sabisaurusrex

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Hallo liebe Geschichtsinteressierte,

für mein Seminar "Rom und Karthago" muss jeder Teilnehmer einige Thesen bzw. Fragen aufstellen, welche dann im Kurs diskutiert werden. Ich bin mir gerade aber sehr unschlüssig, ob meine Thesen nicht zu weitreichend und zu offen oder zu einfach gewählt oder formuliert sind. Wir wollen ja eine Diskussionsrunde haben, in welcher die Fragen nicht bereits nach wenigen Minuten geklärt sind (verschiedene Standpunkte, Quellen etc.)
Vielleicht hat ja der ein oder andere schlaue Kopf noch einen Tipp oder eine gute Idee für mich. Für Kritik und Input stehe ich zur Verfügung. Anbei meine Thesen.

1. Indem die Römer den Mamertinern ihre Unterstützung zusagten, nahmen sie einen Krieg mit Karthago in Kauf.
2. Bedeutete der die Punischen Kriege militärische oder wirtschaftliche Macht für Rom?
3. Wie kam Dido von Tyros nach Numidien?
 
1. Indem die Römer den Mamertinern ihre Unterstützung zusagten, nahmen sie einen Krieg mit Karthago in Kauf.

Diese "These" ist keine These, sondern gemäß Historikerkonsens ein Faktum. Konsul Appius Claudius Caudex hatte gegen den Widerstand einiger Senatoren die Unterstützung der (höchst üblen) Mamertiner durchgesetzt, indem er die Volksversammlung zu einem entsprechenden Beschluss bewegte. Grund: Rom wollte eine Ausdehnung des karthagischen Machtbereichs in Richtung Syrakus verhindern. Dass das zu einer Eskalation führen könnte oder würde, war wohl allen politisch Kundigen in Rom klar.

2. Bedeutete der die Punischen Kriege militärische oder wirtschaftliche Macht für Rom?

Eine Frage ist keine These. Eine bessere Lesbarkeit wäre auch nicht schlecht.

3. Wie kam Dido von Tyros nach Numidien?

Auch das ist keine These.

http://www.duden.de/rechtschreibung/These

https://de.wikipedia.org/wiki/These#Definition
 
Zuletzt bearbeitet:
Chan, da steht "Thesen, bzw. Fragen", es ist also wohl beides gemeint. Und kein Konsens schafft Fakten, sondern nur gemeinsame Grundlagen. Zudem formuliert Wissenschaft keine Fakten, sondern Aussagen über die Fakten. Da sind wir dann bei Thesen.

Bei Dido würde ich eher fragen, wie sie in die Geschichte gelangte. Vielleicht wäre eine Betrachtung sinnvoll, inwieweit die Sage von den Ereignissen beeinflusst wurde oder umgekehrt. Sprich: Hier fehlt erst mal auch der Zusammenhang mit dem Thema.

Wirtschaftliche und Militärische Macht sind kein Widerspruch. Wenn nicht das ausschließende oder gemeint ist, ist die Frage mißverständlich.

Vielleicht solltest Du den Unterschied von Ursache und Anlass bedenken. Und eine Aussage zu formulieren, die einen Konsens wiedergibt, geht wohl an der Aufgabe vorbei. Eine These wird zur Diskussion gestellt, insofern hat Chan da recht. Eine Frage wiederum hat ein Problem zum Gegenstand.
 
Chan, da steht "Thesen, bzw. Fragen", es ist also wohl beides gemeint.

Der UP schreibt:

Anbei meine Thesen.

1. Indem die Römer den Mamertinern ihre Unterstützung zusagten, nahmen sie einen Krieg mit Karthago in Kauf.
2. Bedeutete der die Punischen Kriege militärische oder wirtschaftliche Macht für Rom?
3. Wie kam Dido von Tyros nach Numidien?


Insofern halte ich eine Begriffsklärung für sinnvoll.

Und kein Konsens schafft Fakten, sondern nur gemeinsame Grundlagen. Zudem formuliert Wissenschaft keine Fakten, sondern Aussagen über die Fakten. Da sind wir dann bei Thesen.

Ein Faktum ist ein Sachverhalt, über den Konsens besteht. Man kann einen Konsens natürlich anzweifeln, indem man eine kontroverse These dagegen stellt. Nur ist das nicht möglich, wenn man den Konsens reproduziert (wie der UP es tut). Eine mögliche These wäre also, das Gegenteil des Konsenses zu behaupten, also "Die Römer nahmen keinen Krieg mit Karthago in Kauf, als sie usw.".

Also:

"Die Römer nahmen einen Krieg in Kauf" = Faktum bzw. Konsens über Sachverhalt

"Die Römer nahmen keinen Krieg in Kauf" = These
 
Bezüglich des Faktums gehen wir dann von verschiedenen Definitionen aus.

Da aber ein Konsens keine Wahrheit schafft, wäre ein Faktum nach deiner Definition nur eine Aussage, weshalb ich dann doch eher bei der Auffassung der Trennung von Tatsâchlichem, Beobachteten und Aussagen über das Beobachtete bleibe, wobei ich die infenitesimalen Zergliederungsversuche des Wiener Kreis natürlich ablehne. Aber nur die Unterscheidung ermöglicht es die großen Widersprüche von Positivismus und Relativismus, wie sie im Positivismusstreit erscheinen, als Schein zu entlarven.

Nun, das Dilemma unterschiedlicher Definitionen ist bekannt und Lösungsversuche könnten sich nicht durchsetzen. Ebenso auch kein Begründungsmodell für wissenschaftliche Wahrheit. Von der Alltafsbedeutung her, nutzt Du einen Zirkelschluss, was ich als Fehlschluss ablehne. Andere sehen Zirkelschlüsse als notwendig für jede Begründung. Autoritäten lehne ich unter Verweis auf Aristoteles als Gegenbeispiel ab, Du hast mir jedoch schon vermeintliche Autoritäten entgegengehalten und wir sind beide mit unserer Haltung nicht allein. Der Konsens ist eine weitere Haltung. Und dann kann ich ohne zu schwierig zu werden noch auf Kant und die individuelle Möglichkeit der Erkenntnis verweisen. Jedenfalls brauchen wir hierüber nicht weiter zu streiten, solange wir nicht über Grundlagen reden wollen, die in einem Philosophieforum besser aufgehoben sind. Ich denke der Fragesteller hat jetzt auch zu diesen Punkten genügend Stichworte,um selbst zu recherchieren. Gerade 'einfache' Fragen können an der Uni einen Ansatz zur Beschäftigung mit komplexen Hintergründen bieten.

Im Gegensatz zum Sachverhalt sind Tatsachen und Fakten auch weit verbreitete Begriffe der Alltagssprache, weshalb ich sie als Terminus skeptisch sehe und wenn, die Definition bevorzuge, die jenseits des Erkenntnisprozesses liegt. Aber auch darüber müssen wir keine Einigkeit erzielen.

Aber die zum Schluss genannte These wäre genau genommen die Antithese zum Konsens...

Und der Fragesteller machte durch das "bzw." zu Beginn und der späteren Verwendung von Fragezeichen klar, dass er als Sprachversionfachunterricht hier auch Fragen unter Thesen versteht.

Falls es für Dich von Interesse ist, sabisaurusrex, kann ich ein oder zwei Titel nennen, auch wenn ich mir gerade überlege, ob es eine Möglichkeit gibt, thanepower zu beschwören, dessen Tipps meist umfangreicher und, wenn auch nicht immer, so doch meist, weniger einseitig sind.
 
Ich will hier auf die Problematik des Fakten-Begriffs (und seine Beziehung zum Konsens-Begriff) eingehen, die Usern, die mit moderner und zeitgenössischer Philosophie und Wissenschaftstheorie nicht vertraut sind, nicht wirklich bewusst ist. Einen gründlicheren Überblick über das Thema gebe ich in Bälde in einem philosophiegeschichtlichen Thread ("Eine kurze Geschichte der Wahrheit") im Kulturwissenschafts-Bereich.

Für das Thema des Threads ("Thesen") ist das insofern relevant, als Thesen - wie ich schon schrieb - nur Sinn machen, wenn sie vom Konsens divergieren. Thesen müssen ein kontroverses Potential haben, also ganz anders als ein Konsens ein Pro und ein Contra implizieren (was mir im Fall der These (1) des UP nicht gegeben scheint). In diesem Zusammenhang ist eine Explikation von ´Faktum´ und ´Konsens´, wie ich sie nachfolgend unternehme, eigentlich unverzichtbar.

Ein Fakten-Begriff, wie er in Riothamus´ Behauptung, dass Konsens "keine Tatsachen schafft", durchzuleuchten scheint, spiegelt einen Fakten-Platonismus wider, wie er typisch für das Alltagsverständnis von Wirklichkeit ist, d.h. Fakten werden als etwas angesehen, das unabhängig von seiner Erkenntnis durch urteilende Subjekte existiert. Das entspricht nicht dem Fakten-Verständnis der heutigen Wissenschaftstheorie.

Zunächst einmal ist ein Missverständnis zu klären: ´Faktisch´ ist gemäß aktueller Wissenschaftstheorie nicht bedeutungsgleich mit ´wahr´ im Sinne von absoluter Wahrheit. ´Faktisch´ im wissenschaftlichen Sinne bedeutet nur, (1) dass ein überwiegender Konsens über die Richtigkeit einer Aussage über ein Objekt (Ding/Ereignis/Sachverhalt) besteht, und (2) dass die Aussage NICHT widerlegt ist, was aber theoretisch jederzeit eintreten könnte (siehe dazu unten die Passage über den Fallibilismus von Karl Popper). Der die Aussage tätigende Wissenschaftler muss sich dieser Differenzierung nicht bewusst sein, ist es aber in vielen Fällen, weil ein guter Wissenschaftler sich über die Erkenntnisbedingungen und -grenzen seines Fachgebietes im klaren ist (oder sein sollte). Deswegen wird in vielen Dissertationen ein Kapitel über die verwendete Untersuchungsmethodik dem Hauptteil vorangestellt.

(Im folgenden verwende ich ´perzipieren/Perzeption´ statt ´wahrnehmen/Wahrnehmung´, da ´Wahrnehmungen´ täuschen können, was dem Begriff des Wahr-Nehmens widerspricht)

Zu unterscheiden sind drei Bereiche der Fakten-Erkenntnis:

(1) Intra-subjektiv: Dies ist der Objektbereich der sog. Philosophie des Geistes (philosophy of mind). Es geht hier um subjekt-interne Objekte wie Gefühle, Gedanken, Phantasien usw., die nur für das Subjekt unmittelbar perzipierbar sind.

(2) Subjektiv: Dies ist ein Objektbereich, der außerhalb des Subjektes liegt, aber nur von diesem perzipiert wird. Es geht also um Objektperzeptionen (Objekt = Ding, Ereignis, Sachverhalt), die von keinem anderen Subjekt geteilt und ggf. bestätigt werden können, einfach deswegen, weil kein anderes Subjekt während der Objektwahrnehmung zugegen ist.

(3) Inter-subjektiv: Der von Jürgen Habermas eingeführte Begriff der Intersubjektivität entspricht dem Begriff der ´Objektivität´ und hat dem gegenüber den Vorteil, die Rolle der Subjekte für das Objektivitäts-Urteil deutlicher herauszustellen. Hier geht es um Perzeptionen, die von einer Mehrzahl von Subjekten geteilt werden und wechselseitig bestätigt werden können (was man dann ´Konsens´ nennt).

Dementsprechend gibt es drei Arten von Fakten: (1) intra-subjektive Fakten, die für unsere aktuelle Thematik keine Rolle spielen, (2) subjektive Fakten, die nur für ein individuelles Subjekt gelten können, und (3) inter-subjektive Fakten, die für eine Mehrzahl von Subjekten gelten, d.h. es besteht intersubjektiver Konsens über ihre Faktizität.

Hinsichtlich des wissenschaftlichen Wertes besteht ein gravierender Unterschied zwischen (2) = subjektiv und (3) = inter-subjektiv.

Zu (2):

Die subjektive Perzeption eines Objekts (Ding/Ereignis/Sachverhalt) ist für die Wissenschaft von geringer Bedeutung. Ausnahme: Die Perzeption kann auf eine Weise belegt oder bewiesen werden, welche sie intersubjektiv nachprüfbar macht, z.B. durch Film- oder Tonaufnahmen eines Dinges oder Ereignisses. Die Möglichkeit der Täuschung bzw. des Betrugs durch diese Mittel ist hinlänglich bekannt. Abgesehen von dieser Methode kann das Subjekt die Tatsächlichkeit seiner Perzeption anderen Subjekten gegenüber durch seine persönliche Glaubwürdigkeit zu vermitteln versuchen, was aber eine noch unsicherere Methode ist als die vorgenannte durch technische Dokumentation. Deshalb spielt die subjektive Bezeugung von Dingen/Ereignissen/Sachverhalten in der Wissenschaft, anders als in der Rechtsprechung (Zeugenaussage = juristisches ´Beweismittel´), kaum eine Rolle. Natürlich ist aus Sicht des Subjekts ein von ihm perzipiertes Objekt real und damit faktisch, weshalb es anderen Subjekten gegenüber das Objekt bzw. die Perzeption des Objektes als ein Faktum berichten wird. Aus Sicht dieser Subjekte stellt sich allerdings die Frage nach der Glaubwürdigkeit oder Zuverlässigkeit des Berichts. Selbst im günstigsten Fall kann über die Faktizität eines fremd-berichteten Objektes (Ding/Ereignis/Sachverhalt) bei anderen Subjekten kein vollkommener Konsens entstehen, außer es besteht blindes Vertrauen in die Glaubwürdigkeit, wie in religiösen Kontexten oft zu beobachten.

Für den geschichtswissenschaftlichen Bereich ist das insofern relevant, als manche Objekte (Dinge/Ereignisse/Sachverhalte) oft nur in einer singulären Quelle Erwähnung finden (z.B. Homer, Herodot, Tacitus), was in der Regel zu dem wissenschaftlichen Urteil führt, dass die Faktizität des Objekts nicht völlig gesichert, sondern, je nach Reputation der Quelle, nur mehr oder minder wahrscheinlich ist, was viele Historiker aber nicht davon abhält, das Objekt als quasi-faktisch zu behandeln, was im Fall von Homer/Troja zur Bestätigung der Faktizität geführt hat, in anderen Fällen aber die Gefahr einer wissenschaftlich maskierten Selbst- und Fremdtäuschung birgt.

Zu (3);

Intersubjektiver Konsens ist, wissenschaftstheoretisch gesehen, das einzig brauchbare Medium der Etablierung von wissenschaftlich relevanter Faktizität. Das Kriterium für die Geltung von Faktizität ist also die Bestätigung der Faktizität eines Objekts (D/E/S) durch eine Mehrzahl von Subjekten. Das kann auf zweierlei Weise geschehen:

a) Durch gleichzeitige Perzeption des Objekts durch mehrere Subjekte, welche sich die Faktizität dann wechselseitig bestätigen können.

b) Durch Überprüfung der Faktizität an anderen Orten und zu anderen Zeiten. Das ist vor allem in der Naturwissenschaft eine gängige Praxis (gleiche Situation oder Versuchsanordnung --> gleiche Resultate). Bedingung ist, dass es um reguläre Fakten geht (die sich unter gleichen Bedingungen regelmäßig ereignen) und nicht um singuläre Fakten (die nur einmalig vorkommen).

Natürlich ist auch intersubjektiver Konsens über wissenschaftliche Faktizität nicht in Stein gemeißelt, da es zu Perzeptionen kommen kann, die am Konsens rütteln und ihn sogar zum Einsturz bringen können. Ein dramatisches Beispiel ist in der Naturwissenschaft die Relativätstheorie (neue Sicht auf physikalische Sachverhalte) und ein weniger dramatisches in der Geschichtswissenschaft die Neubewertung der Rolle Neros beim Brand von Rom (dramatischere Beispiele will ich an dieser Stelle vermeiden).

Dass wissenschaftliche Erkenntnis nie abgeschlossen sein kann und ständig offen für Revision sein muss, hat in Anlehnung an Ch.S. Peirce vor allem Karl Popper mit seiner Theorie des Fallibilismus herausgestellt. Faktizität ist für Popper immer relativ zum fallibilistischen Prinzip, d.h. ein Faktum gilt als Faktum, weil und solange es nicht widerlegt ist, und NICHT, weil es ´wahr´ ist. Steht eine Widerlegung zweifelsfrei fest, hat die Wissenschaft ihre bisherige Auffassung zu revidieren. Das gilt grundsätzlich für alle Wissenschaftsbereiche, auch im extremen Fall der naturwissenschaftlichen ´Naturgesetze´: Ein sog. Naturgesetz ist aus Sicht des Fallibilismus kein ´Gesetz´, sondern eine Ereignis-Regelmäßigkeit, die nicht per se auf ewig gelten muss, d.h. rein theoretisch könnte ab morgen Gravitation umgekehrt funktionieren oder auch gar nicht. Das hat schon David Hume im 18. Jh. geahnt, als er in seiner Kritik des Kausalgesetzes postulierte, dass der Stein heiß wird UND die Sonne scheint, statt dass der Stein heiß wird, WEIL die Sonne scheint. Immanuel Kant hat dem zugestimmt und das Kausalgesetz entnaturalisiert und als Denkmodus in den menschlichen Verstand hineingelegt.

Das alles bedeutet für die Konsens-Thematik, dass intersubjektive Faktizität abhängig vom wissenschaftlichen Konsens ist und durch diesen überhaupt erst etabliert wird. Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht kein platonisches Eigensein des Faktischen unabhängig vom Konsens.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kinners macht doch dafür bitte einen eigenen Thread im Smalltalk auf, hier geht es um die Sinnigkeit der Thesen bzw. Fragen des Threaderstellers, nicht um Wissenschaftstheorie.
 
Kinners macht doch dafür bitte einen eigenen Thread im Smalltalk auf, hier geht es um die Sinnigkeit der Thesen bzw. Fragen des Threaderstellers, nicht um Wissenschaftstheorie.

Schon klar. Ich habe an dieser Stelle auch gar nicht vor, den wissenschaftstheoretischen Aspekt zu vertiefen. Wäre aber ok, wenn du meinen Beitrag stehen lässt.
 
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