1803 kein Reichskrieg?

Brissotin

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Ich hätte mal eine Frage:
Warum löste die Okkupation Hannovers durch die Franzosen 1803 keinen Reichskrieg aus?

Waren die Gewinner des Reichsdeputationshauptschlusses noch sosehr mit der Verteilung und Neustrukturierung des Geraubten beschäftigt, dass sie dafür keine Zeit hatten? Was war die Argumentation des Kaisers?
 
Das Kurfürstentum Hannover hatte im Reichsdeputationshauptschluss einen Bestandsschutz erhalten und war sogar im Besitz des Hochstifts Osnabrück bestätigt worden. Allerdings ging wenig später Großbritannien - zu dem Kurhannover in Personalunion gehörte - zum Angriff über und brach erneut einen Krieg gegen Frankreich vom Zaum. Da keine der Bestimmungen des Vertrages von Amiens aus dem Jahr 1802 vollständig erfüllt wurden, erklärte Großbritannien Frankreich am 18. Mai 1803 den Krieg. Somit fühlte sich das Reich nicht verpflichtet, einem Angreifer zur Seite zu stehen und nahm die Besetzung des Kurfürstentums Hannover ohne große Reaktion hin.

Hinzu kam sicher, dass viele rechtsrheinische Reichsstände durch den Hauptschluss große Territorien dank Napoleon gewonnen hatten und diese nicht durch einen Reichskrieg verlieren wollten - der ihnen wegen der militärischen Überlegenheit der Franzosen ohnehin sinnlos erschien.
 
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Mir war jetzt nur mal aufgefallen, dass mir das Thema in den mir vorliegenden Publikationen zum HRR nie aufgefallen ist. Im Essayband zur großen Ausstellung 2006 wurde mal erörtert, ob der Reichsdeputationshauptschluss das Ende des HRR bedeutete oder es nicht etwa sogar überlebensfähiger machte. Vor dem Hintergrund des Bruches des Friedens von Amiens scheint das obsolet. Zwar hatten einige Fürsten schon die ihnen zufallenden Gebiete 1802 militärisch besetzt, aber de jure gehörten sie ihnen wohl erst 1803 an, also im selben Jahr der Invasion der Franzosen in Kurhannover. Zumindest Staaten, die sowieso Frankreich nicht wohl gesonnen waren und außerhalb der Reichweite der französischen Armee lagen wie Schweden etwa, hätten auf dem Reichstag einen Reichskrieg vorschlagen können. Ob Kurhannover evtl. selber an dem Krieg schuld war, war ja für den Casus ob die Reichsgrenzen missachtet wurden, eigentlich egal.

In einem Buch über einen anderen Krieg tauchte mal der Aspekt auf, dass eine Friedensverletzung für den Verletzenden eventuell die nachteilige Folge haben konnte, dass die eben ausgehandelten Grenzen samt dem Vertrag als null und nichtig erklärt werden konnten (in dem Fall ging es um den Anfall Lothringens an Frankreich per Vertrag von 1735/38). Natürlich glaube ich, dass solche juristischen Spitzfindigkeiten Napoléon wahrscheinlich eh kalt gelassen haben dürften.
 
Im Essayband zur großen Ausstellung 2006 wurde mal erörtert, ob der Reichsdeputationshauptschluss das Ende des HRR bedeutete oder es nicht etwa sogar überlebensfähiger machte.

Die Zukunft gehörte eindeutig den Nationalstaaten und nicht einem föderalen Gebilde wie dem Heiligen Römischen Reich - an dem sich durchaus auch positive Aspekte ausmachen lassen, im Gegensatz zu Bemerkungen, es sei ein "lebender Leichnam".

Der Reichsdeputationshauptschluss war ein erster Schritt in diese Richtung, indem er die gewaltige Zahl der Reichsstände verkeinerte und geistliche Fürstentümer von der Landkarte verschwinden ließ. Ein weiterer Schritt wat der Rheinbund 1806, durch den zahlreiche weitere reichsunmittelbare Grafschaften, Reichsstädte und die gesamte Reichsritterschaft verschwanden. Das führte dann dazu, dass der Kaiser des HRR seine Krone niederlegte. Von den ehedem etwa 150 reichsunmittelbaren Territorien (exklusive Reichsritterschaft) waren nur noch rund 40 übriggeblieben, die dann nach 1815 den Kern des Deutschen Bundes bildeten - plus Preußen und Österreich, die dem Rheinbund nicht angehörten.

Insofern muss man sagen, dass der Reichsdeputationsshauptschluss den Anfang vom Ende des Heiligen Römischen Reiches bildete. Entstanden war ein nicht zukunftsfähiges Gebilde, dessen linksrheinische Gebiete Frankreich annektiert hatte und das unter den Regeln der alten Reichsgesetze nicht lebensfähig war.
 
Vor dem Hintergrund des Bruches des Friedens von Amiens scheint das obsolet. Zwar hatten einige Fürsten schon die ihnen zufallenden Gebiete 1802 militärisch besetzt, aber de jure gehörten sie ihnen wohl erst 1803 an, also im selben Jahr der Invasion der Franzosen in Kurhannover. Zumindest Staaten, die sowieso Frankreich nicht wohl gesonnen waren und außerhalb der Reichweite der französischen Armee lagen wie Schweden etwa, hätten auf dem Reichstag einen Reichskrieg vorschlagen können. Ob Kurhannover evtl. selber an dem Krieg schuld war, war ja für den Casus ob die Reichsgrenzen missachtet wurden, eigentlich egal.
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Weil ich durch Zufall darübergestolpert bin: Inwiefern wurde die Frage mit dem Bruch des Friedens obsolet? Der Bruch betraf ja letztendlich nur Frankreich und Großbritannien, nicht das HRR.

Bzgl. dem Fettmarkierten: Willst du damit aussagen, dass von diesen Staaten kein Reichskrieg vorgeschlagen wurde, weil sie noch im Prozess der Sicherstellung der neu gewonnenen Gebiete waren? Oder was konkret meinst du damit?
 
Weil ich durch Zufall darübergestolpert bin: Inwiefern wurde die Frage mit dem Bruch des Friedens obsolet? Der Bruch betraf ja letztendlich nur Frankreich und Großbritannien, nicht das HRR.
1803 fand ja gleich die Invasion in Kurhannover statt. So wie ich die Reichsverfassung verstehe, wäre damit sogleich eigentlich eingetreten, dass die Reichsstände in Regensburg hätten den Reichskrieg erklären müssen. Kurhannover ist eindeutig Teil des Reiches gewesen.

Der Reichsdeputationshauptschluss war ja auf Druck Frankreichs passiert, das schon in Rastatt eine Kompensierung der linksrheinischen Verluste durch mediatisierte Gebiete vorgeschlagen hatte, auch wenn Frankreich garkeinen Zugriff auf diese Gebiete hatte, noch de Jure irgendwelche halbsouveränen Staaten auflösen durfte.
Im Prinzip war der Reichsdeputationshauptschluss die direkte Folge des Friedens von Lunnéville (1801).

Aus Sicht des HRRDN war der Krieg Großbritanniens gegen Frankreich erstmal keine Sache, die das Reich anging. Man sieht es auch an anderen Beispielen, dass Kurhannover einfach nicht angegriffen wurde, auch wenn sich GB mit einer anderen Macht im Krieg befand (z.B. 1743-45 im Österr. Erbf.krieg, 1718-20 im Krieg der Quadrupelallianz).

Ja, ich halte es für möglich, dass es folgende Gründe für das Ausblieben des Reichskrieges gab:
A) Baden, Württemberg und die anderen Gewinner von 1802/03 waren mit der militärischen Besetzung der gewonnenen Gebiete beschäftigt (auch wenn es fast keinen Widerstand dagegen gab)
B) zumindest die süddeutschen Reichskreise waren im 1. und 2. Koalitionskrieg geschlagen worden. Die Reichstruppen hatten sich in den Schlachten wie bei Stockach (1800) als völlig unfähig erwiesen irgendwelchen Feinden die Stirn zu bieten. Obendrein waren zumindest der Schwäbische und der Bayerische Kreis 1799-1800 Kriegsschauplatz gewesen und teilweise in den Kampfgebieten ausgeplündert worden
C) Die einzige größere Macht, die die 10 Jahre zuvor immer gegen Frankreich eingetreten war, Österreich, war 1799-1800 militärisch ausgeblutet. Daher wollte sie offenbar keinen Waffengang. (auch die Steuereinnahmen müssen mit dem Verlust der Österr. Niederlande gesunken sein)
D) Preußen als andere Großmacht hatte sich schon 1800 rausgehalten und hat 1803/04 dann auch seine Übereinkünfte mit der Republik Frankreich gefunden. Preußen war eh stets in den letzten 150 Jahren maßgeblich an der Aushöhlung des Reiches beteiligt.
 
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