Montanisten, Cybele-Kult und phrygische Mütze

Kurzer Nachtrag (hatte ich leider vergessen, in den größeren Beitrag einzufügen):

Bei den Kybele-Feiern in Rom soll es, als Ausdruck der Identifikation mit Attis, zu Selbstentmannungen von Kybele-Anhängern gekommen sein, die ihre Genitalien in die Zuschauermenge warfen und von da an Frauenkleider trugen, um sich dem Geschlecht ihrer Göttin anzupassen. Als Fans dieses Kultes kleideten sich auch die Kaiser Caligula und Elagabal bei bestimmten Anlässen als Venus in Frauengewänder.

Auch auf dieses brisante Thema gehe ich noch genauer ein.
 
Kurzer Nachtrag (hatte ich leider vergessen, in den größeren Beitrag einzufügen):

Bei den Kybele-Feiern in Rom soll es, als Ausdruck der Identifikation mit Attis, zu Selbstentmannungen von Kybele-Anhängern gekommen sein, die ihre Genitalien in die Zuschauermenge warfen und von da an Frauenkleider trugen, um sich dem Geschlecht ihrer Göttin anzupassen. Als Fans dieses Kultes kleideten sich auch die Kaiser Caligula und Elagabal bei bestimmten Anlässen als Venus in Frauengewänder.

Auch auf dieses brisante Thema gehe ich noch genauer ein.

Die Sexualität hat die Menschen zu allen Zeiten intensiv beschäftigt:
"Die phrygische Mütze war ursprünglich ein gegerbter Stier-Hodensack samt der umliegenden Fellpartie. Nach der Vorstellung der Griechen sollte ein solches Kleidungsstück die besonderen Fähigkeiten des Tieres auf seinen Träger übertragen.“

"… an dieser Stelle wuchs sofort der zwitterhafte Agdistis aus dem Felsen empor. Er hatte ein furchterregendes Wesen und wurde deshalb von den übrigen Göttern kastriert.
Der so von seiner Männlichkeit befreite Agdistis wurde zur Großen Mutter Kybele, aus den abgetrennten Genitalien aber entstand Attis. Da Kybele und Attis ursprünglich eine Person waren, zogen sie sich gegenseitig an."


Der Kult überstand alle politischen Wirren der spätrömischen Zeit und konnte auch noch eine Zeit lang dem Christentum trotzen. Die Duldung des Christentums durch Konstantin tat dem keinen Abbruch. Selbst die Einführung des Christentums als Staatsreligion durch Kaiser Theodosius I. 391 und das erlassene Verbot aller sogenannten heidnischen Kulte brachte noch nicht das Ende, vielmehr wurde die Verehrung der Magna Mater vom weströmischen Kaiser Eugenius (392–394) ausdrücklich wieder eingeführt. Ihre Verehrung verlor sich dann im fünften Jahrhundert. Das hartnäckige Festhalten von Teilen der Bevölkerung des römischen Reiches an ihrer Göttin gilt als einer der Gründe, die die Mehrheitsentscheidung von 431 auf dem Konzil von Ephesos stützten, mit der Maria zur Mutter Gottes (Gottesgebärerin) erklärt wurde. Manche Autoren sehen darin eine Fortsetzung der Verehrung der Großen Gottesmutter vom Berg Ida.

Kybele scheint fromme Menschen also bis heute irgendwie sehr zu beeindrucken.
 
Um letzteres geht es ja gar nicht im Zusammenhang mit der Ostgotenkönigin. Du hattest ihre Kopfbedeckung thematisiert. Dass es dabei keinen direkten Zusammenhang mit dem Kybele-Kult und dem christlichen Bischofsamt gibt, ändert nichts daran, dass sich die Mütze auf die Kopfbedeckung bosporanischer Königinnen zurückführen lässt und dass diese wiederum - wie könnte es anders sein? - mit dem Kybele-Kult im Bosporanischen Reich zusammenhängt, der archäologisch nachgewiesen ist.
nicht dass wir uns missverstehen:
nachdem Darstellungen von phrygischen Mützen in der Diskussion etwas überstrapaziert worden waren, hatte ich die Ostgotenregentin samt ihrer Darstellung erwähnt (frühes 6. Jh.) und anschließend ein aus dem Zusammenhang gerissenes verkürztes H.Wolfram-Zitat korrigiert. Danach dann hatte ich mir erlaubt, darzulegen, inwiefern die phrygische Mütze der frühmittelalterlichen Ostgotenregentin eben KEIN Indiz für irgendwelche Kybele-Angelegenheiten ist.
Dasselbe findet sich auch im von dir (verzerrt/verkürzt) zitierten exzellenten Gotenbuch von Wolfram: dort wird nachgewiesen, dass und wie allerlei gentile Memoria eine Konstruktion auf dem Wissenshorizont des frühen 6. Jhs. ist, und zwar eine Konstruktion zur (in diesem Fall amalischen) Herrschaftslegitimation. Den historisch-philologischen Part solcher Untersuchungen beherrscht der "Profi" Prof. H. Wolfram.

Mit anderen Worten: die phrygische Mütze der Gotenregentin eignet sich NICHT für deine Darstellungen - es gilt (für dich) also, nach anderen Indizien zu fahnden. (((und künftig wäre erfreulich, Zitate nicht willkürlich zu verkürzen... siehe Gotenbuch von Wolfram)))
 
Beider Entstehung wird ebenfalls durch Kastrationsmytheme überliefert. Aphrodite entstand bekanntlich aus dem Schaum aus Blut und Samen, der sich aus dem Phallus des Uranos bildete nach dessen Entmannung durch seinen Sohn Kronos. Kybele wiederum entstand, einem Mythos zufolge, durch eine Selbstentmannung des zweigeschlechtlichen Wesens Agdistis, dessen Phallus von Dionysos offensichtlich irreversibel an einen Baum gebunden worden war. Der entmannte Agdistis war nun Kybele; aus dem Blut des Genitals aber spross ein Mandelbaum, von dem der Nymphe Nana eine Frucht ´in ihren Schoß´ fiel, so dass sie schwanger wurde und den Attis gebar, in den sich Kybele dann verliebte.

Die Ähnlichkeit der Motive einer Geburt durch einen Kastrationsakt ist unübersehbar.
...mit der Historie der Ostgoten kenne ich mich leidlich aus und darf dir versichern, dass die Ostgoten andere Probleme hatten als an Bäume gebundene Phalloi und kastrationsaktige Geburten - die Ostgoten erwähnen dergleichen "Spezialitäten" nirgendwo...
=)=)=)
 
Die Phrygenmütze hat in der frühchristlichen bzw. byzantinischen Kunst mehrere Bedeutungen. Die Kunst des Sassanidenreiches übte in der Spätantike großen Einfluss aus und prägte auch die spätere christliche Kunst. In der sassanidischen Kunst hatten sich wiederum persische und hellenistische Elemente vereint.
Ein frühe Vorstufe bilden die Fresken der Synagoge von Dura Europas, 3. Jahrhundert n. Chr.
Abgebildet (Bildlink) sind mit roter Zipfelmütze die biblischen Gestalten Mordechai (ein Beamter zu Pferd) und Ahasverus (persischer König auf dem Thron).

Auf dem Barberini-Diptychon, byzantinische Elfenbeinschnitzerei 6. Jahrhundert, sind ebenfalls Männer mit Zipfelmützen abgebildet. Sie tragen auch typisch parthische Tracht und Vollbärte.

In der christlichen Kunst gibt es nur einen ausgewählten Kreis, der solche Mützen trägt. Entweder geht es darum jemanden als Orientalen zu markieren oder als König. Besonders auffällig sind die drei Weisen aus dem Morgenland mit ihren Zipfelmützen. Es handelt sich natürlich um östliche Barbaren, Vollbart, parthische Hose und Zipfelmütze.
Kirchenfresko Sant’Apollinare Nuovo, Ravenna, 6. Jahrhundert

Stuttgarter Psalter
9. Jahrhundert
Die römische Kunst arbeitet mit der gleichen Symbolik. Die asiatischen Barbaren tragen solche Mützen und natürlich auch Hosen. Das gilt für ganz unterschiedliche Barbaren: Trojaner, Perser, Skythen, Thraker oder auch Äthiopier. (Besonders auffällig ist der äthiopische König Cepheus in der karolingischen Astronomie-Handschrift Leidener Aratea. Der Vater der Andromeda trägt hier die typische Tracht der Perser mit Hose, Phrygenmütze und sogar einem barbarischen Bart.) Das gilt auch für asiatische Götter wie Mithras und Attis. Eine eigenständige religiöse Bedeutung, die darüber hinaus geht, dass der Kult asiatischer Herkunft ist, erkenne ich nicht.

Neben der Markierung als orientalische Barbaren taucht diese Mütze auch als Königsmütze auf, insbesondere bei König David. Es ist nicht immer feststellbar, was gerade genau gemeint ist. Bei einem jüdischen König fehlen meist die weiteren barbarisch-persischen Elemente wie die bunten Hosen und der Vollbart. Interessanterweise wird auch Karl der Große im 10. Jahrhundert derart abgebildet.

In der Regel tragen auch die "3 Jünglinge im Feuerofen" nach den Apokrypen zum Buch Daniel solche Zipfelmützen. Im Bibeltext wird jedoch die Kleidung jener Jünglinge erwähnt, u. a. ihre Mützen.
"Sofort wurden sie in ihrer Kleidung, ihren Hosen, Mänteln und Mützen gefesselt und in den glühenden Ofen geworfen." Daniel 3.21
Die Mützen der Jünglinge im Feuerofen haben mit den vorbenannten Mützen wohl thematisch eher nichts zu tun.
 
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Noch mal zur Ergänzung:
Die persische Mütze wird Tiara genannt. Auf sie gegen auch die abendlichen Kronen des Mittelalters zurück. Die Tiara wurde später von hellenistischen Herrscher, später auch von römischer Kaisern und schließlich auch als Papstkrone, wobei letztere ausdrücklich als Insignie der politischen Herrschaft über den Kirchenstaat in Italien gilt und daher vor ein paar Jahrzehnten eingemottet wurde.

Bei den Persern zwei unterschiedliche Mütze oder wenigstens zwei unterschiedliche Trageweisen, einmal aufrecht stehend und einmal umgeklappt wie die phyrgische Mütze. Laut Herodot darf nur der Großkönig seine Mütze aufrecht tragen, während die Untertanen sie nur umgeklappt tragen würden, aber Herodot ist alles andere als zuverlässig. Im Opferkult trugen die Perser laut Herodot Myrthen an der Tiara.

Wie auch immer: Mitra und Papstkrone haben nicht mit der phrygischen Mütze gemein, da es sich um aufrechte Mütze handelt. Sie gehen auf die Tiara zurück. Die Tiara wurde auch nicht direkt aus Persien entlehnt, sondern aus Konstantinopel.

Bei der hier diskutierten "Mütze", abgebildet auf dem Orestes-Diptichon, handelt es sich, wenn man genau hinschaut, auch nicht umd eine umgeklappte Mütze. Das ist gar keine phyrgische Mütze!
Die Dame trägt eine aufwendige Haube mit reichlich Perlenbehang wie Kaiserin Theodora auf dem Mosaik von San Vitale, Ravenna. Die Elfenbeinschnitzerei und das Mosaik stimmen bis in die Details überein, sogar die Ornamente am Kragen des Kleides sind gleich.
 
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Wie auch immer: Mitra und Papstkrone haben nicht mit der phrygischen Mütze gemein, da es sich um aufrechte Mütze handelt.

Das ist insofern beruhigend, als die phrygische Mütze in ihrem Ursprung ein präparierter Stierhodensack war...

In der Enzyclopedia Britannica von 2004 heißt es, davon unbeeindruckt, zu diesem Thema:

The tiara [from which the mitre originates] probably developed from the Phrygian cap, or frigium, a conical cap worn in the Greco-Roman world. In the 10th century the tiara was pictured on papal coins.

Dieser Satz wird auch bei´orthodoxwiki´ zitiert, einer Informations-Seite der Orthodoxen Kirche.

Ich will dieses Thema aber nicht weiterführen, das Wichtigste scheint dazu gesagt worden zu sein, nicht zuletzt dank deines ausführlichen Überblicks. Was mich aber irritiert an deinem ersten Beitrag, ist der freizügige Gebrauch des Ausdrucks "barbarisch".
 
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Ein paar Takte zum Montanismus.

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Charakteristisch für diese Strömung waren

+ ekstatische Prophetie

+ eine weibliche Priesterschaft

+ strenge Askese (relative Ausnahme: die Prophetin Nanas)

+ Verherrlichung des Martyriums

+ die chiliastische Naherwartung der Wiederkehr des Christus und des Anbruchs eines Tausendjährigen Reiches. Im Unterschied zu den Gnostikern, die ein jenseitiges Leben in einer geistigen (pneumatischen) Sphäre lehrten, waren die Montanisten von der materiellen, also fleischlichen Auferstehung der Toten überzeugt. Den Anhängern des Montanismus wurde ein privilegierter Status im zukünftigen Reich in Aussicht gestellt.

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Vermutlich - denn um 170 war die Bewegung schon weit verbreitet - begann Montanus seine Lehre ab 157 (laut Epiphanius) zu verkünden, also etwas früher als kürzlich von Gangflow angegeben.

Der wesentliche Grund für die Ablehnung und letztendliche Verketzerung des Montanismus durch die katholische Kirche (KK) war die Selbsteinschätzung von Montanus und den obersten Priesterinnen Maximilla und Priscilla, unmittelbares Sprachrohr des ´Heiligen Geistes´ (des Parakleten gemäß Joh 14,16-17) zu sein, wodurch die KK ihren eigenen Anspruch gefährdet sah, Repräsentant der christlichen Wahrheit zu sein. Ihr Argument war, dass der Heilige Geist sich ausschließlich in der KK als Institution manifestiere und nicht in individuellen Personen. Auch an der starken Rolle der Frauen im Montanismus rieb sich die KK, was zu der neuen Regelung führte, Frauen grundsätzlich vom Priesteramt auszuschließen.

Der montanistische Grundsatz der Ablehnung der Ehegemeinschaft wurde von Tertullian, der 207 zum Montanismus übertrat, mit der Einschränkung auf eine zweite Ehe übernommen. Ob seine diversen Schriften über Ehe und Keuschheit später bei der Einführung des Zölibats als Legitimation hergenommen wurden, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Durch Tertullian erfuhr der Montanismus jedenfalls eine systematische Ausgestaltung seiner Prinzipien und die Integration der Prophezeiungen in eine geordnete theologische Struktur. Leider ist sein Werk über montanistische Prophetie verloren gegangen. Kenntnis über die Lehren des Montanismus hat man heute nur aus Beschreibungen in Werken ihrer Gegner und eben aus Tertullians Werk.

Bevor ich, in einem weiteren Post, auf das wichtigste Merkmal des Montanismus, die Prophetie, eingehe, ist die Rolle der montanistischen Frauen versuchsweise zu klären.

Maximilla und Priscilla hatten laut dem Antimontanisten Apollonius ihre Ehemänner verlassen, um sich Montanus anzuschließen. Ob sie einheimische Phrygierinnen waren, ist ungeklärt. Die lateinischen Namen scheinen dagegen zu sprechen, es sind aber Phrygierinnen mit diesem Namen nachgewiesen. Die Leitung der Montanisten hatte nach Montanus´ und Priscillas Tod (über den keine Datierungen vorliegen) Maximilla übernommen, die 179 starb. Da das verkündete Ende der Welt zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten war, wurde die Verzögerung fortan als Zeichen göttlicher Gnade gewertet, das Ende dennoch inbrünstig herbeigesehnt. Allerdings bewirkte das Ausbleiben einen Vertrauensverlust in die den dahin als Massenbewegung einzustufenden Montanismus, was längerfristig zu einem Mitgliederschwund führte.

Von Montanus, Maximilla und Priscilla sind ingesamt nur 10 Aussprüche überliefert, 4 von Montanus, 4 von Maximilla (beide bei Epiphanius) und 2 von Priscilla (bei Tertullian).

Die hohe Stellung der Frauen im Montanismus war insofern ein Charakteristikum der Montanismus, als dieser sich dadurch von der KK abhebt; aber auch in anderen christlichen Organisationen, z.B. den Marcioniten und den Valentinianern, hatten Frauen wichtige Funktionen. (Christusgläubige Gnostiker wie die genannten sind zu den Christen zu rechnen). Manche Stellen in den Paulinen scheinen zwar anzudeuten, dass auch im frühen Katholizismus Frauen einen relevanten Status hatten, andere paulinische Stellen aber demonstrieren klar die Geringschätzung des Weiblichen. Dass im Montanismus die Dinge anders lagen, könnte u.a. mit dem - als sehr wahrscheinlich anzunehmenden - Kybele-kultischen Background des Montanismus zusammenhängen. Bekanntlich hatten im Kult der phrygischen Muttergöttin neben Eunuchen auch Frauen das priesterliche Amt eines ´gallus´ (Pl. galloi) bzw. einer ´galla´ (feminine Form) inne, dessen kultische Funktionen die ekstatische Prophetie einschlossen. Diese phrygische Tradition hat sich wahrscheinlich auf das montanistische Prophetentum übertragen.

Erwähnenswert ist auch die schon eingangs genannte montanistische Prophetin Nanas, die vom montanistischen Askesedogma insofern abwich, als sie bis zu ihrem Tod in glücklicher Ehe lebte. Möglicherweise als Vorbild für die phrygischen Propheten könnte - neben den ´galloi´ und ´gallae´- die christlich-orthodoxe Prophetin Ammia von Philadelphia gedient haben, die in der ersten Hälfte des 2. Jh. gelebt haben soll, aber nur bei Eusebius bezeugt ist. In der Apg wird ein Diakon Philippus von Caesaraea erwähnt, der 4 Töchter mit prophetischer Gabe hatte. Wie historisch das in Bezug auf den zeitlichen Kontext auch sein mag, es zeigt, dass es weibliche Prophetie auch im frühen Christentum gab. Als Beispiel für eine marcionitische Prophetin nenne ich Philomene, die mit einem Marcion-Schüler namens Apelles umher reiste und von ihren katholischen Gegnern, wie die phrygischen Prophetinnen, als von einem Dämon besessen stigmatisiert wurde.

Dass die KK im 3. Jhd. die innerkirchliche Stellung der Frau drastisch reduzierte, hängt auch, aber nicht nur, mit Maximilla und Priscilla zusammen, deren dominantes Auftreten von der KK als ´abschreckendes´ Exempel gewertet wurde. Es gab kirchliche Versuche, den beiden Prophetinnen zu ihren Lebzeiten die Prophetie exorzistisch auszutreiben. Berichtet werden zwei Vorfälle, erstens von einem Anonynous Anfang des 3. Jh., überliefert durch Eusebios, der aussagt, dass die beiden Bischöfe Zotikos und Julian, die Maximilla aufsuchten, um „ihren Geist zu widerlegen“ (=auszutreiben), von einem anderen hochgestellten montanistischen Propheten, Themiso, daran gehindert wurden. Anlässlich dieser Begegnung soll Maximilla geäußert haben (eine der 4 von ihr überlieferten Aussprüche):

Ich werde verfolgt wie ein Wolf von den Schafen fort. Ich bin kein Wolf. Ich bin Wort und Geist und Kraft.

Ein zweiter Vorfall wird, ebenfalls überliefert von Eusebius, von Bischof Äius Publius Julius berichtet, bei dem Bischof Sotas von Anchialos die Prophetin Priscilla exorzieren wollte, ebenfalls aber von Anhängern davon abgehalten wurde.

Das soll zu diesem Thema für den Moment reichen. Einwände seitens anderer User erwarte ich vor allem gegen mein Statement, der Montanismus habe einen

... - als sehr wahrscheinlich anzunehmenden - Kybele-kultischen Background

gehabt. Diese Frage wird von Fachleuten kontrovers diskutiert. Das mehrheitlich vertretene Pro stützt sich sowohl auf die Vermutungen früher Kirchenmänner (wiewohl manche in Montanus auch einen ehemaligen Apollo-Priester sahen) als auch auf die unübersehbaren Parallelen montanistischer Anschauungen zum Kybele-Kult. Dass besagte frühe Kirchenmänner in ihrer Darstellung sowohl der montanistischen Praktiken als auch des Kybele-Kultes zu sehr unsachlichen Verzerrungen neigten, indem sie ihnen rituelle Kindermorde andichteten - ein Verleumdungsklischee, das von der KK auch gegen alle Mysterienkulte lanciert wurde -, ändert nichts an der Plausibilität der frühklerikalen Assoziation des Montanismus mit dem Kybelismus (meine bescheidene Wortprägung).

In meinem nächsten Post gehe ich auf das Thema der ekstatischen Prophetie ein und stelle dabei die montanistische Prophetie in den weiteren Kontext des assyrischen, israelitischen, phrygischen und griechischen Orakelwesens.
 
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Das Fest dauerte vom 22. bis zum 27. März, fiel also genau in die Phase des im schon im Alten Orient traditionell gefeierten Frühlingsäquinoktiums und begann mit einer Leichenfeier (Prozession mit der Attis-Pinie). Ab dem 25. März begannen die Freudentage. Dass im frühen Christentum die Zeugung seines Heros (9 Monate vor dem 25.12.) sowie sein Sterben und seine ´Auferstehung´ ebenfalls in diese Märztage fallen, ist natürlich alles andere als ein Zufall, sondern eine Anpassung an ´heidnische´ Traditionen.
Was für Dich alles "natürlich" ist ...
Wenn Jesu Geburt am 25.12. gefeiert wird (ohne zu behaupten, dass das tatsächlich sein Geburtstag war), ist es, da eine Schwangerschaft üblicherweise neun Monate dauert, natürlich, dass neun Monate davor Ende März ist. Da braucht man nicht eine Übernahme aus dem Kybele-Attis-Kult anzunehmen. Im Gegenteil, wenn sich die Christen bewusst an das mehrtägige März-Fest aus dem Kybele-Kult angelehnt hätten, wäre dann nicht zu erwarten, dass auch die Christen im März die Empfängnis Jesu aufwändig feiern?
Das Sterben und die Auferstehung Jesu wiederum werden mal im März, mal im April gefeiert, fallen also nur ausnahmsweise mit dem Kybele-Fest zusammen. Dass sie zu dieser Zeit gefeiert werden, liegt einfach daran, dass besagte Ereignisse rund um das Paschafest (das etwa in eben dieser Zeit stattfindet) stattgefunden haben, man sie aber nicht exakt datieren konnte, weil Jesu Todesjahr nicht bekannt ist, sodass man sich mit verschiedenen Berechnungskonstruktionen behelfen musste. Hätte man die Feiern des Sterbens und der Auferstehung Jesu an das Kybele-Attis-Fest angelehnt, wäre dann nicht naheliegend gewesen, einfach dessen Termin zu übernehmen, statt sich mit komplizierten mondabhängigen Kalenderberechnungsmodellen herumzuplagen?

Beider Entstehung wird ebenfalls durch Kastrationsmytheme überliefert. Aphrodite entstand bekanntlich aus dem Schaum aus Blut und Samen, der sich aus dem Phallus des Uranos bildete nach dessen Entmannung durch seinen Sohn Kronos. Kybele wiederum entstand, einem Mythos zufolge, durch eine Selbstentmannung des zweigeschlechtlichen Wesens Agdistis, dessen Phallus von Dionysos offensichtlich irreversibel an einen Baum gebunden worden war. Der entmannte Agdistis war nun Kybele; aus dem Blut des Genitals aber spross ein Mandelbaum, von dem der Nymphe Nana eine Frucht ´in ihren Schoß´ fiel, so dass sie schwanger wurde und den Attis gebar, in den sich Kybele dann verliebte.

Die Ähnlichkeit der Motive einer Geburt durch einen Kastrationsakt ist unübersehbar. Natürlich sind solche Kastrationsmythen das Produkt einer Überlagerung indoeuropäischer Einwanderer (z.B. die Phryger, die sich Anfang des 1. Jt. BCE in Anatolien ansiedelten) mit der indigenen Kultur von Hellas und Anatolien, sie gehen also nicht auf den ursprünglichen Magna-Mater-Glauben zurück.
Ich habe bereits einmal darauf hingewiesen, dass dem nicht ganz unbedeutenden und unbekannten Dichter Homer zufolge Aphrodite die Tochter von Zeus und Dione war. Daneben gab es noch weitere Abstammungsmythen, z. B. wurde Aphrodite in einem Tempel in Elis als Tochter von Uranos und der Göttin des Tages (vermutlich Hemera) verehrt.
Es ist müßig darüber zu spekulieren, wie es zu den verschiedenen Abstammungsmythen kam, ob z. B. lokale/regionale Traditionen und/oder Göttinnen zusammenflossen oder ob z. B. die Zeus/Dione-Abstammung die ursprüngliche war und die Kastrationsvariante auf fremde Einflüsse zurückging. Man sollte aber damit vorsichtig sein, eine einzige Erklärungsvariante als "natürlich" anzusehen.

Ähnlich unübersehbar ist eine Parallele zwischen Attis, dem Geliebten der Kybele, und Paris, dem Aphrodite die schöne Helena verspricht, um ihn für die Wahl zur schönsten Göttin zu belohnen (Apfel des Paris), wodurch sie den Trojanischen Krieg auslöst. Die Parallele besteht weniger (aber auch) darin, dass eine Art Dreiecksverhältnis besteht (Nymphe, mit der Attis fremdgeht / Helena als Geliebte des Paris), sondern in der Kopfbedeckung beider Jünglinge (siehe angehängte Bilder von Paris, der oft mit phrygischer Mütze gezeigt wird).
Da Aphrodite kein Verhältnis mit Paris hatte, bestand auch kein Dreiecksverhältnis zwischen den beiden und Helena. Ein Dreiecksverhältnis mit Paris und Helena bestand schon, allerdings mit der Nymphe Oinone, mit der Paris verheiratet war. Und die phrygische Mütze galt als typische Kopfbedeckung (insbesondere orientalischer) Barbaren; in bildlichen Darstellungen konnten sie somit mit Mütze leicht als solche kenntlich gemacht werden. Mehr muss man da nicht gezwungen hineininterpretieren.
 
Der wesentliche Grund für die Ablehnung und letztendliche Verketzerung des Montanismus durch die katholische Kirche (KK) war die Selbsteinschätzung von Montanus und den obersten Priesterinnen Maximilla und Priscilla, unmittelbares Sprachrohr des ´Heiligen Geistes´ (des Parakleten gemäß Joh 14,16-17) zu sein, wodurch die KK ihren eigenen Anspruch gefährdet sah, Repräsentant der christlichen Wahrheit zu sein. Ihr Argument war, dass der Heilige Geist sich ausschließlich in der KK als Institution manifestiere und nicht in individuellen Personen. Auch an der starken Rolle der Frauen im Montanismus rieb sich die KK, was zu der neuen Regelung führte, Frauen grundsätzlich vom Priesteramt auszuschließen.

So ähnlich wird das auch in der Literatur dargestellt, wenn auch in Nuancen anders, die nicht unwichtig sind.

Zunächst einmal wird betont, dass Montanismus sich nicht von den wesentlichen Elementen christlicher Doktrin abhebt. Soweit man das überhaupt sagen kann, und bei der Vielzahl von Splittergruppen und dem Streit um apostolische Grundlagen und Bedeutung der Schriften im 2. Jahrhundert überhaupt einen "mainstream" identifizieren kann (wenn, dann wohl einen "großstädtischen").

Dennoch bekämpfte man diese Strömung selbst und stellvertretend als Häresie.

Chiliasmus bzw. Millenialismusist dabei wenig überzeugend als Hintergrund, da die Strömungen zwar kritisiert, aber nie komplett zurückgewiesen worden sind (siehe die sonstigen frühen Vertreter der Strömung). Schließlich wurde auch die Offenbarung des Johannes, eine Quelle chiliastischer Christen, ins Neue Testament übernommen.

Das kann man also verwerfen.

Die wesentlichen Gründe sind die Ekstase in der Prophetie, vermutlich nicht einmal die Prophetie an sich, der Selbstanspruch dieser neuen Propheten für größere Autorität, konträr zu den sich entwickelnden apostolischen Traditionen und dem Anstieg der Bedeutung der Schriftlichkeit als zentrale Quelle und Form der Verbreitung und Sicherung dogmatischer Grundlagen. Weiter dürfte wie von Chan angeführt die sichtbare Frauenrolle in Priestertum, religiöseer Lehrerschaft und Prophetie sein, was alles zusammen die sich entwickelnden kirchenpolitischen Machtstrukturen gefährdet hat.

Alle diese Motivspekulationen sind aber im Kontext der weit gesplitterten Strömungen der Frühkirche zu sehen. Die Quellenlage zu Hintergründen ist dürftig, so dass das alles nur mehr oder weniger plausibele Vermutungen sind.

Marjannen/Luomannen, Companion to Second-Century Heretics.
 
Das Sterben und die Auferstehung Jesu wiederum werden mal im März, mal im April gefeiert, fallen also nur ausnahmsweise mit dem Kybele-Fest zusammen. Dass sie zu dieser Zeit gefeiert werden, liegt einfach daran, dass besagte Ereignisse rund um das Paschafest (das etwa in eben dieser Zeit stattfindet) stattgefunden haben, man sie aber nicht exakt datieren konnte, weil Jesu Todesjahr nicht bekannt ist, sodass man sich mit verschiedenen Berechnungskonstruktionen behelfen musste.

Nicht weil man das Datum des Todestages vergessen hätte, sondern weil das Urchristentum noch eine jüdische Gruppierung war, deshalb feierte man Ostern ans Pessach gebunden. Das deutsch-englische Ostern-Easter verstellt uns ein wenig den Blick darauf, aber in den meisten Sprachen, bis hin zum Papstnamen Paschalis (> ital. Pasquale, frz. Pascal, letzteres auch in Dtld. ein nicht unüblicher Name) klingt im Namen des Osterfestes noch das jüdische Pessach an.
 
Nicht weil man das Datum des Todestages vergessen hätte, sondern weil das Urchristentum noch eine jüdische Gruppierung war, deshalb feierte man Ostern ans Pessach gebunden.

Eben, mit Kybele&Co. hat das nichts zu tun. Siehe auch zum Konflikt der frühchristlichen Diözesen zur Datierung:
https://en.wikipedia.org/wiki/Easter_controversy
https://de.wikipedia.org/wiki/Nisan_(Monat)

oder:
Di Berardino, Encyclopedia of Ancient Chrisitianity, diverse Artikel (detailliert zur Ostern-Kontroverse zwischen westlichen und östlichen Frühkirchen bzw. Diözesen)
Ferguson, Backgrounds of Early Christianity

Chans "Rechnung" von Weihnachten hat ebenfalls nichts mit Kybele zu tun, die Hinzufügung des Festes erfolgte im 4. Jahrhundert.
 
Die wesentlichen Gründe sind die Ekstase in der Prophetie, vermutlich nicht einmal die Prophetie an sich,...

Ekstase war aber ein charakteristisches Merkmal alttestamentlicher Prophetie (Jakob im Traum, Deborah, Ezechiel, Daniel) und tritt auch im NT auf (Johannes d.T., Jesus - z.B. Mt 17,1-8) und sollte von daher den Katholiken per se nicht verdächtig gewesen sein. Wenn ´Unbiblischkeit´ als Argument benutzt wurde, dann sicher nur polemisch und wider besseres Wissen. Auch wird von Paulus ´berichtet´, dass er ekstase-artige Zustände kannte, z.B. Apg 22,17:

Als ich später nach Jerusalem zurückgekehrt war und im Tempel betete, da geriet ich in eine Verzückung.

der Selbstanspruch dieser neuen Propheten für größere Autorität, konträr zu den sich entwickelnden apostolischen Traditionen und dem Anstieg der Bedeutung der Schriftlichkeit als zentrale Quelle und Form der Verbreitung und Sicherung dogmatischer Grundlagen.

Der Montanismus wurde, meine ich, aus zwei Gründen zur Häresie erklärt:

+ weil die apokalyptische Grundhaltung den Interessen der Katholiken, die auf lange Sicht eine Organisation aufbauten, ein Dorn im Auge war.

+ weil die prophetischen Ansprüche von Montanus, Maximilla und Priscilla eine derartige Wirkung in christlichen Kreisen entfaltete, dass die orthodoxe römische Kirche drauf und dran war, den Führungsanspruch über die Christen an Montanus zu verlieren.

Ende des 2. Jh. gab es z.B. zwei Bischöfe von Rom, die sich für den Montanismus einsetzten. Christliche Gemeinden schlossen sich reihenweise dem Montanismus an. Der bedeutendste christliche Theologe dieser Zeit, Tertullian, trat 207 zum Montanismus über und verfasste mehrere Werke im montanistischen Geist; eines davon, über montanistische Prophetie, ging verloren.

Erst 237 wurde auf einer Bischofssynode der Montanismus und inbesondere die montanistische Prophetie zur Irrlehre erklärt, also über ein halbes Jahrhundert nach dem Tod der drei führenden Propheten des Montanismus. Es handelte sich dabei um die erste Bischofssynode überhaupt, eigens eingerichtet, um die Frage des Führungsanspruches innerhalb der christlichen Kirche, zu der bis 237 auch der Montanismus zählte, zu klären. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es kein Letztoffenbarungsdogma, das den prophetischen Anspruch der Montanisten hätte widerlegen können, vielmehr war dieses Dogma das Resultat des Kampfes zwischen Katholiken und Montanisten um die geistige Führung der Kirche. Übrigens waren in den gut 50 Jahren zwischem dem Tod der Propheten und der Synode keine neuen Propheten mehr aufgetreten.

Aus all dem folgt:

Prophetie war von den Katholiken keinesfalls per se verurteilt worden, sondern weil sie den mit den Katholiken um den christlichen Führungsanspruch rivalisierenden Montanisten ein so hohes Ansehen verschafft hatte, dass die Führungsrolle der Katholiken gefährdet schien.

Schließlich wurde auch die Offenbarung des Johannes, eine Quelle chiliastischer Christen, ins Neue Testament übernommen.

Um das Jahr 200 - als der Montanismus noch nicht verketzert war, sondern auf seinem Höhepunkt stand - gab es schon einen rudimentären biblischen Kanon, zu dem bereits die Johannesoffenbarung zählte. Andere dazugehörende Texte waren 13 Paulinen, die Apg, die 4 Evangelien, der 1. Petrusbrief, der 1. Johannesbrief usw.

Erst ab 237 wurde Prophetie von der katholischen Kirche offiziell für obsolet erklärt. Das zielte speziell gegen den Montanismus. Nun war die JohOffb aber schon Teil des Kanons und konnte aus diesem nicht mehr entfernt werden. Das ist der entscheidende Grund, warum die Offb, trotz ihres prophetischen Charakters, auch später noch im Kanon blieb. Der problematische Charakter des Prophetischen, der der JohOff dennoch anhängt, zeigt sich auch heute noch darin, dass dieser Text in katholischen Liturgien nie vorgelesen wird.
 
Der problematische Charakter des Prophetischen, der der JohOff dennoch anhängt, zeigt sich auch heute noch darin, dass dieser Text in katholischen Liturgien nie vorgelesen wird.
Zu Mariä Himmelfahrt am 15. August stammt die 1. Lesung aus der Offenbarung des Johannes.
 
Um das Jahr 200 - als der Montanismus noch nicht verketzert war, sondern auf seinem Höhepunkt stand - gab es schon einen rudimentären biblischen Kanon, zu dem bereits die Johannesoffenbarung zählte. Andere dazugehörende Texte waren 13 Paulinen, die Apg, die 4 Evangelien, der 1. Petrusbrief, der 1. Johannesbrief usw.

Erst ab 237 wurde Prophetie von der katholischen Kirche offiziell für obsolet erklärt. Das zielte speziell gegen den Montanismus. Nun war die JohOffb aber schon Teil des Kanons und konnte aus diesem nicht mehr entfernt werden.

So festgefügt war der Kanon im 3. Jahrhundert noch nicht.
Insbesondere die Offenbarung war noch bis ins späte 4. Jahrhundert allenfalls im Westen allgemein anerkannt.

Eusebius von Caesarea schreibt z. B.:
"Zu den unechten Schriften sind zu zählen die Paulusakten, der sog. Hirt, die Offenbarung des Petrus, ferner der sog. Barnabasbrief, die sog. Apostellehre und, wie ich schon sagte, auch noch, wenn man will, die Offenbarung des Johannes, welche, wie erwähnt, von den einen verworfen, von anderen aber zu den echten Schriften gerechnet wird."

Oder Gregor von Nazianz, einer der bedeutendsten Theologen des 4. Jahrhunderts, bringt eine Liste kanonischer Schriften ohne Offenbarung und bemerkt dazu:
"Nun hast du alle. Gibt es noch andere daneben, so rechnen sie nicht zu den echten [Büchern]."

Und sein Vetter Amphilochius von Ikonion:
"Und wieder, die Offenbarung des Johannes,
Einige sagen ja, aber die meisten
sagen, sie sei falsch."

http://commonweb.unifr.ch/artsdean/pub/gestens/f/as/files/3610/30501_234606.pdf

Die erste Festlegung des neutestamentlichen Kanons im Jahr 357 durch Athanasius enthielt alle 27 Schriften des Neuen Testaments. Der Zeitgenosse des Athanasius, Gregor von Nazianz, lieferte ebenfalls eine Kanon-Liste, die aber auf die Johannesoffenbarung verzichtete. Dennoch belegen andere Listen und Dokument aus dieser Zeit (Amphilochius, Didymus, Epiphanius, Chrysostomos, Theodor, Theodoret), dass man sich allgemein über den Kanon des Neuen Testaments noch nicht einig war. Schließlich wurden auf der Trullanischen Synode (691/692) verschiedene apostolische Beschlüsse und Entscheidungen vergangener Synoden sowie viele Kirchenväter bestätigt. Im Blick auf den Kanon bedeutete das weiterhin eine völlig unklare Position, da sich die genannten Beschlüsse vielfach widersprachen und den Abstimmenden offenbar unbekannt waren. Dann werden die Kanons der Syrischen Kirche, der Armenischen Kirche, die Georgische Kirche, der Koptischen Kirche und der Äthiopischen Kirche besprochen. Auch wenn es im Blick auf viele neutestamentliche Schriften, wie etwa die Evangelien, große Einigkeit gab, blieben andere wie die Johannesoffenbarung viele Jahrhunderte umstritten.
http://accordancebible.internetseitengestaltung.com/download/pdf/Rez_Metzger_Kanon.pdf
 
So festgefügt war der Kanon im 3. Jahrhundert noch nicht. Insbesondere die Offenbarung war noch bis ins späte 4. Jahrhundert allenfalls im Westen allgemein anerkannt.

Ok, meine Formulierung war etwas zu generalisierend. Immerhin hatten sich bis Mitte 3. Jh. so gewichtige Autoritäten wie Irenäus und Tertullian für die Kanonisierung der Off eingesetzt. Für diesen Zweck stellte der innerkirchliche Konflikt um die Geltung persönlicher Offenbarungen (bzw. Prophetien), den der Aufstieg des Montanismus ausgelöst hatte, ein Hindernis dar, denn die Off bot durch den Offenbarungsanspruch die gleiche Angriffsfläche wie der katholischerseits bekämpfte Montanismus.

Schätzungsweise wäre die Off in diesem Konflikt ohne die befürwortenden Stimmen von Irenäus und Tertullian in Sachen Kanonisierung dauerhaft auf der Strecke geblieben.

Laut Eusebius forderte 192 CE ein namenloser Autor die Installierung eines verbindlichen Kanons, der die christliche Lehre vor Neuerungen à la Montanus schützen solle. Der Streit um Montanus initiierte also die zweite Welle eines Kanonisierungsbestrebens, welche die erste Welle, ausgelöst durch den Konflikt zwischen Marcion und den Katholiken, noch verstärkte.

Es wird in Fachkreisten stark vermutet, dass die Off bereits vom Start weg als Teil eines Kanons konzipiert war. Dafür spricht die bekannte ´Kanonisierungsformel´ am Ende der Off:

Kap. 22:

18 Ich bezeuge allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch: So jemand dazusetzt, so wird Gott zusetzen auf ihn die Plagen, die in diesem Buch geschrieben stehen. 19 Und so jemand davontut von den Worten des Buchs dieser Weissagung, so wird Gott abtun sein Teil von Holz des Lebens und von der heiligen Stadt, davon in diesem Buch geschrieben ist.

Die Formel besteht darin, jedem, der am Wortlaut des Textes eine Änderung vornimmt, einen göttlichen Fluch anzudrohen. Das ist eine bewusst variierende Übernahme der Formel in Deut 4,2:

Ihr sollt nichts dazutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davontun, auf dass ihr bewahrt die Gebote des HERRN, eures Gottes, die ich euch gebiete.

Ähnlich Deut 13,1:

Alles, was ich euch gebiete, das sollt ihr halten und danach tun. Ihr sollt nichts dazutun und nichts davontun.

Beide deuteronomischen Formeln sind späte Hinzufügungen, paradoxerweise mit dem Zweck, den Text als ursprünglich gottesoffenbart zu beglaubigen.
 
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Seit dem Posting meines letzten Beitrags (Stand: 2077 Hits) hat es hier innerhalb von gut 4 Wochen über 700 weitere Hits gegeben, ohne dass jemandem etwas Weiterführendes dazu oder zum Threadthema eingefallen wäre. Wie das?
 
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Suchmaschinen-Crawler machen es möglich. :winke:
 
Es kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass die im anatolischen Catal Hüyük ausgegrabene ´Gebärende auf dem Leopardenthron´ den prähistorischen Prototyp der anatolischen Kybele verkörpert. Dafür sprechen vor allem die für Kybele typischen Löwen an ihrer Seite (im aktuell verlinkten Beispiel aber fehlend), die Gebärfunktion der Figur (Kybele = Muttergöttin), die Positionierung auf einem ´Thron´ und - last not least - der Ursprungsort der Kybele in Anatolien.

Die angehängten Bilder zeigen

1) den von Silesia verlinkten Fund
2) eine Kybele-Figur mit Löwen aus dem römischen 1. Jh. BCE (etwa zeitgleich zu 1)
3) eine weitere römische Kybele-Figur mit Löwen (Datierung mir unbekannt)

sowie

4) Gebärende auf dem Leopardenthron = von 2 Leoparden flankiert (Catal Hüyük, um 7000 BCE)
 

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