Varus-Florus und die Lagertheorie

Was aber, wenn nun Florus Recht hat?

Florus' Schriften sind nicht auf die Varusschlacht beschränkt. Sein freier Umgang mit seiner Quelle (Titus Livius) ist bereits vielfach besprochen worden. Darauf habe ich dich ja schon häufiger versucht aufmerksam zu machen. Offenbar bisher vergeblich. Wir leben ja in postfaktischen Zeiten.
Aber vielleicht hilft ja ein Zitat von Michael von Albrecht:

Florus wrote for a public fond of rhetorical declamation. This panegyrist of the Roman people was less concerned with facts than with emotional comment. [...] Florus' work is a panegyric to the Roman people rather than a book of history in the strictest sense. [...] He does not strictly adhere to chronology and is not striving for completeness. For artistic effect he allows himself to alter historical facts.​

Nachzulesen in A history of Roman Literature, Bd. II, S. 1413 f.
 
Salve,
naja, schon vergeblich....
Aber diese Interpretationen sind halt sehr eindimensional. Ein Autor hat halt ein paar Werke geschrieben, daraus interpretiert man dann, dass alles so oder so gewesen sein muss. Überzeugt mich jetzt nicht.
Versuch das mal aus heutiger Sicht: Ein paar Werke von Günter Grass oder von mir aus von Dieter Bohlen und daraus abzulesen, was die Realität war.....nicht ganz einfach!
 
Man sollte sich schon mit seinem Sujet auch beschäftigen. Florus hat ja nicht einfach irgendein Geschichtswerk geschrieben sondern eine Zusammenfassung des Werks von Titus Livius. So auch der Titel seines Werkes: Epitome (Auszug) de T. Livio. Wir sind nun glücklicherweise in der glücklichen Lage, dass auch das Werk des Titus Livius weitgehend erhalten ist und können vergleichen, was Florus aus dem, was er bei Titus Livius findet macht. Da Titus Livius' Geschichte unglücklicherweise im Jahr 9 endete, ist die Varusschlacht nach allem, was wir wissen, nicht mehr in Livius' Werk eingegangen, jedoch wissen wir, dass Florus (entgegen des auf Livius beschränkten Titels) auch andere Autoren (z.B. Caesar, Tacitus) verwendete und auch diese nicht in allem korrekt wiedergab. Steht aber auch alles bereits in diesem Thread und der ist ja bisher lediglich zwei Seiten stark, also recht übersichtlich.
 
Ich darf noch ergänzen, dass das nichts Neues ist, sondern gut untersucht.

Ein möglicher Fehler bei der Überlieferung und seine Auflösung sind natürlich immer interessant.
 
IMG_2700.jpg
Hoffe, dass dies Bild angezeigt wird.... imho ist in der gegend aufgrund der funde genug platz sowohl für eine lagerschlacht als auch für schlachten während des marsches. Das museumsgebiet ist im vergleich zu der fundstreuung ja extrem klein und es scheint, dass bereits vor diesem gebiet (so es denn ein römerlager war) der marschkörper getrennt wurde. Die angegebene alte heerstraße nördlich des jetzigen mittellandkanals soll aus vorrömischer zeit stammen, die eigentliche römerstraße lag vermutlich hangwärts dort, wo jetzt die bundesstraße ist. Das museumareal zwischen wald und sumpf war vermutlich relativ freie fläche, da dort früher felder germanischer siedlungen aus vorchristlicher zeit lagen, die zum zeitpunkt der schlacht vermutlich verlassen waren.
 
Die angegebene alte heerstraße nördlich des jetzigen mittellandkanals soll aus vorrömischer zeit stammen,
Woher hast du das? Ich frage, weil in den zehn Jahren, die mich inzwischen mal mehr mal weniger intensiv mit Klakrise beschäftige ich nie Angaben zur "Alten Heerstraße" gefunden habe. Ich würde sie tendentiell verdachtsmäßig sogar für eine neuzeitliche Anlage halten.

die eigentliche römerstraße lag
Sagen wir mal "der Weg, den die Römer benutzten". Unter Römerstraße stellt man sich doch etwas anderes und vor allem von Römern Errichtetes vor.
 
„Schlüter hat schon erkannt, dass die Fundverteilung in der und durch die Kalkriese-Niewedder Senke auf ein Überwechseln der marschierenden römischen Truppen von den Hangbereichen auf den Rand des Großen Moores zurückgeht (Schlüter 1991). Dieses Überwechseln fand aus Sicht der Marschierenden erst ab dem Bereich der Befestigung am Hang des Berges statt.“ (https://www.academia.edu/34888082/D...Deutung_als_germanische_Abschnittsbefestigung) ... das wäre die beschreibung des wechsels von der trasse am hang des berges (von mir römerstrasse genannt) auf den vorrömischen „alten heerweg“.und von der fundstreuung her ist die annahme, dass es diesen zweiten weg gab, und dass ein teil der römer über diesen nördlichen weg zu flüchten versuchten, durchaus plausibel.
 
Zuletzt bearbeitet:
So, und wenn ich mir jetzt die obige karte und auch großräumigere gegebenheiten ansehe, die bekannten zitate und bekannten lager im hinterkopf, dann wäre auch folgende abläufe plausibel:
- irgendwo östlich oder südöstlich von minden erfährt varus durch arminus von angeblichen aufständen und beschließt (gegen den rat anderer?) von seiner ursprünglichen route abzuweichen und bei minden/porta auf die nordseite des wiehengebirges zu wechseln. Ob während der ersten 50 km schon angriffe von germanischen verbänden stattfanden (evtl. durch bekannte münzfunde zu vermuten?) sei dahingestellt. Wenn angenommen wird, dass die route entlang der heutigen b218 genommen wurde, könnte irgendwo bei bohmte (oder später)das von tacitus erwähnte erste lager gelegen haben, das noch alle drei legionen mit tross beherbergte. Danach könnte es hinter schwagsdorf, vor venne (heutige orte) mit überfällen begonnen haben, der Anfang des defiliergefechtes. dies setzte sich auch oberhalb des jetzigen museumsareals für den ersten teil des marschkörpers fort, der sich aufgrund der verzögerungen/starken regens/aufgeweichten weges/immenser verluste zurückzog oder vom hinteren teil abgetrennt wurde (und auf dem weiteren weg aufgerieben wurde, vielleicht auch die reiterei?). Der hintere teil beschloss, den hangseitigen weg nicht weiter zu verfolgen, sondern nach norden auf den germanischen „alten heerweg“ zu wechseln, was westlich der niederungen/moor möglich war, welche nördlich des obereschs gelegen waren. Da das gebiet des jetzigen museums mehr oder minder frei lag, wurde der bau eines notlagers beschlossen. —> wall =südseite des lagers und vor allem schutz gegen die weiter südlich, hangaufwärts befindlichen germanen. Dies lager wurde unter anderem von süden über den wall gestürmt (einsturz des walles, begrabenes maultier). Überlebende römer flüchten teils in nordöstlicher richtung zum alten heerweg, teils nordwestlich um die niederung, ansonsten westlich zurück auf den weg am hang. Überall dort wurden sie von germanen verfolgt und zur strecke gebracht. Mögliche knochenfelder und entsprechende begräbnishügel durch germanicus könnten sich daher auch westlich des obereschs befinden, sind aber aufgrund der bodenbeschaffenheit und jahrhunderten von landwirtschaft nach all der zeit wahrscheinlich nicht mehr nachzuweisen. Ein eventuelles zweites lager wäre an beliebiger stelle (vielleicht bei venne?) einfügbar.
 
@ ELQ

hier mal die Originalkarte Schneiders von 1885 aus meinem kleinen Bibliotheksbestand mit einem Auszug der Mindener Heerstraße.

Grüße
 

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hier mal die Originalkarte Schneiders von 1885 aus meinem kleinen Bibliotheksbestand mit einem Auszug der Mindener Heerstraße.

Grüße
Ihr nennt beide als Belege Literatur des 19. Jhdts., also aus einer Zeit, in der die ur- und frühgeschichtliche Archäologie noch absolut unterentwickelt war. Nehmt es mir nicht übel, wenn ich da seeeeeehr skeptisch bleibe.
 
Guten Morgen ELQ,

warum sollte ich dir das übel nehmen? Keinesfalls, denn wie bei allen anderen gibt es bei Schneider keinen handfesten Belege für germanicuszeitliches Münzgeld. Skepsis ist also angebracht. Die Trasse ist zwar alt, bringt einen aber nicht weiter.

Grüße
 
bei Henke/Lehmann lese ich gerade : Als Varus aus seinem Sommerlager ins Winterlager zieht....
ist das exakt so bei den römischen Schriftstellern überliefert ??? Ihr kennt euch doch bei Dio und Konsorten so genau aus . ( war keine Ironie - ich frage nur) mfG
 
Das steht zwar nicht im Zusammenhang mit der Lagerschlachttheorie, aber sei's drum. Bei Velleius Paterculus wird berichtet, dass nach der Varusschlacht Tiberius zunächst aus Pannonien nach Rom ging, von dort nach Germanien geschickt wurde und den Rhein überquerte, um römische Präsenz zu zeigen. Danach kehrte er (Tiberius!) in die Winterlager zurück.

His auditis revolat ad patrem Caesar; perpetuus patronus Romani imperii adsuetam sibi causam suscipit. Mittitur ad Germaniam, Gallias confirmat, disponit exercitus, praesidia munit et se magnitudine sua, non fiducia hostis metiens, qui Cimbricam Teutonicamque militiam Italiae minabatur, ultro Rhenum cum exercitu transgreditur. 2 Arma infert hosti quem arcuisse pater et patria contenti erant; penetrat interius, aperit limites, vastat agros, urit domos, fundit obvios maximaque cum gloria, incolumi omnium, quos transduxerat, numero in hiberna revertitur.
Dass Varus in die Winterlager zog, kann nur abgeleitet werden, steht aber nirgends explizit.
 
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