Der Hund ist Europäer

Mein Interesse für das aufstrebende Forschungsgebiet ist auch groß. Hier kann man gerade wissenschaftlichen Fortschritt verfolgen. Wichtig ist die Interpretation der gewonnen Ergebnisse und welche Aussagekraft ihnen zugemessen wird. Dabei kommt es m.E. teilweise noch zu Über- bzw. Fehlinterpretationen in Forschung und Öffentlichkeit, aber das wird sich einrenken.

So ähnlich sehe ich das auch.

Etwas würde ich noch bzgl. der Publizität bzw. dem Problem der "Interpretation" abseits der Fachwissenschaft hinzufügen: wenn man die Presse liest, scheint die nicht stets "deckungsgleich" mit dem Inhalt und der Aussage solcher Untersuchungen zu sein.
 
In der Nature wird weiter gebellt, diesmal hinter einer paywall:

http://www.nature.com/nrg/journal/vaop/ncurrent/full/nrg.2017.67.html?foxtrotcallback=true#access

Vielleicht wird der auch demnächst freigeschaltet.

Abstract:
The domestic dog represents one of the most dramatic long-term evolutionary experiments undertaken by humans. From a large wolf-like progenitor, unparalleled diversity in phenotype and behaviour has developed in dogs, providing a model for understanding the developmental and genomic mechanisms of diversification. We discuss pattern and process in domestication, beginning with general findings about early domestication and problems in documenting selection at the genomic level. Furthermore, we summarize genotype–phenotype studies based first on single nucleotide polymorphism (SNP) genotyping and then with whole-genome data and show how an understanding of evolution informs topics as different as human history, adaptive and deleterious variation, morphological development, ageing, cancer and behaviour.

Der Hund stellt eines der dramatischsten langfristigen Evolutions-Experimente des Menschen dar. Aus einem großen wolfsähnlichen Vorläufer hat sich bei Hunden eine unvergleichliche Vielfalt an Phänotypen und Verhaltensweisen entwickelt, die ein Modell für das Verständnis der Entwicklung und der genetischen Mechanismen der Diversifikation darstellt. Wir diskutieren Schemata und Prozessabläufe in der Domestikation, beginnend mit allgemeinen Erkenntnissen zur frühen Domestikation und Problemen beim Nachweis der Selektion auf genetischer Ebene. Darüber hinaus fassen wir Genotyp-Phänotyp-Studien zusammen, die zunächst auf der Genotypisierung von Genotypen mit Einzel-Nukleotid-Polymorphismus (SNP) und dann auf Daten gesamten Genoms basieren und zeigen, wie ein Verständnis der Evolution anregt wie für so unterschiedliche Themen wie die menschliche Geschichte, adaptive und schädliche Variation, morphologische Entwicklung, Alterung, Krebs und Verhalten.[roughly translated by DeepL]
 
Vereinfacht zusammengefasst:
Irgendwann vor 40.000 Jahren kommt der Mensch auf die Idee den Wolf zu domestizieren. Über die Jahrtausende ensteht aus dem domestizierten Wolf allmählich eine neue Art - undszwar der Hund. Habe ich das soweit richtig verstanden? Falls ja, kann mir einer den Prozess "von Wolf zu Chihuahua" bitte so simpel und bildlich wie möglich erklären? Ich bin nämlich Laie auf diesem Gebiet und Frage aus Neugier und Interesse, weil es sich mir nicht so ganz erschließen will...
 
Wer da anfangs das Ruder in der Hand respektive Pfote hatte ist ungeklärt, aber ansonsten: Ja, ungefähr so. Ob das einmal oder mehrfach in unterschiedlichen Regionen passiert: Who knows? Noch heute sind Hunde und Wölfe untereinander fruchtbar (wenn die Chance, dass da was zwischen Wolf und Chihuahua läuft, auch denkbar gering ist...).

Was meinst du mit bildlicher Erklärung? Durch bewusste oder unbesusste Selektion wurden Wölfe, als sie erst mal eng an den Menschen gebunden waren, so beeinflusst, dass bestimmte Merkmale geran gezüchtet wurden. Unde wurden zu allem möglichen gehalten: Als Jagdhelfer, zum Schutz, als Hilfe beim Viehhüten, als Schlachtvieh, zu Kampfzwecken (meist gegen andere Hunde...), oder eben als Zier- und Statusobjekt, wie im Falle des Chihuahua anzunehmen ist.

Die Lehre ist: Wenn man einen winzig wizing kleinen "Wolf" will, kriegt man ihnen auch, wenn man viele Generationen lang immer die kleinsten auswählt und wiederum miteinander paart. Ich bin sicher, an der praktischen Umsetzung ist noch ein bischen mehr dran, aber das Prinzip ist doch einigentlich ganz einfach.
 
Wer da anfangs das Ruder in der Hand respektive Pfote hatte ist ungeklärt, aber ansonsten: Ja, ungefähr so. Ob das einmal oder mehrfach in unterschiedlichen Regionen passiert: Who knows? Noch heute sind Hunde und Wölfe untereinander fruchtbar (wenn die Chance, dass da was zwischen Wolf und Chihuahua läuft, auch denkbar gering ist...).

Was meinst du mit bildlicher Erklärung? Durch bewusste oder unbesusste Selektion wurden Wölfe, als sie erst mal eng an den Menschen gebunden waren, so beeinflusst, dass bestimmte Merkmale geran gezüchtet wurden. Unde wurden zu allem möglichen gehalten: Als Jagdhelfer, zum Schutz, als Hilfe beim Viehhüten, als Schlachtvieh, zu Kampfzwecken (meist gegen andere Hunde...), oder eben als Zier- und Statusobjekt, wie im Falle des Chihuahua anzunehmen ist.

Die Lehre ist: Wenn man einen winzig wizing kleinen "Wolf" will, kriegt man ihnen auch, wenn man viele Generationen lang immer die kleinsten auswählt und wiederum miteinander paart. Ich bin sicher, an der praktischen Umsetzung ist noch ein bischen mehr dran, aber das Prinzip ist doch einigentlich ganz einfach.
Danke.
Ich frage mich: Wenn man heute Wölfe domestiziert, ob man dann in 40.000 Jahren dasselbe Ergebnis bekommt. Irgendwie kann ich mir das nur sehr schwer vorstellen, dass aus einem Wolf irgendwann ein Chihuahua oder ein Mops wird.
 
Nun, warum nicht?

Andere Beispiele für Domestikation/Züchtung zeigen doch ähnlich große Abweichungen von der Wildform. Nennen könnte ich die Züchtung von Siberfüchsen zu Haustieren von Beljajew in der Sowjetunion/Russland oder die Zucht von "Minischweinen" seit Mitte des 20. Jh.
 
Das man "menschenfreundliche Wildtiere" züchten kann, das erschließt sich mir schon.
Auf Youtube gibt es inzwischen genug Videos von Menschen, die mit Raubkatzen, Bären und Wölfen schmusen und spielen. Dennoch stellt sich mir die Frage wie sich der Wolf anatomisch so verändern kann, dass aus ihm irgendwann ein Chihuahua wird - selbst wenn man immer nur die kleinsten und hässlichsten Wölfe miteinander paart.
 
Das man "menschenfreundliche Wildtiere" züchten kann, das erschließt sich mir schon.
Auf Youtube gibt es inzwischen genug Videos von Menschen, die mit Raubkatzen, Bären und Wölfen schmusen und spielen. Dennoch stellt sich mir die Frage wie sich der Wolf anatomisch so verändern kann, dass aus ihm irgendwann ein Chihuahua wird - selbst wenn man immer nur die kleinsten und hässlichsten Wölfe miteinander paart.
Tja, die Veränderungsrate ist in Bezug auf die Optik schon groß. Aber schau Dir mal einige modernen Hunderassen an. Da sind die Vorgänger bereits gut dokumentiert.
 
Die Bevölkerungswanderung auf die amerikanischen Kontinente nach dem letzten glazialen Maximum muss bei "kurz" (einige tausend Jahre zuvor) erfolgter Domestizierung des Hundes sehr wahrscheinlich auch diesen "eingeschleppt" haben.

Den link zwischen beiden Entwicklungen bringt ein neuer Aufsatz aus der Antiquity:
NEW EVIDENCE OF THE EARLIEST DOMESTIC DOGS IN THE AMERICAS | American Antiquity | Cambridge Core

frei verfügbar im open access einige Minate zuvor auf biorxiv.org: (early edition)
NEW EVIDENCE OF THE EARLIEST DOMESTIC DOGS IN THE AMERICAS

Abstract, ~deepL:

Die Domestizierung von Hunden fand wahrscheinlich vor 16.000 Jahren in Eurasien statt, und die Besiedlung Amerikas könnte etwa zur gleichen Zeit stattfinden. Es wurde lange Zeit angenommen, dass Hunde die ersten Migrationen nach Amerika begleitet haben, aber es fehlen schlüssige Beweise für paläoindianische Hunde. In dieser Studie stellt die direkte Datierung von zwei Hunden vom Koster-Standort (Greene County, Illinois) und einem neu beschriebenen Hund vom Stilwell II-Standort (Pike County, Illinois) auf 10.190 bis 9.630 cal BP den frühesten bestätigten Nachweis von Haushunden in Amerika und individuellen Hundebestattungen überall auf der Welt dar. Die Analyse dieser Tiere zeigt, dass frühe archaische Hunde mittelgroß waren, einen "aktiven Lebensstil" hatten und signifikante morphologische Unterschiede aufwiesen. Stabile Isotopenanalysen deuten darauf hin, dass die Ernährung von terrestrischen C3-Ressourcen und dem erheblichen Verbrauch von Flussfischen dominiert wird.
 
Hi,
in diesem Zusammenhang finde ich auch die These interessant das der Hund eben nicht vom Grauwolf (Canis lupus) abstammt, sondern von einem ausgestorbenen? nahen Verwandten des Grauwolfs. Dieser müsste in etwa ausgesehen haben wie heutige wild lebende Hunde z.B. Dingos, Carolina Dogs, Kanaan-Hunde, singende Hunde aus Neuguinea etc. In dem von mir gelesenen Artikel wurde sowohl auf die Genetik und die Morpholgie eingegangen als auch auf die Rudelstrucktur heutiger wild lebenden Hunde und Pariahunde. Den Originalartikel finde ich leider nicht mehr. Hier ist ein entsprechender Artikel aus der Welt.

Zu der Frage wie aus einem Wolf ein Chihuahua entsteht, kann ich guten Gewissens auf die Beljajew-Füchse verweisen und betonen das dies ein Domestikationsversuch ist der erst ca. 60 Jahre läuft und bereits erstaunliche Ergebnisse hervorbringt.
Wie entstand aus dem wilden Kanarengirlitz ein Pariser Trompeter oder ein Harzer Roller, wie aus dem Giebel ein Schleierschwanz? Es ist immer derselbe Weg, durch die Domestikation treten bereits erste Veränderungen auf, z.B. in der Farbe. Weil die natürliche Auswahl nach Darwin aus bleibt, überleben mehr Jungtiere und dadurch auch solche die als Wildtier keine Chance hätten. Es kommt durch die vermehrte Inzucht zu mehr Mutationen, diese werden durch Zuchtauswahl kombiniert und es entstehen nochmals neue Formen. Die Frage müsste also eher lauten:"wieso gibt es immer noch wolfsähnliche Hunde?".
 
Neues vom Hund (vom prähistorischen):

Vorabveröffentlichung im open access
Evidence for Early European Neolithic Dog Dispersal: New Data on South-Eastern European subfossil dogs from Prehistory and Antiquity Ages

Ziele:
Die Geschichte der Domestikation von Hunden wird noch diskutiert, aber zweifellos war es ein Prozess einer alten Partnerschaft zwischen Hunden (Canis familiaris) und Menschen. Obwohl die Daten über die Vielfalt der alten DNA-Hunde knapp sind, ist es klar, dass sich in Eurasien bis zum Holozän mehrere regionale Hundepopulationen gebildet haben. Während der neolithischen Revolution und dem Übergang von der Jäger-Sammler- zur Bauerngesellschaft, gefolgt von Zivilisationsänderungen in der Antike, veränderte sich auch die Struktur der Hundepopulation. Dieser Prozess war auf den Austausch durch neu gebildete Hunderassen zurückzuführen.

Methoden In dieser Studie haben wir zum ersten Mal mitochondriale Daten über Südosteuropa (den Balkan), antike Hundeüberreste aus dem Frühneolithikum (8 000 Jahre BP) bis in die Spätantike (bis zum 3. Jahrhundert n. Chr.) präsentiert. Insgesamt 25 Proben wurden mit der mitochondrialen D-Schleifenregion (HVR1) analysiert.

Ergebnisse:
Die Ergebnisse zeigten das Vorhandensein von A (70%) und B (25%) Kladen über den gesamten Untersuchungszeitraum. Um die Position unserer Ergebnisse innerhalb der alten Hundepopulation im eneolithischen Eurasien zu klären, haben wir eine phylogenetische Analyse mit den verfügbaren genetischen Datensätzen durchgeführt. Diese Daten zeigten eine Ähnlichkeit der Struktur der bulgarischen Hunde mit der der alten italienischen Hunde (A-, B- und C-Kladen), was auf eine neue prähistorische und historische mediterrane Hundepopulation schließen lässt. Es ist eine klare Grenze zwischen der südeuropäischen genetischen Hundestruktur einerseits und dem Mittelwesten (Kl. C), Osten (Kl. D) und Nordeuropa (Kl. A und C) andererseits erkennbar. Dies ist den genetischen Rekonstruktionen beim europäischen Menschen im gleichen Zeitraum ähnlich, betrachtet ohne Vermischung zwischen den Hundepopulationen.

Schlussfolgerungen:
Unsere Daten haben zum ersten Mal das Vorhandensein der Klasse B im alten Eurasien gezeigt. Dies ist nicht unerwartet, da die B-Haplogruppe bei bestehenden Balkanhunden und Wölfen weit verbreitet ist. Die Anwesenheit dieser Gruppe sowohl bei Hunden als auch bei Wölfen auf dem Balkan lässt sich mit Hybridisierungsereignissen vor der Jungsteinzeit erklären. Die Verbreitung dieser Gruppe in Europa zusammen mit der A-Gruppe steht im Zusammenhang mit der möglichen Verbreitung neu gebildeter Hunderassen aus dem antiken Griechenland, Thrakien und dem Römischen Reich.


(Übersetzung: ~ deepL)
 
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