Unsere Mütter, unsere Väter

Die Berichterstattung der NYT ist nicht wirklich überraschend; man lese nur deren befremdliche Kritik über Inglorious Basterds. Wer so über Tarrantino Arbeit rezensiert, den vermag ich nicht mehr ernst zu nehmen.
 
Die Reaktion Überlebender finde ich allerdings auch verständlich. Das sind Opfer der deutschen Kriegsführung - und wir reden hier über keinen "normalen" Krieg. Die haben möglicherweise erwartet, dass man ihr Schicksal* erzählt, die Opferperspektive einnimmt und eben nicht die Perspektive von Menschen, die, ganz ohne Nazis zu sein, Täter wurden. Denn diese Geschichte erzählt der Film ja eigentlich, die von ordinary (wo)men.** Das widerspricht ja auch unseren Sehgewohnheiten, fällt aber in D u.U. auf fruchtbaren Boden, deshalb, weil wir uns einerseits als Deutsche verantwortlich fühlen, aber andererseits in der großen Mehrheit persönlich keine Nazi-Ideologien hegen, die uns ja genauso befremden.


Möglicherweise sind aber auch in der amerikanischen Fassung schlicht einige Schlüsselszenen rausgeschnitten worden? Immerhin wurde ein Dreiteiler zu einem Viereinhalbstundenepos "verkürzt".


*nicht das persönliche Schicksal ist gemeint.
**natürlich nicht die Geschichte des Polizeiregimentes 101.
 
Amerika entrüstet sich? Geht es jetzt bergab mit der Welt in Richtung Prawda? Ein Kino voller deutsch-jüdischer oder polnischer Emigranten, Holocaust-Überlebener, ist wohl kaum Amerika. Wobei man schon attestieren muß, daß "Amerika" sich mit filmischen Lebenslügen wirklich gut auskennt. Man wünschte sich die gleiche Kritikbereitschaft über Filme der amerikanischen Geschichte. 2004 eröffnete das National Museum of the American Indian, daß Holocaust Museum besteht seit 1993, und wie sieht das mit einem National Slavery Museum aus?
Wir Deutsche haben noch viel aufzuarbeiten, aber gegenüber dem Ausland sind wir wohl eher Vorreiter eines selbstkritischen Geschichtsbildes. Lebenslügen gibt es, in Deutschland, aber auch anderswo. Den Regisseuren oder gar Deutschland Geschichtsrevisionismus vorzuwerfen empfinde ich als Frechheit. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt hatte, aber zB Polen, die Anti-Semitismus in Polen weit von sich weisen, entgegne ich gerne mit einem bei Overy, Ordnungsgemäße Überführung, stehenden Zitat Sikorskis aus dem Jahr 1941, "es muß klar sein, daß für die 3 Millionen Juden in Polen, nach dem Krieg kein Platz mehr ist". Man könnte zB aber auch mal das Verhalten jüdischer Partisanengruppen betrachten, einer der Täter des Koniuchy-Massakers war zB Direktor der Gedenkstätte Yad Vashem. Diese Debatte über die Serie empfinde ich als pure Heuchelei. Aber vielleicht müssen Deutsche des WWII halt wie im "Käfig voller Helden" als Deppen dargestellt werden oder als kaltherzige Mörder. Wenn sich selbst über Waltz als Hans Landa aufgeregt wird, wenn ich mich an Kritik über einen Hitlerfilm erinnere, daß Hitler dort zu menschlich dargestellt wird, dann dürfen wir wohl nur noch Filme im Stile "300" erwarten und die Deutschen nicht in der Rolle der Spartiaten.
ein klasse Beitrag! volle Zustimmung!
 
Die Serie ist keine Serie über den Holocaust, über die polnische Heimatarmee, die ukrainische Kolloboration, die Verbrechen der Wehrmacht oder der Roten Armee, die Musikunterhaltung im Dritten Reich etc

Das würde ich wiederum ein bißchen anders sehen, denn - das gestehe ich den Machern der Serie durchaus zu - die Akzente wurden durchaus anders gesetzt, als man es vor 50 Jahren gemacht hätte.
Zum Kontrast die höchst populäre Serie aus den 1950ern, "08/15", übrigens ebenfalls ein Dreiteiler, in dem Wehrmachtssoldaten von der Vorkriegszeit bis zum Kriegsende eine Rolle spielen. Das ganze Geschehen spielt sich fast ausschließlich innerhalb der soldatischen Sphäre ab - als Zivilisten kommen im wesentlichen nur die Familien/Partnerinnen der Soldaten vor - und Verbrechen an den Kriegsgegnern werden nicht abgehandelt.
 
Hier übrigens noch mal der direkte Link zur Rezension der NY Times:

http://www.nytimes.com/2014/01/15/movies/generation-war-adds-a-glow-to-a-german-era.html?_r=0

Ich sehe die Rezension nicht als völlig negativ an und bin in vielen kritischen Punkten ähnlicher Meinung, interpretiere die Hauptcharaktere aber anders als der Rezensent (auf den letzten Satz der Rezension wurde aber schon eingegangen).
Eine Stelle, mit der ich aber z.B. im Groben und Ganzen d'accord gehe, ist diese:

This has less to do with factual accuracy than with the way facts are shaped, juxtaposed and given emotional weight. The evil of the Nazis is hardly denied, but it is mainly localized within a few cartoonishly sadistic SS and Gestapo commanders, who are nearly as cruel to regular German soldiers as they are to Jews and Russians. There is also an element of moral relativism in the way the film portrays the Polish resistance, whose members hate Jews as much as the Germans, but with worse manners, and the bestial, rampaging members of the Red Army, who have no manners at all.
There is good and bad on all sides, a dash of mercy mixed into the endless violence. But the suggestion that the Nazis were not the only bad guys in Eastern Europe in the early 1940s is undermined by the film’s disinclination to show the very worst of what the Nazis did. We see massacres of Jews by local militias in Ukraine under the supervision of the SS, but “Generation War,” for all its geographical range and military detail, steers clear of the death camps.
 
Die Serie "Unsere Mütter, unsere Väter" soll als OmU unter dem Titel "Generation War" auf BBC2 im Laufe des Jahres ausgestrahlt werden.

BBC2 to air acclaimed German drama series Generation War | Media | The Guardian

Die Serie ist wohl Ende April ausgestrahlt worden.

Wäre interessant, ob das in Großbritannien eine Debatte auslöst und wie die verläuft.

siehe zur Debatte:

Die Debatte über das Fernsehepos ?Unsere Mütter, unsere Väter? in Großbritannien

und ein Artikel aus der britischen Presse: Generation War, episode 1, BBC Two, review: 'never less than compelling' - Telegraph
 
Benedicts Fassungslosigkeit, daß die Deutschen durchweg positiv gezeigt werden, kann ich gut verstehen. Da müssen diese Leute eine andere Serie gesehen haben als ich.
Ich will jetzt nicht alles wieder aufwärmen, die Serie hat sicherlich Schwächen. Eine Serie von 3x90 Minuten kann aber auch nicht nazizeit und WWII 1:1 wiedergeben. da verlangen diese Kritiker die Quadratur des Kreises. Und ich wiederhole mich bei einem Punkt gerne, manche Polen sollten lieber mal die eigene Geschichte aufarbeiten, als geliebte Propaganda wiederholen.
 

Mir fiel in diesem Artikel besonders dieser Satz auf: "Den Botschafter beunruhigt der Gedanke, dass „Unsere Mütter, unsere Väter“ jungen Zuschauern etwa in Lateinamerika und Asien ein falsches Geschichtsbild vermittle."

Deutsche Regisseure und Produzenten haben eine inzwischen kaum noch übersehbare Anzahl von Filmen herausgebracht, die die Mordtaten der Nazis bis ins letzte Detail sezieren, die Zustimmung deutscher Bürger zum Regime nicht verschweigen und präzise Analysen des Grauens bieten.

So sei es hin und wieder gestattet, auch Menschen zu porträtieren, die sich an Untaten nicht bereiligten oder sie sogar ablehnten. Auch das sind immerhin einige Millionen.
 
Mir fiel in diesem Artikel besonders dieser Satz auf: "Den Botschafter beunruhigt der Gedanke, dass „Unsere Mütter, unsere Väter“ jungen Zuschauern etwa in Lateinamerika und Asien ein falsches Geschichtsbild vermittle."

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Da hat wohl jemand Sorge, dass die eigene Deutungshoheit in Frage gestellt wird.

Wobei es schon lange praktisch kein britisches Kino mehr gibt das etwas deuten könnte.
 
Da hat wohl jemand Sorge, dass die eigene Deutungshoheit in Frage gestellt wird.

Wobei es schon lange praktisch kein britisches Kino mehr gibt das etwas deuten könnte.

Es ist erstaunlich, dass nach einem Zeitabstand von immerhin 70 Jahren die Wellen bei dieser Thematik nach wie vor hoch gehen. Dass Polen hier angesichts ihrer millionenfachen Opfer besonders sensibel reagieren, kann ich gut nachvollziehen. Dafür müssen wir Verständnis haben.

Ich werte das positiv, denn es zeigt, dass sich eine "Kultur des Vergessens", wie von manchen befürchtet, nicht durchsetzt.
 
Zuletzt bearbeitet:

In dem FAZ-Artikel ist mir ein Satz ganz besonders aufgefallen, weil er auch mein Unverständnis widerspiegelt:
Er [Benedict] könne nicht nachvollziehen, wie etwa die brutalen Verbrechen, die Wilhelm und Friedhelm begehen, Euphemismus aufgefasst werden könnten.
Nämliches gilt für Witold Sobków,
der entschieden Stellung zu der umstrittenen Darstellung der polnischen Heimatarmee in dieser „fantastischen deutschen Seifenoper“ nahm, wo, wie der Diplomat klagte, gutaussehende, immer saubere Deutsche neben dreckigen, antisemitischen Partisanen in Polen gezeigt würden.
Ich wundere mich bei solchen Aussagen immer wieder, ob diese Leute einen anderen Film als ich gesehen haben.
Man kann ja sicher so einiges an dem Film kritiseren, z.B. wie Evans in der Aussage
Diese jungen Deutschen seien unter dem Nationalsozialismus groß geworden, sie wären zu diesem Zeitpunkt schwer indoktriniert gewesen, das mache die Freundschaft mit einem Juden undenkbar.
Aber man sollte doch die Kritik auf das beschränken, was wirklich in dem Film zu sehen ist. Und dass in der Illegalität lebende Partisanen eher selten an frische Wäsche kommen, ein Wehrmachtssoldat in der Etappe aber vielleicht doch einmal eine frische Uniform trägt, ich glaube das ist nur natürlich.

Witzig finde ich dagegen den Vorschlag von Clive James, der vom FAZ-Berichterstatter im Schlusssatz kritisiert wird:
„Die ahnungslosen Fünf holen auf“ wäre ein angemessener Titel gewesen, schlug James vor. Womit er, der so viel auf seine Bildung, insbesondere seine Kenntnis der deutschen Kultur hält, nur zeigte, dass er selber nichts begriffen hatte.​
 
Ich wundere mich bei solchen Aussagen immer wieder, ob diese Leute einen anderen Film als ich gesehen haben.

Ich kann da nicht mitreden, weil ich von den drei Teilen nur Bruchstücke gesehen habe.

Verwunderlich finde ich, wenn Debatten über solche Filme mit Deutungshoheiten verbunden werden.

Das sollte man auf- dem Teppich bzw. der Forschung über-lassen. Sowohl der Film als auch die Debatte betrifft höchstens herrschende oder eben nicht herrschende Wahrnehmungen. Ob die zutreffend oder begründet sind, steht auf einem anderen Blatt.
 
Auch die Diskrepanz der Wahrnehmungen ist so erstaunlich unterschiedlich. Während die Bild während der deutschen Ausstrahlung anlässlich der Darstellung einer Erschießung russischer Zivilisaten unter dem Vorwand des Partisanentums fragte, ob unsere Mütter und Väter wirklich so schlimm waren (und man sich fragen musste, welchen Dornröschenschlaf die verantwortlichen Redakteure die letzten dreißig Jahre geschlafen haben), wird der Film von Auslandskritikern als Verharmlosung oder gar kontrafaktische Schuldverlagerung kritisiert. Ich habe einen Film gesehen, in dem ganz klar die Deutschen die Haupttäter waren.
 
Ich kann da nicht mitreden, weil ich von den drei Teilen nur Bruchstücke gesehen habe.
Man jagd russische Zivilisten durch Minenfelder, ein SS-Mann bläst einem jüdischen Mädchen eine Kugel in den Kopf, etc.p.p.
Da die Filmemacher anscheinend versuchten so viel Klischees wie möglich zu bedienen, zeigt man auch viele Verbrechen. Fragen kann man sicherlich, ob die Auswahl so immer getroffen werden musste. Aber es ist halt keine Doku. Wenn ich einen US-Western sehe, dann müssen dort nicht zwangsläufig Indianer drin vorkommen. Man kann aber schon gar nicht verlangen, daß die zumindest teilweise genozidale Indianerpolitik oder das Thema Slavenhaltung in jedem Fall thematisiert werden muß. Wenn der Western einen Rancherkrieg thematisiert oder einen Räuberbande oder den Goldrausch, dann sollte man auch dies erwarten dürfen. Und dies gilt auch für UMUV. Es geht nicht um Spezialeinheiten, nicht um Totenkopfverbände oder SS-Gefolge in KZs. Es geht um fünf junge Menschen, mehr nicht.

Verwunderlich finde ich, wenn Debatten über solche Filme mit Deutungshoheiten verbunden werden.
Ich denke schon, daß es manchen um "Deutungshoheit" geht. Für so manchen Kritiker haben Deutsche anscheinend nicht das Recht so einen Film zu machen, schon gar nicht, wenn Polen, Russen etc. nicht komplett positiv und nicht nur als Opfer dargestellt werden. Ich denke da nur an den Hitler-Film, mit Ganz, wo ihm vorgeworfen wurde, er habe Hitler zu menschlich gespielt. Anscheinend müssen nach mancher Meinung Deutsche wie im Käfig voller Helden dargestellt werden oder als Bestien.

Das sollte man auf- dem Teppich bzw. der Forschung über-lassen. Sowohl der Film als auch die Debatte betrifft höchstens herrschende oder eben nicht herrschende Wahrnehmungen. Ob die zutreffend oder begründet sind, steht auf einem anderen Blatt.
Um die Forschung mache ich mir weniger Sorgen. Es ist aber nicht die Forschung, die von der breiten Masse wahrgenommen wird, sondern es sind die Demagogen und Schreihälse.
 
Internationaler Emmy Auszeichnung für „Unsere Mütter, unsere Väter“

Große Auszeichnung für das deutsche Fernsehen: Der Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ hat einen Emmy gewonnen. Es ist der weltweite Ableger des wichtigsten Fernsehpreises der Welt.



Im Ausland wurde kritisiert, dass die Serie zu wenig differenziere und die Deutschen vor allem als Opfer und weniger als Täter darstelle.

In den Vereinigten Staaten war der Dreiteiler Anfang des Jahres als „Generation War“ im Kino zu sehen, lief allerdings in ganzen sieben Filmtheatern. Dabei spielte er knapp 92.000 Dollar ein, was für amerikanische Verhältnisse fast nicht erwähnenswert ist. Die Serie kann in Amerika auch beim Streamingdienst Netflix gesehen werden, wo sie von den Zuschauern keine guten Bewertungen bekam.

Auch die Meinung der Kritiker über „Unsere Mütter, unsere Väter“ könnte höchstens als gemischt bezeichnet werden. Das Magazin „The New Yorker“ schrieb immerhin, die Produktion sei „vielleicht hölzern, aber nie langweilig. Einmal angefangen, kann man nicht aufhören“. Doch die „New York Times“, auch mit der Geschichte des eigenen Landes stets kritisch, überschrieb ihren Artikel mit „Geschichtsstunde, retuschiert“: Der Film „stellt zumindest zum Teil wieder die Auffassung her, dass die einfachen Deutschen von den Nazis verführt wurden und keine Ahnung von ihren Verbrechen hatten.“


Quelle: ?Unsere Mütter, unsere Väter? gewinnen International Emmy in New York
 
Die Darstellung der polnischen Heimatarmee in der Serie soll jetzt in Polen vor Gericht verhandelt werden:

"Unsere Mütter, unsere Väter": Macher in Polen vor Gericht - SPIEGEL ONLINE

Ich kann da nicht mitreden, weil ich von den drei Teilen nur Bruchstücke gesehen habe.

Verwunderlich finde ich, wenn Debatten über solche Filme mit Deutungshoheiten verbunden werden.

Das sollte man auf- dem Teppich bzw. der Forschung über-lassen. Sowohl der Film als auch die Debatte betrifft höchstens herrschende oder eben nicht herrschende Wahrnehmungen. Ob die zutreffend oder begründet sind, steht auf einem anderen Blatt.

Wer die Filme bisher noch nicht gesehen hat, hat noch mal die Gelegenheit, dies am 21. / 22. Juli auf arte nachzuholen:

Unsere Mütter, unsere Väter | ARTE
Unsere Mütter, unsere Väter: Sendetermine 21.07.2016 ? 22.07.2016
 
Danke für den Tipp.

Die neue Entwicklung erinnert mich an den bundesdeutschen Streit über "Kollektivbeleidigung", Meinungs- und künstlerische Freiheit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Soldaten_sind_Mörder

Das Reichsgericht war damit auch schon beschäftigt.

Mal sehen, wie sich das entwickelt. Historische Bilder, Urteile und Aufarbeitungen (falsch oder korrekt, propagandistisch, beleidigend oder belobigend) kann man jedenfalls nicht vor Gericht "verteidigen".

Sondern in Forschungskontroversen. Und das dann mit soliden Ergebnissen in die öffentlichen Debatten tragend.
 
Furchtbar. Es handelt sich um ein Film, der in erster Linie unterhalten soll. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung.

Mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte tun sich offenkundig viele Nationen schwer. Jüngstes Beispiel Erdogans Entgleisungen.

Ich kann über so etwas, was die Polen jetzt machen, nur noch den Kopf schütteln. Das gibt es ganz andere Filme.
 
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