Warum immer nur Kolonialgeschichte?

Vielleicht stehen manche Historiker noch im Banne von Hegels berühmtem Diktum, Afrika sei "kein geschichtlicher Weltteil, er hat keine Bewegung und Entwicklung aufzuweisen, und was etwa in ihm, das heißt in seinem Norden geschehen ist, gehört der asiatischen und europäischen Welt zu" [1].
Hand aufs Herz: So gut wie jeder, der sich nicht explizit mit Afrikas Geschichte auseinandersetzt, macht mal mehr, mal weniger Gebrauch von Stereotypen die direkt aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammen.

Zu Hegels "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" habe ich übrigens eben ein wenig online gelesen. Herzallerliebster Gammelmüll.
 
Hegel ist aber bis heute wirkmächtig. Zudem hat er viele Ansichten griffig formuliert, die heute noch im Geist vieler Leute herumspuken.

Da wäre z.B. auch Napoleons Wort vom 'alten Europa', dass er transportierte, die berühmte Schlüssellochperspektive, die Ablehnung des Gedankens, aus der Geschichte lernen zu können, die stete Verschiebung des Schwerpunkts der Geschichte nach Westen und die Zwangsläufigkeit der Entwicklung. Es lohnt das Lesen schon, um zu Wissen worauf ein guter Teil der immer wieder kolportierten Vorurteile zur Geschichte beruhen.

Anderes ist bis heute aktuell. Die Gedanken zur Offenbarung, zur Macht geschichtlicher Entwicklung, auch wenn man den Geist und die Zwangsläufigkeit abziehen wird, seien genannt. Online-Recherche reicht definitiv nicht, um das Werk zu erfassen.

Das Zitat zur Geschichtslosigkeit Afrikas bezieht sich darauf, dass "primitiven" oder "Natur-" Völkern unterstellt wurde, ohne Bezug zur Vergangenheit zu leben. Bis heute spukt dieser Gedanke in den Köpfen vieler, muss also noch als relevant für die Diskussion betrachtet werden. Ganz abgesehen, dass es durchaus mündliche und schriftliche Überlieferungen gab, wurde die Vergangenheit oft einfach anders reflektiert. Ihre Verarbeitung zu Sagen und Legenden ist ja, wenn man den Rationalismus nicht als absolutes Diktum betrachtet, gar nicht mal so dumm. Man erhält:

- griffige Geschichten, die sich gut merken lassen
- dabei die gewünschten Lehren transportieren
- und sich bei Bedarf modifizieren lassen.

Sie haben nur den Mangel, dass man daraus die Vergangenheit kaum rekonstruieren kann. Aber als geschichtslos kann man so die Vergangenheit reflektierende Völker nicht betrachten.

Wer auf die Nachteile hinweist, dem sei gesagt, dass sich auch bei uns falsche Vorstellungen zur Geschichte lange halten können und Historiker häufig dem Zeitgeist oder den Mächtigen nach dem Mund reden, wenn z.B. der Europäische Gedanke auf Karl den Großen übertragen wird. Und wer kann sich von der Vorstellung freimachen, dass Marc Anton auf eine Kiste steigt, um besser gehört zu werden, obwohl es doch eigentlich nur bei Shakespeare steht. Die Sache mit Kleopatra, die sich im Teppich eingerollt zu Cäsar tragen lässt, ist m.E. auch nicht belegt. Beides hilft aber, sich an Zusammenhänge zu erinnern.

Jedenfalls ist der Hinweis auf die oft immer noch wirksame Vorstellung von der Geschichtslosigkeit Afrikas immer noch die Benennung eines aktuellen Vorurteils.
 
Hegel ist aber bis heute wirkmächtig.
Er hatte halt, was unser Thema betrifft, einen eingeschränkten und extrem europazentrischen Blickwinkel, aus dem heraus die Chinesen und Inder nicht viel besser wegkamen als die "Neger". Sein selbstgewählter Maßstab war der Fortschritt: "Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit – ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben." (aaO, S. 32) Den konnte er in der afrikanischen Geschichte nicht erkennen und hatte auch keinen Bock auf eine intensivere Recherche.

Ich will das hier nicht weiter auswalzen, nur noch einen bedenkenswerten Satz seines letzten Biographen zitieren: "Aber an der Möglichkeit, daß die Natur des Schwarzen seine Bildung zuläßt, ist vom preußischen Staatsphilosophen gegen die Übermacht damals herrschender Vorurteile zu keinem Augenblick gezweifelt worden." [1]


[1] Horst Althaus: Hegel oder Die heroischen Jahre der Philosophie, München 1992, S. 382 f.
 
Die Sache mit Kleopatra, die sich im Teppich eingerollt zu Cäsar tragen lässt, ist m.E. auch nicht belegt.
Doch, zumindest so ähnlich. Die Geschichte steht in Plutarchs Caesar-Biographie, Kap. 49. Für Teppich wird im Originaltext allerdings das Wort στρωματόδεσμος verwendet, das laut Wörterbuch einen Bettsack, in welchen man die Bettpolster und Bettdecken legte, bezeichnet. (Das Wort setzt sich aus den Wörtern für "Decke" und "binden" zusammen.) Laut Plutarch ließ sich Kleopatra also in so etwas stecken und von einem Gehilfen zu Caesar tragen.
 
Ich stelle mir trotzdem weiterhin vor, wie sie aus einem Teppich rollt. ;)

Hegel ist auch in seiner Schilderung der Geschichte interessant. Zum einen wegen des damaligen Standpunkte als auch wegen der Anpassung an seine Philosophie.

Was Afrika angeht, kann man heute noch Zeitgenossen treffen, die an die Geschichtslosigkeit jenes Kontinents glauben. Obwohl es neben den schon genannten Mechanismen auch echte Geschichtsüberlieferungen gab.

Es kann auch recht überraschte Gesichter geben, wenn man auf den bekehrten Äthiopier im Neuen Testament hinweist.
 
Der Filmemacher Peter Hellers hat einen neuen Film über den Kameruner König Rudolf Manga Bell, der in Deutschland zur Schule ging und 1914 von der Kolonialverwaltung in Kamerun wegen „Hochverrats“ gehängt wurde. Dieser Film ("Der gute Deutsche") wird, zusammen mit seinem bereits 1997 publizierten Film ("Manga Bell"), heute und am 20. September in Aalen, morgen in München und am 22. September in Dorfen gezeigt.

In dem Film ("Der gute Deutsche") geht es eigentlich mehr um die Aufarbeitungsbemühungen des Urgroßneffen des Königs (Jean-Pierre Felix-Eyoum), der Lehrer (jetzt pensioniert) in Erding bei München war, und seinen Kampf mit den bundesdeutschen Institutionen, die anfangs nichts von einer Wiedergutmachung wissen wollten. Immerhin ist 2022 in Berlin der Nachtigalplatz in Manga-Bell-Platz umbenannt worden.
 
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