Türkengefahr nach Ende des 30jährigen Krieges

Arthur00He

Mitglied
Meine Frage: Wie kann die "Türkengefahr" nach Ende des 30jährigen Krieges für Europa/Deutschland eingeschätzt werden?
In wieweit reichte die reale Gefahr nach Deutschland? und: Welche Vorsichtsmaßnahmen wurden durch die deutschen Fürsten im 17. Jh. gegen die damalige Türkengefahr getroffen?

Viele der damaligen Stadtbefestigungen/Festungsbauten entstanden. Gibt es hier Zusammenhänge zu der damaligen Türkengefahr? Wo kann ich die Verwendung der "Türkensteuer" im 17. Jh. nachvollziehen?
Natürlich bei mir im Stadtmuseum - aber gibt es eine auf das 17. Jh. beruhende aussagekräftige Ausarbeitung?

Das Buch "Das Kreuz und der Halbmond" habe ich mir besorgt und werde es durcharbeiten.

Arthur
 
Hm, die Stadtbefestigungen wurden ja nicht erst nach dem 30-jährigen Krieg modernisiert. Schon im 16. Jh. sah man vielerorten ein, dass die mittelalterlichen Stadtmauern für die neuen Belagerungswaffen nichts taugten bzw. die modernen Waffen auch für die Verteidigung sinnvoll waren, womit die modernen mit Geschützen besetzten Rondelle entstanden. Oftmals scheint das nicht systematisch entstanden zu sein, sondern man legte je nach Finanzlage an einer Stelle ein paar moderne Werke an, während der Rest der Stadt nur von dem alten Mauerring geschützt blieb.

Besonders bedeutend in Deutschland für die Abwehr der Türkengefahr war das Aufkommen stehender Heere. Teilweise wurde diese Entwicklung wie in Sachsen verschleppt, so dass dort erst mit dem Sächsischen Mars, Johann Georg III., ein schlagkräftiges Heer aufgestellt wurde, welches sich dann auch gleich in den Türkenkriegen beweisen sollte.

Wichtig war auch die sogenannte Reichsarmatur von 1681. Schon in den 1660ern hatte es aber eine bedeutende Unterstützung aus dem Reich gegeben. Man kann sagen, dass im ganzen 17.Jh. seit dem Dreißigjährigen Krieg um eine schlagkräftige Reichsheeresverfassung gerungen wurde. Besonders in Süddeutschland, aber auch teilw. im Westen war die Türkengefahr im allgemeinen Bewusstsein nicht zuletzt der Stände und die Reichskreise entwickelten eine Aktivität und Bedeutung, die sie wahrscheinlich nie wieder erreichen sollten. Ein Beispiel: https://de.wikipedia.org/wiki/Trupp...skreises#.E2.80.9EErste_Armatur.E2.80.9C_1664
 
Es ist absolut nicht so, dass es gegenüber den Osmanen eine einheitliche europäische Politik gegeben hätte. Nicht einmal die Katholischen Mächte konnten sich dauerhaft auf eine gemeinsame Politik Europas gegenüber den Osmanen einigen.

Was die Türkensteuer angeht, so schau mal, ob du in der regionalen archivwissenschaftlichen Literatur etwas über Schatzungslisten findest.
 
Es ist absolut nicht so, dass es gegenüber den Osmanen eine einheitliche europäische Politik gegeben hätte. Nicht einmal die Katholischen Mächte konnten sich dauerhaft auf eine gemeinsame Politik Europas gegenüber den Osmanen einigen.
Gerade ziemlich direkt nach dem Dreißigjährigen Krieg finde ich die Beteiligung der Franzosen an der Abwehr der Türken im Türkenkrieg von 1663 sehr erstaunlich - ein ganz seltener Fall einer französisch-habsburgischen Bündnisses im 17.Jh.! Allerdings war auch dies nur dadurch bedingt, dass Frankreich im Rahmen des Rheinbundes dazu verpflichtet war.
 
Meine Frage: Wie kann die "Türkengefahr" nach Ende des 30jährigen Krieges für Europa/Deutschland eingeschätzt werden?
In wieweit reichte die reale Gefahr nach Deutschland? und: Welche Vorsichtsmaßnahmen wurden durch die deutschen Fürsten im 17. Jh. gegen die damalige Türkengefahr getroffen?

Viele der damaligen Stadtbefestigungen/Festungsbauten entstanden. Gibt es hier Zusammenhänge zu der damaligen Türkengefahr? Wo kann ich die Verwendung der "Türkensteuer" im 17. Jh. nachvollziehen?
Natürlich bei mir im Stadtmuseum - aber gibt es eine auf das 17. Jh. beruhende aussagekräftige Ausarbeitung?

Das Buch "Das Kreuz und der Halbmond" habe ich mir besorgt und werde es durcharbeiten.

Arthur


In Goethes Faust, beim Osterspaziergang sagt ein Zeitgenosse, am liebsten seien ihm Gespräche von "Krieg und Kriegsgeschrei... wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen. Von Kriegen weit in der Türkei konnte im 17. Jhd freilich nicht die Rede sein, das Osmanische Reich wurde von vielen Zeitgenossen als Bedrohung wahrgenommen, und zweimal stießen die Truppen des Padischah bis Wien vor. Dass die Türken 1683 eher ein defensives Konzept verfolgten, und planten, die kaiserliche Armee in einer Feldschlacht zu besiegen, um dann ein protestantisches Ungarn als einem Pufferstaat zwischen ihren Besitzungen und den habsburgischen Territorien zu errichten, ist im Rückblick natürlich viel klarer, als für die Zeitgenossen in den vom Krieg betroffenen Gebieten in Krain, der Steiermark, Niederösterreich und Kärnten. Die Armee der Türken war 1683 viel kleiner, als Mehmed IV. vollmundig ankündigte. Schwere Artillerie, um eine Stadt mit so starken Befestigungsanlagen wie Wien sturmreif zu schießen, hatten die Türken kaum.

Man war aber geneigt, Mehmed IV. zu glauben, der Leopold I. geschrieben hatte, er führe 13 Könige und 1,3 Millionen Soldaten um dessen "Ländchen mit Krieg zu überziehen". Tatsächlich dürften es maximal 140.000 Mann gewesen sein, wovon 50-70.000 reguläre Truppen waren und der Rest Troßknechte, Handwerker und Händler. Den Entschluss, bis Wien vorzustoßén und die Stadt zu belagern hatte Kara Mustapha erst gefasst, nachdem die Türken ohne großé Mühen die Festung Raab erobern konnten und Karl von Lothringen, der kaiserliche Oberbefehlshaber in Ungarn sich zurückgezogen hatte, um auf Hilfskontingente zu warten. Wäre Wien gefallen, hätten die Türken es Ungarn angegliedert werden unter einer von ihnen abhängigen Satellitenregierung, aber sie hätten wohl kaum den Plan verfolgt ganz Mitteleuropa zu annektieren.

Trotzdem war die Angst vor einer Eroberung durch die Türken und ihre Hilfstruppen groß, aufgestaute über Generationen überlieferte Phantasien vor islamischen Scharen waren entfesselt und wurden auch durch die Türken und ihre Verbündeten gezielt geschürt. Dass die Osmanen ihren christlichen Untertanen größere religiöse Freiheiten ließen, als die meisten europäischen Potentaten war vergessen.

Die Belagerten hatten harte Wochen zu überstehen, und die türkischen Mineure waren einige Male nahe dran, die Stadt zu erobern, vor allem die Loebelbastei war hart umkämpft.
 
Wobei man im Candia-Krieg zugesehen hat, wie Venedig Kreta verlor.
Wer hat zugesehen? Wie meinst Du das? Und wer hätte mitmischen sollen? :grübel:

Ich denke, dass man immer individuell schauen muss wie zu einem Zeitpunkt A die gesamteuropäische Großwetterlage und B die Ressourcen der verschiedenen Staaten ausschauten.

Österreich war ja zeitgleich zur Belagerung Candias militärisch zeitweilig gegen die Türken aktiv. Ob es eine nennenswerte österr. Flotte im Mittelmeer gab, weiß ich nicht, scheint mir aber unwahrscheinlich. Und wer käme sonst noch in Frage?
 
Es ist absolut nicht so, dass es gegenüber den Osmanen eine einheitliche europäische Politik gegeben hätte. Nicht einmal die Katholischen Mächte konnten sich dauerhaft auf eine gemeinsame Politik Europas gegenüber den Osmanen einigen.

Was die Türkensteuer angeht, so schau mal, ob du in der regionalen archivwissenschaftlichen Literatur etwas über Schatzungslisten findest.


Insbesondere seine "allerchristliche Majestät" Ludwig XIV. von Frankreich unterstützte mehr oder weniger offen das Osmanische Reich im Kampf gegen die Habsburger, verglichen mit den Schwierigkeiten, sich gegen seine westlichen Nachbarn zu behaupten, war das Heilige Römische Reich im Kampf gegen das Osmanische Reich weitaus erfolgreicher, und die Allianz zwischen dem Reich, der Republik Venedig und dem Königreich Polen dem sich 1686 und später 1716-18 und 1735-39 noch Russland anschloss, erwies sich als recht erfolgreich, und der Große Türkenkrieg 1683-1699 stellte in den Beziehungen zwischen dem Heiligen Römischen Reich und dem Osmanischen Reich eine Zäsur dar, die sich auch auf die Wahrnehmung der Türken auswirkte. Betrachtete Martin Luther die Osmanen als den "altbösen Feind" und Bedrohung der Christenheit, so blickte Europa seit dem Frieden von Karlowitz 1699 zunehmend mit Spott auf die Türkei, aber auch mit einer gewissen Faszination. In zahlreichen Städten wurden Kaffeehäuser gegründet, in Wien gründete nicht der legendäre ehemalige Kundschafter georg Franz Kolschitzki, sondern in den 1660er Jahren ein Armenier das erste Kaffeehaus, dem weitere Gründungen in Amsterdam, London, Marseille und Paris folgten. Die Militärmusik der Janitscharen inspirierte Künstler wie Jean Baptiste Lully (Marche a`la Ceromonie de turc) Joseph Haydn und Mozart Rondo a`la turca, Die Entführung aus dem Serail, Die Zauberflöte). In London gab es für fast jeden Geschmack und jede politische Partei Kaffeehäuser, die als Clublokale dienten. Im Kaffeehaus von Eduard Loyd wurde das moderne Versicherungswesen gegründet. Es gab in London einen Divan Club, dessen Mitglieder sich als Türken verkleideten, ähnlich wie später Ludwig II.von Bayern. Europäische Fürsten bauten Menagerien im orientalischen Stil. Auch einige Bordelle gaben sich ein orientalisches Outfit und manche Kaffeehäuser wurden von Prostituierten besucht, die dort Freier ansprachen. In einigen etwas verruchten Kaffeehäusern wurden neben Kaffee auch Aphrodisiaka an Kunden verkauft.
 
Wer hat zugesehen? Wie meinst Du das? Und wer hätte mitmischen sollen? :grübel:

Ich denke, dass man immer individuell schauen muss wie zu einem Zeitpunkt A die gesamteuropäische Großwetterlage und B die Ressourcen der verschiedenen Staaten ausschauten.

Österreich war ja zeitgleich zur Belagerung Candias militärisch zeitweilig gegen die Türken aktiv. Ob es eine nennenswerte österr. Flotte im Mittelmeer gab, weiß ich nicht, scheint mir aber unwahrscheinlich. Und wer käme sonst noch in Frage?


Söldner, zum Beispiel Hessen und Schweizer. Landgraf Karl von Hessen- Kassel schloss den ersten einer ganzen Reihe von Subsidienverträgen mit der Republik Venedig ab und vermietete einige hessische Regimenter an die Venezianer, die auf dem Peleponnes gegen die Türken kämpfen sollten. In seiner Novelle "Der Schuss von der Kanzel" setzte Conrad Ferdinand Meyer, dem historischen General Rudolf Werdmüller ein literarisches Denkmal, der in französischen, schwedischen, kaiserlichen Diensten kämpfte und 1663 als Generalleutnant der Artillerie in venezianische Dienste trat. Im 6. Venezianischen Türkenkrieg (1645-1669) kommandierte Werdmüller von 1663-69 die Landstreitkräfte auf Kreta und war an der Belagerung Candias, des heutigen Iraklio beteiligt. Werdmüller wechselte 1673 als Feldmarschall Leutnant wieder in kaiserliche Dienste und konnte 1673 bei der Belagerung Bonns und 1676 bei der Einnahme von Philippsburg und Saarbrücken Erfolge verbuchen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Rudolf_Werdmüller
 
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ich freue mich über die vielen, tollen Meinungen. - Hätte ich nicht erwartet.

Jedoch, gibt es Hinweise, daß der damalige Kurfürst von Mainz, J. Ph. v. Schönborn, nach dem 30jährigen Kriege seine östlichen Besitzungen (Eichsfeld und Erfurt + Umland) gegen die Türken befestigt hat?
Hier interessiert mit bes. der Bau der Zitadelle Petersberg in Erfurt, der nach dem 30jährigen Krieg forciert wurde.

Arthur
 
Da kann ich weniger mit Informationen dienen. Vielleicht weiß Ralf M. oder ein anderer Forianer aus Thüringen mehr dazu. Vom Balkan bis zum Eichsfeld ist aber dann doch recht weit, so dass die Vermutung naheliegt, dass der Mainzer Kurfürst seine östlichen Besitzungen eher gegen protestantische Nachbarn sichern wollte, als gegen die Türken.

Da gab es einige, die im 30 jährigen Krieg im gegnerischen Lager standen. Aber bei den Erfahrungen mit Söldnerarmeen konnten auch verbündete Truppen feindselig werden, wenn sie nicht bezahlt wurden. Aus diesem Grund versuchten ja nach dem Dreißigjährigen Krieg viele Reichsfürsten, stehende Heere möglichst aus Landeskindern zu rekrutieren. Aber auch für Reichsfürsten, die keine größeren stehenden Heere hatten, taten gut daran, Städte, die ihnen wichtig waren zu befestigen. Eine gut befestigte Stadt, konnte auch mit weniger gut ausgebildeten Truppen gehalten werden, sofern die Befestigungen und die Geschütze etwas taugten.

Im Dreißigjährigen Krieg war die sogenannte Brandschatzung ein übliches Mittel. Geld, Proviant und Gebrauchsgüter zu erpressen. Das lief so ab: Eine Truppe zieht vor eine Stadt, kreist sie ein, der Befehlshaber lässt seine Kanonen auffahren und fragt mehr oder weniger höflich, was es der Bevölkerung wert ist, wenn die Stadt verschont wird. man zündet ein paar Dörfer an, treibt Vieh zusammen, und wenn eine Stadt im Vertrauen auf ihre Befestigungsanlagen sich weigerte, eine Kontribution aufzubringen, dann wurde sie belagert. Zog sich die Belagerung lange hin und wehrte sich eine Stadt heftig, so dass der Belagerer Verluste einstecken musste, dann wurde sie mit Plünderung bestraft. Die Söldner mussten sich der Gefahr eines Sturmangriffs aussetzen, was mit Verlusten und Blessuren verbunden war. Damit sie sich entschädigen konnten, gab der Kommandeur die Einwilligung, zu plündern, zu rauben, zu vergewaltigen. Im Dreißigjährigen Krieg erregte das Schicksal Magdeburgs selbst unter den verwilderten Kriegsgebräuchen Aufsehen, als Tillys Soldateska einen Großteil der Bewohner massakrierte. Der Krieg sollte den Krieg ernähren, und es kam häufig vor, dass nicht nach Freund und Feind gefragt wurde. Der Ausbau von Befestigungsanlagen konnte einer Stadt und ihren Bewohnern das Schicksal Magdeburgs ersparen.
 
"... der Mainzer Kurfürst seine östlichen Besitzungen eher gegen protestantische Nachbarn sichern wollte ..."

das ist sicher so gewesen aber vorallem wohl gegen Kursachsen, das hier mehrfach versucht hatte, sich Erfurt einzuverleiben.

Arthur
 
Betrachtete Martin Luther die Osmanen als den "altbösen Feind" und Bedrohung der Christenheit, so blickte Europa seit dem Frieden von Karlowitz 1699 zunehmend mit Spott auf die Türkei, aber auch mit einer gewissen Faszination.
Das war auch jene Zeit als z.B. ein kleiner Ort, der ursprünglich Duringueld hieß, in Türkenfeld umbenannt wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Türkenfeld

Hier ist übrigens ein weiter deutschsprachiger Heerführer, der wie der bereits erwähnte Werdmüller bei den auf griechischen Boden ausgefochtenen Türkenkriegen auf Seiten der Venezianer gedient hat:
https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Johann_von_der_Schulenburg

Die Serenissima war durch die Kriegserklärung des Osmanischen Reichs 1715 und den folgenden Verlust der Halbinsel Morea (Peloponnes) in größere militärische Bedrängnis geraten, und Schulenberg galt wegen seiner defensiven Qualitäten als der geeignete Mann für den Oberbefehl über die venezianische Landarmee. Die von ihm geleitete Verteidigung Korfus (vom 25. Juli bis 20. August 1716) gegen die Türken ist (laut Meyers 1888) eine der berühmtesten Leistungen der neuzeitlichen Kriegsgeschichte. Sie wurde von Antonio Vivaldi in dem Oratorium Juditha triumphans allegorisch verherrlicht. Ihr folgten die Einnahme der Festung Butrinto und die Besetzung von Santa Maura.

Als Dank für seine herausragenden Taten beschloss die Republik Venedig noch im Kriegsjahr 1716, ihm auf Korfu ein Denkmal zu errichten. Das Marmorstandbild wurde von dem Bildhauer Antonio Corradini geschaffen.
 
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