Gibt es einen Zusammenhang zw. Christentum und Demokratie?

Diese Wertevorstellungen, bzw. das Menschenbild wurde nicht im Mittelalter in Stein gemeiselt. Aber das wesentliche, nicht ausschließliche Fundament bildet das christliche Menschenbild.
Und jetzt will die Kirche die Gleichheit der Menschen samt Demokratie quasi erfunden haben.
Das wesentliche Menschenbild, das wir heute haben, ist ein christliches. Ja. Ich hab nicht gesagt, dass die Kirche die Demokratie erfunden hat. Aber viele moderne Elemente stammen daraus.

Ihr sprecht doch auch immer von Aufklärung, dann kannst du ja versuchen, die Kirche und ihre Aktivitäten in ihren jeweiligen Kontext einzuordnen
 
Und jetzt will die Kirche die Gleichheit der Menschen samt Demokratie quasi erfunden haben. Geht’s noch?

Die Interpretationslinie von "ervie" geht schon in eine bestimmte Richtung, wie seine Verwendung von Autoren deutlich macht.

Bei Huntington ist die Interpretation von Religion relativ deutlich und dient im funktionalen Sinne einem implizit definierten politischen Ziel. Bei Stein wird es schon "spannender", da sie offensichtlich eine relativ "christliche" Interpretation des Verhältnisses von Religion und Staat vornimmt, die nicht ganz unkritisch zu sein scheint, wie beispielsweise Joas anmerkt.

Und in diesem Sinne nimmt Stein mit ihrer Interpretation eine re-Christianisierung zentraler ideologischer Theorien des Politischen vor.

Kurz-Rezensionen:

https://www.perlentaucher.de/buch/tine-stein/himmlische-quellen-und-irdisches-recht.html

https://ojs.ub.uni-freiburg.de/behemoth/article/view/756
 
Ich habe Thanepower nur Joas näher gebracht, da er mit ihm zwar nur "Ad hoc" begründete, Joas verneine den Anspruch der Religion auf die Menschenrechte.


Sakralisierung und Profanität sind zwei Unterscheidungen in der Theologie, die von Emilé Durkheim geprägt wurden. Sakralität, bzw. Heiligtum, bedeutet einer Person oder einem Gegenstand transzendentale Werte nahezubringen. Wenn nun jeder Mensch heilig ist, dann ist er, platt gesagt, gleich und "unanatastbar". Dies ist eine metaphysische Vorstellung, also einer letztlich nicht empirisch oder sozial zu verstehenden Kategorie. Hans Joas übrigens hat dafür das Beispiel der Liebe.
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Auch der Mensch der unter der Vernunft des Weltnaturgesetzes steht, ist, ebenso platt gesagt - wenn nicht unbedingt heilig so doch ebenfalls gleich und unanatstabar. Die Vorstellung der Stoiker würde ich jetzt auch nicht als soziale Kategorie bezeichnen.
Insofern ist die stoische Weltsicht mindestens so ausschlaggebend für "Demokratie" - wenn nicht sogar mehr. Es ist m.M nicht von ungefähr, dass Demokratie in antiken Griechenland erfunden wurde und nicht in der jüdisch-christlich geprägten Welt (wie gesagt, da dauerte es mehr als 1'700 Jahre).

[QUOTE="ervie, post: 791887, member: 23069"
Huntington oder Larry Siedentop zeigen die Demokratiekompatibilität von Religionen auf (Huntington 1996: 307-315) oder die christlichen Wurzeln der liberalen Demokratie (Siedentop 2002). Den Zusammenhang zwischen Religion und Demokratie stellt Wolfgang Merkel fest, dass die meisten Demokratien es im christlich geprägten Kulturkries gibt. (Merkel 2002a: 109, 2002b).
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Genau so richtig - oder genau so falsch - ist meine Aussage, dass es die meisten (funktionierenden) Demokratien im aufklärerisch geprägten Kulturkreis gibt. Die "meisten Demokratien" ist zudem ein vager Begriff. Gelten die dank Missionierung christlichen afrikanischen Staaten als "christlich geprägt" oder nicht ? Jedenfalls haben viele von ihnen immer wieder Schwierigkeiten mit der Demokratie. Im Gegensatz zu den "missionierten" Staaten ist Äthiopien ganz bestimmt christlich geprägt, eine Demokratie ist das Land erst seit kurzer Zeit. Japan und Indien sind Demokratien, aber sicher nicht christlich geprägt. Die südamerikanischen Staaten sind ganz bestimmt christlich geprägt, haben aber auch immer wieder Mühe mit der Demokratie.

[QUOTE="ervie, post: 791887, member: 23069"
Den Zusammenhang zwischen der Menschenwürde, der Demokratie und der Trennung von Kirche und Staat zeigt Tine Stein auf. Selbst die Kirche ist nicht statisch und durchlebt einen fortlaufenden Prozess. Sakralisierung bedeutet auch Schutz und Anerkennung der Menschenwürde. In den biblischen Erzählungen ist dies so grundgelegt: in der Schöpfungsgeschichte; in der Geschichte des Brudermordes; im Exodus-Geschehen; in der Erzählung der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dem Erlösungsversprechen durch den Opfertod. Wie dieses Botschaft in die begrifflichen Hüllen der Würde und der Person eingeflossen ist und wie schließlich diese religiös-metaphysische Würdebestimmung bei Kant zu einer vernunftmetaphysischen transformiert wurde, bildet das Muster eines Weltverständnisses, das zu einem der Fundamente der europäischen Entwicklung geworden ist. (Stein 2007: 338).
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Die "vernunfmetaphysiche" Würdebestimmung Kants kann gerade so gut auf die Stoiker bezogen werden.
Für den "gestirnten Himmel über mir" und das "sittliche Gesetz in mir" brauchte Kant keinen Brudermord und keine Menschwerdung Gottes.
Hinsichtlich Sakralisierung und Anerkennung der Menschenwürde fallen mir - auf die Schnelle -
die Unlogik im Begriff "Gott und die Freiheit des Menschen" wie sie Bakunin ausführt, ein. Dies möchte ich
aber hier nicht weiter vertiefen, denn das geht Richtung Weltanschauung (oder wenigstens
Philosophie) was hier im Geschichtsforum nicht gern gesehen wird.

[QUOTE="ervie, post: 791887, member: 23069"
Wozu es die Trennung von Kirche und Staat braucht, hatte ich versucht in meinem Beitrag darzulegen. Der moderne legitime Staat darf seine Herrschaft nicht auf eine Religion stützen. Das demokratische Menschenbild wurde durch die biblischen Erzählungen über die Erschaffung des Menschen, über dessen Sündenfall, seine Versklavung und Befreiung, über das dann einzigartige Erlösungsversprechen durch die Menschwerdung Gottes geprägt, wie wir uns als Menschen sehen. Es ist im Prinzip das Bild vom Menschen, der gleich und frei ist und mit einem unbedingten Anspruch auf Anerkennung seiner Würde auftreten kann. Zu Beginn des Grundgesetzes steht der Satz: "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und dem Menschen (...) hat sich das Deutsche Volk (...) dieses Grundgesetz gegeben." Ein wechselseitig abgeschlossener Vertrag, dass der Bürger nicht nur vor der denkbar allgemeinsten weltlichen Instanz, der Menschheit, gerechtfertigt werden, sondern auch vor Gott, dem in der menschlichen Vorstellung absolut Anderen als dem Schöpfer allen Seins (Stein 2007: 12).
Da wir aber in einem modernen Staat leben mit vielen verschiedenen Religionen, die diese Aussage und dessen metaphysischen Gehalt nicht wahr nehmen, muss sich der Staat doch legitimieren. Und hier kommt Joas ins Spiel, der genau diese Ansicht vertritt, dass der moderne Staat sich nicht auf die eine Religion stützen darf (Joas 2015: 13).
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Wenn ich Dich richtig verstehe darf sich die moderne Demokratie nur deshalb nicht auf eine Religion stützen, weil die Anhänger anderer Religionen den "metaphysischen Gehalt", welche die Demokratie offenbar benötigt, nicht wahr nehmen ?
Immer vorausgesetzt, ich habe das richtig verstanden, kann ich dieser Sichtweise mit historischer Argumentation (nicht weltanschaulicher) widersprechen. Um eine liberale Demokratie ins Leben zu rufen,
musste sich die "Aufklärung" gegen die Kirche durchsetzen. Als die Schweiz in den 1840er zu einer "modernen Demokratie" wurde, konnte dies nur in einem (kurzen, fast unblutigen) Bürgerkrieg (Sonderbundskrieg) gegen die katholischen Orte geschehen. Die katholischen Orte waren u.a. gegen den liberalen demokratischen Staat, weil sie eben keine Trennung von Staat und Kirche wollten. Selbstverständlich hat sich auch die katholische Kirche ("angeführt" von den Jesuiten) und etwas weniger stark auch die protestantische Kirche, gegen diese Absicht gewehrt. Die - gewaltsam herbeigeführte - Trennung von Kirche und Staat war im vorliegenden Fall also deswegen nötig, um die liberale moderne Demokratie überhaupt zu ermöglichen und nicht etwa, um sie gegenüber den in der damaligen Schweiz noch kaum vorhandenen Muslimen, Buddhisten und Hindus zu legitimieren.
 
Das wesentliche Menschenbild, das wir heute haben, ist ein christliches.

Interessant ist, an die Diskussion um die Urheberschaft Luthers für den militanten, exterminatorischen Antisemitismus zu erinnern.

In dem Thread habe ich für die Brüche der religiösen Normen seit Luther argumentiert und gegen die Konstanz der antisemitischen Orientierung. Habe somit gegen die Verantwortung Luthers und der Kirche argumentiert.

Ein "ervie" wird sich wohl anders entscheiden müssen und Luther und die evangelische Kirche mit in die Verantwortung nehmen müssen. Zumindest als ideologischer Wegbereiter und auch als Nichtverhinderer - trotz christlichem Weltbild - des Holocaust.

Man wird sich deutlicher entscheiden müssen und nicht als "Wünschdirwas-Veranstaltung" das raus suchen können, was einem gerade in den Kram passt.

Aber vielleicht wird dann ja mit der notwendigen Differenzierung der Traditionsbestände argumentiert, die ich von Oster erwartet hätte und auch von einer Stein.
 
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Das wesentliche Menschenbild, das wir heute haben, ist ein christliches. Ja. Ich hab nicht gesagt, dass die Kirche die Demokratie erfunden hat. Aber viele moderne Elemente stammen daraus.

Ihr sprecht doch auch immer von Aufklärung, dann kannst du ja versuchen, die Kirche und ihre Aktivitäten in ihren jeweiligen Kontext einzuordnen

Wir zum Mindesten ich spreche nicht von "Aufklärung" sondern von "der Aufklärung" d.h. von der Epoche der Aufklärung.
Und nein, ich bin nicht der Ansicht, dass "viele" moderne Elemente der Demokratie aus dem christlichen Menschenbild stammen. Und ich bin sogar der Ansicht, das "unser" wesentliches Menschenbild (noch) aus dem aufklärerischen Gedankengut stammt. Und gerade deshalb, so meine ich, ist die moderne Demokratie auch für Länder ohne christlichen Hintergrund geeignet. Das Autoritäre war und ist immer der Gegner der modernen Demokratie - und das Autoritäre kann Merkmal von weltlicher wie von religiöser Ideologie sein.
 
Und jetzt will die Kirche die Gleichheit der Menschen samt Demokratie quasi erfunden haben. Geht’s noch?
Ich hab nicht gesagt, dass die Kirche die Demokratie erfunden hat.
Dir dürfte bekannt sein, was das Wort „quasi“ bedeutet, oder? Ich habe es geschrieben, weil du gesagt hast, dass „das demokratische Menschenbild wurde durch die biblischen Erzählungen … geprägt“.

Ihr sprecht doch auch immer von Aufklärung, dann kannst du ja versuchen, die Kirche und ihre Aktivitäten in ihren jeweiligen Kontext einzuordnen
Fest steht: Aufklärung hat es gegen den Willen der Kirche gegeben – die wesentlichen Protagonisten der Aufklärung (Voltaire, Kant, Diderot) durften von Katholiken nicht einmal gelesen werden, wer es trotzdem tat, beging eine schwere Sünde und riskierte Exkommunikation. So sieht’s aus.
 
Die "meisten Demokratien" ist zudem ein vager Begriff. Gelten die dank Missionierung christlichen afrikanischen Staaten als "christlich geprägt" oder nicht ? Jedenfalls haben viele von ihnen immer wieder Schwierigkeiten mit der Demokratie. Im Gegensatz zu den "missionierten" Staaten ist Äthiopien ganz bestimmt christlich geprägt, eine Demokratie ist das Land erst seit kurzer Zeit.
Äthiopien ist ein Land mit extrem langer christlicher Tradition. Aksum war eines der ersten christlichen Köigreiche überhaupt.
Ähnlich lang und beständig christlich geprägt sind einzelne Gebiete im Kaukasus wie Georgien und Armenien.
Gerade dort - im Kaukasus und im äthiopisches Hochland - wird man ein unverfälscht christliches Menschenbild finden.

Westeuropa ist überhaupt nur ein winziger Ausschnitt der christlichen Hemisphäre.

Gerade die Engländer gehören (verglichen mit Äthiopiern, Armeniern u.a.) eher zu den spät berufenen christlichen Nationen.
Trotzdem gilt England zusammen mit Frankreich als das Mutterland der modernen Demokratie. (Und das obwohl britischer Staat und anglikanische Kirche immer noch unter der gleichen Krone vereint sind.)

Anzumerken ist natürlich noch, dass sich Benjamin Franklin bei der Ausgestaltung der amerikanischen Verfassung nicht nur an Vorbildern aus dem christlichen Abendland orientierte, sondern an den Römern, Persern und sogar den Irokesen.
 
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Äthiopien ist ein Land mit extrem langer christlicher Tradition. Aksum war eines der ersten christlichen Köigreiche überhaupt.
Ähnlich lang und beständig christlich geprägt sind einzelne Gebiete im Kaukasus wie Georgien und Armenien.
Gerade dort - im Kaukasus und im äthiopisches Hochland - wird man ein unverfälscht christliches Menschenbild finden.

Westeuropa ist überhaupt nur ein winziger Ausschnitt der christlichen Hemisphäre.

Gerade die Engländer gehören (verglichen mit Äthiopiern, Armeniern u.a.) eher zu den spät berufenen christlichen Nationen.
Trotzdem gilt England zusammen mit Frankreich als das Mutterland der modernen Demokratie. (Und das obwohl britischer Staat und anglikanische Kirche immer noch unter der gleichen Krone vereint sind.)

Anzumerken ist natürlich noch, dass sich Benjamin Franklin bei der Ausgestaltung der amerikanischen Verfassung nicht nur an Vorbildern aus dem christlichen Abendland orientierte, sondern an den Römern, Persern und sogar den Irokesen.

Ich möchte noch hinzufügen dass dieses arachaisch anmutende Christentum Äthiopiens auch heute noch gepflegt resp. praktiziert wird - hauptsächlich in Tigray und in der Region von Lalibela, aber auch im zentralen Hochland. Auch die Rastafaris sind noch vertreten -:)
 
- und Indien hat jetzt eindeutig keine christliche Vergangenheit.
Ich weiß, wie es gemeint ist, und habe zu Deiner Argumentation auch keine Einwände.
Nur die Formulierung "keine christliche Vergangenheit" hat mich gestört (ist mir gerade in diesem Zusammenhang wieder eingefallen: Siegel des Stadtgouverneurs von Jerusalem )

Hier ein paar grobe Informationen:
Vom Apostel Thomas zu Christen im Untergrund | bpb

Vor allem im südlichen Bundesstaat Kerala gibt es alte einheimische Kirchen syrischer Tradition, die mitgliederstärkste ist die Syro-malabarische Kirche – Wikipedia
 
Wir können uns überhaupt nicht vorstellen wie Europa wäre ohne Christentum. Das Christentum hat gut 2000 Jahre das Denken von uns geprägt und es gibt dank Kolonisation und Export der europäischen Wertvorstellungen kein Flecken dieser Erde unberührt.

Ob es die Aufklärer ohne die monotheistischen Religionen gegeben hätte, können wir nicht sagen.
 
Hm, laut Überschrift des Strangs geht es um das Christentum und Demokratie, die Beispiele hier beziehen sich aber fast alle auf die jeweilige Kirche in einzelnen Ländern und der verwendete Demokratiebegriff ist ebenfalls wechselnd.

Wenn ich mir die Anfänge des Christentums ansehe, dann ist klar, dass alles nicht im luftleeren Raum entstanden ist, schon das neue Testament ist sich des Römischen Imperiums sehr bewusst. Aber es gibt keine Aussagen zu bestimmten Staatsformen, im Gegenteil, mir kommt die christliche Aussage bewusst unpolitisch vor. Mit Ausnahme der abgelehnten Vergöttlichung des Kaisers gibt es keine Konflikte, es gibt keine Vorgaben für die Form gesellschaftlichen Zusammenlebens, die unterschiedlichen Kulturen in Palästina und Kleinasien werden als bekannt vorausgesetzt aber nicht bewertet. Moralische Vorgaben gibt es gegenüber dem Einzelnen, nicht zur Staatsform.

Die frühchristliche Organisation war komplett unabhängig vom Staat und übernahm einfach allgemeine gesellschaftliche Konventionen, z.B. bei der Stellung der Frau. Die Wahl der Presbyter folgt einerseits dem, was wir heute als demokratisch ansehen, andererseits ist es die Fortsetzung der alten israelischen Stellung des Familienoberhaupt und Ältesten - ein System, welches viele Kulturen kennen. Diese Kombination von patriachalischen Strukturen und einem davon unabhängigen Amt ist kompatibel mit vielen verschiedenen Staatsformen.

Von daher sehe ich keinen besonderen Zusammenhang zwischen Christentum und Demokratie. Beides hat sich über die letzten 2000 Jahre entwickelt, beides hat immer wieder Widersprüche zwischen Wunsch und Wirklichkeit erlebt und viele Verknüpfungen entstammen der Ausübung weltlicher Macht durch eigentlich "nur" religiöse Organisationsformen, z.B. Bistümer. Dies bedingte aber die absolute Vorrangstellung des Christentums als Staatsglaubens bzw. einfach der überwältigenden Mehrheit unter den Bewohnern.
 
Wenn ich mir die Anfänge des Christentums ansehe, dann ist klar, dass alles nicht im luftleeren Raum entstanden ist, schon das neue Testament ist sich des Römischen Imperiums sehr bewusst. Aber es gibt keine Aussagen zu bestimmten Staatsformen, im Gegenteil, mir kommt die christliche Aussage bewusst unpolitisch vor. Mit Ausnahme der abgelehnten Vergöttlichung des Kaisers gibt es keine Konflikte, …
Ja, aber dieser Konflikt war entscheidend für die Verfolgung der Christen: Der Glaube an die Göttlichkeit des Kaisers war eben Staatsdoktrin bzw. -religion und damit sakrosankt. Als Ende des 4. Jahrhunderts das (Trinitäts-)Christentum zur Staatsreligion wurde, verfolgte der Staat dann auch alle anderen Religionen, u.a. auch andere christliche Kirchen, wie z.B. die Arianer, weil die die Trinitätslehre ablehnten. Die Verfolgung der Andersgläubigen zieht sich durch die ganze Geschichte des Christentums - erst mit der Aufklärung verlor man nach und nach den Einfluss auf den Staat.


Die frühchristliche Organisation war komplett unabhängig vom Staat und übernahm einfach allgemeine gesellschaftliche Konventionen, z.B. bei der Stellung der Frau.
Das ist klar, aber das Problem war/ist eben, dass die christlichen Kirchen bis ins 20. Jahrhundert hinein an der Minderwertigkeit der Frau festhielten und teilweise immer noch festhalten. Auch deswegen ist es geradezu absurd, dem Christentum eine positive Rolle bei der Entwicklung der Demokratie geben zu wollen, wie der Passauer Bischof Oster es in dem Interview versuchte.
 
Das ist klar, aber das Problem war/ist eben, dass die christlichen Kirchen bis ins 20. Jahrhundert hinein an der Minderwertigkeit der Frau festhielten und teilweise immer noch festhalten. Auch deswegen ist es geradezu absurd, dem Christentum eine positive Rolle bei der Entwicklung der Demokratie geben zu wollen, wie der Passauer Bischof Oster es in dem Interview versuchte.

Wenn die Gleichberechtigung der Frau zum entscheidenden Kriterium für die "Entwicklung der Demokratie" erklärt wird, wird man auch dem antiken Athen, den USA, Frankreich und der Schweiz absprechen müssen, zur Entwicklung der Demokratie beigetragen zu haben - zumindest vor 1920.

Der lange Weg zum Frauenstimmrecht in der Schweiz: eine Chronologie

Im Kanton Außerrhoden sind die Frauen seit 1990 stimmberechtigt.
 
Die Verfolgung der Andersgläubigen zieht sich durch die ganze Geschichte des Christentums - erst mit der Aufklärung verlor man nach und nach den Einfluss auf den Staat.
Es fehlen also das erste und das letzte Achtel, oder?

Das ist klar, aber das Problem war/ist eben, dass die christlichen Kirchen bis ins 20. Jahrhundert hinein an der Minderwertigkeit der Frau festhielten und teilweise immer noch festhalten. Auch deswegen ist es geradezu absurd, dem Christentum eine positive Rolle bei der Entwicklung der Demokratie geben zu wollen, wie der Passauer Bischof Oster es in dem Interview versuchte.
Wieso "das" Problem? "Ein" Problem wäre wohl richtiger.

Mir ist aber nicht klar was Du aus dem Anfang der Christenheit und der aktuellen Situation auf die Zeit dazwischen folgerst.
 
Wenn die Gleichberechtigung der Frau zum entscheidenden Kriterium für die "Entwicklung der Demokratie" erklärt wird, wird man auch dem antiken Athen, den USA, Frankreich und der Schweiz absprechen müssen, zur Entwicklung der Demokratie beigetragen zu haben - zumindest vor 1920.

Der lange Weg zum Frauenstimmrecht in der Schweiz: eine Chronologie

Im Kanton Außerrhoden sind die Frauen seit 1990 stimmberechtigt.
Ich dachte ja Du beliebst zu scherzen.:D
Aber tatsächlich:
"Nur die beiden Halbkantone Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden weigerten sich noch jahrzehntelang, ..."
Das ist so passend, dass man es wohl nicht erfinden kann. :D:D:D
 
Es mag kleinlich erscheinen, aber es wurde in den meisten Beiträgen an der zentralen These vorbeidiskutiert. Im Kern sagt er, dass die Fundierung der Demokratie auf einer "Kultur" aufbaut, in deren Zentrum die Menschenwürde und die Freiheit der Menschen steht. Damit reklamiert er für die Kirche, dass sie maßgeblich dieses Verständnis der Menschenwürde mit errichtet hat und deswegen sich indirekt auch als Vorbereiter einer demokratischen Kultur ansehen kann.p

Es mag kleinlich erscheinen, aber es wurde in den meisten Beiträgen an der zentralen These vorbeidiskutiert. Im Kern sagt er, dass die Fundierung der Demokratie auf einer "Kultur" aufbaut, in deren Zentrum die Menschenwürde und die Freiheit der Menschen steht. Damit reklamiert er für die Kirche, dass sie maßgeblich dieses Verständnis der Menschenwürde mit errichtet hat und deswegen sich indirekt auch als Vorbereiter einer demokratischen Kultur ansehen kann.

Aber es waren einzelne Personen, die in der Regel gegen die "Amtskirchen" agierten und diese demokratische Gedankengut entwickelte sich in einem weltlichen Kontext und teilweise im Antagonismus zur Amtskirche.

Dennoch ist auch anzumerken, dass die Amtskirche und ihre zentralen ideologischen Aussagen immer wichtige Bezugspunkte für die Entwicklung eigenständiger emanzipatorischer Theorien waren, wie bei Marx oder Engels deutlich ersichtlich.

Dieser Beitrag der Kirche als negative Folie der Entwicklung moderner demokratischer Theorien und Praxis ist hoch einzuschätzen, aber er wäre - im statistischen Sinne - mit einem negativen Vorzeichen versehen!!!

Der eigentliche Paradigmenwechsel der Kirche in Bezug auf demokratische Ideale fand erst nach dem WW2 statt

Und Bajohr ignoriert komplett die Rolle der Kirchen bei seiner Geschichte des demokratischen Zeitalter!

Andresen, Carl; Denzler, Georg; (2004): Wörterbuch Kirchengeschichte. Genehmigte und aktualisierte Lizenzausg. Wiesbaden: Marix.
Bajohr, Stefan (2014): Kleine Weltgeschichte des demokratischen Zeitalters. Wiesbaden: Springer VS
Beyme, Klaus von (2009): Geschichte der politischen Theorien in Deutschland 1300 - 2000.Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss.
Flasch, Kurt (1986): Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart: Reclam.
Hunt, Lynn (2008): Inventing human rights. A history. New York : Norton.
Hoerster, Norbert (Hg.) (1997): Klassische Texte der Staatsphilosophie. München: Dt. Taschenbuch Verl.
Joas, Hans (2015): Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte; mit einem neuen Vorwort. . Berlin: Suhrkamp
Joas, Hans (2015): Sind die Menschenrechte westlich?: Kösel.
Menke, Christoph; Raimondi, Francesca (Hg.) (2011): Die Revolution der Menschenrechte. Grundlegende Texte zu einem neuen Begriff des Politischen. Berlin: Suhrkamp

Das Statement des Bischofs Oster klingt tatsächlich ziemlich selbstgefällig und eurozentrisch.
Viele der grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte, die seit dem Humanismus, der Aufklärung und der Französischen Revolution formuliert wurden, stießen teils auf heftigen Widerstand der Kirchen aller Konfessionen und ihrer führenden Vertreter. Sie sind meist nicht dank den Amtskirchen und mit ihrer Unterstützung, sondern trotz ihnen und gegen ihren Widerstand umgesetzt und verwirklicht worden. Noch vor 1-2 Generationen pochten die christlichen Kirchen auf ihre religiöse und kulturelle Hegemonie, führten Protestanten in mehrheitlich katholischen Regionen und Katholiken in protestantischen Gebieten ein gerade mal geduldetes Nischendasein. Gegen die Trennung von Kirche und Staat wehr(t)en sich Vertreter der Kirchen vehement, und sie waren/sind keineswegs gewillt, Sonderrechte und Privilegien abzugeben.

Doch zur eigentlichen Diskussionsfrage
"Gibt es einen Zusammenhang zwischen Christentum und Aufklärung"?
Ich denke, dass das Christentum als "Buchreligion" dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt hat. und sei es auch nur die eines Antagonisten, eines Reibepunktes.

Das Christentum hat sich ein großes Verdienst erworben in der Bewahrung der Schriften der Antike. Bis ins 13. Jahrhundert verfügte die Kirche praktisch über ein Bildungsmonopol in Europa. Die meisten antiken Quellen sind als mittelalterliche Handschriften erhalten.

Die Gründung der ersten Universitäten im 13. Jahrhundert legten den Grundstein für die geistigen Strömungen der Renaissance und des Humanismus. Das war gerade der Versuch, über die Grenzen der mittelalterlichen Scholastik und die Schriften von Augustinus und Thomas von Aquin hinauszuwachsen. Dabei schöpften ihre Vertreter aus Quellen, die Mönche abgeschrieben hatten.

Die Reformation ließ die drängenden sozialen Fragen ungelöst, sie setzte aber sehr starke intellektuelle Antriebskräfte frei. Die Erfindung des Buchdrucks war ein Katalysator zur Verbreitung der Ideen der Renaissance, des Humanismus und der Reformation. In der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte hat das protestantische Pfarrhaus eine bedeutende Rolle gespielt, und ähnliches lässt sich auch von den Jesuiten sagen. Bücher, die von Vertretern dieses Ordens der Gegenreformation verfasst wurden, waren wissenschaftlich kaum zu beanstanden. Friedrich Spee von Langenfelds "Cautio Criminalis" war ein bedeutendes Werk im Kampf gegen den Hexenwahn.
 
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Das Christentum hat sich ein großes Verdienst erworben in der Bewahrung der Schriften der Antike. Bis ins 13. Jahrhundert verfügte die Kirche praktisch über ein Bildungsmonopol in Europa. Die meisten antiken Quellen sind als mittelalterliche Handschriften erhalten.
Auf der anderen Seite führte das Christentum beim Übergang von der Schriftrolle zum Kodex dazu, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Literatur einfach nicht kopiert wurde und dadurch innerhalb einiger Jahrhunderte verloren ging.

Das Bildungsmonopol war positiv für den Teil der gelehrt wurde, aber es war kein allgemeines Bewahren alten Wissens, es war sehr selektiv. Dies wird u.a. deutlich bei dem Teil des antiken Wissens, welches mit dem Islam wieder nach Europa kam.
 
Das ist sicher richtig, und es ist bedauerlich, dass u. a. ein Großteil des Werks von Cassius Dio, bedeutende Teile von Tacitus Annalen und Historien von Petronius Satyricon nur ein Fragment und eine Menge von anderen Autoren gar nicht erhalten sind. Teile verschollener antiker Literatur gelangten über arabische und persische Übersetzungen wieder nach Europa. Trotz allem war aber der Fundus antiker Literatur, aus der die Humanisten schöpften, immer noch beträchtlich, und ein großer Teil davon war durch christliche Kopisten vor dem Verlust bewahrt worden.
 
Ich kann die Qualität der Schätzungen nicht einordnen. Aber in Bücherverluste in der Spätantike wird eine Zahl von 3000 Titeln überlieferter Literatur von etwa einer Million Titel insgesamt angegeben. Die christliche Kopisten haben also gewollt oder ungewollt eine sehr starke Selektion betrieben bzw. fortgeführt.
 
Die Frage ist wäre Europa heidnisch geblieben, ob da mehr überlebt hätte.
 
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