Boxeraufstand in China: ein Völkermord Kaiser Wilhelm II.?

Die schulische Fragestellung, die zu diesem Themenstrang führte, ist unsinnig, da die Fakten die Vermutung des Genozids überhaupt nicht nahelegen.

Die ursprüngliche Frage ist ja zunächst einmal ergebnisoffen formuliert, sie forderte dazu auf, sich mit Definitionen von Völkermord auseinanderzusetzen und den Ereignissen 1900 in China und beides miteinander in Beziehung zu setzen. Ein Ergebnis war damit nicht vorweggenommen.

So hässlich diese Vorstellung ist: Was wir heute durchweg als empörend empfinden, konnte vor hundertsechzehn Jahren als gerecht oder vernünftig angesehen werden.
Was allerdings kein Grund für uns ist, darüber kein Urteil zu fällen. (Das tust du ja selbst auch, wenn du von zweitgenanntem Verbrechen sprichst.)
 
Die ursprüngliche Frage ist ja zunächst einmal ergebnisoffen formuliert, sie forderte dazu auf, sich mit Definitionen von Völkermord auseinanderzusetzen
Das schien mir nicht so, da das gewählte Beispiel sich m.E.n. der Fragestellung nicht eröffnet; aber über solche Fragen der Lesart lässt sich nicht streiten.
Was allerdings kein Grund für uns ist, darüber kein Urteil zu fällen. (Das tust du ja selbst auch, wenn du von zweitgenanntem Verbrechen sprichst.)
Schwierig, schwierig. Die Menschenrechte und gewisse andere Grundsätze gelten universell, und galten auch schon früher, universell und zu allen Zeiten — oder, um diese missverständliche Ausdrucksweise noch zu übertrumpfen: Sie galten, obwohl sie nicht galten, d.h., obwohl sie und ihre Geltung unbekannt waren. Ein Verbrechen, gleich wie lange es zurückliegt, ist deswegen stets ein Verbrechen.
Der Gedanke, den ich in Worte gießen wollte, lautet aber: Wenn wir moderne Maßstäbe anlegen wollen, werden wir nicht umhinkommen, uns mit allen diesen, also auch den Grundsätzen der Strafbarkeit nach heutigem Verständnis, zu befassen. Und dann wird es hässlich. Denn in vielen Fällen, wenn unter den Zeitgenossen eines Täters das Unrecht der Tat nicht als Faktum akzeptiert war, würde man nicht umhinkommen, den Täter von seiner Schuld freizusprechen. Wir hätten also ein Verbrechen, da nach heute vorherrschender Rechtslehre das Unrecht der Tat unabhängig von der Schuld des Täters besteht, aber keinen Verbrecher, der schuldhaft gehandelt hätte. Ob man Alfred von Waldersee (oder Lothar von Trotha nach ihm) mithin als Völkermörder bezeichnen könnte, müsste, selbst wenn man einen Genozid grundsätzlich bejahte, erst eingehend und auf der Basis zeitgenössischer Normen diskutiert werden. Zum Beispiel fällt auf, dass viel zeitgenössische Kritik an der Brutalität, mit welcher der Boxeraufstand niedergeschlagen wurde, das Leid unter der chinesischen Zivilbevölkerung nicht beachtete, sondern eher darauf abstellte, ein rechter Soldat habe sich anders zu verhalten. Nicht umsonst erregte seinerzeit der Raub chinesischer Kulturgüter die Weltöffentlichkeit anscheinend ärger als der Tod von soundsoviel Chinesen.

Danke für die Aufmerksamkeit, übrigens. Dieses Forum verleitet mich dazu, in einem Beitrag mehr zu schreiben, als sonst in einer ganzen Woche. :rotwerd:
 
Der Vergleich hinkt nicht nur. Er verkennt die militär-politische Ursache. Es waren Franzosen, Engländer und Deutsche an der Niederschlagung des Aufstandes beteiligt. Dies richtete sich gegen Kombatanten.

Es wird hierbei ein Zitat Wilhelm II. gerne falsch gedeutet. An die Soldaten, die nach China kommandiert waren, gerichtet, sagte er. "Ihr wisst, Gefangene werden nicht gemacht." Das ist doppeldeutig. Bezog er das auf die Soldaten oder auf den Gegner ?

Tatsächlich gingen deutsche Soldaten mit deutlicher Härte vor. Aus diesem Eindruck leitet sich das Zitat der Engländer ab: "Germans to the front.", wenn etwas erfolgreich sein soll. Daraus einen Genozid abzuleiten, ist zu weitgehend.
 
Es wird hierbei ein Zitat Wilhelm II. gerne falsch gedeutet. An die Soldaten, die nach China kommandiert waren, gerichtet, sagte er. "Ihr wisst, Gefangene werden nicht gemacht." Das ist doppeldeutig. Bezog er das auf die Soldaten oder auf den Gegner ?

Das Zitat wird gern falsch gedeutet, da hast Du recht. Falsch gedeutet wird es in der Absicht, Kaiser Wilhelm nachträglich reinzuwaschen.

Apropos "Zitat": Wie es genau lautete, lässt sich nicht mehr mit restloser Sicherheit feststellen. Am ehesten so, wie es von Journalisten mitstenographiert und am nächsten Tag in den Zeitungen erschien:

Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen...

(Nordwestdeutsche Zeitung, Bremerhaven, 28. Juli 1900)

Aber unabhängig vom genauen Wortlaut: Die Soldaten, die die Rede im Original gehört haben, haben jedenfalls keinerlei Doppeldeutigkeit bemerkt. Wilhelm II. muss sich da ganz unmissverständlich ausgedrückt haben:

Es dauerte nicht lange bis Majestät erschien. Er hielt eine zündende Ansprache an uns, von der ich mir aber nur folgende Worte gemerkt habe: 'Gefangene werden nicht gemacht, Pardon wird keinem Chinesen gegeben, der Euch in die Hände fällt.'
(Heinrich Haslinde, undatierter Tagebucheintrag)

'Pardon wird nicht gegeben, wer Euch in die Hände fällt, ist verloren', ein Wort, das uns allen aus der Seele gesprochen war.
(Dr. Georg Hillebrecht 27.7.1990)
Diejenigen Verwundeten, welche auf dem Schlachtfeld verblieben waren, wurden nach dem herrschenden Brauch in diesem Kriege in Erinnerung an das kaiserliche Wort 'Pardon wird nicht gegeben' niedergemacht
(Leopold von Troschke 28.2.1901)

Aber zu der Überzeugung bin ich gekommen, daß die Devise 'Kein Pardon' hier die einzig richtige ist, ja die einzig mögliche ist, und auf Grund meiner eigenen Erfahrung bekenne ich mich rückhaltlos zu diesem Standpunkt.
(Rudolf Zabel 1902)

"Alles, was uns in den Weg kam, ob Mann, Frau oder Kind, alles wurde abgeschlachtet. Nun, wie da die Weiber schrieen! Aber des Kaisers Befehl lautet: keinen Pardon geben! -; und wir haben Treue und Gehorsam geschworen und das halten wir auch."
(siehe auch)
 
Denn nach Rummels "Chinas blutiges Jahrhundert" ermordeten die Boxer rund 100000 Menschen, darunter alleine 32000 chinesische Christen, in konzertierten Aktionen. Demgegenüber fielen den ausländischen Truppen rund 5000 Chinesen zum Opfer, durch Verbrechen, die auf wenig bis gar keine Organisation hinweisen, sondern auf spontane Gewaltausbrüche in den Kriegswirren und danach.
Die Christenverfolgung durch die Boxer erfüllt alle Merkmale eines Völkermordes, kann aber die Greuleltaten der Gegenseite nicht rechtfertigen, auch wenn der Kaiser das damals anders gesehen hat.
Genauso wenig können diese Greueltaten der "Boxer" mit dem Freiheitskampf gegen die Kolonialmächte gerechtfertigt werden.

Wichtig für die Frage, ob die Grausamkeiten zu jener Zeit üblich waren oder ob es sich bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes ein neues Level der Grausamkeit erreicht wurde ist, ob bei Aufständen in Europa auf die gleiche Weise vorgegangen wurde. Die Grausamkeiten bei der Niederschlagung der Pariser Kommune ("Blutwoche" 1871) könnten für einen zeitnahen Vergleich herangezogen werden. In Paris wurde auch kein Pardon gegeben - ganz ohne Rassismus wurden Männer, Frauen und Kinder niedergemacht.
 
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Die Christenverfolgung durch die Boxer erfüllt alle Merkmale eines Völkermordes,

Das ist eine durchaus provokante These, die ich für falsch halte, und deswegen die Nachfrage, ob es Deine persönliche Bewertung ist, oder ob es zusätzliche Belege dafür gibt? Also:

1. Welcher Historiker hat jemals sowas behauptet und wie wurde es begründet?

2. Welcher Genozidforscher ordnet die Verfolgung der Christen durch die Boxer als "Genozid" ein.

3. Wieso erfüllt ein Massenmord, der im Rahmen bürgerkriegsähnlicher Zustände von Chinesen an Chinesen verübt wurde, "alle Merkmale eines Völkermords".

Überflüssig zu sagen, dass sämtliche Bücher, die ich zu dem Themen im Zugriff habe, derartiges nicht thematisieren. Wie beispielsweise nicht genannt bei Chalk & Jonassohn

https://books.google.co.id/books?id=UgzAi1DD75wC&printsec=frontcover&dq=the+history+and+sociology+of+genocide&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjz7Oihu6TTAhVH8RQKHWMkAq4Q6AEIJTAA#v=onepage&q=the%20history%20and%20sociology%20of%20genocide&f=false

Wichtig für die Frage, ob die Grausamkeiten zu jener Zeit üblich waren oder ob es sich bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes ein neues Level der Grausamkeit erreicht wurde ist, ob bei Aufständen in Europa auf die gleiche Weise vorgegangen wurde. Die Grausamkeiten bei der Niederschlagung der Pariser Kommune ("Blutwoche" 1871) könnten für einen zeitnahen Vergleich herangezogen werden.

Ob man die Grausamkeiten vergleichen kann, sei dahingestellt. Man kann den Bürgerkrieg im Vendee im Rahmen der Französischen Revolution ebenfalls dazu zählen.

Vergleichbar ist es vermutlich dennoch in anderer Hinsicht:

- Es waren - asymmetrische - Bürgerkriege
- Es waren extrem ideologisch (Religion als Unterform einer Ideologie) motivierte Konflikte
- Es drohte den Beteiligten bei Mißerfolg - in diesem Fall den Boxern -
eine - subjektiv übersteigerte - Deprivation, da die "Boxer" die chinesischen Christen als chinesische Konvertiten mit verantwortlich machten für den Niedergang Chinas.

Und es waren in allen Fällen Massenmorde, aber weder eine ethnische Säuberung noch ein Genozid, bei dem Chinesen sich selber - als Chinesen - ausgerottet haben.

Und Bürgerkriege haben nun mal das fast durchgängige Merkmal von ausgeprägter Härte, Mitleidslosigkeit und Brutalität
 
Zuletzt bearbeitet:
Das war mit "falsch gedeutet" gemeint. Durch die doppeldeutige Phrase rechtfertigten die Soldaten ihre spätere Tat, ohne dass Wilhelm II. sich vorwerfen lassen müsste, dazu aufgefordert zu haben. Also konnten sich Beide (Kaiser und Soldaten) "reinwaschen".
Die Presse dürfte das Zitat auch in ihrem zeitgenössischen Selbstverständnis wiedergegeben haben. Ein authorisierter Text ist wohl nicht vorhanden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist eine durchaus provokante These, die ich für falsch halte, und deswegen die Nachfrage, ob es Deine persönliche Bewertung ist, oder ob es zusätzliche Belege dafür gibt?
Ja, das ist eine eigene Bewertung - ohne irgendeine Grundlage.
(Das habe ich mir ganz alleine ausgedacht.):winke:
Meine Meinung ist keineswegs ein Geschmacksurteil.

3. Wieso erfüllt ein Massenmord, der im Rahmen bürgerkriegsähnlicher Zustände von Chinesen an Chinesen verübt wurde, "alle Merkmale eines Völkermords".
Nach der üblichen Definition von Völkermord (zurückgehend auf Lemkin), bezieht sich Völkermord nicht nur auf die Vernichtung von Völkern, sondern auch auf die Vernichtung von religiösen Gruppen. Die Christen in China sind unzweifelhaft eine religiöse Gruppe.
Die Ermordung von 32.000 Christen in China war vielleicht geeignet, um diese religiöse Gruppe in China zu vernichten.
Über die genaue Absichten und Ziele der "Boxer" ist mir wenig bekannt. Viele Details die über Christenfeindlichkeit, Chauvinismus, Antikolonialismus und Kaisertreue hinausgehen scheint es nicht zu geben.
Die Parole von Zhu Hongdeng zielt klar auf die Zerstörung von Menschen ab: "Revive the Qing and destroy the foreigners." (vgl. Wikipedia)
Die chinesischen Christen waren für die "Boxer" keine richtigen Chinesen mehr, sondern Teil der zu vernichtenden Fremden. Neben der Wiederherstellung der kaiserlichen Herrschaft war die Vernichtung der Fremden das politische Hauptziel der "Boxer". (Abweichend wird dies auch als Freiheitskampf bewertet.)

Und es waren in allen Fällen Massenmorde, aber weder eine ethnische Säuberung noch ein Genozid, bei dem Chinesen sich selber - als Chinesen - ausgerottet haben.
Dass Täter und Opfer der selben ethnischen, nationalen oder rassischen Gruppen angehörten ist ziemlich irrelevant, wenn die Religionszugehörigkeit das Unterscheidungsmerkmal ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Durch die doppeldeutige Phrase rechtfertigten die Soldaten ihre spätere Tat, ohne dass Wilhelm II. sich vorwerfen lassen müsste, dazu aufgefordert zu haben. Also konnten sich Beide (Kaiser und Soldaten) "reinwaschen".

Wo wird denn berichtet, dass der Kaiser oder einer der beteiligten sich hat "reinwaschen" wollen. Man war vielmehr überzeugt, das richtige zu tun.

Die Landnahme in China durch die Großmächte gehört zweifelsfrei zu den dunklen Seiten des Imperialismus, dennoch kann man darauf verweisen, dass die chinesische Region, die unter deutscher Verwaltung - der Marine !! - stand, teilweise vorbildliche Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt hatte.

Die Presse dürfte das Zitat auch in ihrem zeitgenössischen Selbstverständnis wiedergegeben haben.

Doch und die Verweise sind bereits in diesem Thread vorhanden. Man sollte sich schon ein wenig mit einem Thread oder einem Thema beschäftigen, bevor man irgendwelche nicht zutreffende Statements macht, die als "Relativierung" bzw. Apologie gewertet werden können

Von hatl kam in #136 der Hinweis auf die - offizielle und authorisierte -
Version des AA. Die ist verbindlich! Ähnlich hat Sepiola umfangreiche Belege vorgelegt zum Inhalt der Rede. Und von mir kam der Hinweis auf Bülow, der immerhin als Reichskanzler anwesend war und versucht hatte, die Veröffentlichung der Rede in den Zeitungen zu blockieren. Und in seinen "Denkwürdigkeiten" reproduziert.

Daneben ist auch zu betonen, dass es kein "Ausrutscher" war, den sich KW II geleistet hatte, sondern mindestens eine sinngemäße Reden erfolgte in dieser Phase.

Nochmal der Text in Langform, auf den hatl in #136 verwiesen hat, um die zensierte und die unzensierte Version zu präsentieren.

Wilhelm II. hielt diese Rede im Juli 1900 in Bremerhaven vor den deutschen Truppen, die zur Niederschlagung des Boxeraufstandes nach China entsendet wurden. Die Ansprache ist ein klarer Beleg für die scharfe, stark
nationalistisch gefärbte Sprache des Kaisers und betont seine
Vision der deutschen Großmachtstellung. Es existierten zwei Fassungen der Rede. Das Auswärtige Amt stellte bei Überarbeitung der Originalversion sicher, dass einer der letzten Absätze gestrichen wurde, da man befürchtete, dass die darin enthaltenen provozierenden Bemerkungen diplomatischen Anstoß erregen könnten. Die entstandene „offizielle“ Version ist
hier veröffentlicht, wobei die umstrittene Passage jedoch am Ende beigefügt ist.

Bremerhaven, 27. Juli 1900
"Große überseeische Aufgaben sind es, die dem neu entstandenen Deutschen Reiche zugefallen sind, Aufgaben weit größer, als viele Meiner Landsleute es erwartet haben. Das Deutsche Reich hat seinem Charakter nach die Verpflichtung, seinen Bürgern, wofern diese im Ausland bedrängt werden, beizustehen. Die Aufgaben, welche das alte Römische Reich deutscher Nation nicht hat lösen können, ist das neue Deutsche Reich in der Lage zu lösen.
Das Mittel, das ihm dies ermöglicht, ist unser Heer.

In dreißigjähriger treuer Friedensarbeit ist es herangebildet worden nach den GrundsätzenMeines verewigten Großvaters. Auch ihr habt eure Ausbildung nach diesen Grundsätzen erhalten und sollt nun vor dem Feinde die Probe ablegen, ob sie sich bei euch bewährt haben.

Eure Kameraden von der Marine haben diese Probe bereits bestanden, sie haben euch gezeigt, daß die Grundsätze unserer Ausbildung gute sind, und Ich bin stolz auf das Lob auch aus Munde auswärtiger Führer, das eure Kameraden draußen sich erworben haben. An euch ist es, es ihnen gleich zu tun.

Eine große Aufgabe harrt eurer: ihr sollt das schwere Unrecht, das geschehen ist, sühnen. Die Chinesen haben das Völkerrecht umgeworfen, sie haben in einer in der Weltgeschichte nicht erhörten Weise der Heiligkeit des Gesandten, den Pflichten des Gastrechts Hohn gesprochen.

Es ist das um so empörender, als dies Verbrechen begangen worden ist von einer Nation, die auf ihre uralte Kultur stolz ist. Bewährt die alte preußische Tüchtigkeit, zeigt euch als Christen im freundlichen Ertragen von Leiden, möge Ehre und Ruhm euren Fahnen und Waffen folgen, gebt an Manneszucht und Disziplin aller Welt ein Beispiel.

Ihr wißt es wohl, ihr sollt fechten gegen einen verschlagenen, tapferen, gut bewaffneten, grausamen Feind. Kommt ihr an ihn, so wißt: Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Führt eure Waffen so, daß auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. Wahrt Manneszucht. Der Segen Gottes sei mit euch, die Gebete eines ganzen Volkes, Meine Wünsche begleiten euch, jeden einzelnen. Öffnet der Kultur den Weg ein für allemal! Nun könnt ihr reisen! Adieu Kameraden
!"

Die inoffizielle, aber korrekte Version der entscheidenden Textpassage lautete wie folgt:

"Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein
Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen
!"

Quelle: Johannes Penzler, Hg., Die Reden Kaiser Wilhelms II. Bd. 2: 1896-1900. Leipzig o.J., S.209-12.

Abdruck der inoffiziellen Version in Manfred Görtemaker: Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien. Opladen, 1996. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 274, S. 357.
 
Ja, das ist eine eigene Bewertung - ohne irgendeine Grundlage.

Dann muss ich das nicht diskutieren, weil der Beleg fehlt und die Begründung ist sehr subjektiv.

Ansonsten: Vielleicht solltest Du Dich doch - erneut - ein wenig mit der Diskussion um den Begriff des "Genozids" beschäftigen, damit nicht die Opfer plötzlich zu Tätern eines angeblichen Genozids werden.

Und in der theoretischen Diskussion (vgl. Link) hast Du Dich weitgehend rausgehalten, als es über juristische Sichten hinausging und ich werde die Argumentation nicht hier wiederholen.

Aber Deine Sicht auf einen - angeblichen - religiös motivierten "Genozid" entspricht noch nicht einmal der damaligen Sicht von Lemkin. Da aus seiner Sicht weitere Merkmale zwingend notwendig sind, wie u.a. konzertiertes Handeln. Insgesamt verwendest Du ein sehr eindimensionales Verständnis von Genozid und begründest es auch nicht, warum andere Aspekte einfach wegfallen.

Und bei Lemkin ist auch die Diskussion in der Genozidforschung nicht stehen geblieben und hat trotzdem nicht den Boxeraufstand als Thema eines "Genozids" entdeckt.

http://www.geschichtsforum.de/f76/massaker-und-v-lkermorde-ein-weiterer-diskussionsversuch-34441/

Über die genaue Absichten und Ziele der "Boxer" ist mir wenig bekannt. Viele Details die über Christenfeindlichkeit, Chauvinismus, Antikolonialismus und Kaisertreue hinausgehen scheint es nicht zu geben.

Du bist Dir sicher, dass es sich bei dem Massaker um einen Genozid gehandelt hat, aber hast Dich mit der Situation in China nicht wirklich beschäftigt.

Es ging im Kern nicht um "Christenfeindlichkeit" und der Konflikt war auch nicht religiöser Natur. Es ging um eine kulturelle Hegemomie, die Gramsci sehr anschaulich beschrieben hatte, die die christlichen Mächte über China ausüben wollten. Es ging um die Durchsetzung der weltlichen Macht in China und die Intervention der Christen in das soziale, politische und wirtschaftliche Leben in China. Zumindest diese Angst war eine zentrale Motivation der Boxer. Und die Durchsetzung der Hegemonie erfolgte nicht unwesentlich durch den christlichen Glauben als Ideologie und die christlichen Missionen als Ort der Organisaton von weltlicher und religiöser Macht. Und somit richtete sich die Wut der Boxer gegen ein Symbol der Hegemoniebestrebung und traf die Missionen und alle, die in diesem Umfeld agierten.

In diesem Sinne war es ein Krieg in einer Kolonie, bei der die chinesischen Christen als Stellvertreter der europäischen Mächte durch die Boxer angegriffen wurden.

Sie wären nicht das Opfer eines Massakers geworden bzw. hätten problemlos diesem Massaker ausweichen können, sofern die europäischen Mächte ihre hegemonialen Bestrebungen eingestellt hätten und die Kirchen lediglich spirituellen Zielen gedient hätten .

Oder die chinesischen Christen zum Buddhismus rekonvertiert wären und somit ihre herausgehobene soziale Position verloren hätten.

Von Genozid weiterhin weit und breit keine Spur, aber dafür ein übles koloniales Massaker, für das die traditionellen Kolonialmächte, also nicht die Deutschen, die eigentliche politische Verantwortung seit den Opiumkriegen und deren Konsequenzen im Rahmen des Niedergangs Chinas im 19.Jahrhundert zu tragen haben.
 
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Die von Bülow zensierte, "offiziöse" (im nichtamtlichen Teil des Reichsanzeigers veröffentlichte) wird hier der in der Nordwestdeutschen Zeitung veröffentlichten - dem Original näherkommenden - Version gegenübergestellt:

(GES,M) Kaiser Wilhelm II: Der Text der "Hunnenrede" - Eine Gegenüberstellung der beiden Versionen

Von Bülow hat die Rede in vielen Formulierungen geändert und insgesamt etwa um ein Drittel gekürzt. Wilhelm II. soll darob "not amused" gewesen sein:

Bei der Abendtafel wurden die Zeitungen gebracht. Der Kaiser griff nach ihnen und wahr sehr verwundert, seine Rede nur in der ihr von mir gegebenen Fassung, d. h. unter Weglassung der bedenklichen Wendungen, zu finden. "Sie haben ja gerade das Schönste weggestrichen", meinte er zu mir, der ich ihm gegenübersaß, weniger erzürnt als enttäuscht und betrübt. Da wurde ein kleines, in Wilhelmshaven erscheinendes Blatt gebracht, das die kaiserliche Rede in extenso veröffentlicht hatte. Ein Mitarbeiter dieses Blättchens hatte, auf einem Dache sitzend, die Rede nachstenographiert und sofort publiziert, ohne daß Wiegand oder ich es hatten hindern können. Er hatte auch schon die betreffende Nummer seines Blattes nach Bremen, Hamburg, Hannover, Emden und Berlin in Tausenden von Exemplaren expediert, froh über das gute Geschäft, das er machen würde. Der Kaiser war entzückt, als er nun seine Rede in ihrem vollen Wortlaut las, aber weniger erfreut, als ich, während er nachher seine Zigarre rauchte, ihn über seine Auslassungen zur Rede stellte ...



Das Ganze wurde 1976 von Bernd Sösemann in der Abhandlung "Die sog. Hunnenrede Wilhelms II, textkritische und interpretatorische Bemerkungen zur Ansprache des Kaisers vom 27. Juli 1900 in Bremerhaven" veröffentlicht in "Historische Zeitschrift, Band 222" detailliert untersucht.

Die Version, die Sösemann zitiert, entstammt der "Weser-Zeitung" und dem "Wilhelmshavener Tagblatt" vom 29. Juli.
Sie ähnelt sehr der oben verlinkten unzensierten Version, weicht aber in einzelnen Formulierungen ab. Ich zitiere sie komplett:

"Die Ansprache des Kaisers an die Truppen des ostasiatischen Expeditionskorps lautet, wie die hiesige Filiale des officiösen Wolff'schen Telegraphenbureaus meldet, wörtlich wie folgt:


Zum ersten Mal, seitdem das deutsche Reich wieder erstanden ist, tritt an Sie eine große überseeische Aufgabe heran. Dieselben sind früher in größerer Ausdehnung an uns herangetreten, als die meisten Meiner Landsleute erwartet haben. Sie sind die Folgen davon, daß das deutsche Reich wieder erstanden ist und damit die Verpflichtung hat, für seine im Auslande lebenden Brüder einzustehen, im Momente der Gefahr. Mithin sind nun die alten Aufgaben, die das alte römische Reich nicht hat lösen können, von neuem hervorgetreten und das neue deutsche Reich ist in der Lage, sie zu lösen, weil es ein Gefüge bekommen hat, das ihm die Möglichkeit dazu giebt. Durch unser Heer, in 30jähriger angestrengter, harter Friedensarbeit, sind viele hunderttausende von Deutschen zum Kriegsdienst herangebildet worden. Ausgebildet nach den Grundsätzen Meines verewigten großen Großvaters, bewährt in drei ruhmvollen Kriegen, sollt Ihr nunmehr auch in der Fremde drüben [Zeugniß] ablegen, ob die Richtung, in der wir uns in militärischer Beziehung bewegt haben, die rechte sei. Eure Kameraden von der Marine haben uns schon gezeigt, daß die Ausbildung und Grundsätze, nach denen wir unsere militärischen Streitkräfte ausgebildet haben, die richtigen sind und an Euch wird es sein, es ihnen gleich zu thun. Nicht zum geringsten erfüllt es uns alle mit Stolz, daß gerade aus dem Munde auswärtiger Führer das höchste Lob unseren Streitern zuerkannt wurde.
Die Aufgabe, zu der Ich Euch hinaussende, ist eine große. Ihr sollt schweres Unrecht sühnen. Ein Volk, das, wie die Chinesen, es wagt, tausendjährige alte Völkerrechte umzuwerfen und der Heiligkeit der Gesandten und der Heiligkeit des Gastrechts in abscheulicher Weise Hohn spricht, das ist ein Vorfall, wie er in der Weltgeschichte noch nicht vorgekommen ist und dazu von einem Volke, welches stolz ist auf eine vieltausendjährige Cultur. Aber Ihr könnt daraus ersehen, wohin eine Cultur kommt, die nicht auf dem Christenthum aufgebaut ist. Jede heidnische Cultur, mag sie noch so schön und gut sein, geht zu Grunde, wenn große Aufgaben an sie herantreten. So sende ich Euch aus, daß Ihr bewähren sollt einmal Eure alte deutsche Tüchtigkeit, zum zweiten die Hingebung, die Tapferkeit und das freudige Ertragen jedweden Ungemachs und zum dritten Ehre und Ruhm unserer Waffen und Fahnen. Ihr sollt Beispiele abgeben von der Manneszucht und Disciplin, aber auch der Ueberwindung und Selbstbeherrschung. Ihr sollt fechten gegen eine gut bewaffnete Macht, aber Ihr sollt auch rächen, nicht nur den Tod des Gesandten, sondern auch vieler Deutscher und Europäer. Kommt Ihr vor den Feind, so wird er geschlagen, Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht gemacht. Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Ueberlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bekannt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen. Ihr werdet mit Uebermacht zu kämpfen haben, das sind wir ja gewöhnt, unsere Kriegsgeschichte beweist es. Ihr habt es gelernt aus der Geschichte des Großen Kurfürsten und aus Eurer Regimentsgeschichte. Der Segen des Herrn sei mit Euch, die Gedanken eines ganzen Volkes begleiten Euch, geleiten Euch auf allen Euren Wegen. Meine besten Wünsche für Euch, für das Glück Eurer Waffen werden Euch folgen! Gebt, wo es auch sei, Beweise Euren Muthes, und der Segen Gottes wird sich an Eure Fahnen heften und es Euch geben, daß das Christentum in jenem Lande seinen Eingang finde. Dafür steht Ihr Mir mit Eurem Fahneneid, und nun glückliche Reise. Adieu Kameraden."
 
Aber Deine Sicht auf einen - angeblichen - religiös motivierten "Genozid" entspricht noch nicht einmal der damaligen Sicht von Lemkin.
Ich habe an keiner Stelle behauptet, dass der Genozid religiös motiviert war. (Christenfeindlichkeit ist an sich keine Religion und muss auch nicht religiös begründet werden oder religiös motiviert sein.) Ich habe behauptet, dass die chinesische Christen eine religiöse Gruppe waren.

Und in der theoretischen Diskussion (vgl. Link) hast Du Dich weitgehend rausgehalten, als es über juristische Sichten hinausging und ich werde die Argumentation nicht hier wiederholen.
Ich muss zugeben, dass ich auch hier mit der engen Legaldefinition der UN-Konvention gearbeitet habe, die im wesentlichen auf Lemkins Theoriebildung basiert.

Da aus seiner Sicht weitere Merkmale zwingend notwendig sind, wie u.a. konzertiertes Handeln. Insgesamt verwendest Du ein sehr eindimensionales Verständnis von Genozid und begründest es auch nicht, warum andere Aspekte einfach wegfallen.
Hier wäre zu prüfen, ob die "Boxer" nach einem zentralen Plan gehandelt haben oder chaotisch und spontan agierten. Generell schwierig, weil nur wenig über die Interna der "Boxer" bekannt ist.

Es ging im Kern nicht um "Christenfeindlichkeit" und der Konflikt war auch nicht religiöser Natur.
Richtig, deshalb lautete die Parole der "Boxer" schlicht und einfach "Vernichtet die Fremden".

Zumindest diese Angst war eine zentrale Motivation der Boxer.
Angst ist die zentrale Motivation der meisten Menschen, die Gewalt ausüben.

In diesem Sinne war es ein Krieg in einer Kolonie, bei der die chinesischen Christen als Stellvertreter der europäischen Mächte durch die Boxer angegriffen wurden.
So wie die anatolischen Armenier als Stellvertreter für die zaristische Kaukasusexpansion ermordet wurden. Der Begriff "der 5. Kolonie" wurde zwar erst im Spanischen Bürgerkrieg geprägt, aber die Denkfigur funktioniert schon vorher als Rechtfertigung für die Massakrierung von unschuldigen, angeblichen Kollaborateuren.

Sie wären nicht das Opfer eines Massakers geworden bzw. hätten problemlos diesem Massaker ausweichen können, sofern die europäischen Mächte ihre hegemonialen Bestrebungen eingestellt hätten und die Kirchen lediglich spirituellen Zielen gedient hätten .
Und sind die chinesischen Christen auch noch selbst schuld, dass sie von den "Boxern" gehasst und ermordet wurden?
Vielleicht solltest du den chinesischen Christen den Boxeraustand verzeihen.

Oder die chinesischen Christen zum Buddhismus rekonvertiert wären und somit ihre herausgehobene soziale Position verloren hätten.
Eine erzwungene Konvertierung hätte das Ende der Gruppenidentität der chinesischen Christen bedeutet, was einem Genozid ohne Massaker gleichkommt.
 
Eine erzwungene Konvertierung hätte das Ende der Gruppenidentität der chinesischen Christen bedeutet, was einem Genozid ohne Massaker gleichkommt.

Die unklare Nutzung des Begriffs des "Genozids" wird fortgesetzt. Das ist insofern mehr als problematisch, weil der Begriff seine Bedeutung verliert.

Und es trifft der Befund zu, den Barth (Genozid) in Hinblick auf eine Aufweichung der Definition formuliert hat: "Auch ist diese Definition so allgemein, dass sie auf faktisch jedes Massaker und jeden Massenmord zutrifft." (S 23).

Dieses vor allem auch vor dem Hintergrund, dass ein Genozid aus der Sicht des handelnden Täters eine staatliche Gruppierung / Organisation vorausgesetzt hat und damit zusammenhängend eine Handlungsabsicht. Um die Zielgerichtetheit einer Handlung zu verdeutlichen.

Und um die Kategorie des "Genozids" gegenüber Massakern oder anderen Formen des Massenmords abzugrenzen.

In diesem Sinne war die Tötung der chinesischen Christen sicherlich kein Genozid im klassischen Verständnis des Konstrukt. Wobei ich anerkennen muss, dass es Theoretiker gibt, die für fast jede Form von - massenhafter und / oder gezielter - Tötung auch gerne den Begriff des Genozids verwenden. Was ich persönlich weiterhin für sinnfrei halte, da ein "Massenmord" oder ein "Massaker" m.E. in seiner grundsätzlichen Abscheulichkeit auf einer Ebene mit einem Genozid steht.

Dennoch: Man sollte sich zumindest rudimentär mit der Rolle des Christentums in China beschäftigen. Das seit dem frühesten Aufbau immer auch durch die autoritäre Forderung der imperialistischen Mächte gegenüber den chinesischen Kaisern bestimmt war und somit ein Instrument der Politik war.

Zur Beschreibung der Situation ist anzumerken, dass bis 1949 (vgl. Klein, S. 280) lediglich 0,2 Prozent der Chinesen Christen waren. Es sich somit um eine sehr kleine Gruppe handelte, die geographisch relativ nahe an den Missionen anzutreffen war. Es ist somit auch unter soziologischen Gesichtspunkten schwer, sie zu beschreiben und ihre eigenständige Kultur zu fassen.

Zur Situation vor den Boxerkriegen schreibt Klein: „ Das oftmals aggressive Auftreten der Missionare und ihrer chinesischen Mitarbeiter, besonders ihre Unduldsamkeit gegenüber allen Formen chinesischer Religion führte zu Spannungen zwischen Christen und Nichtchristen, die sich häufig in in gewaltsamen antichristlichen Ausschreitungen, den sogenannten Missionszwischenfällen entlud. Deren politische Instrumentalisierung [durch die imperialistischen Großmächte], insbesondere in den Jahren 1890er Jahren, verschärfte die Auseinandersetzung noch…“

Ähnlich wird die Situation bei Vogelsang beschrieben, der die Intervention der Missionare zugunsten der christlichen Chinesen bei Streitigkeiten als einen zentralen Punkt der direkten Unzufriedenheit benennt. (vgl. ähnlich Fenby)

Eingebunden ist diese Situation, so die Arbeiten von Cohen und Esherick in einen „Modernisierungskonflikt“, bei dem traditionelle und teils archaische bzw. schamanistische Vorstellungen über das Leben und die Natur eine Rolle gespielt haben. Dieses Gleichgewicht, so die Sicht der „Boxer“ auf die christlichen Missionen wurde durch die Fremden gestört und war eine der zentralen Gründe für die Erklärung bzw. Schuldzuweisungen der teils verheerenden Dürren in China zu der Zeit.

Das ließe sich deutlich ausführlicher gerade mit Hilfe von Cohen, Xiang und Esherick ausführen, was eigentlich auch sinnvoll wäre, da der entsprechende Beitrag auf Wiki zum „Boxeraufstand“ schlichtweg schlecht ist und Lichtjahre entfernt von aktuellen Bezügen zum Forschungsstand.

Hier wäre zu prüfen, ob die "Boxer" nach einem zentralen Plan gehandelt haben oder chaotisch und spontan agierten. Generell schwierig, weil nur wenig über die Interna der "Boxer" bekannt ist.

Viele der Aktionen der Boxer waren unkoordiniert und folgen keinem zentralen Plan. Und das wird auch als Erklärung herangezogen, warum die Belagerung der Botschaften letztlich keinen Erfolg hatte.

Und sind die chinesischen Christen auch noch selbst schuld, dass sie von den "Boxern" gehasst und ermordet wurden?
Vielleicht solltest du den chinesischen Christen den Boxeraustand verzeihen.

Das ist natürlich eine polemisch Überzeichnung. Und mein Verweis, ähnlich bei Klein oder Vogelsang, deutet darauf hin, dass der Boxeraufstand durchaus als eine frühe Form eines Befreiungskrieges gedeutet werden kann, wie beispielsweise bei Mishra (S. 198ff). Der Parallelen zieht zwischen Aufständen in Indien und in China.

In diesem Sinne haben die christlichen Missionen zur Eskalation des Konflikts beigetragen. Und Konflikte in China zwischen rivalisierenden Gruppierungen waren in dieser Periode extrem „blutig“ Alleine der Bürgerkrieg aus der Periode,der Krieg der Qing gegen die Taiping-Bewegung, hat ca. 20 Millionen Chinesen das Leben gekostet.

Ein Hinweis auf die extrem hohen Verluste an Menschenleben in den kommenden Jahren im Rahmen der Chinesischen Revolutionen nach 1911.
Von daher sollte man schon die Verluste an Leben so tragisch jedes einzelne aus der heutigen Zeit ist, auch korrekt historisch lokalisieren.

Um es überschaubar zu halten wurde nicht jeder Aspekt durch präzise Literaturhinweise belegt, dennoch der Verweis auf herangezogene Literatur:
Cohen, Paul A. (1997): History in three keys. The Boxers as event, experience, and myth. New York: Columbia University Press.
Cohen, Paul A. (2003): China unbound. Evolving perspectives on the Chinese past. London, New York: Routledge Curzon.
Esherick, Joseph (1987): The origins of the Boxer Uprising. Berkeley: University of California Press.
Fenby, Jonathan (2009): The Penguin history of modern China. The fall and rise of a great power, 1850-2009. London: Penguin.
Klein, Thoralf (2007): Geschichte Chinas. Von 1800 bis zur Gegenwart. Paderborn, München [u.a.]:
Mishra, Pankaj : Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens. 4. Aufl. Frankfurt am Main: S. Fischer.
Smith, Woodruff D. (1991): European imperialism in the nineteenth and twentieth centuries. Chicago: Nelson-Hall.
Vogelsang, Kai (2014): Kleine Geschichte Chinas. Stuttgart: Reclam
 
Dennoch: Man sollte sich zumindest rudimentär mit der Rolle des Christentums in China beschäftigen. Das seit dem frühesten Aufbau immer auch durch die autoritäre Forderung der imperialistischen Mächte gegenüber den chinesischen Kaisern bestimmt war und somit ein Instrument der Politik war.
Jesuitische Missionare erreichten China bereits im 16. Jahrhundert. Anfangs wurde der Synkretismus von Katholizismus und chinesischen Ahnenkult sowohl von der katholischen Kirche als auch vom chinesischen Kaiser geduldet. Die Jesuiten taten so, als sei der Ahnenkult und die konfuzianischen Riten keine religiöse Handlungen, sondern lediglich eine Art weltliche Folklore.

Die erste autoritäre Forderung kam gar nicht von den imperialistischen Mächten, sondern direkt aus dem Vatikan; mit der päpstlichen Bulle von 1715 wurde der Synkretismus verboten. Die chinesischen Katholiken wurden vom Papst aufgefordert, ihre bisherige Teilnahme an den chinesischen Riten einzustellen. Hierdurch fielen die Christen in China in Ungnade. Exakt seit dieser Zeit gibt es einen Konflikt zwischen der christlichen Mission und dem chinesischen Staat.

Dieser bereits 100 Jahre bestehende Konflikt wurde erst im 19. Jahrhundert von den imperialistischen Mächten als ideologische Begründung für die Kolonisierung Chinas entdeckt und als "gelbe Gefahr" ausformuliert.
Ironie der Geschichte ist natürlich noch, dass fast alle Christen, die von den Boxern umgebracht wurden, Katholiken, die imperialistischen Kriegsgewinnler (mit Ausnahme des noch nicht ganz laizistischen Republik Frankreich) aber gar keine katholischen Mächte waren. Insbesondere Japan und Russland, die in der Zeit große Teile Chinas eroberten, hatten mit der Mission praktisch nichts zu tun.
Zur gleichen Zeit war der Jesuiten-Orden im Deutschen Reich verboten. Da hätte Kaiser Wilhelm II. lieber mal Europas heiligste Güter in der Heimat bewahrt.:rofl:

Zur Beschreibung der Situation ist anzumerken, dass bis 1949 (vgl. Klein, S. 280) lediglich 0,2 Prozent der Chinesen Christen waren. Es sich somit um eine sehr kleine Gruppe handelte, die geographisch relativ nahe an den Missionen anzutreffen war. Es ist somit auch unter soziologischen Gesichtspunkten schwer, sie zu beschreiben und ihre eigenständige Kultur zu fassen.
Gerade die geringe Größe der chinesischen Christen macht die Gruppe so leicht ausrottbar.

In diesem Sinne haben die christlichen Missionen zur Eskalation des Konflikts beigetragen. Und Konflikte in China zwischen rivalisierenden Gruppierungen waren in dieser Periode extrem „blutig“ Alleine der Bürgerkrieg aus der Periode,der Krieg der Qing gegen die Taiping-Bewegung, hat ca. 20 Millionen Chinesen das Leben gekostet.
Die Taiping-Bewegung war aber nicht Teil der europäischen Mission, sondern eine von Chinesen gegründete, auf dem Christentum aubauende, synkretische Sekte. Weniger wertend kann man sie als eine neue religiöse Bewegung oder einen synkretischen Krisenkult betrachten, ähnlich dem Geistertanz der Prärieindianer oder der koreanische Moon-Bewegung.

Ansonsten ist die Taiping-Bewegung den "Boxern" gar nicht mal so unähnlich. Beide rekrutierten sich aus sozial benachteiligten Schichten und sie verachteten jeweils die andere Religion, setzten den Gegner mit Teufeln und Dämonen gleich. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Boxer- und Taiping-Aufstand ist, dass auch der Taiping-Aufstand ebenfalls von Europäern niedergeschlagen wurde.
Der eine Aufstand war gegen, der andere für die manschurische Qing-Dynastaie. Das ist auch schon der wesentiche Unterschied.
 
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@Maglor, thanepower & alii,

wollt ihr das Thema Christl. Mission in China und Boxer-Genozid[?] an den chin. Christen nicht auslagern?
 
Vielen Dank für das Angebot. Man kann es verschieben und in dem "Imperialismus" in Asien zuordnen. Die deutsche imperialistische Politik steht bestenfalls stellvertretend für die der anderen Europäer und hat sich in Asien nicht unterschieden.

Und der - angebliche - "Völkermord" in China durch KW II. ist wohl vom Tisch. Was bleibt sind auch in diesem Fall koloniale Massaker und koloniale Greuel als Kaleidoskop europäischer Kolonialpolitik.

Allerdings: Gerade heute morgen habe ich nochmal in Lanxing Xiang weiter gelesen. Und dort wird als Auslöser der Boxer-Rebellion ja auch maßgeblich auf die Rolle der christlichen Missionen hingewiesen. Auch in Kooperation mit den jeweiligen Diplomaten der imperialistischen Mächte. Auch wenn die Koordination mangelhaft war, erfolgte eine gegenseitige Stützung der Positionen gegenüber den Chinesen.

https://books.google.de/books/about/The_Origins_of_the_Boxer_War.html?id=lAxresT12ogC&redir_esc=y

Die christlichen Missionen wären in China ohne die europäischen "Kanonen" - als Symbol für die politische Macht - nicht denkbar oder durchführbar gewesen.

In diesem Sinne werde ich die Rolle der christlichen Missionen als Teil der imperialistischen Politik ("Great Game")diskutieren. Und somit ist der Boxer-Aufstand bzw. -Krieg eine Mischung aus einem Krieg gegen äußere Mächte und einem Bürgerkrieg.

Es ist sicherlich interessant, die Intensität der Gewaltanwendung bei der europäischen Expansion und der Durchsetzung des europäischen Wirtschaftsmodells der Ausbeutung von Kolonien an diesem Beispiel zu diskutieren, inklusive der Rolle von Japan und der der USA ("Open Door"). (vgl. Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, S. 825ff)
 
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In diesem Sinne werde ich die Rolle der christlichen Missionen als Teil der imperialistischen Politik ("Great Game")diskutieren. Und somit ist der Boxer-Aufstand bzw. -Krieg eine Mischung aus einem Krieg gegen äußere Mächte und einem Bürgerkrieg.

In einer Kurzfassung der PhD-Arbeit "Heaven in Conflict" beleuchtet Clark den Zusammenhang zwischen dem Konflikt der christlichen Lehre und chinesischen Sichten. Und erinnert auch an den verheerenden Kontext der klimatischen Bedingungen, die das "teuflische" aus der Sicht der "Boxer" an den Christen verdeutlicht.

Das Papier von Clark ist durchaus lesenswert, sofern man sich den Konflikt auf der Ebene auch einer Mission ansehen möchte.



http://digitalcommons.whitworth.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1014&context=historyfaculty

https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=U4doCQAAQBAJ&oi=fnd&pg=PR7&dq=boxer+uprising+origins&ots=2ocNig-Ilm&sig=cSpEcH_fmbfbbbXvH17opggNAQo#v=onepage&q=boxer%20uprising%20origins&f=false
 
Von Bülow hat die Rede in vielen Formulierungen geändert und insgesamt etwa um ein Drittel gekürzt. Wilhelm II. soll darob "not amused" gewesen sein:

Bei der Abendtafel wurden die Zeitungen gebracht. Der Kaiser griff nach ihnen und wahr sehr verwundert, seine Rede nur in der ihr von mir gegebenen Fassung, d. h. unter Weglassung der bedenklichen Wendungen, zu finden. "Sie haben ja gerade das Schönste weggestrichen", meinte er zu mir, der ich ihm gegenübersaß, weniger erzürnt als enttäuscht und betrübt. Da wurde ein kleines, in Wilhelmshaven erscheinendes Blatt gebracht, das die kaiserliche Rede in extenso veröffentlicht hatte. Ein Mitarbeiter dieses Blättchens hatte, auf einem Dache sitzend, die Rede nachstenographiert und sofort publiziert, ohne daß Wiegand oder ich es hatten hindern können. Er hatte auch schon die betreffende Nummer seines Blattes nach Bremen, Hamburg, Hannover, Emden und Berlin in Tausenden von Exemplaren expediert, froh über das gute Geschäft, das er machen würde. Der Kaiser war entzückt, als er nun seine Rede in ihrem vollen Wortlaut las, aber weniger erfreut, als ich, während er nachher seine Zigarre rauchte, ihn über seine Auslassungen zur Rede stellte ...

Gerade sehe ich, dass ich den Link dazu vergessen habe:
Bülow zur Hunnenrede
 
Erste Berührung mit dem Christentum hatte China im 7. Jahrhundert durch den nestorianischen Missionar Alpen. Und es war eine kleine Zahl von Christen, die Marco Polo 1275 in Peking antraf. Im 14. Jahrhundert begannen Franziskaner in Peking ihre Arbeit, wurden bald verfolgt und ihre Kirchen niedergebrannt. Im 16. Jahrhundert kamen Franziskaner zurück, wurden sehr schnell wieder vertrieben. Den nächsten Versuch unternahmen die Jesuiten im 16. Jahrhundert. Bewandert in der Sprache und den chinesischen Sitten fügten sie sich besser ein und die Anhängerschaft wuchs. Durch die Rückkehr der Franziskaner im 17. Jahrhundert und die Einflußnahme des Papstes, der die Jesuiten verurteilte wurde das gute Einversehmen Kaiser Kang-Hsi mit den Jesuiten gestört und dann die gesamte christliche Mission, außer in Peking, gewaltsam beendet. Um 1800 lebten etwa 250.000 Katholiken in China.

Um 1800 gab es noch keine Protestanten in China. Um so mehr wuchsen dann die pietistischen Strömungen.

Einige Jahre vor dem Höhepunkt der Boxerbewegung fiel kein Regen in Nordchina. Eine große Hungersnot brach aus. Der Hunger war so schrecklich, daß um 1900 um 9-13 Millionen Chinesen daran starben. Der Zorn der Bevölkerung wurde auf die Ausländer gelenkt und den Christen Verrat und Kollaboration vorgeworfen. Hatte sich ein Familienoberhaupt zu christlichen Glauben bekannt, so folgte die gesamte Familie. Man nannte sie „Reis-Christen“ und sagte ihnen nach, nur wegen des Hungers konvertiert zu sein.

Man kann sagen, es existierte vielleicht kein Land auf der Welt mit einer größeren religiösen Toleranz als China. Den einzigen Grund, den die Chinesen gegen das Christentum anführten war, das es in ihren Augen eine Religion der Ausländer war.
 
Man kann sagen, es existierte vielleicht kein Land auf der Welt mit einer größeren religiösen Toleranz als China.

Von welcher Zeit sprichst Du? Von der Zeit um 1900 wohl eher nicht...


Den einzigen Grund, den die Chinesen gegen das Christentum anführten war, das es in ihren Augen eine Religion der Ausländer war.

Von welchen Chinesen sprichst Du hier? Von den Boxern wohl eher nicht. Die hatten den Christen noch sehr viel mehr vorzuwerfen: Angeblich führten sie Schadenszauber aus, vergifteten Brunnen und schnitten kleinen Kindern das Herz aus dem Leib.
 
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