Warum Westrom eigentlich erst 554 unterging

Pierre

Neues Mitglied
Seit der Zeit des Honorius verlor das weströmische
Kaisertum immer mehr an Prestige, nicht zuletzt,
als 455 mit Valentinian III. der letzte Kaiser der
"altehrwürdigen" theodosianischen Dynastie ermordet
wurde. Honorius und Valentinian III. waren beide ans
kaiserliche Diadem gekommen, als sie noch zu jung waren,
um regierungsfähig zu sein, weshalb oft andere Gestalten
die faktischen Machthaber Westroms waren (z.B. der patricius
Flavius Aetius). Der weströmische Kaiser
wurde vom Kapitän zur Gallionsfigur.

Als 476 mit Romulus Augustulus
(oder besser: Romulus Augustus) der letzte de facto
weströmische Kaiser abgesetzt wurde, wurde dies damit
begründet, dass kein Kaiser mehr im Westen benötigt
werde. Das Kaisertum hatte im römischen Westen derart
an Bedeutung verloren, dass es hier auch keine
Usurpationsversuche nach 476 mehr gab. Im Osten
hatte das Kaisertum in der zweiten Hälfte des
5. Jahrhunderts ebenfalls eine Krise, doch hier
hatte es noch eine so große Bedeutung, dass es
Usurpationsversuche gab. (Das oströmische Kaisertum
wurde dann unter dem m.E. unterbewerteten Kaiser
Anastasius I. wieder stabilisiert.)

476 wurde zwar das weströmische Kaisertum
faktisch abgeschafft, nicht aber der weströmische
Hof, der seinen Sitz in Ravenna hatte und zu dem
auch Positionen wie die des Prätoriumspräfekten
gehörten. Die weströmische Regierung bestand damit
im Wesentlichen fort
, trotz der Abschaffung des bis
dahin ohnehin nicht mehr so wichtigen Kaisertums.

Der weströmische Hof wurde erst 554 nach der oströmischen
Rückeroberung Italiens (und Nordafrikas, sowie des Südens
der iberischen Halbinsel) durch Kaiser Justinian I. durch
die constitutio pragmatica abgeschafft.

Literatur:

Börm, H.:Westrom. Von Honorius bis Justinian, Stuttgart 2013
 
Seit der Zeit des Honorius verlor das weströmische
Kaisertum immer mehr an Prestige, nicht zuletzt,
als 455 mit Valentinian III. der letzte Kaiser der
"altehrwürdigen" theodosianischen Dynastie ermordet
wurde. Honorius und Valentinian III. waren beide ans
kaiserliche Diadem gekommen, als sie noch zu jung waren,
um regierungsfähig zu sein, weshalb oft andere Gestalten
die faktischen Machthaber Westroms waren (z.B. der patricius
Flavius Aetius). Der weströmische Kaiser
wurde vom Kapitän zur Gallionsfigur.

Als 476 mit Romulus Augustulus
(oder besser: Romulus Augustus) der letzte de facto
weströmische Kaiser abgesetzt wurde, wurde dies damit
begründet, dass kein Kaiser mehr im Westen benötigt
werde. Das Kaisertum hatte im römischen Westen derart
an Bedeutung verloren, dass es hier auch keine
Usurpationsversuche nach 476 mehr gab. Im Osten
hatte das Kaisertum in der zweiten Hälfte des
5. Jahrhunderts ebenfalls eine Krise, doch hier
hatte es noch eine so große Bedeutung, dass es
Usurpationsversuche gab. (Das oströmische Kaisertum
wurde dann unter dem m.E. unterbewerteten Kaiser
Anastasius I. wieder stabilisiert.)

476 wurde zwar das weströmische Kaisertum
faktisch abgeschafft, nicht aber der weströmische
Hof, der seinen Sitz in Ravenna hatte und zu dem
auch Positionen wie die des Prätoriumspräfekten
gehörten. Die weströmische Regierung bestand damit
im Wesentlichen fort
, trotz der Abschaffung des bis
dahin ohnehin nicht mehr so wichtigen Kaisertums.

Der weströmische Hof wurde erst 554 nach der oströmischen
Rückeroberung Italiens (und Nordafrikas, sowie des Südens
der iberischen Halbinsel) durch Kaiser Justinian I. durch
die constitutio pragmatica abgeschafft.

Literatur:

Börm, H.:Westrom. Von Honorius bis Justinian, Stuttgart 2013


Die Reichsteilung, die 395 Theodosius I. vornahm, war keine staatsrechtliche, sondern viel eher eine Herrschaftsteilung. Schon während der Reichskrise des 3. Jahrhunderts war das Imperium in mehrere Herrschaften zerfallen. In Gallien, Britannien, zeitweise auch Spanien bildete sich ein Sonderreich, und im Osten das Reich von Palmyra, das Kaiser Gallienus notgedrungen anerkennen musste. Erst Kaiser Aurelian konnte die Reichseinheit wieder herstellen, und Diokletian gelang es schließlich, die Reichskrise zu beenden.

In der älteren Forschung unterschied man die Kaiserzeit in Prinzipat von Augustus- Diokletian und in Dominat von Diokletian bis zum Untergang des weströmischen Reiches. Die neuere Forschung hat diese Unterteilung in Frage gestellt und betont die Kontinuität der römischen Geschichte. Diokletian hatte eingesehen, dass sich das Imperium Romanum kaum noch zentral regieren ließ, weshalb er das Tetrarchiat gründete mit zwei Hauptkaisern Augusti, die zwei Stellvertreter Caesari ernannten. Das funktionierte länger und besser, als man meinen könnte, bis Kaiser Konstantin noch einmal eine Alleinherrschaft ausübte. Als eine neue Residenz gründete er in Byzantion eine neue Metropole Konstantinopel.

Als Theodosius 395 das Imperium teilte, war das aber im Verständnis der Zeitgenossen nur eine weitere Herrschaftsteilung, wie sie die Tetrarchen oder Oktavian und Antonius vorgenommen hatten. Die Teilung entsprach fast genau den Interessengebieten der Triumviren.

Staatsrechtlich ging man weiterhin von einer Einheit des Imperium Romanums aus. Die Nachkommen Theodosius betonten das auch. Eine Zäsur in der antiken Geschichte entdeckte man darin erst nachträglich.

Interessanterweise erlebte Italien unter dem Ostgotenkönig Theoderich noch einmal eine Blüte und Periode relativer Stabilität. Die letzten Wagenrennen und Tierhetzen in Rom veranstaltete Totila. Theoderich wurde notgedrungen von Kaiser Anasthasius anerkannt. Rom war zwar nachdem Alarich es 410 geplündert hatte, nur noch ein Schatten der Millionenmetropole zur Zeit von Augustus oder Trajan. Die Kaiser residierten längst in Ravenna oder Konstantinopel, die wahre Macht übten Militärs wie Aethius, Ricimer oder Odoaker aus.
Staatsrechtlich aber blieb das Imperium davon unberührt, Kaiser Justinian legte Wert auf einen universalen Herrschaftsanspruch. Nach den Vandalen- und Gotenkriegen hatte er einen Teil der verlorenen Provinzen zurückerobert. Man kann ihn daher durchaus mit Recht den letzten römischen Kaiser nennen.

Das Haupt der Welt (Caput Mundi) hatte längst den Talles, das Imperium Ladenschluss, aber Rom blieb eine ideologische Größe, die nicht sterben konnte, nicht sterben durfte.

So knüpfte Karl der Große an die Traditionen der Caesaren an, gründeten die mittelalterlichen Könige ein Reich, das weder heilig, noch römisch, noch von deutscher Nation war. Diese Chimäre war aber sehr dauerhaft, erst 1804 war endgültig Schluss, da war aber die vielbewunderte französische Monarchie schon längst Geschichte.

Als ideologische Größe ist Rom bis heute nicht untergegangen, noch immer residiert ein absoluter Monarch in Rom.
 
Zuletzt bearbeitet:
Für den Untergang Roms gibt es zu viele Daten, als dass man eines herausgreifen könnte.

Das Verschwinden von Senat und Stadtpräfekten um 600, die zeitweise angeblich völlige Entvölkerung Roms unter Totila, der die Stadt dann doch nicht zerstörte und 550 die letzten Spiele durchführte, um noch drei Beispiele zu nennen.
 
476 wurde zwar das weströmische Kaisertum faktisch abgeschafft, nicht aber der weströmische Hof, der seinen Sitz in Ravenna hatte und zu dem auch Positionen wie die des Prätoriumspräfekten gehörten. Die weströmische Regierung bestand damit im Wesentlichen fort, trotz der Abschaffung des bis dahin ohnehin nicht mehr so wichtigen Kaisertums.
Ich tue mir schwer damit, die Prätorianerpräfektur als "Regierung" zu bezeichnen. Sie war eine hochrangige Verwaltungseinrichtung mit Aufgaben hauptsächlich im Bereich der Jurisdiktion und Finanzverwaltung.

Die wahre politische Macht lag im Westen jedenfalls meist beim Magister militum (der sich Kaiser hielt), in Ausnahmefällen beim Kaiser. Damit war 476 Schluss. Also wenn man schon von einem eigenständigen Westrom sprechen möchte, erscheint es mir allemal sachgerechter, seinen Untergang wie traditionell 476 anzusetzen.

Aber auch wenn man richtigerweise nicht von einem eigenständigen Westrom ausgeht, war 476 eine wichtige Zäsur, da nunmehr fürs erste weitgehend Schluss war mit dem Einfluss Ostroms auf den Westen. Bis dahin hatte es immer wieder ein wichtiges Wort bei der Erhebung von Kaisern im Westen mitgesprochen und mitunter auch den mächtigen Magister militum in seine Schranken gewiesen, womit jetzt Schluss war. In den nächsten Jahrzehnten musste man sich im Osten weitgehend mit der Wahrung des Scheins begnügen, der Germanenkönig im Westen würde im Namen des Ostens regieren. Also auch wenn man Westrom als eine Art Dependance des Ostens sehen will, ging es 476 insofern unter als der reale Einfluss des Ostens schwand.

Da die Teilung des Reiches in Westrom und Ostrom aber administrativer Natur war, könnte man auch darauf abstellen und betrachten, wie sich die administrative Ausgestaltung des Westens entwickelte. Insofern könnte man eine Kontinuität von den weströmischen Kaisern und Magistri militum über die Germanenkönige bis hin zum Exarchat von Ravenna ziehen, in dessen Gestalt es ebenfalls ein recht eigenständig agierendes "Westrom" gab, und den Untergang Westroms mit dem des Exarchats ansetzen.

Viele Betrachtungsweisen erscheinen möglich, aber das Ende Westroms auf 554 zu datieren gehört meines Erachtens zu den weniger brauchbaren.

Für den Untergang Roms gibt es zu viele Daten, als dass man eines herausgreifen könnte.

Das Verschwinden von Senat und Stadtpräfekten um 600, die zeitweise angeblich völlige Entvölkerung Roms unter Totila, der die Stadt dann doch nicht zerstörte und 550 die letzten Spiele durchführte, um noch drei Beispiele zu nennen.
Allerdings hatten der Senat (und der Stadtpräfekt ohnehin) im späteren 5. und 6. Jhdt. faktisch nur noch auf kommunaler Ebene Bedeutung. An ihrem Verschwinden würde ich den Untergang Westroms daher nicht festmachen.
Beim Stadtpräfekten stellt sich außerdem die Frage, ob er überhaupt tatsächlich ab 600 verschwand oder uns das nur die Quellenarmut der folgenden Jahrhunderte vorgaukelt. Ab dem 10. Jhdt. war er jedenfalls wieder da.
 
Zurück
Oben