Dienstboten in der Frühen Neuzeit

@Saint-Simone: Wir brauchen uns hier nicht entschuldigen, wenn wir unsere Meinungen austauschen. Es ist alles im grünen Bereich gewesen und deswegen ist eine Entschuldigung nicht notwendig.

Mein Problem war und ist im wesentlichen der umfassende Anspruch des Titels des Threads. Mich stören nicht "Arbeitslisten", Tagesabläufe oder der Dress- oder sonstige Verhaltenserwartungen, aber darin erschöpft sich nicht das Thema "Dienstboten in der Frühen Neuzeit".

Die Arbeiten von Hill bringen es viel besser auf den Punkt, was ich sagen möchte. :)

http://www.manushi-india.org/pdfs_issues/PDF files 27/42. Eightyeenth Century Women.pdf

Hill, Bridget (2013): Eighteenth-century women. An anthology. London, New York: Routledge (Routledge library editions: women's history).
 
Andererseits: Wenn man beispielsweise Garrioch - für Frankreich - betrachtet zur Entwicklung der Dienstboten in Paris, dann werden auch andere Themen relevant. Da geht es u.a. um ihre Rolle in der Öffentlichkeit, um soziale Unterschiede zwischen den Dienstboten, ihre sehr unterschiedlichen Rollen in den Haushalten und damit zusammenhängend der Möglichkeit - für wenige - des sozialen Aufstieges etc.

Das Thema "Dienstboten" ist leider nicht angemessen skizziert worden. Deswegen ein kurzer Versuch, die sehr unterschiedliche soziale und funktionelle Zusammensetzung und die Rolle der "Dienstboten" für Wiens und Paris zu beleuchten. Auch um deutlich zu machen, dass die Frage des sexuellen Mißbrauchs nur ein Aspekt war und ist und für die damaligen Zeitgenossen einen anderen Stellenwert hatte (vgl. zum Kontext z.B. Hill)

"The modernizing vigor of commercial centres such as London and Liverpool, Nantes an Bordeaux, Hamburg and Danzig, St. Petersburg and Sewastopol, made them seem like cities of the future. And so they were. Yet for most townspeople, it was not the merchant who provided their livelihood. The characteric urban economy of the period 1660 - 1815 was not a port but a court." (Blanning, Pos. 2491).

Es war die goldene Zeit der "Residenzstadt" und es war - noch - die Periode, in der vor allem der herrschende Adel und ihre Höfe die zentrale Stellung in den Städten einnahmen und ebenfalls ein extrem wichtiger Wirtschaftsfaktor war sowie ein wichtiger und - auch - begehrter Arbeitgeber.

Basierend auf den Daten von Joseph Pezzl (späte 1780 Jahre erhoben) illustriert Blanning seine Argumentation an Wien.

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Pezzl
https://fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/objects/o:10794/methods/bdef:Book/view

Zu dieser Zeit identifiziert Pezzl ca. ein Dutzend "Haushalte" von "Prinzen", und es ghörten u.a. die Liechtensteins, die Esterhazys, die Schwarzenbergs, die Dietrichsteins und die Lobkowitzes dazu, gaben ca. 300.000 bis 700.000 Gulden pro Jahr für ihre "Haushalte" aus.

Unterhalb der gesellschaftlichen Elite der Prinzen befanden sich ca. 70 Grafen, die ca. 50.000 bis 80.000 Gulden ausgaben, gefolgt von ca. 50 Freiherren, die ca. 20.000 bis 50.000 Gulden ausgaben.

Eine typische bzw. durchschnittliche Zusammensetzung illustrierte Pezzl anhand des Haushalts eines Grafen. Die Gräfin hatte - durchschnittlich - ein bis 2 Zimmermädchen, einen Bediensteten, eine Waschfrau, zwei Stubenmädchen, eine weitere Frau (freie Verfügung etc.), einen Träger / Bediensteten, einen Boten und zwei weitere allgemeine Bedienstete. Also ca. 8 bis 12 Dienstboten, die zu ihrer Verfügung standen.

Der Graf verfügte seinerseits über einen Sekretär, zwei Valets des Chambre (Kammerdiener), einen Lakaien (Diener), einen Jäger, einen Boten, einen Begleitern für die Kutsche und zwei allgemeine Bedienstete. Somit 7 bis 10 Dienstboten für den Grafen.

Zusätzlich war für das Haus ein "Majordomo" (Chef-Bediensteter), ein "Kellner", zwei Putzfrauen, zwei Hausknechte und ein Pförtner zuständig. Und für das Haus somit ca. 7 weitere Dienstboten.

In der Küche waren der "Chefkoch", ein Zubereiter-Koch, ein Konditor, ein Fleisch-Koch, eine Gruppe von Küchenjungen, ein Abwäscher und ein oder zwei Vorbereiter von Zutaten. Also ca. 7 bis 12 Personen.

Im Stall wurde ein Stallmeister, ein Pferdemeister, zwei Kutscher, ein Gespannführer, zwei Ausreiter, zwei Pferdepfleger und vier Stallburschen beschäftigt. In der Summe ca. 10 bis 13 Personen.

Es waren in einem gräflichen Haushalt ca. 50 Dienstboten mit sehr unterschiedlichen Aufgaben und einem sehr unterschiedlichen sozialen Prestige beschäftigt. Und es lagen Welten des sozialen Prestige zwischen dem Majordomo oder dem persönlichen Sekretär und Küchenburschen oder Wäscherinnen. Insofern ist der Begriff der "Dienstboten" erklärungs- bzw. differenzierungsbedürftig.

Dabei war die "Außendarstellung" des gräflichen Haushalts von entscheidender Bedeutung für sein soziales Prestige und dementspechend wurde sehr viel Wert auf die "Erscheinung" gelegt.

Für diese Periode, so die Schätzung von Pezzl, kann man in Wien von ca. 20.000 männlichen und weiblichen Dienstboten ausgehen. Diese Zahl ist durchaus beeindruckend, wenn man für Wien zu dieser Periode von einer Stadtbevölkerung von ca. 225.000 Personen ausgeht.

Und Blanning folgert: "Apart from these direct dependents , almost everyone engaged in trade, retailing, or manufakturing was part of the Residenzstadt."

Die sehr unterschiedliche Bedeutung der "Dienstboten" im städtischen Umfeld illustriert zusätzlich Garrioch für Paris (Garrioch, Pos. 436 ff) Dabei ist zu erkennen, dass innerhalb des Haushalts eine sehr deutlich soziale Differenzierung vorhanden ist, die noch zusätzlich geschlechtsspezifische Hierarchien umfaßt. Und somit ein Abbild der sozialen Differenzierung der feudalen Gesellschaft der damaligen Zeit ist.

Die Frage des sozialen Status war beispielsweise in Paris dadurch definiert, in welchem Umfang eine Person persönliche Freiheit genießen konnte. Und vor diesem Hintergrund sahen die "Pariser" normaler auf die Bediensteten in den Haushalten herab und das definierte den sozialen Status der Bediensteten im allgemeinen.

Gleichzeit, so Garrioch, gab es in der Außendarstellung des jeweiligen Haushalts - auch durch die Bediensteten - eine klare Solidarisierung gegen die Bediensteten anderer "Herrschaften", die teilweise auch sehr aggressiv vorgetragen worden ist. Und auf eine relativ hohe Loyalität (Korps-Geist) von manchen Gruppen der Bediensteten hinweist. Auch deswegen, weil der Dienst bei einer "Herrschaft" für den einen oder anderen qualifizierten Bediensteten durchaus mit einem sozialen Aufstieg, auch im Sinne des Prestige, verbunden war (Garrioch, Pos. 453)

Dennoch konnten die Standesschranken zwischen "Master and Servant" nie übersprungen werden. Auch wenn eine Bedienstete die enge Vertaute der Gräfin gewesen sein sollte, sie war jederzeit ersetzbar. Vor diesem Hintergrund gab es eine relativ hohe Mobilität von qualifizierten Bediensteten, die bei "Meinungsverschiedenheiten" ihren "Herren/Herrin" gewechselt haben.

Für die "einfachen" Bediensteten war die Situation ungleich bedrückender, wie Hill es eindringlich darstellt und bedeutete häufig für - unverheiratete - Frauen einen weiteren sozialen Abstieg, nicht selten erzwungener Maße in die Prostitution (vgl. Chan)

Blanning, T. C. W. (2008): The pursuit of glory. Europe, 1648-1815. Hg. v. David Cannadine. London: Penguin Books
Garrioch, David (2004): The making of revolutionary Paris. Berkeley: Univ. of California Press.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dennoch konnten die Standesschranken zwischen "Master and Servant" nie übersprungen werden. Auch wenn eine Bedienstete die enge Vertaute der Gräfin gewesen sein sollte, sie war jederzeit ersetzbar. Vor diesem Hintergrund gab es eine relativ hohe Mobilität von qualifizierten Bediensteten, die bei "Meinungsverschiedenheiten" ihren "Herren/Herrin" gewechselt haben.
Kammerdiener oder Leibdiener scheinen zumindest an gräflichen oder fürstlichen Höfen eine besondere Rolle gehabt zu haben. Mir sind bisher schon einige untergekommen, die diese Rolle nur für eine Weile einnahmen und dann als Beamte oder ähnliches irgendwo auftauchten. Hängt da sicherlich auch mit der Qualifikation des Dienstboten ab, die man von ihm erwartet. Lehndorff berichtet ja bspw. von einem Leibdiener des Königs, der sich wie ein Minister aufgeführt habe, weil dies wohl dem Vorbild aus Frankreich entsprach. Hier spielte wohl das gewisse Vertrauensverhältnis eine Rolle, welches erfahrene Diener zu einem Landesfürsten aufbauen konnten.

Vielen Dank v.a. zur Auflistung der Zusammensetzung solcher Haushalte und den Hinweis auf das Werk von Pezzl.
 
Zurück
Oben