zeiten bereits gab, wäre es eher unwahrscheinlich, daß ausgerechnet Gallien keine frischen Münzen bekam.

Ich habe auf die Schnelle Nichts genaues gefunden, außer das die cohors urbana zum Schutz selbiger Münzanstalt ca. im Jahr 15 AD dort eingerichtet wurde. Ich meine mich aber zu erinnern, daß dieser Schutz vorher von einer Auxiliarkohorte gewährleistet wurde. Dann müsste die Münzanstalt selbst älter sein.
 
@Agricola

Die Münzstätte in Lugdunum gab es spätestens 7 v. Chr.

Die wichtigsten frühkaiserzeitlichen Münzserien, die in Lyon (Lugdunum) geprägt wurden, waren:

Altarserie I: geprägt zwischen 7 - 3 v. Chr. (und ist auch Schlußmünze der Bronzeprägungen in Kalkriese, Haltern und Waldgirmes)

Altarserie II: geprägt ab 10 n. Chr. - fehlt an obigen Plätzen, ist aber im Brandhorizont von Köln und im nach 15/16 n. Chr. von vom Hochwasser zerstörten Lager Augsburg-Oberhausen (reichlich) vorhanden.

Lugdunum war Hauptstadt der drei Gallien und Germanicus befand sich - laut der Annalen des Tacitus im Sommer 14 n. Chr. x-Wochen oder Monate für (Steuer-)Schätzungen in Gallien.
(Der wird sich doch nicht erdreistet haben, die dort als Kleingeld im Umlauf befindlichen Münzen der Lugdunum II-Serie in seiner Portokasse mit an den Rhein gebracht zu haben, oder? ;))

Übrigens:
Gerade in den Regionen des obergermanischen Heeres, die ja ursprünglich (zu Caesars Zeiten) "gallisch" - nicht "germanisch" waren, gab es durchgängig (auch schon vorrömisch) immer enge wirtschaftliche Beziehungen nach Innergallien.
Warum dann ausgerechnet zwischen 10 und 15 n. Chr. das in Innergallien im Umlauf befindliche Kleingeld NICHT zumindest an den Ober- und Mittelrhein gelangt sein soll, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. - Und die in Obergermanien stationierten Legionen waren auch an den Feldzügen unter Germanicus beteiligt.

Sorry, aber ich kann die These, der nur verzögerten Verbreitung der ab 10 n. Chr. geprägten Münzen bei den am Rhein stationierten Legionen, mit denen die Kritiker Kalkriese für eines der Schlachtfelder 15/16 n. Chr. hindiskutieren wollen, nicht nachvollziehen.
Irgendwie fällt mir Ockhams razor dazu ein.

Viele Grüße von
Nemetona
(die bei der Hitze gerade zerfließt)
 
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