@ Hermundure: Entweder Du lässt auch die schriftliche Überlieferung gelten oder streichst sie ganz. In dem Fall gilt: Tertium non datur. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Was kein Beleg ist, kannst Du nicht heranziehen. Ich werde Dich erinnern, wenn Du mal wieder behauptest, dass Römer in Germanien gewesen sind. Die Funde weisen nur auf Kontakt zu der Kultur hin, die auch in Rom zu dem Zeitpunkt existierte. Aber das heißt ganz und gar nicht, dass Rom da überall die Macht ausübte. Schriftliche Quellen sollen ja nicht gelten. Ich erinnere an Washington und New York, an die recht einheitliche Kultur der "Westlichen Welt" und die geringe Bedeutung von Mexiko City.
Und wenn Du Dich jetzt auf Denkmäler berufst, kann ich Ägypten ins Feld führen.
Ein Gemanicus in Germanien? Deutlicher kann ein Name nicht auf eine Sagengestalt hinweisen! Ich darf nur an Frangio, den ersten Frankenkönig erinnern, oder Ask, den ersten Eschenmann. Ah - ich vergaß, diese Sagengestalten sind ja auch nur schriftlich überliefert. Gern würde ich jetzt die Gebrüder Grimm erwähnen, aber leider ist auch das schriftliche Überlieferung.
Ernsthaft? Tut mir leid, aber so eine Aussage kann ich nicht ernst nehmen. Im Gegensatz zur Archäologie entspricht -etwas überspitzt gesagt- die Geschichtswissenschaft wenigstens der Definition einer Wissenschaft. Archäologische Ergebnisse sind nämlich schon deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil sich die Archäologie nicht der öffentlichen Diskussion stellt. Dadurch verliert sie nicht nur den Status als Wissenschaft, sondern auch die Glaubwürdigkeit. Sorry für die bittere Erkenntnis.
Was will ich damit sagen? Ganz einfach: Jede Wissenschaft hat irgendwo ihr Begründungsproblem. Die moderne Geschichtswissenschaft entstand durch die Auseinandersetzung genau um dies Thema. Die Archäologie hingegen befindet sich -positiv gesprochen- noch mittendrin. Und nicht alle Archäologen haben überhaupt schon mitbekommen, dass da ein Problem vorliegt. Negativ könnte man sagen, dass gerade erst das Problembewusstsein einer zu strikten Professionalisierung geweckt wird, die ja selbst Reaktion auf allerhand putzige Theorien war, nur eben -je nach Standpunkt- mittlerweile oder generell den Anforderungen einer Wissenschaft widerspricht. Das ist unstrittig. Ein Elfenbeinturm ist nicht zulässig und produziert Fehler. Das relevante Gegenbeispiel nennt sich Aristoteles, bzw. -je nachdem- Aristoteliker oder Scholastik.
Unstrittig ist auch, dass man Schriftquellen nicht naiv nachplappert, sondern erst einmal beurteilt, bevor man sie als Beleg benutzt oder verwirft. Denn man muss erst einmal analysieren, wofür sie sich als Beleg eignen. Tacitus, der übrigens im Gegensatz zu vielen vollmundigen Behauptungen zu 50% Wahrscheinlichkeit einmal an den Rhein, genauer nach Mainz gekommen ist, je nachdem, welche der beiden als üblich überlieferten Routen er wählte, ist eben derjenige, der uns die Geographie des Germanicums mit einer gewissen Verzerrung, was den Lauf des Rheins betrifft, recht stimmig beschrieben hat. Wenn er sagt, dass etwas an der Lippe passierte oder weiter südlich davon, dann hat er das auch so gemeint und nicht nur aufgrund einer Verwechslung so geschrieben. Wenn Du sagst, dass das Quatsch ist, dann musst Du ihn komplett beiseite lassen, weil du ihn für einen Geschichtsfälscher hältst und die Erkenntnisse dazu, wo er zuverlässig ist und wo nicht ablehnst. Das wäre nur seltsam, weil nach seiner Beschreibung Germanicus durchaus in die von Dir gewünschte Gegend gelangt sein kann.
Ah, ein Niemandsland. Das darf natürlich kein feindliches Heer betreten. Und wenn hat es Funde zu hinterlassen, die heute auch schon alle gefunden sein müssen. Argumentum ex silentio in Reinform. Auch so ein Blödsinn, dem viele Archäologen nachhängen: "Wat de Archäologe nich drübber gestolppert is, dat jiff et nich."
("Wat de Buer nit kennt, dat frisst he nit." scheint mir, zumindest habe ich den Eindruck, der Grund Deiner Ablehnung der Schriftquellen zu sein.)
Ich kann gerne weitermachen, aber mit dem Kindergarten sollten wir aufhören. Die Mittel beider Wissenschaften sind relevant und müssen sich gegenteilig korrigieren. In keinem Fall ist da von bloßem Beiwerk zu sprechen. Schon bei der Troja-Debatte hat mich aufgeregt, dass kaum jemand über den eigenen Tellerrand schaute. Ich habe bei Archäologen, Ethnologen, Philologen gehört, eben weil ich da nicht einseitig sein wollte. Ich weiß genau, dass ich auch für fachfremde Argumente offen sein sollte. Dennoch lehne ich sie vielleicht mitunter zu schnell ab. Aber ich erkläre sie doch nicht einfach zu Blödsinn.
@ El Quijote: So ist das nicht ganz richtig. Es werden nur mehr Möglichkeiten ins Auge gefasst, wodurch natürlich häufiger zu tage tritt, dass es sich eben nicht um Migration großer Teile der Bevölkerung handelt. Damit ist die Argumentation nicht veraltet, sondern nur in der vorgetragenen Selbstverständlichkeit vollkommen ungültig. Ansonsten wäre ja auch die akademische Archäologie nicht nur keine Wissenschaft mehr, sondern völlig irre geworden, da ja auch Migration Veränderungen mit sich bringt. Es gehen nur nicht alle Veränderungen auf Migration zurück. Wer nur in aller Kürze Anhaltspunkte, die eine Unterscheidung ermöglichen, zusammengefasst nachlesen will, der findet etwas in dem Katalog zur Varusschlachtausstellung. Ich bin gerade nicht zu Hause und kann die genaue Angabe nicht nachsehen. Ich meine, es geht um die Westausdehnung der elbgermanischen Kultur.
@ Neuformierung: Manchmal hilft es, die Literatur zur Kenntnis zu nehmen. Was passierte denn um die Zeitenwende im Germanicum. Genau. Was gab es da an Verbindungen? Was schildert denn Tacitus, was eine Reaktion auf die Angriffe bei den Cheruskern war? (Ja, Schriftquelle. Aber es dennoch bleibt es eine Möglichkeit. Auch für andere Ethnien.) Und was können wir also aus dem Befund schließen? Richtig. So gut wie nichts. Wer hier nachfragen will, obwohl er beständig bei den Germanenkriegen mitdiskutiert, dem empfehle ich, sich erst einmal wieder in die Grundlagen einzulesen. Oftmals geraten die ja aus dem Blickfeld, wenn man tief in die Diskussion vertieft ist. Hermundure, die Funde sind ganz ohne seltsame und äußerst komplexe Hypothesen mit den bisherigen Theorien gut und einfach erklärt.