Norddeutscher Bund aber kein Kaisertitel?

Hätte im Kaiserreich eine Minderheitsregierung gegen eine parlamentarische Mehrheit regieren können?

Bin gerade dabei, mir einen alten Thread durchzulesen. Die Frage scheint Dich ja seit längerer Zeit zu beschäftigen.

Wie schaute das im Kaiserreich aus? Konnte ein vom Kaiser eingesetzter Kanzler auch gegen Mehrheiten im Reichstag regieren? Gab es eine de-facto-Kontrolle der Regierung?

Es gab damals mehrere Antworten, interessante Aspekte wurden von Thanepower genannt:
http://www.geschichtsforum.de/722107-post49.html


Vielleicht noch eine kleine Ergänzung:
In der allerletzten Phase des Kaiserreichs gab es tatsächlich mit den stärksten Fraktionen im Reichstag ("Interfraktioneller Ausschuss") Absprachen zwecks Regierungsbildung.

Erstmals bei der Ernennung Georg von Hertlings 1917:
https://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/01107/index-25.html.de

Damit sind wir aber schon sehr weit vom Norddeutschen Bund entfernt...

Zu Entwicklungen, die es in dieser langen Zeit gab, äußert sich u. a. Udo Bermbach, Vorformen parlamentarischer Regierungsbildung in Deutschland (1967)
 
Interessant. Aber ein Aspekt von thanepower ist mir nicht ganz klar:

"Im "Machtstaat vor der Demokratie" (T. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. II, S. 741 ff) beschreibt Nipperdey die zunehmenden Probleme von Bethmann Hollweg, einen Ausgleich zwischen KW II und den Parteien im Reichstag herzustellen. Gleichzeitig aber auch eine Majorität im Reichstag für seine Politik zu erzielen durch Koalitionen von bündnisfähigen Parteien.


In diesem Sinne war der Kanzler zunehmend, obwohl durch den Kaiser ernannt, bereits den Mechanismen der parlamentarischen Demokratie unterworfen (J. Retallack: The Authoritarian State and the Political Mass Market, in: Müller & Torp: Imperial Germany Revisited, 2011, S. 83 ff). Er konnte gar nicht mehr ohne die Zustimmung durch das Parlament in einzelnen Politikarenen effektiv regieren und war somit, trotz seiner Ernennung durch den Kaiser, sowohl der öffentlichen Meinung und der Meinungsbildung in den Parteien und den jeweiligen sehr aktiven Pressure Groups unterworfen."

Letztendlich musste der Reichskanzler immer eine Mehrheit im Reichstag suchen. Wenn das der Fall war, wieso ist von einer "zunehmenden Parlamentisierung" die Rede? Das war letztendlich doch immer so? Nur weil vorher problemloser Mehrheiten gefunden werden konnten und es später problematischer war, hat sich daran doch nichts geändert?
 
Letztendlich musste der Reichskanzler immer eine Mehrheit im Reichstag suchen.

Nicht "immer", sondern "in einzelnen Politikarenen".

Für Gesetzesänderungen und den Etat brauchte er allerdings eine Mehrheit - notfalls durch Auflösung des Parlaments und Neuwahlen.

Andererseits:

Noch am 4. Dezember machte zum ersten Mal in der Geschichte des Kaiserreichs das Parlament von der Möglichkeit eines Missbilligungsvotums (§ 33a der Geschäftsordnung des Reichstags) Gebrauch, die ihm seit 1912 zustand. Mit 293 Stimmen bei 4 Enthaltungen und 54 Gegenstimmen, welche ausschließlich aus den Reihen der Konservativen kamen, missbilligte es das „nicht der Anschauung des Reichstages“ entsprechende Verhalten der Regierung. Auswirkungen hatte das Votum jedoch nicht, so dass die Zabern-Affäre als anschauliches Beispiel für die politischen Verhältnisse im Deutschen Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges dienen kann. Zwar forderte die SPD Bethmann Hollweg auf, die Konsequenzen aus der Missbilligung zu ziehen, doch der Kanzler lehnte einen Rücktritt erwartungsgemäß ab und verwies darauf, nur vom Vertrauen des Kaisers abhängig zu sein, wie es Artikel 15 der Reichsverfassung in der Tat vorsah: Allein der Kaiser konnte das Amt des Reichskanzlers neu besetzen. Wilhelm II. war aber keinesfalls bereit, sich der Entscheidung des Reichstags zu beugen, da er eine Parlamentarisierung des Reiches, die seinen Interessen und staatsphilosophischen Anschauungen widersprach, bekämpfte und den Einfluss des Reichstags und der Parteien möglichst gering halten wollte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Zabern-Affäre#Missbilligungsvotum_gegen_Bethmann_Hollweg
 
Ja, richtig. Trotzdem ist die Frage noch offen.

Bist Du dann mit mir einer Meinung, dass ein Teil der Staatsgewalt vom Präsidium (= König von Preußen) ausgeht?

Kommt drauf an, was wir mit Staatsgewalt meinen. Die verfassungsgebende (In der Bundesrepublik das Volk, siehe Artikel 20 GG) oder die verfasste Gewalt.

Ich würde mich auf erstere beziehen, da das der interessantere Aspekt ist.

Zuerst zur verfassten Gewalt. Diese erfolgte auf Reichsebene durch den Bundesrat, Präsidium, Reichsgerichtsbarkeit (Für die Bereiche, in der sie zuständig war) und Reichsrat.

Zur Verfassungsgebenden: Die sehe ich hier bei den Fürsten der Einzelstaaten. Dort waren diese die Staatsgewalt, die durch die Verfassungen, etc. beschränkt worden ist. Daher sehe ich auf Reichsebene von der Gesamtheit der Fürsten ausgehend und daher den preußischen König in seiner Funktion als Souverän Preußens, weniger als Innehabender des Vorsitz des Bundespräsidiums.

EDIT: Was anderes, über das ich gestolpert bin. Das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha hat sich 1919 in zwei unabhängige Freistaaten aufgeteilt, aber gewisse Punkte wurden als gemeinschaftliche Angelegenheiten weiterhin gemeinsam geregelt, u.a. die Vertretung im Reichsrat, da "reichsrechtlich" die beiden Freistaaten nicht als souveräne Einzelstaaten gesehen wurden.

"Hinfort galt Coburg zwar nicht im Reich, das an der Staatenbildung des Kaiserreichs festhielt, aber im losen Bund thüringischer Staaten als eigenständiges Land."
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Freistaat_Coburg,_1918-1920

Kann mir jemand erläutern, wie das gemeint ist? Ich finde keine weiteren Informationen dazu.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, richtig. Trotzdem ist die Frage noch offen.



Kommt drauf an, was wir mit Staatsgewalt meinen. Die verfassungsgebende (In der Bundesrepublik das Volk, siehe Artikel 20 GG) oder die verfasste Gewalt.

Ich verstehe Deine Definition nicht ganz. Die Staatsgewalt ist in Artikel 20 GG nicht nur als "verfassungsgebende" definiert, vielmehr geht es hier um die Ausübung der Staatsgewalt als
- Legislative ("Gesetzgebung")
- Exekutive ("vollziehende Gewalt")
- Jurisdiktion ("Rechtsprechung")

Im Norddeutschen Bund hatte das Volk lediglich auf die Legislative Einfluss, nämlich über den Reichstag, der allerdings mit dem von den Fürsten, insbesondere dem preußischen König dominierten Bundesrat gleichgestellt war. Artikel 5: "Die Bundesgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag."

Die exekutive Staatsgewalt ging allein vom preußischen König aus.

Was anderes, über das ich gestolpert bin. Das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha hat sich 1919 in zwei unabhängige Freistaaten aufgeteilt, aber gewisse Punkte wurden als gemeinschaftliche Angelegenheiten weiterhin gemeinsam geregelt, u.a. die Vertretung im Reichsrat, da "reichsrechtlich" die beiden Freistaaten nicht als souveräne Einzelstaaten gesehen wurden.
Ein wenig skurril ist das schon.
Es waren eigentlich zwei Herzogtümer mit getrennten Verwaltungen, die aber von einem einzigen Herzog in Personalunion regiert wurden, reichsrechtlich als ein Herzogtum galten (auch wenn es intern keine Vereinigung der beiden Staaten gab) und im Bundesrat auch zusammen nur eine Stimme hatten. Man könnte sagen: Souverän waren nicht die Staaten als solche, sondern der Herzog.
Nach der Abdankung des Herzogs entfiel die Personalunion, aus den beiden Herzogtümern wurden für kurze Zeit zwei Freistaaten, die jedoch keine Vereinigung anstrebten. Gotha schloss sich Thüringen an, Coburg schloss sich Bayern an.
 
Ich verstehe Deine Definition nicht ganz. Die Staatsgewalt ist in Artikel 20 GG nicht nur als "verfassungsgebende" definiert, vielmehr geht es hier um die Ausübung der Staatsgewalt als
- Legislative ("Gesetzgebung")
- Exekutive ("vollziehende Gewalt")
- Jurisdiktion ("Rechtsprechung")

Im Norddeutschen Bund hatte das Volk lediglich auf die Legislative Einfluss, nämlich über den Reichstag, der allerdings mit dem von den Fürsten, insbesondere dem preußischen König dominierten Bundesrat gleichgestellt war. Artikel 5: "Die Bundesgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag."

Artikel 20 GG sagt folgendes: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Das Volk ist das "pouvoir constituant", die verfassungsgebende Gewalt, die die Souveränität innehat. Ausgeübt wird sie durch die pouvoir constitués", die Legislativ, Judikative und Exekutive.

Den Artikel 5, den du angeführt hast, bezieht sich auf die "Pouvoir constitués", die Gewalten, durch die der Souverän diese ausüben lässt.
Es ist die Frage, wer im Kaiserreich bzw. im Norddeutschen Bund die "Pouvoir constituant" war.


Ein wenig skurril ist das schon.
Es waren eigentlich zwei Herzogtümer mit getrennten Verwaltungen, die aber von einem einzigen Herzog in Personalunion regiert wurden, reichsrechtlich als ein Herzogtum galten (auch wenn es intern keine Vereinigung der beiden Staaten gab) und im Bundesrat auch zusammen nur eine Stimme hatten. Man könnte sagen: Souverän waren nicht die Staaten als solche, sondern der Herzog.
Nach der Abdankung des Herzogs entfiel die Personalunion, aus den beiden Herzogtümern wurden für kurze Zeit zwei Freistaaten, die jedoch keine Vereinigung anstrebten. Gotha schloss sich Thüringen an, Coburg schloss sich Bayern an.

Seit 1852 waren sie durch eine Realunion verbunden. Was du beschreibst, ist der Sachverhalt. Mich würde interessieren, warum bei Gründung der zwei unabhängigen Freistaaten dies auf Reichsebene NICHT anerkannt worden ist. Es muss ja einen - rechtlich bedingten - Grund gehabt haben.
 
Artikel 20 GG sagt folgendes: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Das ist eben die Staatsgewalt. Um die geht es.

Die verfassungsgebende Gewalt wird im Artikel 20 nicht genannt, sondern in der Präambel.





Mich würde interessieren, warum bei Gründung der zwei unabhängigen Freistaaten dies auf Reichsebene NICHT anerkannt worden ist. Es muss ja einen - rechtlich bedingten - Grund gehabt haben.
Der rechtlich bedingte Grund ist, dass die beiden Herzogtümer verfassungsgemäß als ein Staat gegolten hatten.

Artikel 1 der Verfassung des Norddeutschen Bundes:

"Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen mit Lauenburg, Sachsen, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, ..."

Genauso stand es in der Verfassung von 1871.
Diese Verfassung blieb gültig, bis sie am 14. August 1919 von der Weimarer Verfassung abgelöst wurde.

Sie war also am 12. April 1919 noch in Kraft, als Coburg und Gotha ihre Trennung vereinbarten:

"§ 1. Die Freistaaten Coburg und Gotha regeln ihre Angelegenheiten unabhängig von einander durch die von ihnen bestimmten Organe. Insbesondere bestimmen sie selbständig über ihre künftigen staatlichen Geschicke und das ihrer Gebietsteile.

§ 2. Gemeinsame Angelegenheiten der Freistaaten Coburg und Gotha sind:

1. die Beziehungen der beiden Staaten zum Deutschen Reich, soweit sie nach der Reichsverfassung dem Reiche gegenüber als ein Staat zu gelten haben ..."

Hier im Original nachzulesen:

http://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/vie...iv=jportal_jparticle_00362430&q=Staatsvertrag





 
Im Norddeutschen Bund war noch das Bundespräsidium das Oberhaupt, mit dem Vorsitz durch den preußischen König.

Bei den Änderungen im November 1870 wurde im Zuge des Wandels vom Norddeutschen Bund zum Deutschen Reich auch das Bundespräsidium durch den Kaiser ersetzt.

„Artikel 11. Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen.“

Es ist zwar unwahrscheinlich, dass der Bundesstaat unberührt von einem Wandel Preußens von de Monarchie weg geblieben wäre, aber ein preußischer Staatspäsident wäre erst einmal Kaiser geworden. Der Wechsel des Titels zu "Reichspräsident" wäre dann aber sicher schnell gekommen.
 
Bei den Änderungen im November 1870 wurde im Zuge des Wandels vom Norddeutschen Bund zum Deutschen Reich auch das Bundespräsidium durch den Kaiser ersetzt.

Es wurde nicht ersetzt, sondern blieb bestehen: "Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu". Inhaltlich änderte sich nichts, nur der Name "Deutscher Kaiser" kam als zusätzliches Etikett drauf.

Es ist zwar unwahrscheinlich, dass der Bundesstaat unberührt von einem Wandel Preußens von de Monarchie weg geblieben wäre, aber ein preußischer Staatspäsident wäre erst einmal Kaiser geworden.

Dann hätte "erst einmal" entweder der preußische Staatspräsident sich zum König von Preußen krönen lassen müssen, oder die Verfassung hätte geändert werden müssen.
 
Es wurde nicht ersetzt, sondern blieb bestehen: "Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu". Inhaltlich änderte sich nichts, nur der Name "Deutscher Kaiser" kam als zusätzliches Etikett drauf.



Dann hätte "erst einmal" entweder der preußische Staatspräsident sich zum König von Preußen krönen lassen müssen, oder die Verfassung hätte geändert werden müssen.

Oder, ein Staatspräsident hätte den Titel "König von Preußen" geführt. Dann wäre es auch möglich gewesen. Solwac hat da durchaus Recht.


Das ist eben die Staatsgewalt. Um die geht es.

Die verfassungsgebende Gewalt wird im Artikel 20 nicht genannt, sondern in der Präambel.

Eben nicht. ;) Das Volk in Artikel 20 GG ist die verfassungsgebende Staatsgewalt, die drei Gewalten die verfassten Gewalten. Sehen auch Juristen so.




Der rechtlich bedingte Grund ist, dass die beiden Herzogtümer verfassungsgemäß als ein Staat gegolten hatten.

Artikel 1 der Verfassung des Norddeutschen Bundes:

"Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen mit Lauenburg, Sachsen, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, ..."

Genauso stand es in der Verfassung von 1871.
Diese Verfassung blieb gültig, bis sie am 14. August 1919 von der Weimarer Verfassung abgelöst wurde.

Sie war also am 12. April 1919 noch in Kraft, als Coburg und Gotha ihre Trennung vereinbarten:

"§ 1. Die Freistaaten Coburg und Gotha regeln ihre Angelegenheiten unabhängig von einander durch die von ihnen bestimmten Organe. Insbesondere bestimmen sie selbständig über ihre künftigen staatlichen Geschicke und das ihrer Gebietsteile.

§ 2. Gemeinsame Angelegenheiten der Freistaaten Coburg und Gotha sind:

1. die Beziehungen der beiden Staaten zum Deutschen Reich, soweit sie nach der Reichsverfassung dem Reiche gegenüber als ein Staat zu gelten haben ..."

Hier im Original nachzulesen:

http://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/vie...iv=jportal_jparticle_00362430&q=Staatsvertrag






Danke. Aber hätte dann nach Annahme der Weimarer Verfassung die Trennung nicht vollzogen werden müssen?
 
Eben nicht. ;) Das Volk in Artikel 20 GG ist die verfassungsgebende Staatsgewalt, die drei Gewalten die verfassten Gewalten. Sehen auch Juristen so.

Als Staatsgewalt ist "alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter" definiert, ( siehe z. B. BVG), und genau diese Staatsgewalt - ob Legislative, Exekutive oder Jurisdiktion - geht vom Volk aus, das in Artikel 20 GG nicht auf die "verfassungsgebende Staatsgewalt" reduziert wird.

Gibt es Juristen, die das anders sehen, und wo kann ich das nachlesen?



Danke. Aber hätte dann nach Annahme der Weimarer Verfassung die Trennung nicht vollzogen werden müssen?
Die Weimarer Verfassung hat die Länder nicht neu definiert.
Die Trennung wurde vollzogen, der oben zitierte Staatsvertrag war gültig bis 31. März 1920 - "wenn nicht vorher der Anschluß der Staaten Coburg und Gotha an andere Staaten vollzogen wird".

Der Anschluss war das Ziel, nicht die Selbständigkeit der Staaten. Das Ziel wurde in mehreren Schritten verwirklicht - Staatsverträge, eine Volksabstimmung, schließlich ein Reichsgesetz.

S - Schwarz 17 - Digitales Stadtgedächtnis Coburg
 
Zuletzt bearbeitet:
Oder, ein Staatspräsident hätte den Titel "König von Preußen" geführt.

Dann hätte zumindest die preußische Verfassung geändert werden müssen.

Die bestimmte eine erbliche Thronfolge "in dem Mannsstamme des Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge."

Der Präsident hätte allenfalls als Regent eingesetzt werden können.
 
Als Staatsgewalt ist "alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter" definiert, ( siehe z. B. BVG), und genau diese Staatsgewalt - ob Legislative, Exekutive oder Jurisdiktion - geht vom Volk aus, das in Artikel 20 GG nicht auf die "verfassungsgebende Staatsgewalt" reduziert wird.

Gibt es Juristen, die das anders sehen, und wo kann ich das nachlesen?

U.a. hier:
"Das Volk als pouvoir constituant gibt sich eine Verfassung. Dadurch
erst entsteht der pouvoir constitué
, die verfaßte Staatsgewalt. Diese existiert
außerhalb der Verfassung nicht
und ist an sie unbedingt gebunden.
Eine Befugnis zur Verfassungsänderung hat sie nur, soweit sie
dazu vom Volk eine besondere Ermächtigung erhalten hat. Das Recht des Volkes zur Verfassungsgebung ist unbeschränkbar
und unveräußerlich. Ein Volk kann sich selbst und künftige Generationen
keiner Verfassung unterwerfen und auch nicht an Verfahrensvorschriften
binden."

Hauke Möller, "Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die Schranken
der Verfassungsrevision. Eine Untersuchung zu Art. 79 Abs. 3 GG und zur verfassungsgebenden Gewalt nach dem Grundgesetz", S. 30f. http://www.idril.de/art79.pdf

Die Weimarer Verfassung hat die Länder nicht neu definiert.
Die Trennung wurde vollzogen, der oben zitierte Staatsvertrag war gültig bis 31. März 1920 - "wenn nicht vorher der Anschluß der Staaten Coburg und Gotha an andere Staaten vollzogen wird".

Der Anschluss war das Ziel, nicht die Selbständigkeit der Staaten. Das Ziel wurde in mehreren Schritten verwirklicht - Staatsverträge, eine Volksabstimmung, schließlich ein Reichsgesetz.

S - Schwarz 17 - Digitales Stadtgedächtnis Coburg

Also ich bin kein Jurist. Daher nun die Fragen:

- Auch wenn die Weimarer Verfassung die Länder nicht neu definiert hat, gelten trotzdem die Bestimmungen der Verfassung des Kaiserreichs nicht mehr. Auf was beziehst du dich dann?

- " Denn das Reich hatte die Trennung Sachsen-Coburgs von Gotha im April 1919 nicht anerkannt" aus deinem Link. Inwiefern und wieso hat dies sie nicht anerkannt?

Dann hätte zumindest die preußische Verfassung geändert werden müssen.

Die bestimmte eine erbliche Thronfolge "in dem Mannsstamme des Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge."

Der Präsident hätte allenfalls als Regent eingesetzt werden können.

Ja, die preußische hätte geändert werden müssen. Aber nicht die Reichsverfassung. So hätte auch ein "Nichtmonarch" das Bundespräsidium innehaben können. Darum geht's ja. Ist das Kaiserreich durch die Verfassung eine Monarchie gewesen?
 
U.a. hier:
"Das Volk als pouvoir constituant gibt sich eine Verfassung. Dadurch
erst entsteht der pouvoir constitué
, die verfaßte Staatsgewalt. Diese existiert
außerhalb der Verfassung nicht
und ist an sie unbedingt gebunden.
Eine Befugnis zur Verfassungsänderung hat sie nur, soweit sie
dazu vom Volk eine besondere Ermächtigung erhalten hat. Das Recht des Volkes zur Verfassungsgebung ist unbeschränkbar
und unveräußerlich. Ein Volk kann sich selbst und künftige Generationen
keiner Verfassung unterwerfen und auch nicht an Verfahrensvorschriften
binden."

Hauke Möller, "Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die Schranken
der Verfassungsrevision. Eine Untersuchung zu Art. 79 Abs. 3 GG und zur verfassungsgebenden Gewalt nach dem Grundgesetz", S. 30f. http://www.idril.de/art79.pdf

Ja, und inwiefern deckt sich das nicht mit meiner Sicht?

Die verfassungsgebende Gewalt des Volks ist nicht die Staatsgewalt. Sie ist der Ursprung der Staatsgewalt.
Den Ausdruck "verfassungsgebende Staatsgewalt" habe ich nie in einem juristischen Text gelesen. (Beim Googlen landet man auf irgendwelchen schrägen Reichsbürgerseiten...)

Die Staatsgewalt wird wie laut GG Artikel 20 in Form von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung ausgeübt.


- Auch wenn die Weimarer Verfassung die Länder nicht neu definiert hat, gelten trotzdem die Bestimmungen der Verfassung des Kaiserreichs nicht mehr. Auf was beziehst du dich dann?
Auf allen Gebieten, durch die nicht durch die Weimarer Verfassung eine neue Rechtslage entstanden ist, galten die Gesetze des Kaiserreichs weiter. Das Strafgesetz z. B. wurde mit der Weimarer Verfassung nicht geändert. Nur weil die Weimarer Verfassung keine Bestimmungen zu Mord und Totschlag enthält, heißt das ja nicht, dass nun Mord und Totschlag plötzlich legal geworden wären.

- " Denn das Reich hatte die Trennung Sachsen-Coburgs von Gotha im April 1919 nicht anerkannt" aus deinem Link. Inwiefern und wieso hat dies sie nicht anerkannt?
Wie bereits gesagt: Im April 1919 war die alte Verfassung noch gültig.

Ja, die preußische hätte geändert werden müssen.
Sie hätte die Wahlmonarchie einführen müssen.


Ja, die preußische hätte geändert werden müssen. Aber nicht die Reichsverfassung. So hätte auch ein "Nichtmonarch" das Bundespräsidium innehaben können. Darum geht's ja. Ist das Kaiserreich durch die Verfassung eine Monarchie gewesen?

Selbstverständlich war das Kaiserreich eine Monarchie, wenn auch mit Einschränkungen.
Der König von Preußen war nun mal ein Monarch, und die preußische Verfassung ließ auch gar nichts anderes zu.
Erörterungen, was das Kaiserreich gewesen wäre, wenn die Rechtslage nicht so gewesen wäre, wie sie war, bringen keinen Erkenntnisgewinn. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland von 1949 sagt über den Bundespräsidenten: "Wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestage besitzt und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat." Zur Wählbarkeit des Bundeskanzlers steht nichts in der Verfassung (nur im Bundeswahlgesetz). Die Erörterung der Frage, was gewesen wäre, wenn ein Zebra zum Bundeskanzler gewählt worden wäre, bringt uns keinen Erkenntnisgewinn.
 
Auf allen Gebieten, durch die nicht durch die Weimarer Verfassung eine neue Rechtslage entstanden ist, galten die Gesetze des Kaiserreichs weiter. Das Strafgesetz z. B. wurde mit der Weimarer Verfassung nicht geändert. Nur weil die Weimarer Verfassung keine Bestimmungen zu Mord und Totschlag enthält, heißt das ja nicht, dass nun Mord und Totschlag plötzlich legal geworden wären.


Wie bereits gesagt: Im April 1919 war die alte Verfassung noch gültig.
Das ist klar. Aber im Bezug auf die Länder wäre mir neu, dass es da eine Regelung im deutschen Kaiserreich gab. Und spätestens mit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung sind die Regelungen in der Verfassung des Kaiserreich obsolet geworden. Sonst würde z.B. im GG nicht auf die Weimarer Verfassung Bezug genommen werden.

Das logischere ist, dass es an der notwendigen Zustimmung des Reiches durch ein Reichsgesetz für die Aufnahme neuer Länder gescheitert ist. Warum nicht, ist dann eine andere Frage (Klar, es wurde u.a. bereits die Vereinigung der thüringerischen Kleinstaaten favorisiert und durch das Reichsgesetz beschlossen: http://www.verfassungen.de/de/th/thueringen20.htm)
 
Zuletzt bearbeitet:
Das logischere ist, dass es an der notwendigen Zustimmung des Reiches durch ein Reichsgesetz für die Aufnahme neuer Länder gescheitert ist.

Hatte denn überhaupt jemand ein Interesse an einem solchen Reichsgesetz?

Weder Gotha noch Coburg hatten vor, sich auf Dauer als neue Länder zu konstituieren. Sie suchten den Anschluss an größere Einheiten, darauf nimmt ja schon der zitierte Staatvertrag vom 12. April 1919 Bezug.
Die neue Verfassung war damals schon in Arbeit, aber noch nicht in Kraft.
Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs war man zum Improvisieren gezwungen. Solange keine neuen Regelungen in Kraft waren, musste man mit den alten Regelungen hantieren.
 
Das meine ich mit den Beweggründen. Da Coburg und Sachsen-Gotha nicht vorhatten selbstständig zu bleiben, gab es auch kein Bestreben für ein solches Gesetz bzw. forderten es nicht. Ob das identisch mit den Beweggründen des Reiches war, weiß ich nicht, ich kann es nur vermuten.

Und da die Anerkennung von Reichsseite fehlte, ist der Status Quo beibehalten worden, auch wenn - und da bin ich immernoch recht fester Meinung - keine eindeutige rechtliche Regelung exisitierte.
 
Das meine ich mit den Beweggründen. Da Coburg und Sachsen-Gotha nicht vorhatten selbstständig zu bleiben, gab es auch kein Bestreben für ein solches Gesetz bzw. forderten es nicht. Ob das identisch mit den Beweggründen des Reiches war, weiß ich nicht, ich kann es nur vermuten.

Beweggründe des Reichs wofür?
 
Bin gerade dabei, mir einen alten Thread durchzulesen. Die Frage scheint Dich ja seit längerer Zeit zu beschäftigen.



Es gab damals mehrere Antworten, interessante Aspekte wurden von Thanepower genannt:
http://www.geschichtsforum.de/722107-post49.html


Vielleicht noch eine kleine Ergänzung:
In der allerletzten Phase des Kaiserreichs gab es tatsächlich mit den stärksten Fraktionen im Reichstag ("Interfraktioneller Ausschuss") Absprachen zwecks Regierungsbildung.

Erstmals bei der Ernennung Georg von Hertlings 1917:
https://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/01107/index-25.html.de

Damit sind wir aber schon sehr weit vom Norddeutschen Bund entfernt...

Zu Entwicklungen, die es in dieser langen Zeit gab, äußert sich u. a. Udo Bermbach, Vorformen parlamentarischer Regierungsbildung in Deutschland (1967)

Danke für den Hinweis. Ich konnte mich an meinen Post von vor fast 3 Jahren allerdings nicht mehr erinnern. (und die Frage hat mich auch die letzten drei Jahre auch nciht allzu sehr beschäftigt:D).

Immerhin war der Reichskanzler bzw. die Reichsregierung gezwungen, im Reichstag ggf. wechselnde Mehrheiten zu suchen, um Gesetze zu erlassen. Die Möglichkeit, den Reichstag aufzulösen, um dann auf Neuwahlen zu setzen, in der Hoffnung, dann eine tragfähige Mehrheit zu erreichen, ist zumindest gewagt. Es kann funktionieren oder auch nicht.
 
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