Die Glockenbecherkultur

Ist ein Begriff aus der "Memetik" (Memtheorie), nicht der Genetik.

Vermutlich meint taurus cultural diffusion (nicht selection), was in Zusammenhang mit dem spread der Glockenbecherkultur (auch im verlinkten Aufsatz) als eine Hypothese in der Diskussion dargestellt ist.

Die (einschränkend: bislang festgestellten) populationsgenetischen Unterschiede sind bei der Ausbreitung des Beaker-Komplexes (ausgehend von der iberischen Halbinsel?) beachtlich, woraus die Debatte über den "Kulturexport" genährt wird. Da liegt der Fall jedenfalls bei dem verfügbaren aDNA-Material und den britischen Inseln anders: mit dem kulturellen "Austausch" scheint es eine Umschichtung der Bevölkerung gegeben zu haben (ähnlich auf dem Kontinent bei dem Erscheinen der Schnurbandkeramik).
 
sepiola schrieb:
Der Grund für den besonderen Reiz des Blondhaars könnte darin liegen, dass es genetisch gesehen ein Störfall namens MC1R ist, d.h. sich einer ´unnatürlichen´ Genmutation verdankt, die vor etwa 40.000 Jahren einsetzte.

Vor 40.000 Jahren gab es keine Genlabore und somit auch keine 'unnatürlichen' Mutationen. Alle Gene/Allele, die wir mit uns herumtragen, sind durch Mutationen (also genetische "Störfälle") entstanden, und zwar ganz natürlich.
Eben.
Abgesehen davon wäre nicht MC1R als solches der "Störfall"*, sondern seine Ausprägungen/Allele bzw. Varianten für die Produktion von MC1R als Rezeptor/Protein auf dem entsprechenden Genlocus.
https://www.omim.org/entry/155555
Es gäbe damit auch keinen "fiktiven" MC1R-"Störfall".

*Ein Gen für den MC1R/Melanocortin-1-Rezeptor bzw. entsprechende Gen-loci weisen auch andere Säugetiere auf.**

Dazu gibt es massenweise Literatur, zB
Savage, Nucleotide diversity and population differentiation of the Melanocortin 1 Receptor gene, MC1R
Raimondi, MC1R variants, melanoma and red hair color phenotype: A meta-analysis

(**oder entsprechendes zu MC1R betreffend Ratten, Rinder, Hunde etc.)
 
Ich meine damit, das die Fortpflanzung bestimmten ideologischen (religiösen) oder anderen kulturellen Regeln unterworfen wurde, die dazu führten, das sich die Gene der Eindringenden schneller verbreiten konnten als die der übrig gebliebenen Ureinwohner.
Wenn die Ureinwohner z.B. nicht untereinander "heiraten" durften, weil sie einen niedrigen sozialen Status hatten und nur Kinder aus Misch"ehen" mit Angehörigen der "Oberschicht" sozial anerkannt wurden, dürften sich doch die Gene der Eindringlinge schnell verbreitet haben.
 
Ich meine damit, das die Fortpflanzung bestimmten ideologischen (religiösen) oder anderen kulturellen Regeln unterworfen wurde, die dazu führten, das sich die Gene der Eindringenden schneller verbreiten konnten als die der übrig gebliebenen Ureinwohner.
Wenn die Ureinwohner z.B. nicht untereinander "heiraten" durften, weil sie einen niedrigen sozialen Status hatten und nur Kinder aus Misch"ehen" mit Angehörigen der "Oberschicht" sozial anerkannt wurden, dürften sich doch die Gene der Eindringlinge schnell verbreitet haben.

In allen Gesellschaften können wir beobachten, dass sich auch Angehörige benachteiligter "Unterschichten" fleißig fortpflanzen.

Wenn die kulturellen Regeln Mischehen zwichen Ureinwohnern und Eindringlingen begünstigen, werden sich die Gene der Ureinwohner unter den Eindringlingen ebenso ausbreiten wie umgekehrt.
 
Für den Zeitraum etwa 2600 bis 1600 und den Übergang vom späten Neolithikum hat eine neue Studie ein überraschendes Ergebnis gebracht:

Untersuchungen an Skelettfunden in Lechtal südlich Augsburg ergaben durchweg hohe Mobilität für die Frauen, deren Knochenfunde auf weit entfernte Herkunft schließen lassen, und regionale Verhaftung für die Männer.

Schlussfolgerung in der Studie: die hohe Mobilität der Frauen dürfte auch für einen wesentlichen Kulturtransport gesorgt haben.

Die Studie ist auf PNAS noch nicht für die Öffentlichkeit freigeschaltet, aber es gibt eine Vorabinformation:
Mobile women were key to cultural exchange in Stone Age and Bronze Age Europe

Weiterhin:
Frauen wanderten in der Bronzezeit Hunderte Kilometer zu Männern - SPIEGEL ONLINE
 
Zuletzt bearbeitet:

Die hier im thread diskutierte Studie über das nahezu völlige Verschwinden der neolithischen britischen Bevölkerung binnen 300 Jahren und der „Austausch“ durch „Beaker-Invasoren“ ist jetzt in der Nature erschienen.

The Beaker phenomenon and the genomic transformation of northwest Europe

Abstract ~ DeepL

Von etwa 2750 bis 2500 v. Chr. verbreitete sich die Glockenbecherkeramik in West- und Mitteleuropa, bevor sie zwischen 2200 und 1800 v. Chr. verschwand. Die Kräfte, die ihre Expansion vorangetrieben haben, sind Gegenstand langjähriger Debatten, und es gibt Unterstützung dafür, dass sowohl kulturelle Diffusion als auch Migration in diesem Prozess eine Rolle spielen.

Hier präsentieren wir genomweite Daten von 400 Europäern aus dem Neolithikum, der Kupfer- und Bronzezeit, darunter 226 Personen, die mit Becher-komplexen Artefakten assoziiert sind. Wir fanden eine begrenzte genetische Affinität zwischen Beaker-Komplex-assoziierten Individuen aus Iberien und Mitteleuropa und schlossen damit Migration als wichtigen Verbreitungsmechanismus zwischen diesen beiden Regionen aus.

Die Migration spielte jedoch eine Schlüsselrolle bei der weiteren Verbreitung des Beaker-Komplexes. Wir dokumentieren dieses Phänomen am deutlichsten in Großbritannien, wo die Ausbreitung des Beaker-Komplexes zu einem hohen Grad an Abstammung aus Stepperegionen führte und mit der Ersetzung von ca. 90 % des britischen Genpools innerhalb weniger hundert Jahre verbunden war, wodurch die Ost-West-Expansion fortgesetzt wurde, die in den vergangenen Jahrhunderten steppenbezogene Abstammung nach Mittel- und Nordeuropa gebracht hatte.


open access auf der bekannten Seite von bioxriv oder
Our research

Der Artikel läuft mit großer Aufmerksamkeit jetzt ein zweites Mal durch die Presse. Der (tagesaktuelle) Hintergrund ist auch hier in dieser Debatte angerissen: Brexit, Archäologie und kulturelles Erbe:
Papers from the Institute of Archaeology
 
Zitat aus dem obigen Link:
"Die Glockenbecher gelangten nach Großbritannien, kurz nachdem die letzten großen Steine in Stonehenge aufgestellt worden waren. Die Tatsache, dass das Glockenbecherphänomen zu einem fast vollständigen Austausch der Bevölkerung führte, die diese riesigen steinernen Monumente errichteten, zeigt, wie einschneidend diese Ereignisse gewesen sein müssen.“
Das könnte zu einem Erklärungsansatz führen, warum sich das Wissen, warum bzw. zu welchen Zweck Stonehenge errichtet wurde, nicht erhalten hat: Entweder waren die Erbauer größtenteils schon tot, als die Neuankömmlinge kamen, oder sie wurden von diesen fast gänzlich ausgerottet.
 
Das könnte zu einem Erklärungsansatz führen, warum sich das Wissen, warum bzw. zu welchen Zweck Stonehenge errichtet wurde, nicht erhalten hat: Entweder waren die Erbauer größtenteils schon tot, als die Neuankömmlinge kamen, oder sie wurden von diesen fast gänzlich ausgerottet.

Na ja, so zack-zack ging das nicht vor sich.
Die Glockenbecherkultur erreichte die Britischen Inseln etwa 2400 v. Chr.

Um diese Zeit soll laut Wiki die Haupt-Bautätigkeit erst so richtig begonnen haben:
Am Ende des dritten Jahrtausends vor Christus, nach Radiokarbondaten etwa zwischen 24402100 v. Chr., fand die Haupt-Bautätigkeit statt.
Stonehenge – Wikipedia

Die Glockenbecherkultur verschwindet um 1800 v. Chr. Erst danach soll die Bautätigkeit in Stonehenge aufgehört haben.
 
Unterstützend dazu der Befund aus Gotland, der durchaus ein jahrhundertelanges Nebeneinander der Kulturen offen lässt, ohne gleich den "Invasoren" die Verdrängung der vorhandenen Population zu unterstellen. Die mtDNA der "Invasoren" scheint daneben hohe Übereinstimmung mit zeitgleichen mitteleuropäischen Nachweisen zu zeigen.

aus der ScienceDirect, inzwischen im open access:
New insights on cultural dualism and population structure in the Middle Neolithic Funnel Beaker culture on the island of Gotland - ScienceDirect

abstract ~ Übersetzung nach DeepL

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Neolithisierung Europas teilweise durch die Migration von Bauerngruppen, ...
[Anm: die abgeschwächte Formulierung lässt die Gewichtung von demic/cultural diffusion offen*]...
die sich mit lokalen Jäger- und Sammlergruppen vermischten, die sich über den Kontinent verteilten, angetrieben wurde.

Allerdings wurde die kulturelle Dualität der zeitgenössischen Viehzüchter und der landwirtschaftlichen Bevölkerung in derselben Region nur wenig untersucht.

Hier untersuchen wir die demographische Geschichte der Trichterbecherkultur (TRB, ca. 4000-2800 cal BCE) und des subneolithischen Pitted Ware Kultur-komplexes (PWC, ca. 3300-2300 cal BCE) während des nordischen Mittelneolithikums auf der Insel Gotland, Schweden.

Wir verwenden einen multidisziplinären Ansatz, um Personen zu untersuchen, die im Ansarve-Dolmen, dem einzigen bestätigten TRB-Grab auf der Insel, begraben sind. Wir präsentieren neue Radiokohlenstoffdatierungen, Isotopenanalysen für Ernährung und Mobilität und mitochondriale DNA-Haplogruppendaten zur Ableitung der mütterlichen Vererbung. Außerdem präsentieren wir eine neue Sr-Basislinie von 0,71208 ± 0,0016 für die lokale Isotopenvariation. Wir vergleichen und diskutieren unsere Ergebnisse mit denen der zeitgenössischen Bevölkerung in Schweden und dem nordeuropäischen Festland.

Die Radiokohlenstoffdatierung und das Strontium-Isotopenverhältnis zeigen, dass der Dolmen zwischen ca. 3300-2700 cal BCE von einer Bevölkerung verwendet wurde, die lokale Sr-Signale zeigte. Mitochondriale Daten zeigen, dass die im Ansarve-Dolmen begrabenen Individuen eine mütterliche genetische Affinität zu anderen früh- und mittelneolithischen Bauernkulturen in Europa hatten, die sich von derjenigen des zeitgenössischen PWC auf der Insel unterscheidet. Außerdem zeigten sie eine strenge terrestrische und/oder leicht abwechslungsreiche Ernährung im Gegensatz zur strengen marinen Ernährung des PWC. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass zwei verschiedene zeitgenössische Gruppen auf der gleichen Insel mehrere hundert Jahre lang mit unterschiedlicher kultureller Identität, Lebensweise und Ernährungsgewohnheiten koexistierten. In recent years it has been shown that the Neolithization of Europe was partly driven by migration of farming groups admixing with local hunter-gatherer groups as they dispersed across the continent. However, little research has been done on the cultural duality of contemporaneous foragers and farming populations in the same region. Here we investigate the demographic history of the Funnel Beaker culture [Trichterbecherkultur or TRB, c. 4000–2800 cal BCE], and the sub-Neolithic Pitted Ware culture complex [PWC, c. 3300–2300 cal BCE] during the Nordic Middle Neolithic period on the island of Gotland, Sweden. We use a multidisciplinary approach to investigate individuals buried in the Ansarve dolmen, the only confirmed TRB burial on the island. We present new radiocarbon dating, isotopic analyses for diet and mobility, and mitochondrial DNA haplogroup data to infer maternal inheritance. We also present a new Sr-baseline of 0.71208 ± 0.0016 for the local isotope var- iation. We compare and discuss our findings together with that of contemporaneous populations in Sweden and the North European mainland.
The radiocarbon dating and Strontium isotopic ratios show that the dolmen was used between c. 3300–2700 cal BCE by a population which displayed local Sr-signals. Mitochondrial data show that the in- dividuals buried in the Ansarve dolmen had maternal genetic affinity to that of other Early and Middle Neolithic farming cultures in Europe, distinct from that of the contemporaneous PWC on the island. Furthermore, they exhibited a strict terrestrial and/or slightly varied diet in contrast to the strict marine diet of the PWC. The findings indicate that two different contemporary groups coexisted on the same island for several hundred years with separate cultural identity, lifestyles, as well as dietary patterns.


* EDIT
Dazu eine Publikation von Fort aus 2015 (es gibt eine weitere aus 2018)
Demic and cultural diffusion propagated the Neolithic transition across different regions of Europe
Bei weitergehendem Interesse kann auf den Beitrag 2018 verwiesen werden, bzw. auf die weiteren Beiträge im Kapital Society** in der Neuerscheinung 2018: Diffusive Spreading in Nature, Technology and Society.
** Daraus zB der Lemmen/Gronenborn-Beitrag: [1702.06977] The Diffusion of Humans and Cultures in the Course of the Spread of Farming
 
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