Die Rolle des Täufers

Wie bereits erwähnt halte ich es aber für wahrscheinlich, dass es an mehreren antiken Königshöfen zu derartigen Szenen kommen konnte oder wenigstens Geschichten über solche und ähnliche Vorfälle kursierten, ob ausgeschmückt oder nicht.
 
Chan, was sagst Du denn zur Parallele bei Herodot? Die scheint mir der Herodiaserzählung noch etwas näher zu stehen, weil hier die Frau des Herrschers die entscheidende Rolle spielt und den König in einer Weise unter Druck setzt, dass er sich ihrer Forderung kaum entziehen kann.

Welche literarischen Vorlagen im Spiel gewesen sein könnten, darüber kann man nur spekulieren. Die Herodot-Passage gehört sicher in die Liste der Kandidaten, wird in der Fachliteratur aber - soweit ich sehe - weniger in Betracht gezogen als die Story über Flamininus und die mir mehrmals zitierte Passage im (fiktionalen) Ester-Buch ("halbes Königreich" usw.).

Mit hoher Wahrscheinlichkeit war die Herodot-Passage zumindest eine Vorlage für die Ester-Geschichte: In beiden Erzählungen gibt Xerxes (im Ester-Buch ´Ahasverus´ genannt) ein Versprechen an eine Frau. Bei Herodot wird er von Artaynte beim Wort genommen, was ihn in Kalamitäten bringt, was im ganzen aber nicht reicht, in dieser Story die einzige Vorlage für die Herodias-Perikope zu sehen. Im Ester-Buch ist die Parallele zu Mk 6 viel deutlicher: Ahasverus gibt Ester ein Blanko-Versprechen ("bis zur Hälfte meines Königsreichs"), worauf sie - mit Verzögerung von zwei Tagen - den Wunsch äußert, der König möge "ihr Volk retten", gegen welches sich eine Verschwörung gebildet habe mit dem Ziel, die Juden im persischen Reich "auszurotten". Als Kopf der Verschwörer nennt sie wahrheitsgemäß den Großwesir Haman, der beim Gespräch zugegen ist. Der erboste König lässt ihn aufhängen.

So lässt sich ein Puzzle zusammensetzen, das im ganzen einige wesentliche Motive der Herodias-Perikope liefert.

+ Flamininus: das Köpfen eines Gefangenen auf Wunsch einer Frau, den sie auf einem Bankett äußert

+ Ester-Buch: ein vom König einer Frau gewährter Wunsch aufgrund eines Blanko-Versprechens ("bis zur Hälfte meines Königsreichs") führt zur Tötung eines Feindes der Frau.

+ Herodot: Ein König fühlt sich durch ein einer Frau gegebenes Versprechen unangenehm unter Druck gesetzt.

+ Judith-Buch (wie Ester komplett fiktional): Eine Frau schneidet einem Feind ihres Volkes den Kopf ab und präsentiert ihn ihrem "Volk" und einer Einzelperson.

(In #42 habe ich versehentlich Ester 13 als Quelle dieser Story angegeben, es handelt sich aber um Judith 13)

+ Cicero: Sein abgetrennter Kopf wird zu seiner Feindin Fulvia gebracht, die dessen Zunge durchbohrt. Davon angeregt ist Hieronymus´ phantasiereiche Variation der Herodias-Perikope, der zufolge Herodias die Zunge des geköpften Johannes mit einem Dolch durchbohrt.

Wie bereits erwähnt halte ich es aber für wahrscheinlich, dass es an mehreren antiken Königshöfen zu derartigen Szenen kommen konnte oder wenigstens Geschichten über solche und ähnliche Vorfälle kursierten, ob ausgeschmückt oder nicht.

Das ist alles klar, woraus man aber nicht auf die Historizität von Mk 6 schließen kann. Es spricht einfach zu viel dagegen. Eine Reihe von Argumenten habe ich genannt. In der Fachliteratur herrscht in dieser Frage auch weitgehender Konsens.
 
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Es geht nicht um eine Eins-zu-eins-Übernahme, sondern um eine grundsätzliche Analogie zwischen Flamininus-Anekdote und Mk 6-Perikope, wobei einzelne Elemente und Relationen verändert und hinzugefügt sind. Das Variieren von gegebenen Narrativen ist ein übliches Verfahren in der Literatur (wozu auch das NT zählt). Jean Anouilhs ´Antigone´ beispielsweise basiert auf dem Original von Sophokles, weist aber z.T. gravierende Veränderungen auf. Oscar Wildes "Salome", vertont von Richard Strauss, variiert das Markus-Original ebenfalls ganz erheblich: Hier fordert die Tänzerin (´Salome´ genannt) den Kopf aus eigenem Antrieb, der ein sexueller ist, genauer: ein oralsexueller, da das Objekt ihrer Begierde die Lippen des Täufers sind. Bei einer persönlichen Begegnung im Gefängnis gesteht sie ihre Liebe, wird aber brüsk zurückgewiesen. Daher gibt sie Antipas´ Bitte nach, auf dem Fest für ihn zu tanzen, wofür sie als Lohn alles von ihr Gewünschte erhalten solle, und erhält den Kopf des Täufers, dessen Mund sie nun endlich küssen kann.
Die verschiedenen Antigone-Versionen haben aber gemeinsam, dass es eindeutig noch um Antigone geht, ebenso die verschiedenen Variationen des Salome-Themas.

Ansonsten aber kann man bald einmal eine "grundsätzliche Analogie" zwischen verschiedenen Erzählungen finden, wenn man bloß genügend "einzelne Elemente und Relationen verändert" und hinzufügt und den Rest ausblendet. Ebensogut könnte man auch behaupten, die Nibelungensage sei von Livius und/oder den Evangelien abgekupfert worden. (Der eher unwillige König Gunther veranlasst auf Drängen seiner Frau Siegfrieds Ermordung.)

Zur Frage der Vaterschaft des Antipas gibt es, wie gesagt, einige aktualisierte Übersetzungen, denen zufolge die Tänzerin die gemeinsame Tochter von Antipas und Herodias ist und Mutter und Tochter den gleichen Namen tragen. Letzteres wird wegen seiner Unwahrscheinlichkeit von Kritikern gegen die Korrektheit der aktualisierten Übersetzung angeführt. Ein weiteres Argument ist die angebliche Textkorruption von Vaticanus und Sinaiticus, wo sich die Antipas=Vater-Version findet. Der Übersetzerstab von Nestle-Aland scheint das anders zu sehen, da in seiner neuesten Übersetzung Herodes Antipas als Vater genannt wird ("seine, des Herodes´ Tochter, Herodias").
So oder so, sollte man aber nicht übersehen, dass in beiden Versionen Herodias als Mutter der Tänzerin bezeichnet wird.
 
Mir scheinen diese ganzen Parallelen auch sehr allgemein zu sein. Dass ein mächtiger Herrscher einen Feind köpfen ließ, wurde sicher in hunderten antiken Erzählungen beschrieben und ist gewiss auch ebenso oft vorgekommen. Auch eine Frau, die an einem Hof den König so umgarnte oder unter Druck setzte, dass er einen persönlichen Feind für sie aus dem Weg räumte, ist sicher nicht selten gewesen, weder in der Realität noch in der Literatur.

Möglicherweise ist die Geschichte um Johannes und Herodias eine literarische Fiktion, aber das ist bei der von Livius berichteten Flamininus-Episode und den Vorgängen am Hof des Xerxes, über die Herodot schreibt, ebenso möglich. Zweifellos hielten die Zeitgenossen all dieser Autoren solche Geschehnisse wenigstens für denkbar, mehr können wir kaum sagen.
 
Die verschiedenen Antigone-Versionen haben aber gemeinsam, dass es eindeutig noch um Antigone geht, ebenso die verschiedenen Variationen des Salome-Themas.

Natürlich. Ich wollte damit nur zeigen, wie stark Abweichungen von einer Vorlage schon unter Beibehaltung des Grundthemas (z.B. Antigone) sein können. Umso mehr ist das zu erwarten, wenn Motive aus einer Vorlage in einen ganz anderen Kontext (Herodias) übertragen werden. Dass die Flamininus-Geschichte (FG) die unmittelbarste Vorlage für die Herodias-Perikope (HP) war, hat sich in der fachlichen Debatte um das Thema als eine, soweit ich sehe, unumstrittene Interpretation etabliert. Die FG gehörte im 1. Jh. CE als populäres Beispiel für grausamen Machtmissbrauch quasi zum kulturellen Allgemeinwissen und konnte problemlos das Grundmuster für eine Perikope (HP) liefern, die der Mk-Autor entweder selbst konstruierte oder, sie vermutlich noch etwas bearbeitend, als bestehende Volkslegende übernahm.

Die Frage ist, warum HP entweder vom Mk-Autor oder als Volkslegende erfunden und in Mk eingefügt wurde. Es bieten sich folgende Erklärungen an:

Aus christlicher Sicht gilt der Täufer als nicht nur formal als Wegbereiter des Jesus (d.h. als sein Prophet), sondern ist mit ihm wesenhaft bzw. ´kosmologisch´ verbunden, insofern sein (mythologischer) Geburtstag auf den 1. Tag der abnehmenden Sonne fällt (Sommersonnenwende) und der (mythologische) Geburtstag des Jesus auf den 1. Tag der zunehmenden Sonne (Wintersonnenwende). Laut Lk 1,26 liegt ein halbes Jahr zwischen den Geburten beider Gestalten. Christlicherseits wird der Spruch des Täufers "Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen" (Joh 3,28) nachträglich auf diesen solaren Kontext hin gedeutet. Nun war der Geburtstag des Jesus zur Zeit des entstehenden Mk noch nicht auf den 25. Dezember festgelegt, dem halbjährigen Abstand zwischen beiden Geburtstagen scheint für Lk der Gedanke an den Sonnenzyklus aber zugrunde gelegen haben. Nicht nur der Jesus-Spruch "Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden" in Lk 12,49 spricht für eine rudimentäre solartheologische Interpretation der Jesusfigur zur Zeit der Entstehung von Lk, auch und vor allem Lk 23,44 setzt Jesus mit der Sonne in einen unmittelbaren Zusammenhang: beide ´sterben´ im gleichen Moment:

44 Und es war um die sechste Stunde, und es ward eine Finsternis über das ganze Land bis an die neunte Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels zerriss mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut und sprach: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt, verschied er.
Wie auch immer:

Mk konstruiert durch Aufnahme der HP eine analogische Relation zwischen dem Schicksal des Täufers und dem des Jesus, durch welche sich bei letzterem analog wiederholt, bis dem ersten widerfuhr:

+ Johannes wird auf Befehl eines Rom repräsentierenden Herrschers (Antipas) hingerichtet, wobei die eigentliche Entscheidung für seinen Tod nicht der Herrscher, sondern dessen Frau fällt. Der Herrscher fügt sich dieser Entscheidung nur unwillig.

+ Jesus wird auf Befehl eines Rom repräsentierenden Herrschers hingerichtet, wobei die eigentliche Entscheidung für seinen Tod nicht der Herrscher (Pilatus), sondern "die Juden" fällen. Der Herrscher fügt sich dieser Entscheidung nur unwillig.

Beide Plots werden von vielen Gelehrten (besonders der erstere) als fiktionale Konstrukte gedeutet. Fiktional ist mit aller Wahrscheinkeit z.B. die ´Schuld´ der Juden am Tod des Jesus. Egal ob man diese Gestalt und ihre Kreuzigung als historisch oder als erfunden betrachtet: Die Schuld am Tod des Jesus den Römern zuzuschreiben, war für Mk keine Option, da das Evangelium hauptsächlich für römische Leserschaft konzipiert war und diesem das christliche Ideal in dramatischer Ausschmückung und in stilistischer Anlehnung an die Romanliteratur jener Zeit vermitteln sollte. Einem Römer die Schuld am Tod des Heros anzulasten, hätte dieser Zielsetzung widersprochen, also muss der Todeswunsch auf die Juden geschoben werden. Dass diese Schuldzuweisung ein Konstrukt ist, ergibt sich schon daraus, dass der historische Pilatus ein äußerst brutaler Geselle war, der sich weder so zartfühlend verhalten hätte wie in den Evangelien geschildert noch die Entscheidung über den Tod eines Delinquenten dem jüdischen Volk überlassen hätte.

Eine analoge Konstellation findet sich in der HP. Hier wird, wie Pilatus in der Passionsgeschichte, Herodes Antipas von der Schuld am Tod des christlichen Heros (hier der Täufer) freigesprochen und als unfreiwilliges Instrument für die ´bösen´ Machenschaften der Herodias gezeichnet. Das macht im Hinblick auf die oben angedeutete Ambition des Mk, ein römisches Publikum zu überzeugen, deswegen Sinn, weil Antipas zwar Jude, kulturell und politisch aber hellenisiert und ein Repräsentant des Römischen Reiches ist, den als Mörder des Täufers hinzustellen jener Ambition widersprochen hätte.

Dass in der HP die Schuld am Tod des Täufers so dezidiert (und offensichtlich unhistorisch) auf eine Frau, Herodias, geschoben wird, verdankt sich wohl zwei Zielsetzungen:

Zum einen wird das klassische jüdische Motiv der moralisch minderwertigen Frau reproduziert, wie es mit der Eva-Figur einsetzt und sich über die alttestamentlichen Attacken auf polytheistische Kulte fortsetzt, die mit Hurerei metaphorisch gleichgesetzt werden, wie auch Jerusalem und Israel als Ganzes sich öfters diese Beschimpfung gefallen lassen müssen, sofern sie dazu neigen, vom wahren Glauben (an Jahwe) abzufallen. Ein prominentes Exemplar der ´negativen´ Frau ist die schon mehrfach erwähnte Isebel, die in Samaria den Baals-Kult einführt und für den Tod des Elia (des ´Vorläufers´ des Täufers) verantwortlich gemacht wird (gleichfalls eine Analogie und wahrscheinliche Vorlage zu HP, die ich gestern zu erwähnen vergaß). Bekanntlich erscheint Isebel in der Johannesoffenbarung verklausuliert in der Gestalt der ´Hure Babylon´ als Sinnbild des lasterhaften Weibes. Ebenso repräsentiert Herodias, als literarische Reinkarnation der Isebel, bei Mk den Typ ´lasterhafte Frau´und wird zur Feindin des ´Guten´, hier des Täufers, stilisiert.

Zum andern (um auf die zweite Zielsetzung einzugehen) dürfte mit HP eine indirekte Kritik an der damaligen, im Vergleich zu jüdischen Praktiken liberalen sozialen Stellung der Frau im Römischen Reich geübt worden sein, indem gezeigt wird, wie leicht Frauen vom Pfad moralischer Rechtschaffenheit abweichen, wenn man ihnen Entscheidungsfreiheit gibt.

Das Thema gibt noch viel mehr her, ich belasse es für heute aber dabei.

Mir scheinen diese ganzen Parallelen auch sehr allgemein zu sein. Dass ein mächtiger Herrscher einen Feind köpfen ließ, wurde sicher in hunderten antiken Erzählungen beschrieben und ist gewiss auch ebenso oft vorgekommen.

Dass der König im Esterbuch ein Versprechen gibt, das in Mk als wortwörtliche Kopie wiedererscheint, würde ich nicht als "sehr allgemeine Parallele" ansehen, sondern als absolut eindeutiges Indiz für die Übernahme des Ester-Motivs in Mk 6, zumal auch der Rest, wie von mir skizziert, analog übereinstimmt.
 
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Möglicherweise ist die Geschichte um Johannes und Herodias eine literarische Fiktion, aber das ist bei der von Livius berichteten Flamininus-Episode und den Vorgängen am Hof des Xerxes, über die Herodot schreibt, ebenso möglich.
Auch wenn die Flamininus-Episode recht unterschiedlich überliefert wird und die Details somit zweifelhaft erscheinen, muss sie zumindest einen wahren Kern haben. Selbst der Censor Cato wäre wohl kaum so weit gegangen, einen ehemaligen Konsul und Bruder eines der damals bedeutendsten Politiker auf Grundlage einer frei erfundenen Geschichte aus dem Senat zu werfen. Immerhin lag der Vorfall erst einige Jahre zurück, und die Verstoßung eines bekannten Konsulars war ein Politikum, das für Aufmerksamkeit sorgte. Wäre die Geschichte weder bekannt noch auf Nachforschung ermittelbar gewesen, hätte Cato seine eigene (durch zahlreiche Konflikte ohnehin stets etwas gefährdete) auctoritas vernichtet.

Die FG gehörte im 1. Jh. CE als populäres Beispiel für grausamen Machtmissbrauch quasi zum kulturellen Allgemeinwissen
"Kulturelles Allgemeinwissen"? Die Flamininus-Episode war bei gebildeten Römern bekannt, wie ihre verschiedenen Erwähnungen zeigen, ebenso beim (ebenfalls hochgebildeten, aber wohl römische Quellen verwendenden) Plutarch. Die Beschäftigung mit Geschichte gehörte im römischen und griechischen "Bildungsbürgertum" zum guten Ton. Das macht sie aber noch nicht zwangsläufig zum "Allgemeinwissen", das auch im (sogar im nichtrömischen) Volk verbreitet war und daher auch dem Markus-Evangelisten bekannt gewesen sein muss.

Eine analoge Konstellation findet sich in der HP. Hier wird, wie Pilatus in der Passionsgeschichte, Herodes Antipas von der Schuld am Tod des christlichen Heros (hier der Täufer) freigesprochen und als unfreiwilliges Instrument für die ´bösen´ Machenschaften der Herodias gezeichnet. Das macht im Hinblick auf die oben angedeutete Ambition des Mk, ein römisches Publikum zu überzeugen, deswegen Sinn, weil Antipas zwar Jude, kulturell und politisch aber hellenisiert und ein Repräsentant des Römischen Reiches ist, den als Mörder des Täufers hinzustellen jener Ambition widersprochen hätte.
Allerdings wurde Herodes Antipas von den Römern abgesetzt und verbannt. Da das Markusevangelium erst zu einem Zeitpunkt entstand, als das längst erfolgt war, gab es keinen Grund mehr, ihn in der Darstellung als "Repräsentanten des Römischen Reiches" zu schonen. Immerhin hatten ihn die Römer selbst als solchen verworfen! Im Gegenteil wäre es in Hinblick auf eine römische Leserschaft eher naheliegend gewesen, ihn als den Hauptbösewicht hinzustellen, um seine Absetzung und Verbannung gerechtfertigt erscheinen zu lassen.
 
Auch wenn die Flamininus-Episode recht unterschiedlich überliefert wird und die Details somit zweifelhaft erscheinen, muss sie zumindest einen wahren Kern haben. Selbst der Censor Cato wäre wohl kaum so weit gegangen, einen ehemaligen Konsul und Bruder eines der damals bedeutendsten Politiker auf Grundlage einer frei erfundenen Geschichte aus dem Senat zu werfen. Immerhin lag der Vorfall erst einige Jahre zurück, und die Verstoßung eines bekannten Konsulars war ein Politikum, das für Aufmerksamkeit sorgte. Wäre die Geschichte weder bekannt noch auf Nachforschung ermittelbar gewesen, hätte Cato seine eigene (durch zahlreiche Konflikte ohnehin stets etwas gefährdete) auctoritas vernichtet.

Da stimme ich Dir zu. Ich meinte nur, dass man beide Quellen auf dieselbe Weise angreifen könnte, denn auch die Hinrichtung des Täufers durch Herodes' Leute ist ja bezeugt und muss wie der Ausschluss des Flamininus aus dem Senat einen Grund gehabt haben.

Wenn man ganz automatisch davon ausgeht, dass es sich bei der Herodias-Episode um eine fiktive Erzählung handeln muss, die auf ältere Vorbilder zurückgeht, könnte man das bei der von Livius überlieferten Episode auch behaupten. Auch dieser könnte beispielsweise Herodots Beschreibung des Vorfalls unter Xerxes gekannt und genutzt haben.

Sicher sagen können wir, dass Herodes wohl einen Grund hatte, den Täufer hinrichten zu lassen und Cato einen, Flamininus aus dem Senat auszuschließen. Für beide Vorfälle haben wir eine Quelle, die diesen Grund auch nennt. Natürlich kann man zu dem Schluss kommen, dass die eine Quelle in diesem Fall glaubwürdig und die andere weniger glaubwürdig erscheint. Das allein an möglichen literarischen Vorbildern festzumachen, scheint mit aber recht willkürlich. Ich würde den Quellen hier erst einmal einen gewissen "Vertrauensvorschuss" geben, zumal wir uns sonst ganz in den Bereich der Spekulation begeben müssen.
 
"Kulturelles Allgemeinwissen"? Die Flamininus-Episode war bei gebildeten Römern bekannt, wie ihre verschiedenen Erwähnungen zeigen, ebenso beim (ebenfalls hochgebildeten, aber wohl römische Quellen verwendenden) Plutarch. Die Beschäftigung mit Geschichte gehörte im römischen und griechischen "Bildungsbürgertum" zum guten Ton. Das macht sie aber noch nicht zwangsläufig zum "Allgemeinwissen", das auch im (sogar im nichtrömischen) Volk verbreitet war und daher auch dem Markus-Evangelisten bekannt gewesen sein muss.

Von "muss" hat auch keiner etwas gesagt, es geht nur um Hypothesen, im besagten Fall allerdings um eine, die in Fachkreisen nicht ernsthaft irgendwo bestritten wird.

"Kulturelles Allgemeinwissen" bezieht sich auf kulturell gebildete Leute, zu denen man den literarisch versierten Autor des Mk rechnen kann, der wahrscheinlich in Rom gelebt hat (eine alternative Hypothese ist Syrien, siehe unten). Römisches Publikum - im gesamten RR - gilt als die hauptsächliche Zielgruppe dieses Evangeliums. Als ein mit römischer Kultur vertrauter Autor hat ´Markus´ also mit hoher Wahrscheinlichkeit die Flamininus-Geschichte gekannt.

Nicht viel anders stellt sich die Sache dar, wenn ´Markus´ die HP von außen, z.B. als ´Hoflegende´ übernommen hat, letzteres eine Möglichkeit, die von Gerd Theißen favorisiert wird, der - wie in einem meiner letzten Posts zitiert - die Herodias-Perikope als gegen herodianische Frauen gerichtete "üble Nachrede" einstuft. Möglicherweise ist HP als solche Hoflegende in nicht-jüdischen benachbarten Regionen entstanden, z.B. im römischen Caesarea Philippi oder im römischen Tyros, und zwar mit dem Ziel, die Herodes-Dynastie in ein möglichst düsteres Licht zu setzen. ´Markus´, falls in Syrien tätig, hat dieses Gerücht dann aufgeschnappt und, weil sie aus mehreren Gründen sehr gut in den Gesamtplot passt, in Mk eingefügt.

Als nachträgliche Einfügung (manche sagen, durch Markus selbst, andere sagen, durch einen späteren Redakteur) ist HP vor allem deshalb erkennbar:

(1)
Sie ist die einzige Perikope in Mk, in der Jesus nicht die Hauptfigur ist.

(2)
Man lese folgenden Text (ich lasse die Versnummerierung weg):

Und er berief die Zwölf und hob an und sandte sie je zwei und zwei und gab ihnen Macht über die unsauberen Geister (...) Und sie gingen aus und predigten, man sollte Buße tun, und trieben viele Teufel aus und salbten viele Sieche mit Öl und machten sie gesund. Und die Apostel kamen zu Jesu zusammen und verkündigten ihm das alles und was sie getan und gelehrt hatten. Und er sprach zu ihnen: Lasset uns besonders an eine wüste Stätte gehen und ruht ein wenig. Denn ihr waren viele, die ab und zu gingen; und sie hatten nicht Zeit genug, zu essen.
Die Herodias-Perikope (genauer: Mk 6, 14-29) findet sich im überlieferten Mk zwischen "gesund" und "Und die Apostel" eingefügt. Ohne sie liest sich der Text ganz flüssig, mit ihr wirkt er künstlich zerrissen - mitten in einem fließenden Erzählstrang erscheint unvermittelt ein Flashback, d.h. eine Rückblende (zum Zeitpunkt der Schilderung ist der Täufer ja schon tot), der für diesen Erzählstrang keine unmittelbare Bedeutung hat.

Dass Josephus nichts verlauten lässt, was die HP bestätigt, ist ein die bisher genannten Argumente ergänzender Beleg für die Fiktionalität der HP. Der Historiker liefert an diversen Stellen detaillierte Informationen über Herodias, z.B. hatte sie Antipas bedrängt, Caligula um die Gewährung des Königstitels zu bitten. Um das zu verhindern, beschuldigte ihr Bruder Agrippa den Antipas, dem er viel verdankte, bei Caligula eines Komplotts gegen den Kaiser, worauf Antipas in die Verbannung geschickt wurde, wohin Herodias notgedrungen ihm folgte. Warum also hätte Josephus, der über die Herrschergattin gut informiert war, eine Wiedergabe der in Mk 6 geschilderten Skandalstory über die Hinrichtung des Täufers unterlassen sollen, wenn nicht deswegen, weil sie niemals real stattgefunden hat?

Allerdings wurde Herodes Antipas von den Römern abgesetzt und verbannt. Da das Markusevangelium erst zu einem Zeitpunkt entstand, als das längst erfolgt war, gab es keinen Grund mehr, ihn in der Darstellung als "Repräsentanten des Römischen Reiches" zu schonen. Immerhin hatten ihn die Römer selbst als solchen verworfen! Im Gegenteil wäre es in Hinblick auf eine römische Leserschaft eher naheliegend gewesen, ihn als den Hauptbösewicht hinzustellen, um seine Absetzung und Verbannung gerechtfertigt erscheinen zu lassen.

Hat man das Ganze im Blick, dann greift deine Argumentation nicht.

Zunächst einmal vergisst du, dass auch Pilatus im Jahr 36 CE von Rom (genauer: durch Vitellius) abgesetzt wurde, weil ihm Raub, Bestechung und unmotivierte Gewalttaten vorgeworfen wurden (nachzulesen bei Philo). Er hat mit Antipas somit gemeinsam, als Repräsentant Roms nachträglich fragwürdig geworden zu sein, was im römerfreundlichen Mk aber überhaupt keine Rolle spielt, wo er - ziemlich unrealistisch- als (tendenzieller) Sympathisant des Jesus gezeichnet wird, ebenso wie Antipas in der HP als Sympathisant des Täufers, mit dem er sich gerne unterhält, erscheint.

Dass die Römer im Mk gezielt in ein positives, d.h. tendenziell christentumfreundliches Licht gestellt werden (aus in meinem Vorpost genannten Gründen), wird u.a. auch durch den römischen Offizier belegt, der den Aufschrei des sterbenden Jesus als Zeichen seiner Göttlichkeit interpretiert, was den Höhepunkt in der christologischen ´Argumentation´ des Mk bildet, da diese Szene die römische Zielgruppe des Mk, repräsentiert durch den als Identifikationsfigur dienenden Soldaten, unmittelbar ins Geschehen einbindet.

Mk 15:

38 Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von obenan bis untenaus. 39 Der Hauptmann aber, der dabeistand ihm gegenüber und sah, daß er mit solchem Geschrei verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!
Ich breche hier ab, werde bald aber weitere Argumente liefern.
 
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Wäre es eigentlich nicht denkbar, dass die Herodias-Erzählung aus dem Kreis der Johannesjünger stammt? Wenn Du recht hast und die Episode in Mk 6 später eingefügt wurde, ist es ja wahrscheinlich, dass Mk (oder ein späterer Redaktor) sie in einer mehr oder minder "fertigen" Gestalt übernommen hat. Im letzten Vers wird auf die Anhänger des Täufers explizit Bezug genommen (Mk 6, 29, als Johannes tot ist): "Und als das seine Jünger hörten, kamen sie und nahmen seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab". Das wäre dann ein Hinweis darauf, dass es auch um 70 noch Traditionen in christlichen Gemeinden gab, die eigentlich auf die (möglicherweise eine Zeitlang parallel existierenden) Täufergemeinden zurückgingen.
 
Möglicherweise ist HP als solche Hoflegende in nicht-jüdischen benachbarten Regionen entstanden, z.B. im römischen Caesarea Philippi oder im römischen Tyros,

Gemeint ist Caesarea am Mittelmeer, nicht Caesarea Philippi nördlich vom See von Galiläa.

Wäre es eigentlich nicht denkbar, dass die Herodias-Erzählung aus dem Kreis der Johannesjünger stammt? Wenn Du recht hast und die Episode in Mk 6 später eingefügt wurde, ist es ja wahrscheinlich, dass Mk (oder ein späterer Redaktor) sie in einer mehr oder minder "fertigen" Gestalt übernommen hat. Im letzten Vers wird auf die Anhänger des Täufers explizit Bezug genommen (Mk 6, 29, als Johannes tot ist): "Und als das seine Jünger hörten, kamen sie und nahmen seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab". Das wäre dann ein Hinweis darauf, dass es auch um 70 noch Traditionen in christlichen Gemeinden gab, die eigentlich auf die (möglicherweise eine Zeitlang parallel existierenden) Täufergemeinden zurückgingen.

Über die Datierung des Mk habe ich mich hier schon öfters geäußert. Das einzige, was diesbezüglich feststeht, ist seine Entstehung nach 70 CE. Wann nach 70 CE, ist eine offene Frage. Bezeugt ist das Evangelium erst um 180 CE durch Irenäus. Die konventionelle Datierung, auf die du Bezug nimmst, verdankt sich der verständlichen klerikalen Tendenz, das Mk so nahe wie möglich an die (vorgebliche) Lebenszeit des Religionsstifters heranzurücken. ´Verständlich´ bedeutet hier aber nicht ´legitim´, da diese Festlegung ohne historische Belege vorgenommen wurde und nach wie vor nicht historisch belegt werden kann. Ich will dieses Thema hier aber nicht breittreten, an anderen Stellen in diesem Forum wurde es, wie gesagt, schon öfters behandelt. Im thematischen Kontext dieses Threads spielt die Datierung ohnehin, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle.

Deine Anspielung auf mögliche Urheberschaft der HP durch Johannesjünger ist aber unabhängig von der Datierung 70 zu verstehen.

Ja, rein theoretisch besteht auch diese Möglichkeit der Entstehung der Legende. Ich meine aber, dass sie sehr unwahrscheinlich ist. Es stellt sich ja die Frage, warum die Schuld am Tod des Täufers - in starker Abweichung von Josephus - in der Perikope so dezidiert auf Herodias geschoben wird. Mir fällt kein Grund ein, welches Interesse die Täuferjünger an dieser Konstellation, die den Antipas unhistorisch entlastet, haben könnten.

Ganz anders sieht das für die Hypothese einer christlichen Urheberschaft aus. Wie ich schon mehrmals andeutete, kann die Perikope als Analogie zur Situation des Elia gedeutet werden, dessen eigentliche Feindin, die ihm den Tod wünscht (nicht grundlos, wie ich hinzufügen darf), Isebel, die polytheistische Gattin von König Ahab, ist. Das AT charakterisiert sie ganz allgemein und auch im speziellen in Bezug auf Elia als eine femme fatale, die in verderblicher Weise Einfluss auf den König nimmt.

Nun hat das Christentum, anders als die Täuferbewegung, ein vitales Interesse an der Verknüpfung bzw. Quasi-Identifizierung des Elia mit dem Täufer. Laut dem Buch Maleachi wird dem Erscheinen des Messias die Wiederkunft des Elia vorausgehen, daher kann Jesus nur als Messias durchgehen, wenn eine andere Gestalt als Wiederverkörperung des Elia seine Messianität vorbereitet und ankündigt. Diese Rolle fällt in Mk dem Täufer zu, wie ich in diesem Thread schon mehrfach belegt habe. Die HP vermag diese (fiktive) Verknüpfung Täufer = Elia sehr gut zu veranschaulichen, indem sie eine Konstellation fingiert, die der Konstellation im Elia-Mythos analog eindeutig entspricht (Elia / Täufer von Frau gehasst, die den Herrscher auf Kosten von Elia / Täufer manipuliert).

Wie in meinem vorletzten Post gezeigt, wird diese Konstellation in der Passionsgeschichte nochmals reproduziert: Hier übernimmt Pilatus die Rolle des ´manipulierten´ Herrschers, diesmal nicht durch eine Frau, sondern durch ´die Juden´. Wie bemüht und konstruiert diese Schuldzuweisung ist, mag ein winziges, aber aussagekräftiges Detail aus dem Joh-Ev veranschaulichen, wo an einer Stelle das jüdische Volk "wieder" schreit, obwohl es vorher noch gar nicht geschrien hat:

Joh 18:

40 Da schrieen sie wieder allesamt und sprachen: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Mörder.
 
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Du kennst dich in diesen theologischen Fragen sicherlich besser aus als ich, mir ist aber der historische Zusammenhang dennoch nicht ganz klar. Du hattest ja die (oder eine) Vorlage der Herodias-Erzählung in der Flamininus-Geschichte vermutet. Weshalb soll dann noch eine andere Vorlage in Königin Isebel und den Königsbüchern bestehen? Zumal ja Isebel selbst den Tod findet, während Elija die Sache überlebt? Und welche Bedeutung hat die Kreuzigungsszene im Johannesevangelium in diesem Zusammenhang?

Wenn wir die Sache historisch bzw. quellenkritisch betrachten, gibt es eine Erzählung über den Tod des Täufers, der mit der Bestattung dieses Propheten durch seine Jünger endet. Das ist ganz sicher kein Beleg dafür, dass die Geschichte auch aus dieser Gemeinschaft stammt, aber eine gewisse Logik hätte das schon für sich, insbesondere, wenn die Geschichte erst später in das Markusevangelium eingefügt worden sein sollte.

Falls Jünger des Täufers vom Tod ihres Meisters erzählt haben sollten, könnten die grundlegenden Informationen durchaus zutreffen. Es sind jedenfalls die einzigen Informationen, die wir darüber haben. Josephus sagt ja mW nichts darüber, weshalb genau Herodes Johannes hinrichten ließ, oder?
 
Du hattest ja die (oder eine) Vorlage der Herodias-Erzählung in der Flamininus-Geschichte vermutet. Weshalb soll dann noch eine andere Vorlage in Königin Isebel und den Königsbüchern bestehen?
Das ist eine ganz grundsätzliche Frage des Zugangs.
Mir ist schon in diversen Diskussionen aufgefallen, dass Chan grundsätzlich davon auszugehen scheint (er möge mich gegebenenfalls korrigieren), dass, wenn es zwischen zwei Texten (oder auch religiösen Vorstellungen in verschiedenen Religionen) mehr oder auch weniger greifbare Parallelen gibt, notwendigerweise der eine vom anderen abgekupfert ist. Die zu klärende Frage ist dann nur noch, zu welchem Zweck abgekupfert wurde und warum (bewusst) Abweichungen vorgenommen wurden. Ich sehe das nicht so, sondern glaube an die Fähigkeit des menschlichen Geistes, mehrmals an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten unabhängig voneinander ähnliche Gedanken zu entwickeln.
Dieser unterschiedliche Grundzugang macht Diskussionen leider oft recht mühsam und unergiebig.
 
Du kennst dich in diesen theologischen Fragen sicherlich besser aus als ich, mir ist aber der historische Zusammenhang dennoch nicht ganz klar. Du hattest ja die (oder eine) Vorlage der Herodias-Erzählung in der Flamininus-Geschichte vermutet. Weshalb soll dann noch eine andere Vorlage in Königin Isebel und den Königsbüchern bestehen? Zumal ja Isebel selbst den Tod findet, während Elija die Sache überlebt?

Die diversen Vorlagen erfüllen verschiedene Zwecke, die Teile eines übergeordneten Hauptzwecks sind.

Die Isebel-Elia-Story ist insofern von grundlegender Bedeutung, als das Wiedererscheinen des Elia - wie ich schon einige Male schrieb - in der damaligen jüdisch-frühchristlichen Vorstellung dem Erscheinen des Messias als sein Wegbereiter unbedingt vorausgehen muss. Es ist heute noch eine jüdische Sitte, am Passahfest einen Becher für Elia aufzustellen und zu füllen, um ihn dann wieder zu leeren und die Wohnungstür zu öffnen, damit der Prophet (symbolisch) eintreten kann.

In christlicher Sicht erfüllt, wie ebenfalls schon mehrmals erwähnt, der Täufer die Rolle des wiedererschienenen Elia. Das geht aus Mk, Mt und Lk eindeutig hervor. Im am spätesten entstandenen Joh wird die Bedeutung des Elia dagegen heruntergespielt, vermutlich weil zum Zeitpunkt der Entstehung sich das Christentum schon einigermaßen etabliert hatte. Hier ist der Anfang des Mk:

1 Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes,
2 wie geschrieben steht in den Propheten: "Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der da bereite deinen Weg vor dir." 3 "Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des HERRN, macht seine Steige richtig!"
(...)
6 Johannes aber war bekleidet mit Kamelhaaren und mit einem ledernen Gürtel um seine Lenden, und aß Heuschrecken und wilden Honig; 7 und er predigte und sprach: Es kommt einer nach mir, der ist stärker denn ich, dem ich nicht genugsam bin, daß ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe auflöse. 8 Ich taufe euch mit Wasser; aber er wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.
Die beiden Zitate in Mk 1,2-3 stammen aus Maleachi 3,1 und Jesaja 40,3-5. Die Aussage in Maleachi 3,1 bezieht sich auf den Propheten Elia, der laut jüdischer Mythologie in den Himmel aufgestiegen ist und auf seine Wiederkunft auf Erden wartet, um dem Messias den Weg zu bereiten. Die physische Beschreibung des Täufers ist klar dem Erscheinungsbild des Elia nachempfunden, wie es im AT beschrieben wird. Diese Beschreibung hat, wie ich stark vermute, lediglich den Sinn, die Identität von Elia und Täufer zu suggerieren, ohne aber das reale Erscheinungsbild des Täufers wiederzugeben, wie ja auch sonst das Mk in keinster Weise im Sinn hat, historische Begebenheiten realistisch zu schildern, vielmehr einen theologisch-christologischen Grundgedanken romanhaft veranschaulichen möchte. Die völlig unglaubwürdigen zahlreichen Wundergeschichten sind der beste und die Passionsgeschichte (unwahrscheinliche nächtliche Verhandlung im Sanhedrin, völlig unwahrscheinliches Verhalten des Pilatus, unhistorische ´Sitte´ der Wahl eines freizulassenden Delinquenten usw.) der zweitbeste Beleg dafür.

Zurück zu Elia:

Er steht am Beginn der Dreierkette Elia-Täufer-Jesus. Allen dreien ist gemeinsam, dass sie die Königsherrschaft ´Gottes´ verkünden und deswegen von Herrschergestalten (Ahab, Antipas, Pilatus) tödlich bedroht werden, allerdings unter, wie schon gesagt, ´manipulierten´ Umständen. Dass, wie du schreibst, Elia im Unterschied zum Täufer nicht im Zuge der Verfolgung stirbt, mindert seinen Stellenwert in der Dreierkette in keinster Weise. Entscheidend ist, dass er verfolgt wird. Der Täufer gilt darüber hinaus sowohl als wiederschienener Elia (nicht getötet) als auch als vorweggenommener Jesus (getötet). Als zweiter Elia erfüllt er die laut Mal 3,1 vorgeschriebene Funktion des Wegbereiters des Messias, als antizipierter Jesus ist er der erste für das Kommen des Gottesreiches sterbende christliche Märtyrer.

Die Parallelen des biblischen Täufers zur Jesusfigur sind so erheblich, dass man von einer bewussten Analogie sprechen kann, ja muss: Beide verkünden das nahende Gottesreich, beider Geburt wird von Engeln verkündet (Lk), beide predigen die Buße, beide praktizieren die Taufe, beide kritisieren die Pharisäer mit heftigen Worten, beide haben beträchtliche Gefolgschaft, beide werden gefangengenommen, vom jeweiligen Herrscher aber für unschuldig erklärt und auf Betreiben dritter Parteien dennoch getötet. Fazit: Das Schicksal des Täufers nimmt das Schicksal des Jesus in analoger Form vorweg (wie ich kürzlich schon schrieb und was in der Fachliteratur auf breiter Front ebenso gesehen wird).

Dein Argument, dass Elia im Isebel-Kontext nicht stirbt, kann den feststehenden Sachverhalt, dass Elia und der Täufer in christlicher Sicht unbedingt zusammengehören und letzterer als ´Elia redivivus´ anzusehen ist, also überhaupt nicht erschüttern, einfach weil die Todesart bei Elia für diese Relation ganz belanglos ist.

Die Verknüpfung Elia-Täufer-Jesus kommt auch an weiteren Stellen in Mk deutlich zum Ausdruck, wo z.B. in Mk 6 Antipas (man darf wohl sagen, rein fiktional) Überlegungen über die Identität des Jesus anstellt, dessen am Ende von Mk 5 geschilderten Aktivitäten in Galiläa ihm zu Ohren kamen. Wie ersichtlich, meinen manche in seinem Umfeld, Jesus sei der wiedererschienene Elia (!!!), andere, er sei der auferstandene Täufer. Der Tetrarch selbst favorisiert diese Version, was logisch erscheint, da er (story-immanent) von einem schlechten Gewissen geplagt ist.

14 Und es kam vor den König Herodes (denn sein Name war nun bekannt) und er sprach: Johannes der Täufer ist von den Toten auferstanden, darum tut er solche Taten. 15 Etliche aber sprachen: Er ist Elia; etliche aber: Er ist ein Prophet oder einer von den Propheten. 16 Da es aber Herodes hörte, sprach er: Es ist Johannes, den ich enthauptet habe; der ist von den Toten auferstanden.
An anderer Stelle, ziemlich genau in der Mitte des Mk, wird die Relation Elia-Jesus im Kontext der ´Verklärung´ des Jesus unmittelbar thematisiert:

Mk 9:

2 Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt;
3 seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann.
4 Da erschien vor ihren Augen Elija und mit ihm Mose und sie redeten mit Jesus.
Diese Stelle teilt das Mk nicht nur quantitativ in zwei Hälften, sondern auch qualitativ, da die Göttlichkeit der Jesusgestalt, veranschaulicht durch die Farbe der Reinheit und das strahlende Licht, hier erstmals ganz offen zutage tritt. Moses und Elia werden mit Jesus in direkten Bezug gesetzt, ersterer als Vertreter des Gesetzes, letzterer als wichtigster, weil für die Ankunft des Messias vorausgesetzter Vertreter der Propheten. Beide bezeugen und bestätigen durch ihre Gegenwart und ihr Gespräch mit Jesus dessen Göttlichkeit. Lukas hat sich in Lk 9,31 zusätzliche Gedanken über den Inhalt des Gesprächs gemacht und kam auf folgende Idee:

31 Diese (= Moses und Elia, Anm. Chan) erschienen in Herrlichkeit und besprachen seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte.
In Mk 9,11 gibt Jesus den anwesenden Jüngern Auskunft über Elia:

11 Und sie fragten ihn und sprachen: Sagen doch die Schriftgelehrten, daß Elia muss zuvor kommen. 12 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Elia soll ja zuvor kommen und alles wieder zurechtbringen; dazu soll des Menschen Sohn viel leiden und verachtet werden, wie denn geschrieben steht. 13 Aber ich sage euch: Elia ist gekommen, und sie haben an ihm getan, was sie wollten, nach dem von ihm geschrieben steht.
Vers 11 bestätigt, dass Elia "zuvor" kommen muss, d.h. vor dem Erscheinen des Messias.

Vers 12 besagt, dass (im AT) "geschrieben" stehe, dass der Menschensohn "leiden" müsse, was als Antizipation seines, Jesus´, eigenen Leidens zu verstehen ist. Hier hat Markus einen AT-Bezug schlichtweg erfunden, da laut AT der ´Gottesknecht´ (Jes 53) leidet, nicht aber der ´Menschensohn´, als der sich Jesus versteht.

Vers 13 setzt Elia mit dem Täufer in direkten Bezug, denn auf dessen Hinrichtung wird angespielt, wenn Jesus sagt: "(...) sie haben in ihm getan, was sie wollten (...)".

Ich denke, damit ist deine Frage, weshalb auch die Isebel-Elia-Geschichte als Vorlage für HP anzusehen ist, einigermaßen beantwortet: Elia ist zwingend das erste Glied einer Dreierkette, ohne das die übrigen Glieder in der Luft hängen. Jesus wäre ohne den Täufer kein Messias, der Täufer aber ohne Elia nicht der Prophet, der laut Maleachi 3,1 den Messias ankündigt.

Ich werde diese Argumentation in den nächsten Tagen noch ergänzen.

Und welche Bedeutung hat die Kreuzigungsszene im Johannesevangelium in diesem Zusammenhang?

Die von mir genannte Stelle (römischer Hauptmann) soll verdeutlichen, dass das Mk gezielt auf die Überzeugung römischen Publikums angelegt ist, das habe ich doch geschrieben. Im Kontext der Analogisierung der HP mit der Passionsgeschichte ist diese Zielsetzung zu betonen.

Wenn wir die Sache historisch bzw. quellenkritisch betrachten, gibt es eine Erzählung über den Tod des Täufers, der mit der Bestattung dieses Propheten durch seine Jünger endet. Das ist ganz sicher kein Beleg dafür, dass die Geschichte auch aus dieser Gemeinschaft stammt, aber eine gewisse Logik hätte das schon für sich, insbesondere, wenn die Geschichte erst später in das Markusevangelium eingefügt worden sein sollte.

Überzeugend wirkt diese These aber erst, wenn du klar machst, warum die hypothetisch aus Täuferkreisen herrührende Legende nicht einfach Antipas als Hauptschuldigen am Tod des Täufers schildert, sondern den Umweg über Herodias nimmt, von deren Beteiligung bei Josephus nichts zu lesen ist. Ohne eine entsprechende Erklärung bleibt die These allzu vage.

Falls Jünger des Täufers vom Tod ihres Meisters erzählt haben sollten, könnten die grundlegenden Informationen durchaus zutreffen. Es sind jedenfalls die einzigen Informationen, die wir darüber haben. Josephus sagt ja mW nichts darüber, weshalb genau Herodes Johannes hinrichten ließ, oder?

Natürlich sagt er das:

Ant. 18,5,2

Da nun infolge der wunderbaren Anziehungskraft solcher Reden eine gewaltige Menschenmenge zu Johannes strömte, fürchtete Herodes, das Ansehen des Mannes, dessen Rat allgemein befolgt zu werden schien, möchte das Volk zum Aufruhr treiben, und hielt es daher für besser, ihn rechtzeitig aus dem Wege zu räumen, als beim Eintritt einer Wendung der Dinge in Gefahr zu geraten und dann, wenn es zu spät sein, Reue empfinden zu müssen. Auf diesen Verdacht hin ließ also Herodes den Johannes in Ketten legen, nach der Festung Machaerus bringen, die ich oben erwähnte, und dort hinrichten.
Mir ist schon in diversen Diskussionen aufgefallen, dass Chan grundsätzlich davon auszugehen scheint (er möge mich gegebenenfalls korrigieren), dass, wenn es zwischen zwei Texten (oder auch religiösen Vorstellungen in verschiedenen Religionen) mehr oder auch weniger greifbare Parallelen gibt, notwendigerweise der eine vom anderen abgekupfert ist.

Da fehlen mir fast schon die Worte...

Nur so viel für heute: Sowohl die Evangelien als auch die Fachliteratur liefern zahlreiche Hinweise für eine direkte Anknüpfung der Täufer- und Christus-Tradition an jüdische AT-Tradition. Das hat nichts mit "Abkupfern" aus "verschiedenen Religionen" zu tun, vielmehr stehen Juden- und Christentum zur Zeit der Evangelienentstehung im engsten Zusammenhang, siehe meine Antwort an Caro. Dir fehlen offensichtlich die einfachsten Grundkenntnisse der Prinzipien der jüdisch-christlichen Religionsgeschichte, anders ist dein seltsamer Kommentar nicht zu erklären.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Isebel-Elia-Story ist insofern von grundlegender Bedeutung, als das Wiedererscheinen des Elia - wie ich schon einige Male schrieb - in der damaligen jüdisch-frühchristlichen Vorstellung dem Erscheinen des Messias als sein Wegbereiter unbedingt vorausgehen muss. Es ist heute noch eine jüdische Sitte, am Passahfest einen Becher für Elia aufzustellen und zu füllen, um ihn dann wieder zu leeren und die Wohnungstür zu öffnen, damit der Prophet (symbolisch) eintreten kann.

[...]


Überzeugend wirkt diese These aber erst, wenn du klar machst, warum die hypothetisch aus Täuferkreisen herrührende Legende nicht einfach Antipas als Hauptschuldigen am Tod des Täufers schildert, sondern den Umweg über Herodias nimmt, von deren Beteiligung bei Josephus nichts zu lesen ist. Ohne eine entsprechende Erklärung bleibt die These allzu vage.

Die Bedeutung von Elija hast Du sehr deutlich erläutert, danke! Ich bin aber noch nicht ganz überzeugt, was die von Dir genannte Parallelisierung angeht. Auch Mose wurde beispielsweise von der staatlichen Autorität verfolgt und bedroht, ebenso zahlreiche andere alttestamentliche Propheten. Bis auf diesen grundlegenden Sachverhalt erinnert mich aber nichts an der Ahab- und Isebelerzählung (die ich gerade extra nachgelesen habe :)) an die Geschichte mit Herodias und Herodes. Elija wird von der Königin bedroht, entkommt aber. Danach hat er eine Gottesbegegnung und kehrt wieder zurück, um zuerst nach Damaskus und dann wieder nach Israel zu gehen. In 1 Kön 21 unterwirft sich Ahab ja sogar auf das Wort des Elija hin und Gott schiebt das angedrohte Gericht auf. Für Römer dürfte dieser jüdische Prophet auch keine große Rolle gespielt haben. Die Verklärung mit Mose und Elija könnte also vielleicht eher eine jüdisch-christliche Herkunft haben? Das ist aber wahrscheinlich ohnehin eher eine theologische Frage.

Die von Dir genannte Josephus-Stelle kannte ich. Es wird aber mE nicht so recht deutlich, warum Herodes den Täufer zuerst bloß gefangen nehmen und erst später erst hinrichten ließ. Diese "Lücke" füllt eben die Herodiaserzählung. Es könnte sich dabei um eine spätere Legende handeln, aber eben auch um eine Geschichte, die bereits bei den Zeitgenossen des Täufers kursierte. In beiden Fällen - und das wäre für mich die historische Relevanz der Geschichte - zeigte sie, wie kritisch offenbar in manchen Kreisen die Rechtsprechung bei Hofe gesehen wurde.

An einer Stelle bin ich nämlich gänzlich anderer Meinung als Du: Herodes wird durch diese Geschichte keinesfalls entlastet oder in günstigem Licht dargestellt. Er erscheint vielmehr als ein Mann, der seinem Amt nicht gewachsen ist, sondern von seinen Launen und Begierden getrieben wird und sich leicht manipulieren lässt.

An der Stelle möchte ich nochmals auf die Amestris-Episode hinweisen. Herodot erzählt diese Geschichte ja nicht, um Xerxes zu entlasten, sondern eher, um die Probleme am persischen Hof deutlich zu machen, die das dortige Herrschaftssystem aus seiner Sicht mit sich brachte. Der Großkönig wirkt launenhaft und despotisch, gleichzeitig aber beeinflussbar und schwach. Er war sich nicht zu schade, sich an der Frau seines Sohnes Dareios zu vergreifen, erwies sich dann aber als unfähig, diese und ihre Mutter vor der Rache seiner eigenen Ehefrau zu schützen.
 
Überzeugend wirkt diese These aber erst, wenn du klar machst, warum die hypothetisch aus Täuferkreisen herrührende Legende nicht einfach Antipas als Hauptschuldigen am Tod des Täufers schildert, sondern den Umweg über Herodias nimmt, von deren Beteiligung bei Josephus nichts zu lesen ist. Ohne eine entsprechende Erklärung bleibt die These allzu vage.
Ich sehe das wir Caro91. Herodes Antipas kommt keineswegs gut weg, zumal es letztlich ja doch er ist, der den Hinrichtungsbefehl gibt. Das aber nicht einmal aus irgendeinem realpolitisch nachvollziehbaren Grund (wie bei Iosephus), sondern weil er sich selbst den Launen einer Frau ausgeliefert hat.

Im Übrigen ist das ja auch einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Flamininus-Geschichte (egal ob man der Cato- oder der Valerius Antias-Version folgt) und der Tänzerin-Geschichte: Herodes Antipas erscheint als schwächliche Marionette einer von zwei Frauen gesponnenen Intrige im Hintergrund. Aufgrund voreiliger Versprechungen und überflüssiger Schwüre bringt er sich selbst unnötig in eine Lage, in der er den Launen der Frauen ausgeliefert ist und nicht mehr anders kann, als gegen seinen Willen einen Mann töten zu lassen. Flamininus hingegen hat eine viel aktivere Rolle. Entweder bietet er gar proaktiv selbst die Tötung an (Cato) oder steht zumindest nicht unter Zwang, dem Wunsch seiner Geliebten nachzugeben (Valerius Antias).
Nächster Unterschied: Die Tänzerin ist ihrerseits nur eine Marionette der im Hintergrund agierenden Herodias. Bei Flamininus hingegen steckt niemand hinter dem oder der Geliebten.
Ein weiterer Unterschied: Flamininus' Verhalten ist in beiden Versionen sexuell motiviert: Er möchte seiner Geliebten bzw. seinem Geliebten eine Freude bereiten. Aus den Evangelien direkt hingegen ergibt sich nicht unmittelbar eine sexuelle Motivation des Herodes. Es ist nur allgemein von einem Wohlgefallen an Tanz und Tänzerin die Rede; das kann auch rein ästhetischer Natur sein. (Es steht jedenfalls nicht, dass er von Verlangen nach ihr ergriffen wurde, oder dergleichen.) Ein sexuelles Interesse des Herodes an der Tänzerin oder gar der Tänzerin an Iohannes ist eine schwülstige Interpretation späterer Zeiten.
 
Heute nur ein paar Ergänzungen zu meinem gestrigen Post:

beide praktizieren die Taufe

Diese Angabe findet sich allerdings nur in Joh, nicht in Mk, Mt und Lk. Sie entspringt also eher dem Einfallsreichtum des Joh-Autors als frühchristlichen oralen Überlieferungen/Legenden, wie sie den Synoptikern vorlagen. Zweimal heißt es in Joh, dass "Jesus taufte", dann aber in einem Zusatz einschränkend, dass nicht er, sondern seine Jünger dies taten:

Joh 3

22 Darnach kam Jesus und seine Jünger in das jüdische Land und hatte daselbst sein Wesen mit ihnen und taufte.
Joh 4

1 Da nun der HERR inneward, dass vor die Pharisäer gekommen war, wie Jesus mehr Jünger machte und taufte denn Johannes 2 (wiewohl Jesus selber nicht taufte, sondern seine Jünger) (...)
Bibelwissenschaftler wie Rudolf Bultmann, Jörg Jeremias und andere halten den Zusatz für eine spätere Einfügung (Interpolation). NT-immanent betrachtet macht die Einschränkung ohnehin keinen Unterschied, da die Jünger hier als von Jesus ´bevollmächtigt´ anzusehen sind , d.h. es ist irrelevant, ob Jesus persönlich oder seine Jünger die Taufhandlung durchführen, weil der Effekt der gleiche ist, siehe Mk 6, wo Jesus die Jünger ´bevollmächtigt´, Exorzismen durchzuführen:

7 Und er rief die Zwölf zu sich und begann, sie je zwei und zwei auszusenden, und gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister.
Die diversen Vorlagen erfüllen verschiedene Zwecke, die Teile eines übergeordneten Hauptzwecks sind.

Im Detail ist das so zu verstehen:

Als ´Hauptzweck´ der Herodias-Perikope ist die Analogisierung des Schicksals des Täufers mit dem Schicksal des Jesus gemeint, d.h. die Umstände seines Todes sind in analoger Weise den Umständen des Todes des Jesus anzugleichen. ´Analogie´ bedeutet ´Strukturähnlichkeit´, Beispiel: John und Jim prügeln sich um Jane. Analogien sind: James und Jack prügeln sich um Jean, Löwe und Hyäne kämpfen um tote Gazelle, Ehepaar streitet sich um TV-Programm, Russland und Ukraine streiten sich um Krim. Im Fall Täufer/Jesus sind die Analogie-Elemente durch die Passionsgeschichte vorgegeben. Im einzelnen:

+ Der Heros wird wegen seiner religiösen Überzeugung verhaftet.

+ Seine Hinrichtung wird durch einen politischen Herrscher angeordnet.

+ Der Herrscher erkennt zwar keine ausreichenden Grund für die Hinrichtung, wird von einer dritten Partei aber zur Befehligung genötigt, was ihn moralisch entlastet (= Teil der römerfreundlichen Strategie des Mk).

Nun weichen die Umstände der Hinrichtung des Täufers, so wie bei Josephus beschrieben, von jener Struktur deutlich ab: Es fehlt die den ´Juden´ in den Evangelien entsprechende dritte Partei, die für die moralische Entlastung des Herrschers sorgt. Daher muss eine dritte Partei ersonnen werden.

Hier kommen die Flamininus-Geschichte und das Buch Ester ins Spiel. Beide beschreiben ein Dreiecksverhältnis, das zur angestrebten Analogisierung der Todesumstände von Täufer/Jesus beitragen kann. Jede dieser Stories erfüllt einen Teilzweck, der dem übergeordneten Hauptzweck der Analogisierung dient.

Die Flamininus-Geschichte liefert das Grundmuster: Eine Frau nötigt einen Entscheidungsträger mittels ihrer erotischen Macht, einen Gefangenen auf einem Bankett köpfen zu lassen. Diese Konstellation ist leicht auf den Fall des Täufers zu übertragen: Antipas hält ihn als Gefangenen und ist mit Herodias verheiratet, welche die Position der den Entscheidungsträger manipulierenden Frau und damit der für die Analogisierung erforderlichen dritten Partei einnehmen kann. Das Köpfen des Gefangenen wird gleichfalls übernommen (Josephus lässt nichts Abweichendes über die Todesart verlauten). Das römische Bankett als Schauplatz des Dramas wird auf eine Geburtstagsfeier des Antipas umgeschrieben.

Es bleiben zwei Probleme:

(a)
Warum wünscht die dritte Partei, also Herodias, den Tod des Täufers?

(b)
Wie schafft sie es, den Entscheidungsträger auf dem Bankett zu manipulieren (entsprechend der erotischen Macht der Kurtisane)?

(a) wird gelöst, indem der Täufer als Ankläger der inzestuösen Ehe des Herrscherpaares hingestellt wird, der sich die dritte Partei, Herodias, damit zur Todfeindin macht. Da Josephus darüber nichts verlauten lässt, ist anzunehmen, dass die Zuschreibung der Anklage an den Täufer unhistorisch ist. Vermutlich wurde in orthodox-jüdischen Kreisen die Ehe des hellenistisch kultivierten Antipas aber tatsächlich kritisiert, was dann fiktional auf den Täufer übertragen werden konnte.

(b) ist komplizierter zu lösen. Es bedarf einer zusätzlichen Figur, die während des Banketts auf den Entscheidungsträger (analog zur Flamininus-Story) erotische Macht ausübt, da der Konvention der Zeit entsprechend die Herrschergattin nicht auf dem Bankett anwesend sein kann und sich als Ehefrau für die Rolle der erotischen Verführerin zum ´Bösen´, anders als eine Kurtisane, ohnehin nicht eignet. Diese Rolle übernimmt die tanzende Tochter der Herodias, ein Mädchen (korasion) knapp an der Schwelle zur jüdischen Volljährigkeit (12,5 Jahre).

Das Motiv des verführerischen Tanzens vor einem Herrscher ist vermutlich dem Ester-Buch entlehnt, wo (die fiktionale) Ester einen Schönheitswettbewerb vor den Augen des Königs gewinnt, der ihr die Königinschaft einbringt. Laut Rabbi Schimon und der modernen Bibelforschung ist die Performance bei diesem Wettbewerb als ein in Nacktheit ausgeführter Tanz zu verstehen, was auch logisch erscheint, da ein altorientalischer König genau wissen wollte, was er sich dauerhaft ins königliche Bett holt. Im manifesten Text werden Nacktheit und Tanz zwar nicht explizit gemacht, waren für kundige Leser damals aber leicht zwischen den Zeilen auszumachen:

Ester 2:

12 Der Reihe nach wurden alle Mädchen zu König Artaxerxes geholt. Zuvor waren sie, wie es für die Frauen Vorschrift war, zwölf Monate lang gepflegt worden; denn so lange dauerte ihre Schönheitspflege: sechs Monate Myrrhenöl und sechs Monate Balsam und andere Schönheitsmittel der Frauen.
13 Dann gingen die Mädchen zum König und alles, was sie sich aus dem Haus der Frauen wünschten, gab man ihnen in den Königspalast mit.
14 Am Abend gingen sie hinein und am Morgen kamen sie zurück und wurden in den zweiten Frauenpalast gebracht und dem königlichen Kämmerer Schaaschgas anvertraut, dem Aufseher der Nebenfrauen. Sie durften nicht mehr zum König gehen, außer wenn der König Gefallen an ihnen gefunden hatte und sie ausdrücklich rufen ließ.
15 Eines Tages war Ester, die Tochter Abihajils, des Onkels Mordechais, der sie als seine Tochter angenommen hatte, an der Reihe, zum König zu gehen. Sie wollte nichts mitnehmen, außer was der königliche Kämmerer Hegai, der Aufseher der Frauen, ihr nahelegte. Ester aber gefiel allen, die sie sahen.
16 Es war im zehnten Monat, dem Monat Tebet, im siebten Jahr der Regierung des Königs, als Ester zu Artaxerxes in den königlichen Palast geholt wurde.
17 Und der König liebte Ester mehr als alle Frauen zuvor und sie gewann seine Gunst und Zuneigung mehr als alle anderen Mädchen. Er setzte ihr das königliche Diadem auf und machte sie anstelle Waschtis zur Königin.
Anders als die Kurtisane bei Flamininus kann die Tänzerin auf dem Antipas-Bankett aber nicht unvermittelt die Hinrichtung eines Gefangenen wünschen, daher muss eine Situation konstruiert werden, in der dies möglich ist.

An dieser Stelle kommt nochmals das Ester-Buch ins Spiel, wo Ester dem Herrscher ein Blanko-Versprechen "bis zur Hälfte meines Königreichs" entlockt. Dieses Versprechen wird wortwörtlich auf den Antipas der fiktionalen Bankettszene übertragen und ermöglicht der dritten Partei (Herodias), ihren Todeswunsch nach dem Vorbild der römischen Kurtisane zu realisieren und damit die Analogisierung Täufer/Jesus zu komplettieren: Der Herrscher ordnet den Tod des Heros an, ohne moralisch dafür verantwortlich zu sein. Die eigentlich Schuldigen sind Dritte (Juden, Herodias). Um in der HP ein analoges Gegenstück zu den Juden der Passionsgeschichte zu schaffen, mussten also folgende Elemente kombiniert und funktional verdichtet werden: Kurtisane, Herodias, Tochter, Ester.
 
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Ich möchte Dich wirklich nicht angreifen, aber ich finde es ein bisschen schade, dass Du auf unsere Einwände gar nicht mehr eingegangen bist. Immerhin ist Deine These - der Versuch des Markus, die römischen Autoritäten zu besänftigen oder sogar vom christlichen Glauben zu überzeugen - ja davon abhängig, dass Herodes durch diese Geschichte wirklich entlastet werden soll - und eben das haben wir ja in Zweifel gezogen.

Auch die Verbindung, die Du hier zum Esterbuch schlägst, wurde ja bereits angefragt. Ravenik hatte darauf hingewiesen, dass in Mk 6 nicht steht, Herodes habe das Mädchen begehrt. Das ist zumindest eine Interpretation, was erst recht für die These gilt, die Tänzerin sei (vor dem ganzen Hof!) nackt gewesen - das dürfte für eine Tochter der Königin auch nicht sehr wahrscheinlich sein.

Aber auch vom Esterbuch her kann ich diese Verbindung nicht erkennen. Die Frauen treten ja gar nicht in einer "Schönheitskonkurrenz" an und tanzen auch nicht, sondern werden einfach zunächst wie Nebenfrauen behandelt und einzeln zum König geführt:

Ester 2 (Lutherbibel 2017): 2 Da sprachen die Männer des Königs, die ihm dienten: Man suche dem König schöne Jungfrauen, 3*und der König bestelle Aufseher in allen Provinzen seines Königreichs, dass sie alle schönen Jungfrauen zusammenbringen in die Festung Susa ins Frauenhaus in die Obhut Hegais, des königlichen Kämmerers, des Hüters der Frauen, und dass man ihre Schönheit pflege; 4*und das Mädchen, das dem König gefällt, werde Königin an Waschtis statt. Das gefiel dem König, und er tat so.
[...]
12*Wenn aber die bestimmte Zeit für eine jede Jungfrau kam, dass sie zum König Ahasveros kommen sollte, nachdem sie zwölf Monate nach der Vorschrift für die Frauen gepflegt worden war – denn ihre Pflege brauchte so viel Zeit, nämlich sechs Monate mit Balsam und Myrrhe und sechs Monate mit kostbarer Spezerei und was sonst zur weiblichen Pflege gehört –, 13*dann ging die Jungfrau zum König, und alles, was sie wollte, musste man ihr geben, dass sie damit vom Frauenhaus in den Palast des Königs ginge. 14*Und wenn sie am Abend hineingegangen war, ging sie am Morgen von ihm in das andere Frauenhaus, in die Obhut des Schaaschgas, des königlichen Kämmerers, des Hüters der Nebenfrauen. Und sie durfte nicht wieder zum König kommen, es sei denn, sie gefiele dem König und er ließe sie mit Namen rufen.


Ester gewinnt dann in der Folge das Herz des Königs. Was hat das denn mit einem einmaligen Tanz bei einem Bankett zu tun?
 
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Ich möchte Dich wirklich nicht angreifen, aber ich finde es ein bisschen schade, dass Du auf unsere Einwände gar nicht mehr eingegangen bist. Immerhin ist Deine These - der Versuch des Markus, die römischen Autoritäten zu besänftigen oder sogar vom christlichen Glauben zu überzeugen - ja davon abhängig, dass Herodes durch diese Geschichte wirklich entlastet werden soll - und eben das haben wir ja in Zweifel gezogen.
Dass Markus sein Evangelium speziell auf ein römisches Publikum ausgerichtet hat, um es von der Wahrheit des Christentums zu überzeugen, ist weitgehender Konsens in der Fachwelt, also keine "These" von mir, wenn du das meinst.

Wenn du mit "These" meinst, dass Markus aus römerfreundlichen Gründen Antipas (als Repräsentant des RR) durch dessen Darstellung in Mk 6 moralisch entlasten möchte, wie auch Pilatus in der Passionsgeschichte (auf unglaubwürdige Weise) moralisch entlastet wird, dann ist dazu zu sagen, dass diese These auch von Fachleuten vertreten wird, wie z.B. Morna D. Hooker, Cambridge-Professorin für Neues Testament, in ihrem Werk "The Message of Mark" (1983).

Auch im Lk-Evangelium wird Antipas tendenziell christentumfreundlich gezeichnet: Laut Lk 13,31 wünscht er zwar nach Auskunft der Pharisäer den Tod des Jesus. Zu einem späteren Zeitpunkt der Handlung heißt es aber an entscheidender Stelle (Passionsgeschichte) ganz gegenteilig, dass Antipas an Jesus "keine Schuld" findet (Lk 23,15). Auch hier wird Antipas positiv bzw. nicht-negativ, also in moralisch entlastender Weise, dargestellt.

Lk 23

13 Pilatus aber rief die Hohenpriester und die Oberen und das Volk zusammen 14 und sprach zu ihnen: Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht als einen, der das Volk aufwiegelt; und siehe, ich habe ihn vor euch verhört und habe an diesem Menschen keine Schuld gefunden, derentwegen ihr ihn anklagt; 15 Herodes auch nicht, denn er hat ihn uns zurückgesandt. Und siehe, er hat nichts getan, was den Tod verdient. 16 Darum will ich ihn schlagen lassen und losgeben.
Dass Antipas auch in der Herodias-Perikope moralisch entlastet wird, ist überdeutlich zu erkennen, besonders wenn man die dort beschriebenen Umstände des Todes des Täufers mit Josephus´ Bericht vergleicht.

Warum du und Ravenik sich damit so schwer tun, ist mir ein Rätsel.

Auch die Verbindung, die Du hier zum Esterbuch schlägst, wurde ja bereits angefragt. Ravenik hatte darauf hingewiesen, dass in Mk 6 nicht steht, Herodes habe das Mädchen begehrt. Das ist zumindest eine Interpretation?
Dass Antipas (als Figur in der fiktionalen Perikope) die Tänzerin nicht „begehrt“, wie Ravenik zu wissen glaubt, ist ein völlig falscher Schluss. Im Unterschied zum persischen König im Ester-Buch zeigt Antipas es ausschließlich auf symbolische Weise, nämlich durch das Angebot eines wertvollen Geschenkes (während der Perserkönig darüber hinaus konkreten Sex begehrt). Wer wie Antipas ein tanzendes Mädchen so attraktiv findet, dass er ihm ein halbes Königreich schenken würde, hat sexuelle Gründe, keine ästhetischen. Im Mk steht klar und deutlich, dass nicht der Tanz dem Antipas und seinen Gästen gefällt, sondern das Mädchen.

Zudem verbieten die Inzestregeln im Buch Leviticus eine sexuelle Beziehung zwischen Vater und Tochter nicht. In unserem Zusammenhang spielt das aber keine Rolle, da nicht ein konkreter Inzest zu diskutieren ist, sondern ein psychologischer, d.h. eine Inzestphantasie seitens des Antipas, egal ob als Vater oder als Stiefvater. Hinzu kommt, dass der König im Ester-Buch sein Versprechen aus sexuellen Gründen gibt. Wer immer dem Antipas das gleiche Versprechen (klar als Zitat aus dem Ester-Buch erkennbar) in den Mund gelegt hat, wird nicht nur selbst das sexuelle Motiv damit assoziiert, sondern diese Assoziation auch vom Leser erwartet haben.

Kurzum: Im Rahmen der fiktionalen Perikope ist Antipas´Gefallen an der Tänzerin als sexuell zu interpretieren. Alles andere ist unrealistisch.

Zurück zu Ester:

Hier ist nur eine von vielen Expertenmeinungen, dass das Ester-Buch auf die HP einen wesentlichen Einfluss ausübte. Man beachte die Bezugnahme auf Tanz und Nacktheit:

Prof. James Crossley, „Jesus and the Chaos of History“, S. 149:

The Book of Esther and the rewriting of the Book of Esther has had a clear influence on Mark 6:17-29, including references to women dancing naked at the banquet and a drunken Ahasueros wanting the same from Vashti.
Er sagt dort zwar nicht, dass auch Esters Auftritt vor dem König als Anregung für HP diente, man kann mit Blick auf den Kontext aber unschwer darauf schließen, dass der Schönheitswettbewerb für die neue Königin unter den gleichen Bedingungen (nackt tanzen) stand, die vorher der Königin Vashti gestellt, von ihr aber verweigert wurden, was wegen Beleidigung des Königs zu ihrem Todesurteil und anschließender Begnadigung und Verbannung führte.

Im Ester-Buch werden besagte Bedingungen für Vashti zwar nicht explizit gemacht, in der jüdischen Midrasch-Tradition (z.B. Ester Rabbah 1,11 und Megillah 12) in Kenntnis der persischen Sitten allerdings aus dem Text herausgelesen. Im ´Pirke de Rabbi Eliezer´, das auf sehr alte Quellen zurückgeht, wird im Abschnitt 49 festgestellt, dass die Könige von Medien die Gewohnheit hatten, den Anblick ihrer nackt tanzenden Frauen zu genießen. Der König im Ester-Buch, Ataxerxes, war König von Medien und Persien.

Unabhängig davon, dass das Ester-Buch fiktional ist, kann man also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass im Rahmen eines Schönheitswettbewerbs (um die Stelle der Königin) die Kandidatinnen ebenfalls nackt zu tanzen hatten. Dass dies auch für Ester gilt, die den Wettbewerb schließlich gewinnt, versteht sich von selbst.

Gleich, ob die anderweitig im Ester-Buch erwähnte freizügigen Szenen das Model für den Tanz in der HP waren, wie Prof. Crossley meint, oder ob die nackte Tanzperformance der Ester beim Contest die Vorlage liefert, wie meine Wenigkeit meint, ist also davon auszugehen, dass das Ester-Buch die HP nicht nur in puncto Blanko-Versprechen, sondern auch in puncto verführerischer Tanz beeinflusst hat.

was erst recht für die These gilt, die Tänzerin sei (vor dem ganzen Hof!) nackt gewesen - das dürfte für eine Tochter der Königin auch nicht sehr wahrscheinlich sein.
Wer hat denn gesagt, dass auch die Tänzerin in HP nackt vorzustellen ist? Ich habe lediglich vom Motiv des „verführerischen Tanzes“ geschrieben, das Mk 6 und Ester 2 gemeinsam ist:

Das Motiv des verführerischen Tanzens vor einem Herrscher ist vermutlich dem Ester-Buch entlehnt, wo (die fiktionale) Ester einen Schönheitswettbewerb vor den Augen des Königs gewinnt, der ihr die Königinschaft einbringt.
Wo steht dort, dass Herodias´Tochter nackt tanzt? Ich bitte also nachdrücklich um präziseres Lesen meiner Texte.

Aber auch vom Esterbuch her kann ich diese Verbindung nicht erkennen. Die Frauen treten ja gar nicht in einer "Schönheitskonkurrenz" an und tanzen auch nicht, sondern werden einfach zunächst wie Nebenfrauen behandelt und einzeln zum König geführt.
Natürlich handelt es sich um einen Schönheitswettbewerb. Schließlich konkurrieren die Frauen miteinander um die Gunst des Königs, und Gradmesser des Erfolgs ist ihre Schönheit.

H.M. Wahl, „Das Buch Esther: Übersetzung und Kommentar“, S. 77:

Ihre Teilnahme am Schönheitswettbewerb setzt voraus, dass sie in heiratsfähigem Alter ist.

Ester gewinnt dann in der Folge das Herz des Königs. Was hat das denn mit einem einmaligen Tanz bei einem Bankett zu tun?
Entschuldige bitte, aber ich kann und will das jetzt nicht zum fünften Mal erklären.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn du mit "These" meinst, dass Markus aus römerfreundlichen Gründen Antipas (als Repräsentant des RR) durch dessen Darstellung in Mk 6 moralisch entlasten möchte, wie auch Pilatus in der Passionsgeschichte (auf unglaubwürdige Weise) moralisch entlastet wird, dann ist dazu zu sagen, dass diese These auch von Fachleuten vertreten wird, wie z.B. Morna D. Hooker, Cambridge-Professorin für Neues Testament, in ihrem Werk "The Message of Mark" (1983).
[...]
Hier ist nur eine von vielen Expertenmeinungen, dass das Ester-Buch auf die HP einen wesentlichen Einfluss ausübte. Man beachte die Bezugnahme auf Tanz und Nacktheit
[...]
Wer hat denn gesagt, dass auch die Tänzerin in HP nackt vorzustellen ist? Ich habe lediglich vom Motiv des „verführerischen Tanzes“ geschrieben, das Mk 6 und Ester 2 gemeinsam ist

Es ist Dein gutes Recht, den Sachverhalt in dieser Weise zu sehen. Dennoch muss man ja fragen, welche Argumente dafür angeführt werden können. Das gilt auch dann, wenn Du mit Theologen oder Exegeten übereinstimmst, denn auch diese sollten ihre Thesen ja idealerweise belegen.

Für Ravenik kann ich natürlich nicht sprechen, aber aus meiner Sicht sind die von Dir gezogenen Verbindungen zwischen den verschiedenen Texten sehr allgemein und keineswegs zwingend. Außerdem widersprechen sie an einigen Stellen dem Wortlaut der Quellen.

Beispielsweise nennst Du erneut eine Bezugnahme auf "Tanz und Nacktheit", die angeblich aus dem Buch Ester stammen soll. Dort wird aber nirgends davon gesprochen, dass eine der Frauen nackt oder verführerisch oder sonst irgendwie tanzen soll. Weder eines der Mädchen, die Waschti als Königin nachfolgen sollen (sie sind einfach nur eine Nacht beim König; was sie dort genau zu tun hatten, um ihn für sich zu gewinnen, bleibt völlig offen) noch diese selbst wird damit in Verbindung gebracht. Warum auch?

Der König will seine (Haupt)Frau - die gleichzeitig mit dem seinen für die Männer ein Festmahl für die Damen gibt - seinen Gästen "vorführen", doch diese weigert sich. Es wird an keiner Stelle davon gesprochen, dass sie dabei nackt sein müsse (was auch etwas eigenartig und unüblich gewesen wäre, zumal sie ja gerade selbst ein Fest gab) und erst recht nicht davon, dass sie tanzen solle (was mit einer Krone auf dem Kopf auch nicht so leicht gewesen wäre; die Krone ist nämlich das einzige Utensil, das im Text genannt wird). Wo also siehst Du hier eine Verbindung? Das einzige, was an die Szene mit der Geschichte um Herodes und Herodias erinnert, ist das Gastmahl - und sogar das ist nicht dieselbe Situation, weil Waschti und Ahasveros ja zwei getrennte Gastmähler für Frauen und Männer geben. Und man wird nun auch nicht behaupten wollen, dass Gastmähler an Königshöfen so spezifisch seien, dass Geschichten darüber bloß durch direkte literarische Abhängigkeit erklärt werden könnten.
 
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Er sagt dort zwar nicht, dass auch Esters Auftritt vor dem König als Anregung für HP diente, man kann mit Blick auf den Kontext aber unschwer darauf schließen, dass der Schönheitswettbewerb für die neue Königin unter den gleichen Bedingungen (nackt tanzen) stand, die vorher der Königin Vashti gestellt, von ihr aber verweigert wurden, was wegen Beleidigung des Königs zu ihrem Todesurteil und anschließender Begnadigung und Verbannung führte.

Im Ester-Buch werden besagte Bedingungen für Vashti zwar nicht explizit gemacht, in der jüdischen Midrasch-Tradition (z.B. Ester Rabbah 1,11 und Megillah 12) in Kenntnis der persischen Sitten allerdings aus dem Text herausgelesen. Im ´Pirke de Rabbi Eliezer´, das auf sehr alte Quellen zurückgeht, wird im Abschnitt 49 festgestellt, dass die Könige von Medien die Gewohnheit hatten, den Anblick ihrer nackt tanzenden Frauen zu genießen. Der König im Ester-Buch, Ataxerxes, war König von Medien und Persien.
Im Buch Ester steht (1,11), dass die Königin im Diadem erscheinen sollte. Das könnte man zwar auch so interpretieren, dass sie nur ein Diadem tragen sollte und sonst nichts, naheliegender erscheint mir aber doch, dass gemeint war, sie solle im königlichen Ornat erscheinen.

"Pirke de Rabbi Eliezer" mag auf sehr alte Quellen zurückgehen, kann aber logischerweise trotzdem nur auf solche zurückgehen, die es überhaupt gab. Über die Meder und ihre Könige scheint es aber kaum zeitnah entstandene Quellen gegeben zu haben. Dass sich die Könige von Persien auch Könige von Medien nannten, berechtigt nicht automatisch zum Schluss, sie hätten auch dieselben Sitten gehabt.
Das Buch Ester hingegen enthält so manches über die Perser, was auch aus zeitgenössischen Quellen (insbesondere Herodot) bekannt ist. Im Zweifel sollte man dem Buch Ester daher wohl doch eine getreuere Darstellung des Lebens am persischen Hofe zutrauen als irgendeinem Werk aus dem frühen Mittelalter, bei dem ohnehin zu hinterfragen wäre, inwieweit es nicht vielleicht bloß das "sittenlose" Treiben am heidnischen medischen Königshof anprangern wollte.
 
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