Was wir den Arabern verdanken

Ich weiß schon. Es gibt viele unpassende Begriffe, die überaus gebräuchlich sind. Wir wissen z.B. alle, dass das "Heilige Römische Reich deutscher Nation" weder heilig noch römisch und auch nur teilweise deutscher Nation ist. Aber freilich ist das eine Standardbezeichnung. Solange jedem bewusst ist, dass das nicht als Beschreibung mit Wahrheitsanspruch gemeint ist, ist das ja auch nicht weiter schlimm. Bei der "islamischen Kultur" besteht diese Gefahr des deskriptiven Missverständnisses aber durchaus.

Seit dem 8. Jh. bildet sich in Vorderasien eine Kultur heraus, die man mit Recht als die arabisch-islamische bezeichnen kann. Arabisch jedoch nicht in dem Sinn, dass Nichtaraber nicht an zentraler Stelle daran mitgewirkt hätten. Sie und am frühesten die Iraner haben so bedeutende Beiträge geliefert, dass einige wie du meinen, die Araber hätten fast überhaupt keine entscheidende Rolle in der islamischen Kultur gespielt.

Dennoch ist diese auch arabisch, und zwar in dem Sinn, dass die bis dahin sprachlich getrennten Völker sie nun auf der gemeinsamen Basis der arabischen Sprache aufbauen halfen; und auch, weil die Araber überhaupt erst den geografischen Raum schufen, in dem sich eine solche durch inneren Frieden bestimmte Kultur entfalten konnte.

Zweifellos ist das Arabische - einst die Sprache einfacher Beduinen - an seiner Aufgabe gewachsen, sodass eine Sprache universaler Geltung daraus wurde. Dass noch andere an dieser Kultur beteiligt waren - Christen, Juden, Iraner und andere - trifft gleichfalls zu.

Dass der Ausdruck "islamische Kultur" nicht ganz unproblematisch ist, lässt sich bei Wiki nachlesen. Dennoch wollte die Forschung einen übergeordneten Begriff finden und hat sich mehrheitlich für arabische oder islamische Kultur entschieden.

Wenn du eine bessere Bezeichnung hast, dann nur raus damit.
 
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Zweifellos ist das Arabische - einst die Sprache einfacher Beduinen - an seiner Aufgabe gewachsen, sodass eine Sprache universaler Geltung daraus wurde.
Ja, auch die Beduinen sprachen Arabisch. Dennoch ist die Äußerung, dass Arabisch eine Sprache von Beduinen gewesen sei, falsch. Das Zentrum der arabischen Halbinsel war ziemlich unbesiedelt, aber die Ränder, also der Ḥiǧāz, der Jemen oder der Oman waren durchaus urbanisierte Zonen und dort lebten eben auch die meisten Araber. Es gab vor einigen Jahrzehnten mal die Theorie, dass die drei monotheistischen Religionen, das Judentum, das Christentum und der Islam in der Wüste entstanden seien; diese Theorie hat sich vor allem populär durchgesetzt, stimmt aber nicht. Alle drei Religionen entstanden in urbanisierten Gegenden. Sie sind geradezu Stadtreligionen (um das mal pointiert als Antithese zur Wüstenherkunft zu formulieren). Die Gleichung Araber = Beduinen geht nicht auf.
 
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Zweifellos ist das Arabische - einst die Sprache einfacher Beduinen - an seiner Aufgabe gewachsen, sodass eine Sprache universaler Geltung daraus wurde. Dass noch andere an dieser Kultur beteiligt waren - Christen, Juden, Iraner und andere - trifft gleichfalls zu.

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Es gab (und gibt) arabischsprachige Christen und Juden. Und Iraner verschiedenster Glauben. Irgendwie werden hier wahllos religiöse und ethnische Zugehörigkeiten durcheinandergeworfen.
 
Es gab (und gibt) arabischsprachige Christen und Juden. Und Iraner verschiedenster Glauben. Irgendwie werden hier wahllos religiöse und ethnische Zugehörigkeiten durcheinandergeworfen.

Ich wollte mit dieser Aussage darauf hinweisen, dass der Begriff "arabische Hochkultur" sowohl nichtarabische als auch nichtmuslimische Bevölkerungsgruppen umfasst. Das gilt ebenso für die Bezeichnung "islamische Kultur".

Daran zeigt sich, dass dieser Begriff seine Tücken hat, auch wenn es bis heute keine treffendere Bezeichnung gibt. Bei Wiki las ich dazu:

"Der renommierte Islamhistoriker Marshall Hodgson beschrieb diese Spannung von religiösen versus weltlich-akademischen Gebrauch von Begriffen wie „islamisch“ und „Muslim“ in seinem dreibändigen Werk Das Wagnis des Islam. Er schlug vor, diese Termini lediglich religiösen Phänomenen vorzubehalten, und schlug für die Beschreibung der kulturellen Aspekte der historischen muslimischen Völker den Begriff „Islamicate“ vor. Diese Unterscheidung hat sich jedoch nicht durchgesetzt, daher bleibt eine gewisse Unschärfe beim Gebrauch dieser Begriffe bestehen."
 
Für Deine Behauptungen hast Du bisher keinen Beleg vorgelegt. Da besteht wohl zunächst eine "Bringschuld", die die Behauptungen untermauern.
Eigentlich nicht. Denn wenn etwas in der Forschung weithin anerkannt ist, hat der die Bringschuld, der eine Außenseiterthese vertritt. Da ich dir aber dennoch gerne Belege vorlegen will, habe ich ja nachgefragt, welche konkrete Behauptung dir unplausibel erscheint, aber bisher keine Antwort erhalten.
 
dass einige wie du meinen, die Araber hätten fast überhaupt keine entscheidende Rolle in der islamischen Kultur gespielt.

Dem meisten, was du hier geschrieben hast, will ich gar nicht widersprechen. Ich will nur darauf hinweisen, dass durch die unglückliche Etikettierung "arabische" bzw. "islamische" Kultur der Eindruck entsteht, als habe hier eine arabische Bevölkerung oder eine islamische Religion gewisse kulturelle Leistungen hervorgebracht, während in Wahrheit ein kulturell vergleichsweise primitiver ethnischer Verband aus der Wüste handstreichartig mit enormer militärischer Effizienz in kürzester Zeit den Mittelmeerraum erobert und sich auf bestehende hoch entwickelte Kulturen draufgesetzt hat. Und dann gab es - vereinfacht gesprochen - eine "Arbeitsteilung": die Araber waren für Militär und Verwaltung zuständig und Angehörige der eroberten Gebiete (die weder Araber noch Musime waren) erbrachten fast alle jener kulturellen Leistungen, die man in erster Linie in Sinn hat, wenn von "arabischer" bzw. "islamischer" Kultur die Rede ist. So war das zumindest während der ersten paar Jahrhunderte. Danach setzte dann langsam eine Amalgamierung ein.
 
Dieser Begriff ist zwar gebräuchlich, aber auch irreführend, weil daraus aleitbar wäre, dass die Religion Islam besonders wissenschaftsförderlich sei. Das ist sie aber ebensowenig, wie es das Christentum je war.

Es gibt theologische Gründe im Islam, die der Entwicklung der Wissenschaft hinderlich sind. Hingegen gibt es verschiedene wissenschaftsfördernde Aspekte des Christentums. Das im Einzelnen zu beleuchten, wäre allerdings ein weites Feld. Wenn jemand Interesse hat, gehe ich aber gerne mehr ins Detail.
 
Es gibt theologische Gründe im Islam, die der Entwicklung der Wissenschaft hinderlich sind. Hingegen gibt es verschiedene wissenschaftsfördernde Aspekte des Christentums. Das im Einzelnen zu beleuchten, wäre allerdings ein weites Feld. Wenn jemand Interesse hat, gehe ich aber gerne mehr ins Detail.

Der hinderliche Aspekt der islamischen oder der förderliche Aspekt der christlichen Theologie?

Am besten beides im direkten Vergleich.

@Tintagel: Kommt da noch was? Oder hat sich jemand zu weit aus dem Fenster gelehnt und ist der Schwerkraft gefolgt??

Sollte nichts mehr kommen, werde ich gerne den Part übernehmen, die arabische bzw. islamische Kultur in den Narrativ der "Globalgeschichte" einzuordnen.

Immerhin hat Dieter mit Hodgson einen Historiker benannt, mit dessen Hilfe - und mit anderen - schon die Richtung benannt werden kann, in der eine angemessene Darstellung vorgenommen werden sollte.
 
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Der hinderliche Aspekt der islamischen oder der förderliche Aspekt der christlichen Theologie?

Hallo Tintagel,

mich würden vor allem die förderlichen Aspekte der christlichen Theologien für die sogenannte epistemologische Wende ab der europäischen Frühen Neuzeit bei der Emergenz der Naturwissenschaften (zumindest aus heutiger Sicht) und später der Geisteswissenschaften lebhaft interessieren.

Ansonsten schreibe ich bewusst von den christlichen Theologien, wie ich ebenso von den islamischen Theologien sprechen würde. Koranische Kenntnisse besitze ich keine, neutestamentliche schon etwas.

Viele Grüße,
Andreas
 
Am besten beides im direkten Vergleich.

Damit Naturwissenschaft in einer Kultur entstehen kann, braucht es eine Reihe von weltanschaulichen Rahmenbedingungen, die keineswegs so selbstverständlich sind wie es denjenigen erscheinen mag, die sie aus ihrer eigene Geschichte kennen. Zu glauben, man müsse einer Kultur nur Zeit geben, dann stelle sich die Wissenschaft irgendwann aufgrund irgendwelcher innerer Entwicklungszwänge automatisch ein, ist ein Denkfehler, wie die vielen Beispiele von Kulturen zeigen, denen ein oft langes geschichtliches Dasein beschieden war und die in mancherlei Hinsicht eine Blüte erlebt haben, die dann aber wieder untergegangen sind, ohne dass sie empirische Wissenschaft hervorgebracht hätten.

Im Folgenden zähle ich einige der weltanschaulichen Voraussetzungen auf, die den Nährboden für das Sprießen der Wissenschaft darstellen und die allesamt durch die christliche Weltsicht bereitgestellt werden, während manche von ihnen in anderen Religionen fehlen.

1. Die Welt existiert.
Diese Überzeugung begründet erst den Sinn des Vorhabens, die Struktur der Welt zu erforschen. In vielen asiatischen Glaubenssystemen wird die Welt als bloße Illusion angesehen („maya“), eine Täuschung, der man sich nicht neugierig-untersuchend zuwenden soll, sondern der man entfliehen soll, um in seinem Inneren das wahre Sein zu entdecken.

2. Die Welt ist gut.
Die Flucht vor der Welt in die Innerlichkeit erscheint auch dann als die bessere Alternative zur forschenden Zuwendung, wenn sie zwar als real, aber als schlecht, als wertlos angesehen wird, wie wir das z.B. in neuplatonischen und gnostischen Strömungen der Spätantike antreffen. [Christentum: „Gott sah, dass es gut war“]

3. Die Welt ist nicht selbst göttlich, sondern wurde von Gott erschaffen.
Eine nach Art vieler heidnischer Religionen als pantheistisch oder animistisch gedeutete Welt steht dem Menschen als ein mit göttlichen Wesen und ihren Wünschen und Forderungen durchsetztes Gebilde gegenüber, das ihm Anbetung, Opfer und Furcht abverlangt anstatt sich seiner Neugier als zu erforschendes Objekt darzubieten. [Hooykaas: „De-Deifizierung“]

4. Die Welt weist Ordnung auf
Der Wille zur Erforschung der Welt würde an der Realität zerschellen, wenn diese nicht durch geordnete Strukturen geprägt wäre, sondern dem Erkenntniswillen als unzusammenhängendes Chaos gegenüberstünde. Zentral ist hier der Gedanke der Kausalität. Nach christlicher Auffassung hat Gott der Wirklichkeit als Gesetzgeber eine kausale Gesetzmäßigkeit eingepflanzt, nach der sie quasi auf Autopilot funktioniert, ohne dass Gott jede Einzelheit separat bewirkt. Hier haben wir einen auffallenden Kontrast zu einem Denken, das die islamische Welt zumindest ab dem 12. Jahrhundert prägte, in dem der extrem einflussreiche Theologe al-Ghazali durch seine antikausale Polemik die empirische Wissenschaft nach Einschätzung mancher Ideenhistoriker fast im Alleingang zum Stillstand brachte.

5. Diese Ordnung ist präzise.
In antiken Kosmogonien haben Schöpfergestalten die Welt immer aus präexistenten Substanzen geformt und dadurch keine vollkommene Kontrolle über das Ergebnis, dem stets einen Rest an essenzieller Unberechenbarkeit zu eigen war. Gemäß Platon z.B. können nur abstrakte Formen, nicht aber die Erfahrungswirklichkeit präzise beschrieben werden. Nach christlicher Weltsicht hingegen hat Gott die Welt aus dem Nichts erschaffen und ihr dadurch in vollständiger Kontrolle ihre präzisen Eigenschaften gegeben, die präzisen mathematischen Gesetzen folgen und sich deshalb zur mathematischer Beschreibung anbieten.


6. Und sie ist erkennbar.
Nach christlicher Auffassung ist der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Damit ist nicht eine Ähnlichkeit in der Barttracht gemeint, sondern eine Entsprechung in der intellektuellen Struktur. Der göttliche Logos ist gleichermaßen die ursächliche Quelle der Struktur der Welt und der Struktur des menschlichen Erkenntnisapparates und verbürgt durch diese Isomorphie die prinzipielle Möglichkeit der adäquaten Reflexion. Hier ist ein Vergleich mit dem Weltverständnis aufschlussreich, das die chinesische Kultur prägte. Gemäß diesem weist die Welt zwar eine gewisse Ordnung auf, die dem menschlichen Verständnis aber weitgehend unzugänglich ist, weil es keine epistemisch vermittelnde Instanz gibt.
 
Hallo Tintagel,

mich würden vor allem die förderlichen Aspekte der christlichen Theologien für die sogenannte epistemologische Wende ab der europäischen Frühen Neuzeit bei der Emergenz der Naturwissenschaften (zumindest aus heutiger Sicht) und später der Geisteswissenschaften lebhaft interessieren.

In diesem Zusammenhang möchte ich z.B. Punkt 5 der obigen Aufzählung aufgreifen: die Präzision der Struktur der Wirklichkeit. Bei antiken Theoretikern galten typischerweise nur abstrakte Objekte (Geometrie) als wissenschaftlich präzise strukturiert. Die Erfahrungswirklichkeit war nur in dem Maß der Präzision unterworfen, in dem sie an den idealen Formen teilhatte. Abweichungen galten nicht als Resutat eines Messfehlers, sondern als hinzunehmender Aspekt der Wirklichkeit selbst.

Ganz anders dachte etwa Kepler, dem winzige Abweichungen im (reichlich von Tycho Brahe geerbten und durch eigenen Fleiß erweiterten) Beobachtungsmaterial von der postulierten Kreisform der Planetenbewegung keine Ruhe ließen bis er sie durch eine theoretische Anpassung (Ellipsen) in präzise Übereinstimmung brachte.
 
In diesem Zusammenhang möchte ich z.B. Punkt 5 der obigen Aufzählung aufgreifen: die Präzision der Struktur der Wirklichkeit. Bei antiken Theoretikern galten typischerweise nur abstrakte Objekte (Geometrie) als wissenschaftlich präzise strukturiert. Die Erfahrungswirklichkeit war nur in dem Maß der Präzision unterworfen, in dem sie an den idealen Formen teilhatte. Abweichungen galten nicht als Resutat eines Messfehlers, sondern als hinzunehmender Aspekt der Wirklichkeit selbst.

Ganz anders dachte etwa Kepler, dem winzige Abweichungen im (reichlich von Tycho Brahe geerbten und durch eigenen Fleiß erweiterten) Beobachtungsmaterial von der postulierten Kreisform der Planetenbewegung keine Ruhe ließen bis er sie durch eine theoretische Anpassung (Ellipsen) in präzise Übereinstimmung brachte.

Vielen Dank, Tintagel, das ist mir bekannt. Ansonsten war die Erfahrungswirklichkeit bis in die Neuzeit sehr häufig Dienerin idealer Formen bzw. aristotelischer Wissenschaftsauffassung, die wiederum zumindest lange Zeit die lateinisch-christliche, europäische Theologie prägte. Gerade Keplers Arbeit an der Differenz zwischen Beobachtungsdaten und der postulierten Idealform der Planetenbewegung ist keine Folge oder gehört in die Tradition genuin christlicher Theologie oder der Kirche, sondern ist schon Teil der epistemologischen Wendezeit, scheint mir. Wobei Kepler wiederum auf faszinierende Weise Motivation in antiker Philosophie/Esoterik gefunden hatte, wie Dir bekannt sein dürfte.

Was die Annäherung an die präzise Struktur der 'Wirklichkeit' angeht, so war man, scheint mir, in beachtlichen Teilen des islamisch-arabischen Raumes im 10. - 13. Jh. offener und erfolgreicher gewesen (danach stockte die Annäherung an die 'präzise Struktur der Wirklichkeit' im modernen Verständnis). Das würde ich allerdings nicht genuin koranischer Exegese oder islamischer Theologie zurechnen, sowenig, wie die epistemologische Wissenschaftswende ihren Verankerung genuin in einer Christologie oder dem Neuen Testament hatte, unabhängig davon, wie christlichgläubig noch Kepler oder Galilei waren oder sich hielten.

Viele Grüße,
Andreas
 
1. Die Welt existiert.
Diese Überzeugung begründet erst den Sinn des Vorhabens, die Struktur der Welt zu erforschen. In vielen asiatischen Glaubenssystemen wird die Welt als bloße Illusion angesehen („maya“), eine Täuschung, der man sich nicht neugierig-untersuchend zuwenden soll, sondern der man entfliehen soll, um in seinem Inneren das wahre Sein zu entdecken.

2. Die Welt ist gut.
Die Flucht vor der Welt in die Innerlichkeit erscheint auch dann als die bessere Alternative zur forschenden Zuwendung, wenn sie zwar als real, aber als schlecht, als wertlos angesehen wird, wie wir das z.B. in neuplatonischen und gnostischen Strömungen der Spätantike antreffen. [Christentum: „Gott sah, dass es gut war“]

3. Die Welt ist nicht selbst göttlich, sondern wurde von Gott erschaffen.
Eine nach Art vieler heidnischer Religionen als pantheistisch oder animistisch gedeutete Welt steht dem Menschen als ein mit göttlichen Wesen und ihren Wünschen und Forderungen durchsetztes Gebilde gegenüber, das ihm Anbetung, Opfer und Furcht abverlangt anstatt sich seiner Neugier als zu erforschendes Objekt darzubieten. [Hooykaas: „De-Deifizierung“]

4. Die Welt weist Ordnung auf
Der Wille zur Erforschung der Welt würde an der Realität zerschellen, wenn diese nicht durch geordnete Strukturen geprägt wäre, sondern dem Erkenntniswillen als unzusammenhängendes Chaos gegenüberstünde. Zentral ist hier der Gedanke der Kausalität. Nach christlicher Auffassung hat Gott der Wirklichkeit als Gesetzgeber eine kausale Gesetzmäßigkeit eingepflanzt, nach der sie quasi auf Autopilot funktioniert, ohne dass Gott jede Einzelheit separat bewirkt. Hier haben wir einen auffallenden Kontrast zu einem Denken, das die islamische Welt zumindest ab dem 12. Jahrhundert prägte, in dem der extrem einflussreiche Theologe al-Ghazali durch seine antikausale Polemik die empirische Wissenschaft nach Einschätzung mancher Ideenhistoriker fast im Alleingang zum Stillstand brachte.

5. Diese Ordnung ist präzise.
In antiken Kosmogonien haben Schöpfergestalten die Welt immer aus präexistenten Substanzen geformt und dadurch keine vollkommene Kontrolle über das Ergebnis, dem stets einen Rest an essenzieller Unberechenbarkeit zu eigen war. Gemäß Platon z.B. können nur abstrakte Formen, nicht aber die Erfahrungswirklichkeit präzise beschrieben werden. Nach christlicher Weltsicht hingegen hat Gott die Welt aus dem Nichts erschaffen und ihr dadurch in vollständiger Kontrolle ihre präzisen Eigenschaften gegeben, die präzisen mathematischen Gesetzen folgen und sich deshalb zur mathematischer Beschreibung anbieten.


6. Und sie ist erkennbar.
Nach christlicher Auffassung ist der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Damit ist nicht eine Ähnlichkeit in der Barttracht gemeint, sondern eine Entsprechung in der intellektuellen Struktur. Der göttliche Logos ist gleichermaßen die ursächliche Quelle der Struktur der Welt und der Struktur des menschlichen Erkenntnisapparates und verbürgt durch diese Isomorphie die prinzipielle Möglichkeit der adäquaten Reflexion. Hier ist ein Vergleich mit dem Weltverständnis aufschlussreich, das die chinesische Kultur prägte. Gemäß diesem weist die Welt zwar eine gewisse Ordnung auf, die dem menschlichen Verständnis aber weitgehend unzugänglich ist, weil es keine epistemisch vermittelnde Instanz gibt.


Vielen Dank, Tintagel, doch eine genuin christliche Argumentation erkenne ich nicht.

Punkt 1, Die Welt existiert, ...gilt für alle drei Monotheismen. Die 'Maya' in keineswegs in so vielen asiatischen Glaubenssystem vertreten...

Punkt 2, Die Welt ist gut.
Doch dann kam der Sündenfall, der Mensch, Adam & Eva, der Widersacher (Christus kam und starb zur Erlösung der Welt usw.). Dito Koran.

Punkt 3, Die Welt selbst ist nicht göttlich, sondern wurde von Gott erschaffen.
Ähm, gilt für alle drei so genannte Monotheismen.

Punkt 4, Die Welt weist Ordnung auf. [...] Nach christlicher Auffassung hat Gott der Wirklichkeit als Gesetzgeber eine kausale Gesetzmäßigkeit eingepflanzt, nach der sie quasi auf Autopilot funktioniert, ohne dass Gott jede Einzelheit separat bewirkt.
Hier haben wir einen auffallenden Kontrast zu einem Denken, das die islamische Welt zumindest ab dem 12. Jahrhundert prägte, in dem der extrem einflussreiche Theologe al-Ghazali durch seine antikausale Polemik die empirische Wissenschaft nach Einschätzung mancher Ideenhistoriker fast im Alleingang zum Stillstand brachte.


Hm, Ersteres scheint mir keine genuin aus dem Neuen Testament oder der Christologie ableitbare, zentrale Folgerung sein zu können. Was den zweiten Teil angeht, wäre ich vorsichtig, von empirischer Wissenschaft im (islamischen) Mittelalter zu sprechen und zu glauben, islamische Theologen hätten die reale Macht und Herrschaft im riesigen, damals längst in zahlreiche verschiedene Sultanate und Emirate gegliederten islamischen Raum ausgeübt, 'manche' Ideenhistoriker hin oder her. Al-Ghazali kenne ich als (orthodoxen) Gegner von Teilen der damaligen Philosophielandschaft. Von einer antikausalen Polemik, welche in Folge die angeblichen empirischen Wissenschaften im Islam weitgehend zu erliegen gebracht haben, las ich selber bisher nichts - würde mich auch Wundern, wenn er sich auch damit beschäftigt hätte.

Punkt 5, Diese Ordnung ist präzise.
In antiken Kosmogonien haben Schöpfergestalten die Welt immer aus präexistenten Substanzen geformt und dadurch keine vollkommene Kontrolle über das Ergebnis, dem stets einen Rest an essenzieller Unberechenbarkeit zu eigen war. Gemäß Platon z.B. können nur abstrakte Formen, nicht aber die Erfahrungswirklichkeit präzise beschrieben werden. Nach christlicher Weltsicht hingegen hat Gott die Welt aus dem Nichts erschaffen und ihr dadurch in vollständiger Kontrolle ihre präzisen Eigenschaften gegeben, die präzisen mathematischen Gesetzen folgen und sich deshalb zur mathematischer Beschreibung anbieten


Dass Gott die Welt aus dem Nichts erschaffen hat, in vollständiger Kontrolle präzise, feststehende Eigenschaften verliehen hat, ist ebenso Teil des Korans. Vielleicht ist Dir bekannt, dass der Koran eine dem Alten Testament ähnliche Schöpfungsgeschichte anbietet, Adam & Eva wohnten nach dem Sündenfall allerdings entsprechend auch in der Nähe von Mekka. Was die Mathematik betrifft, so ist das sicherlich eine kreative, nachträgliche moderne Interpretation, aber gewiss nicht genuin orthodox christlich, und das arabisch-islamische Mittelalter hatte jedenfalls eine größere Nähe zu ihr.

Punkt 6, Und sie ist erkennbar.
Der göttliche Logos ist gleichermaßen die ursächliche Quelle der Struktur der Welt und der Struktur des menschlichen Erkenntnisapparates und verbürgt durch diese Isomorphie die prinzipielle Möglichkeit der adäquaten Reflexion.


Das soll ein zentrales, durchgehendes Motiv christlichen Selbstverständnisses sein? Das sind weitgehend (philosophische) Interpretationen, stark abhängig von Zeit, Ort und eigenem Dafürhalten. Deine Punkte scheinen mir durchweg moderne, sichtbar selektive wie nachträgliche philosophische Ableitungen zu sein.

Viele Grüße,

Andreas
 
Vielen Dank, Tintagel, doch eine genuin christliche Argumentation erkenne ich nicht.

Punkt 1, Die Welt existiert, ...gilt für alle drei Monotheismen. Die 'Maya' in keineswegs in so vielen asiatischen Glaubenssystem vertreten...

Punkt 2, Die Welt ist gut.
Doch dann kam der Sündenfall, der Mensch, Adam & Eva, der Widersacher (Christus kam und starb zur Erlösung der Welt usw.). Dito Koran.

Punkt 3, Die Welt selbst ist nicht göttlich, sondern wurde von Gott erschaffen.
Ähm, gilt für alle drei so genannte Monotheismen.

Sehe ich auch so.
Für die Frage nach dem Unterschied zwischen Christentum und Islam ist das alles irrelevant.

Punkt 4, Die Welt weist Ordnung auf. [...] Nach christlicher Auffassung hat Gott der Wirklichkeit als Gesetzgeber eine kausale Gesetzmäßigkeit eingepflanzt, nach der sie quasi auf Autopilot funktioniert, ohne dass Gott jede Einzelheit separat bewirkt.
Hm, Ersteres scheint mir keine genuin aus dem Neuen Testament oder der Christologie ableitbare, zentrale Folgerung sein zu können.
So ist es.
Man könnte sogar genau das Gegenteil aus dem Neuen Testament ableiten:
"Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt."


Hier ist ein Vergleich mit dem Weltverständnis aufschlussreich, das die chinesische Kultur prägte. Gemäß diesem weist die Welt zwar eine gewisse Ordnung auf, die dem menschlichen Verständnis aber weitgehend unzugänglich ist, weil es keine epistemisch vermittelnde Instanz gibt.
Das ist so nicht richtig, weder im Hinblick auf die chinesische Kultur noch im Hinblick auf das christliche Weltverständnis (was wäre denn hier die "epistemisch vermittelnde Instanz"?) - und vor allem trägt es wieder nichts zum Vergleich Christentum-Islam bei.

Zur eigentlichen Frage hast Du leider noch fast gar nichts geschrieben. Ist da noch etwas in Arbeit?
 
Gerade Keplers Arbeit an der Differenz zwischen Beobachtungsdaten und der postulierten Idealform der Planetenbewegung ist keine Folge oder gehört in die Tradition genuin christlicher Theologie oder der Kirche, sondern ist schon Teil der epistemologischen Wendezeit, scheint mir.

Kannst Du diesen Eindruck begründen?

Wobei Kepler wiederum auf faszinierende Weise Motivation in antiker Philosophie/Esoterik gefunden hatte, wie Dir bekannt sein dürfte.
Kepler war stark von platonischen Gedanken beeinflusst, deshalb versuchte er ja, auf Biegen und Brechen die platonischen Körper zwischen die Sphären zu quetschen. Hierin zeigt sich zwar eine platonische Orientierung in Bezug auf die Modellauswahl, jedoch keine platonische Erkenntnistheorie. Die Modelle - egal durch wen oder was sie inspiriert waren - sollten schon exakt passen, sonst wäre Kepler nicht zufrieden gewesen. Für Platon hingegen war es ein ganz natürlicher Zug der Erfahrungswirklichkeit, dass sie sich prinzipiell nur annähernd durch mathematische Modelle erfassen ließ. (Eine gewisse Ausnahme, über die man streiten kann, bildete freilich der translunare Bereich, in dem strengere Gesetze galten und den zu mathematisieren Platon an Eudoxos delegierte)

Was die Annäherung an die präzise Struktur der 'Wirklichkeit' angeht, so war man, scheint mir, in beachtlichen Teilen des islamisch-arabischen Raumes im 10. - 13. Jh. offener und erfolgreicher gewesen
Ich sehe da keinen Zug zur Mathematisierung. Die entscheidenden Schritte wurden nach meiner Ansicht durch die Präzisierung der Bewegungsbegriffe und durch die Erforschung der Bewegungsgesetze getan. Und das spielte sich alles im christlichen Zivilisationsraum (vor allem in Oxford, Paris, Salamanca und Oberitalien) im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit ab.

An alle: ich habe erst nächste Woche wieder Zeit zu antworten, also bitte nicht ungeduldig werden!
 
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