Aare und Alpenrhein von der vorrömischen Antike bis in die Kaiserzeit

Divico

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Oder: Rhenus, ab Alpibus decidens, prope a capite duos lacus efficit, Venetum et Acronium = Der Rhein, der von den Alpen herabfällt, bringt nahe der Quelle zwei Seen hervor, den Venetus und den Acronius (Ober- und Untersee des Bodensees)

Ist es eigentlich hundertprozentig abgesichert, dass mit Venetus und Acronius tatsächlich die beiden Seen des Bodensees gemeint sind?

Seit einiger Zeit frage ich mich, ob nicht vielleicht die Römer hydrologisch korrekt die wasserreichere Aare als Oberlauf des Rheins (der eigentlich Aare heißen müsste) angesehen haben könnten — und das obige Zitat aus Melas Werk scheint diesen Verdacht zu verstärken. Schließlich ist der Bodensee keineswegs "nahe der Quelle" weder von Vorder- noch Hinterrhein gelegen, während aber die Aare tatsächlich sehr nahe ihrer Quelle durch Brienzer- und Thunersee fließt.
 
Ich würde das ab Alpibus so deuten, dass die genannten Seen bereits außerhalb der Alpen liegen (und da der Untersee deutlich von Obersee getrennt ist, besteht da eigentlich kein Problem mit den zwei See). Nähe und Ferne sind natürlich schwammig und liegen im Auge des Betrachters. Die Frage wäre also zunächst einmal, welche Quelle die Römer als Rheinquelle betrachteten bzw. die vorrömische Bevölkerung im Alpengebiet als Rheinquelle tradierte. I.d.R (es gibt jedoch zahlreiche Ausnahmen), sind Flussnamen jedoch recht stabil und konservativ.
 
Seit einiger Zeit frage ich mich, ob nicht vielleicht die Römer hydrologisch korrekt die wasserreichere Aare als Oberlauf des Rheins (der eigentlich Aare heißen müsste) angesehen haben könnten
Dazu fallen mir gleich zwei Fragen ein:
1. Wer sollte die Umbenennung vorgenommen haben und warum?
2. Wie wäre es zu erkären, dass Ptolemaios an Orten im "Quellgebiet des Rheins" gerade Tasgaetium (Taxgaition) und Brigantium (Brigantion) - an den beiden Enden des Bodensees - nennt?
 
Die Frage wäre also zunächst einmal, welche Quelle die Römer als Rheinquelle betrachteten bzw. die vorrömische Bevölkerung im Alpengebiet als Rheinquelle tradierte.
Die vorrömische Bevölkerung wären im Fall des Rheins die Rätier, deren Sprache wir ja nicht kennen. Im heutigen Rätoromanisch werden Vorder-, resp. Hinterrhein als Rain anteriur und Rain posteriur bezeichnet, wobei Rain wie das Hochdeutsche "Rhein" ausgesprochen wird, während der Fluss im angrenzenden alemannischen Sprachraum als Rii bekannt ist. Das könnte zumindest auf ein Lehnwort aus dem Deutschen hindeuten, das allfällige ältere Namen von Vorder-und Hinterrhein verdrängt hätte.
2. Wie wäre es zu erkären, dass Ptolemaios an Orten im "Quellgebiet des Rheins" gerade Tasgaetium (Taxgaition) und Brigantium (Brigantion) - an den beiden Enden des Bodensees - nennt?
Sehr eindeutig ist das leider nicht, liegt doch etwa Tasgetium (Eschenz) einerseits 146 Fußkilometer von Meiringen nahe der Aarequelle und andererseits 156 Fußkilometer von Disentis nahe der Vorderrheinquelle entfernt; zur Quelle des Hinterrheins sind es gar fast 200 km.

Und schließlich ist da die Peutingertafel, die den Rhein im Allgäu entspringen lässt und Curia weitab vom Rhein verzeichnet. Besonders letzterer Umstand erscheint rätselhaft, zumal auch und gerade im Mittelalter wichtige Routen über Chur führten.
Ggf. sollten wir einen eigenen Thread daraus machen.
Ja, es wäre wohl besser, wenn Du es ausgliedern würdest. Danke.
 
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Die vorrömische Bevölkerung wären im Fall des Rheins die Rätier, deren Sprache wir ja nicht kennen. Im heutigen Rätoromanisch werden Vorder-, resp. Hinterrhein als Rain anteriur und Rain posteriur bezeichnet, wobei Rain wie das Hochdeutsche "Rhein" ausgesprochen wird, während der Fluss im angrenzenden alemannischen Sprachraum als Rii bekannt ist. Das könnte zumindest auf ein Lehnwort aus dem Deutschen hindeuten, das allfällige ältere Namen von Vorder-und Hinterrhein verdrängt hätte.
Nein, der Name des Rheins entstammt einer sehr alten Sprachschicht, indoeuropäisch, vielleicht protokeltisch oder keltisch, auf jeden Fall nicht germanisch (und erst recht nicht deutsch). Das beantwortet auch nicht die Frage, wie in der vorrömische Zeit der Rheinverlauf gesehen wurde, wobei sch wahrscheinlich ist, dass man den Bodensee als wichtiges Element wahrnahm, ob man nun einen der Zuflüsse als Teil des Rheins interpretierte oder ob das erst jünger ist, ist eigentlich die Frage.

Sehr eindeutig ist das leider nicht, liegt doch etwa Tasgetium (Eschenz) einerseits 146 Fußkilometer von Meiringen nahe der Aarequelle und andererseits 156 Fußkilometer von Disentis nahe der Vorderrheinquelle entfernt; zur Quelle des Hinterrheins sind es gar fast 200 km.
Die Entfernung von der Quelle ist hier allerdings relativ latte. Viel wichtiger ist, das Eschenz genau an der Stelle liegt, wo der Untersee in den Rhein abfließt. Das ist 50 km über der Aaremündung in den Rhein.
 
Nein, der Name des Rheins entstammt einer sehr alten Sprachschicht, indoeuropäisch, vielleicht protokeltisch oder keltisch, auf jeden Fall nicht germanisch (und erst recht nicht deutsch).
Das ist schon klar. Die Frage ist nur, ob das auch schon in der Antike der Name für den oberhalb des Bodensees gelegenen Alpenrhein gewesen ist. Der in der Peutingerkarte erwähnte Ort Ad Rhenum wird eigenartigerweise nordöstlich des Bodensees zwischen Brigantium und Vemania dargestellt. Ich hatte auch eher an ein neuzeitliches Lehnwort gedacht — wie lange spricht man schon von Vorder- und Hinterrhein?
wobei wahrscheinlich ist, dass man den Bodensee als wichtiges Element wahrnahm, ob man nun einen der Zuflüsse als Teil des Rheins interpretierte oder ob das erst jünger ist, ist eigentlich die Frage.
Ja.
Die Entfernung von der Quelle ist hier allerdings relativ latte. Viel wichtiger ist, das Eschenz genau an der Stelle liegt, wo der Untersee in den Rhein abfließt. Das ist 50 km über der Aaremündung in den Rhein.
Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass der Ort Hinterrhein nahe der Quelle des gleichnamigen Flusses bereits 1219 als de Reno, und das Rheinwald 1273 als valle Reni erwähnt wird.
 
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Sehr eindeutig ist das leider nicht, liegt doch etwa Tasgetium (Eschenz) einerseits
... da, wo der Bodensee in den Hochrhein übergeht, und andererseits liegt Brigantium an der anderen Seite des Bodensees, nahe der Stelle, wo der Alpenrhein in den Bodensee mündet.

Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass Ptolemaios eine Quelle vor sich hatte, die beide Städte am Oberlauf des Rheins verortete oder aber vom Bodensee insgesamt als "Quellgebiet des Rheins" sprach.

Wo die eigentlichen Quellen der Alpenflüsse lagen, davon hatte Ptolemaios leider nur höchst unklare Vorstellungen. Die Quelle des Lechs vermutet er z. B. in den Poeninae: Poeninus – Wikipedia


Und schließlich ist da die Peutingertafel, die den Rhein im Allgäu entspringen lässt und Curia weitab vom Rhein verzeichnet.
Der in der Peutingerkarte erwähnte Ort Ad Rhenum wird eigenartigerweise nordöstlich des Bodensees zwischen Brigantium und Vemania dargestellt.

Da ist offensichtlich etwas durcheinandergekommen, wäre ja nicht der einzige Fehler auf der Peutingertafel.

Wenn wir allerdings den dargestellten Oberlauf als Aare und den dargestellten See als Brienzer- oder Thunersee interpretieren, wird die ganze Sache restlos konfus.
 
PTBS.jpg

Es stimmt schon, dass Bregenz und der Alpenrhein falsch zueinander liegen, aber der Rhein wird aufwärts dann als in die Alpen abgehend gezeigt.
Wenn Vemania wirklich Isny im Allgäu ist, wofür zumindest die Weiterführung der Straße gen Augusta Vindelica spricht, dann ist hier wirklich einiges im Argen, aber es bleibt, dass der Rhein durch den Bodensee fließt, der ist durch die Orte Arbor Felix und Brigantio oder Iuliomagus gut definiert. Demnach fließt also der Rhein durch den Bodensee. Der Aarezufluss in den Rhein läge, wenn er denn eingezeichnet wäre, bei Tenedone (Zurzach).

Bearbeitet wg. Tipp- und Rechtschreibfehlern sowie unklaren Ausdrucks.
 
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Ich hatte auch eher an ein neuzeitliches Lehnwort gedacht

lat. cena - rätorom. tschaina 'Abendessen'
lat. semper - rätorom. saimper 'immer'
lat. sera - rätorom. saira 'spät'
lat. tres - rätorom. trais 'drei'
lat. rete - rätorom. rait 'Netz'
lat. census - rätorom. tschains 'Zins'
lat. Rhenus - rätorom. Rain 'Rhein'

Warum sollte ausgerechnet der Rain ein neuzeitliches Lehnwort sein?
 
Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass Ptolemaios eine Quelle vor sich hatte, die beide Städte am Oberlauf des Rheins verortete oder aber vom Bodensee insgesamt als "Quellgebiet des Rheins" sprach.
Das ergibt einen Sinn.
Da ist offensichtlich etwas durcheinandergekommen, wäre ja nicht der einzige Fehler auf der Peutingertafel.
Es stimmt schon, dass Bregenz und der Alpenrhein falsch zueinander liegen,
Ja, offenbar sind die Positionen von Brigantium und ad Rhenum vertauscht.
Wenn wir allerdings den dargestellten Oberlauf als Aare und den dargestellten See als Brienzer- oder Thunersee interpretieren, wird die ganze Sache restlos konfus.
So weit hätte ich nicht gehen wollen.
lat. cena - rätorom. tschaina 'Abendessen'
...
lat. Rhenus - rätorom. Rain 'Rhein'

Warum sollte ausgerechnet der Rain ein neuzeitliches Lehnwort sein?
Ok, das überzeugt mich vollends. Aber es ist immerhin bemerkenswert, dass der Rhein an seiner Quelle genau gleich genannt wird wie an seiner Mündung (Rain/Rijn), während dazwischen die Alemannen ihn Rii nennen, und die ripuarischen Franken Ring sagen.
 
Buna saira!

Das fiel mir erst jetzt auf: saira ist der 'Abend' — tard(iv) ist 'spät'.

Richtig, ich hatte die Bedeutungen ursprünglich ans lateinische Wort angehängt. Lateinisch sera (hora) - 'späte (Stunde)' nimmt die Bedeutung 'Abend' an - ital. sera, rätorom. saira.

Im Spanischen heißt der Abend dafür tarde.

Buenas tardes!
 
Die vorrömische Bevölkerung wären im Fall des Rheins die Rätier, deren Sprache wir ja nicht kennen.

Nicht unbedingt. Am Bodensee zum Mindesten scheinen nie Räter gesiedelt zu haben. In Graubünden gehörten nach neusten Thesen ledigilich das Unterengadin oder (andere These) Vorder- und Hinterreheintal zum rätischen Kerngebiet - der Rest von Graubünden war keltisch. Archäologisch sind Räter (in der Schweiz) eigentlich nur im Unterengadin nachgewiesen.

Räter
 
Das ist halt immer das Problem: Sprache und Archäologie müssen nicht deckungsgleich sein.

Und: Sprachliche und archäologische Definitionen sind neuzeitlich.

Was die verschiedenen antiken Autoren unter "Rätern" verstanden haben, steht wieder auf einem anderen Blatt. Mitunter sind diese Angaben schon in sich widersprüchlich. Strabon lokalisiert in IV 6,6 die Räter und Vennonen östlich von Como (bzw. oberhalb Como), die Lepontier dagegen westlich. In IV 6,8 rechnet er die Lepontier und die Kamuner zu den Rätern (und die Vennonen zu den Vindelikern).
Die Inschriften, die heute als "lepontisch" klassifiziert werden, belegen eine festlandskeltische Sprache, die vielfach als Dialekt des Gallischen interpretiert wird.
Die als "rätisch" klassifizierten Inschriften belegen eine deutlich andere Sprache, die einige Gemeinsamkeiten mit dem Etruskischen aufzuweisen scheint.
Schwer einzuordnen ist die Sprache der Inschriften der Valcamonica.


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Romania Gallica Cisalpina
 
Die vorrömische Bevölkerung wären im Fall des Rheins die Rätier, deren Sprache wir ja nicht kennen.

Möglicherweise waren es die Kelten. Paul Zinsli erwähnt einige mutmaßlich keltische Ortsnamen am Alpen- bzw. Vorder- und Hinterrhein:

Doch auch in Rätien, durch die zentralalpine Rheinfurche hinauf bis Dardin, zu einem Dorf, das nur 1 km neben dem ebenfalls keltischen Brigels/Breil liegt, führt uns diese Namenspur: der Ort heißt 765 Arduna und wird vom Rät. Namenbuch überzeugend aus gallisch *are dūnon ‚bei der Burg‘, gleich wie Ardon im Wallis erklärt. Mehr oder weniger gesicherte Zwischenglieder auf diesem östlichen alpinen Einbruch wären Zizers im Churer Rheintal, das Rob. v. Planta vermutungsweise als *Titio-durum deutete, Razén, dt. Räzüns, urkdl. ab 960 Ruzunnes, nach demselben Forscher altes *Raetiodūnum und – etwas abgelegen oben am Hinterrhein – vielleicht noch Fardén, dt. Fardün, das nach den Spätbelegen 1407 Verdunn, Fradünn auch ein -dūnum-Name gewesen sein könnte.​

https://www.ortsnamen.ch/Texte/Zinsli_Ortsnamen.pdf
 
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