Die Selbstbezeichnung als Römer nach dem Fall Westroms

Wobei für die Selbstbezeichnung es relativ egal ist, wie Deutsche die Romanen nannten sondern nur, wie sie sich selber nannten.
Stimmt natürlich. Die eigene Bezeichnung »rumonsch«, zumindest der Sprache, ist sicherlich älter (vgl. Conradi, Novas canzuns spiritualas cumpoingiadas […] da las baselgias evangelicas rumonschas, 1784). Dennoch: Schriftliches ist nicht aus der Zeit vor dem 16. Jh. zu finden, sodass die Kontinuität der Bezeichnung nicht zurückverfolgt werden kann. Die Rätoromanen fallen somit als Beispiel für die Selbstdefinition »Römer« weg. Ich bezweifle stark, dass sich im MA auch nur ein einziger Bündner als Römer wahrgenommen werden wollte.
 
Wobei zu fragen ist, ob die alpenromansichen Sprachen überhaupt eine eigene Literalität hatten. Wenn man bedenkt, dass sowohl das Albanische als auch das Baskische erstmals durch einen niederrheinischen Ritter im 15. Jhdt. aufgezeichnet wurden, da geht man ja auch nicht davon aus, dass die Sprecher dieser Sprachen kein Ihrerselbst-Bewusstsein hatten.
 
Ich würde hier gern die Frage stellen,
wann diese "römische Selbstbezeichnung" im romanischen
Westen nach dem Fall des weströmischen Staatswesens
ein Ende fand. Wann hörte man auf, sich im romanischen
Okzident als Römer zu definieren?
Das ist eine interessante Fragestellung, die allerdings (wie der Verlauf des Fadens deutlich gemacht hat) viele weitere Fragen nach sich zieht. Vermutlich kommt man nicht auf eine einzige Antwort, sondern auf viele Antworten in jeweiliger Abhängigkeit von Zeit und Örtlichkeit.

Zunächst blieb die Selbstbezeichnung im oströmischen Reich gebräuchlich, was aus zwei Gründen zunächst auf uns heute erstaunlich wirkt: erstens war das lateinische in der östlichen Reichshälfte in weiten Teilen nur Amtssprache und Kirchensprache (die dort ansässigen romani sprachen es bei weitem nicht alle), zweitens verschwand das lateinische recht bald nach Iustinians Regierungszeit auch als Amts- und Kirchensprache. => die Selbstbezeichnung bezieht sich dort also nicht auf ethnische oder sprachliche Zugehörigkeiten, sondern auf die Zugehörigkeit zum (ost)römischen Reich.

Wirrer stellt sich die Situation im zerfallenden weströmischen Reich dar. (sehr vereinfacht gesagt) so lange die gentilen Truppen noch pro forma im Auftrag des (ost)römischen Kaisers die Militärmacht darstellten (z.B. Ostgoten in Italien), konnte der römische Bürger sich nach wie vor als römischer Bürger fühlen. Solange sich die diversen Nachfolgereiche (Vandalen, Westgoten, Ostgoten, Burgunder) den Luxus gönnten, parallel unterschiedliche Rechtsnormen zu praktizieren (römisches Recht für romani, Barbarenrecht für die gentile Militäraristokratie und ihre Gefolgschaften, kurzum für den exercitus) ebenso - sowie allerdings das unterscheiden zwischen leges barbarorum und römischem Recht aufgegeben wurde, nachdem ohnehin kein politischer Zusammenhalt mit dem (ost)römischen Reich mehr vorhanden war (auch nicht pro forma), verschwand wohl auch die Selbstbezeichnung als Romani.

Dankenswerterweise hat @Sepiola ein Buch erwähnt, das die Rezeptionsgeschichte der Begriffe Romani, germani, barbari usw. referiert und auch die Geschichte des Bedeutungswandels dieser Begriffe.
 
erstens war das lateinische in der östlichen Reichshälfte in weiten Teilen nur Amtssprache und Kirchensprache

In der östlichen Reichshälfte war Latein nie Kirchensprache. Als Kirchensprachen waren (und sind) Griechisch, Aramäisch/Syrisch und Koptisch in Gebrauch.

Sogar im Westen war das Lateinische lange Zeit Kirchensprache "zweiter Wahl".
Eine quasi-amtliche lateinische Bibelübersetzung wurde erst im 4. Jahrhundert durch Hieronymus in Angriff genommen. Für diesen war der griechische Bibeltext maßgeblich.

Bis zum heutigen Tag sind in der römischen Liturgie noch Relikte der alten griechischen Kirchensprache erhalten geblieben, am bekanntesten sicherlich das "Kyrie eleison - Christe eleison - Kyrie eleison".


Auch als Amtssprache konnte das Lateinische das Griechische im Ostreich nie verdrängen.
 
In der östlichen Reichshälfte war Latein nie Kirchensprache.
Danke für die Korrektur!
Auch als Amtssprache konnte das Lateinische das Griechische im Ostreich nie verdrängen.
Immerhin das von Iustinian in Auftrag gegebene Corpus Iuris Civilis war in lateinischer Sprache, allerdings:
Obwohl die Novellen Justinians auf Latein und, soweit sie den Osten betrafen, daneben auch auf Griechisch publiziert worden sein dürften, ging die offizielle lateinische Version in den allermeisten Fällen früh verloren, da man in Ostrom ab dem 7. Jahrhundert kein Latein mehr verstand, weshalb man sehr lange irrtümlich annahm, es habe sie nicht gegeben
https://de.wikipedia.org/wiki/Corpus_iuris_civilis
Als Amts- und Verwaltungssprache (Militärsprache auch?) war Latein nach Iustinian also nicht mehr in Gebrauch, und davor war es für die griechisch sprechenden Bevölkerungsteile eine Zweitsprache.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ist schon lange her, dass ich den (edierten) Pseudo-Maurikios mal in der Hand hatte. Der ist im Original ja auf griechisch, ich meine aber, dass die darin enthaltenen Befehle auf Latein gewesen seien.

So ist es. Die Kommandosprache beim Militär war immer im ganzen Reich Latein, und zwar noch bis um 600.
Aus den Amtsstuben war das Lateinische in dieser Zeit schon "mehr oder weniger verschwunden": Ursula Gärnter, Quintus Smyrnaeus und die Aeneis

Günter Reichenkron, Zur römischen Kommandosprache bei byzantinischen Schriftstellern:
http://byzantinorossica.org.ru/sources/vizant/BZ/BZ_54(1961).pdf
 
Eine quasi-amtliche lateinische Bibelübersetzung wurde erst im 4. Jahrhundert durch Hieronymus in Angriff genommen. Für diesen war der griechische Bibeltext maßgeblich.

Muss mich da korrigieren: Hieronymus hat für das AT den hebräischen Text bevorzugt. Das hat damals Augustinus kritisiert, der den griechischen Text des AT als maßgeblich ansah.
 
Für die französischsprachigen (eigentlich franko-provenzalischen) Gebiete der Schweiz ist die Bezeichnung Romande aber ein Produkt des 18. Jhdts:


Der Begriff Romandie: Nur ein bisschen Brüder - NZZ Schweiz: Aktuelle Themen

Noch zur Ergänzung:

laut dem französichen Wiki-Artikel taucht der Begriff "romand" als Bezeichnung für die frankoprovenzalische Sprache in der Schweiz im 15. Jhdt. auf:

Le terme romand pour nommer le francoprovençal est attesté depuis le xve siècle (dans un document fribourgeois de 1424 qui autorise les notaires à « faire lettres en teif [= allemand] et en rommant ») ; il est fréquent dans des documents vaudois et fribourgeois des xviie et xviiie siècles. Il est encore attesté à Genève au xixe siècle, mais il n’a jamais dépassé les frontières de l’actuelle Suisse romande.​

https://fr.wikipedia.org/wiki/Francoprovençal#Romand
 
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