@Brissotin:
Ich halte diese pauschale Kritik für nicht angemessen. Sie greift sich einzelne Punkte heraus, ohne die Gesamtleistung [ein scheußliches Wort, weil es die Vernichtung von Menschen als "Leistung" definiert] des "Feldherren zu sehen. Sie ist undifferenziert und teilweise nicht zutreffend, wie beispielsweise die Bewertung von "Austerlitz". Fehlentscheidung der anderen zu nutzen und sie konsequent für seinen eigenen Vorteil zu gebrauchen, ist ein Aspekt der "Feldherrenkunst". Ich suche gerne den entsprechenden Beleg bei Sunzi heraus.
Die Kritik ist deshalb so pauschal, weil sie auf fast jeden Feldherren anzuwenden wäre, da jeder der "Großen" durch Glück und/oder die Dummheit seiner Gegner erfolgreich sein konnte. Auch wenn "Zoki55" das so einfach behauptet. Beleg????
Wenn denn die Kritik sich als "anti-Jomini" versteht, dann muß sie auch die Komplexität dessen berücksichtigen, was Jomini als "genuine" militärische Leistung von Napoleon herausstellt.
Un einmal mehr der HInweis:
Und Heuser stellt in "Evolution of Strategy" das militärische Denken von Napoleon u.a. in das Zentrum ihrer Ideengeschichte. Ganz so inkompetent kann er nicht gewesen sein.
Und bei Chandler (The Campaign of Napoleon) oder bei Elting (Swords around a throne" wird sich ebenfalls kaum ein Beleg finden lassen, für seine "Mittelmäßigkeit" als Feldherr. Nur um mal zwei herauszugreifen, die auf ihre Art als "Referenz" genannt werden können.
Napoleon hat sicherlich viele politische und militärische Fehler gemacht und hat als Mensch Stärken und Schwächen. Aber er war nicht de
Fortuna ist wankelmütig, und das Glück ist in der Regel auf der Seite des Tüchtigeren. Eine günstige Gelegenheit zu erkennen und auszunutzen, ist kein Zufall, sondern basiert auf genauer Beobachtung, Selbstbewusstsein und Entscheidungsfreudigkeit. Unterschätzung des Gegners, Hybris, Verblendung, Tatenlosigkeit auf Seiten des Gegners, verkrustete Strukturen, überaltertes Offizierskorps lassen einen Sieg zu einem Triumph werden.
Ich habe Zokis und Brissotins Beiträge weniger so verstanden, als würden sie Napoleons Qualitäten als Kommandeur grundsätzlich in Frage stellen, als sich gegen den oft inflationär gebrauchten Terminus des Genies zu wenden, und bei den meisten großen Schlachten Gaugamela, Cannae, Leuthen etc., etc. wäre das Ergebnis nicht so fatal gewesen, wenn der Besiegte nicht dem Sieger durch Fehler geholfen hätte.
...Da traf er (Hannibal) seine Anstalten für eine Schlacht, so heißt es bei Livius in der Beschreibung der Punischen Kriege. Fein gesponnen waren die Pläne an der Trebia, am Trasimenischen See und bei Cannae, und die Römer gingen jedes Mal auf den Leim. Hannibal musste schließlich Italien verlassen, ohne dass er dort eine große Schlacht verloren hatte. Fabius Cunctator war kein Genie, und Scipio siegte, weil er wenige Fehler machte, sich auf den Gegner einstellte und das Glück des Tüchtigen hatte, als Massinissa und die numidische Reiterei die Fronten wechselte. Friedrichs schiefe Schlachtordnung funktionierte so richtig wie am Schnürchen eigentlich nur bei Rossbach und Leuthen. Wenn die Perser Memnons Rat befolgt hätten, die Taktik der verbrannten Erde anzuwenden, wer weiß, ob Alexander bei Issos und Gaugamela triumphiert hätte.
Geschwindigkeit und das Überraschungsmoment sind die wichtigsten Faktoren in der Kriegskunst. Die großen Kommandeure der Geschichte haben es alle verstanden, sich diese zunutze zu machen. Niemand, ich zumindest nicht, spreche Hannibal, Alexander, Caesar, Fridericus Rex oder Napoleon die Qualitäten als überdurchschnittliche Heerführer, von mir aus auch Genies ab. Aber die Siege waren nichts Mysthisches, keine Hexerei, keine Wunder.
Die Geschichte kennt genug Beispiele, dass ein durchschnittlicher General einen hochbegabten schlug, indem er sich im Sinne Sun Tzus gegen eine Niederlage wappnete, erkannte, wann man kämpfen muss und wann man nicht kämpfen darf.
Bert Brechts Mutter Courage bring das schön auf den Punkt: "Wenn ein Feldhauptmann seine Leute so recht in die Scheißgasse führt, dann müssen sie lauter Herkulesse und klug wie die Schlangen sein. Wenn er einen guten Feldzugsplan machen könnte, brauchten sie nur durchschnittlich zu sein und mittelgescheit. Überhaupt, wenn irgendwo große Tugenden gebraucht werden, ist etwas faul."
In seiner Beschreibung der Schlacht von Borodino nimmt Tolstoi die Genialität der Heerführer sarkastisch aufs Korn. Alles hängt dort von der Motivation der kleinen Leute, dem "Geist der Truppe" ab. Napoleon glaubt, dass er das ganze Geschehen leitet. Er hat sie alle geschlagen, und hätte er nicht den Schnupfen gehabt, vermutlich die Russen besiegt. Das Schicksal Russlands lag sozusagen in den Händen seines Kammerdieners, der vergaß, ihm wasserdichte Stiefel bereit zu stellen.
Seine Anordnungen werden nicht befolgt, bis die Adjutanten zu Murat oder Ney vorstoßen, hat sich längst die Lage geändert. Kutusow, der bei Lageberichten immer einschläft, gutes Essen liebt und Trivialromane hat in seinem "greisen Verstand" begriffen, dass alles nur vom "Geist der Truppen" abhängt und versucht, das Geschehen durch seine Intervention so wenig wie möglich zu stören. Am Ende ergreift Napoleon das Entsetzen, dass alle Kunstgriffe versagen, dass Generale statt eroberte Fahnen und Kanonen einzubringen, nur dauernd um Verstärkungen bitten, so dass er glaubt, das Glück habe ihn verlassen, als nach Stunden die Russen immer noch stehen.
Fürst Andrej Bolkonski hört ein Gespräch von Clausewitz mit an, in dem dieser rät, den Krieg in die Tiefe des Raumes zu tragen. "Was wissen denn diese Deutschen, ganz Europa haben sie ihm ausgeliefert, jetzt wollen sie uns Russen belehren!"
Am Ende ist es nur noch ein Gemetzel, ohne geniale Kunstgriffe und Pläne geht die Schlacht dem Ende entgegen, die Franzosen haben das Feld behauptet, Moskau liegt nun schutzlos vor ihnen, die Russen aber haben trotz fürchterlicher Verluste einen moralischen Sieg errungen.