Vergessene Kanzler?

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Die Verfemten
Die Kanzler der Weimarer Republik gelten als Versager und wurden nach dem Krieg vergessen gemacht. Zu Recht?
Von Benedikt Erenz

Aus der ZEIT Nr. 36/2017

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Friedrich Ebert im Jahr 1918 © Hulton Archive/Getty Images

Wie hätten sich unsere Bundeskanzler, wie hätten sich Erhard und Schmidt, Kohl und Schröder zwischen 1919 und 1933 geschlagen? Konrad Adenauer immerhin war 1926 ziemlich nahe dran an der Kanzlerschaft. Aber am Ende blieb der Zentrumsmann Oberbürgermeister in Köln und zog nicht wie sein rheinischer Amtskollege, Essens Oberbürgermeister Hans Luther, in die Berliner Wilhelmstraße.

Zu Adenauers späterem Glück. Denn als Altkanzler der Weimarer Republik wäre ihm eine politische Karriere in der Bundesrepublik verwehrt gewesen. Zu kontaminiert waren die Regierungschefs jener Jahre, verantwortlich gemacht für einfach alles: das lastende Trauma der Niederlage im Weltkrieg wie die wirtschaftlichen Nöte wie die politische Unruhe, die "Bürgerkriegsstimmung" der Zeit. Und vor allem: für den Aufstieg Hitlers. So sehr the Weimar years mit ihren Malern, Musikern, Dichtern, ihren Wissenschaftlern und Sozialreformern heute international als Deutschlands zweites Goldenes Zeitalter, als Moment der Welt-Avantgarde gefeiert werden, so verpönt sind die führenden Politiker der Republik, allen voran ihre Kanzler. Es scheint fast, als wirkte der Hass der Nazis und der anderen konservativen Revolutionäre auf die "Systemzeit" immer noch nach.

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So schreibt u.a. Erenz:
"Andere Leitpolitiker der Republik wurden ermordet, unter ihnen Matthias Erzberger und Rathenau. "Da steht der Feind", rief Joseph Wirth nach Rathenaus Tod 1922 im Reichstag aus, "der Feind steht rechts!" Und gegen diesen Feind hatten Weimars Kanzler keine Chance."

Dieser Ausspruch verweist wohl auf den historischen Moment in der Geschichte der Weimarer Republik, an dem die Mobilisierung der Demokraten am weitesten vorangeschritten war. Er hätte entschiedener genutzt werden müssen, alle antidemokratischen Elemente - so gut es möglich gewesen wäre - politisch zu entmachten.

Die Erinnerungskultur an diese Periode findet , wie es schein, keine - nennenswerte Anzahl - an engagierten Protagonisten im heutigen demokratischen Deutschland, was eigentlich erstaunt. Es ist dabei unverständlich, dass eine "wertebasierte Demokratie" nicht gerade an dieser Periode sich orientiert, da an ihr deutlich wird, dass es Demokraten gab, die für ihre politischen Überzeugungen den eigenen Tod in Kauf genommen haben.

Eine Form der politischen Courage, die eigentlich vorbildlich ist und Vorbildcharakter haben sollte. Die demokratischen Politiker von Weimar hätten es verdient, als Vorbilder für unsere heutige pluralistische demokratische "Wertegemeinschaft" zu fungieren.

Die Weimarer Republik war der Versuch, die autokratische politische Kultur des Kaiserreichs ohne eine blutige Revolution in eine diskurs- und konsensorientierte Demokratie zu entwickeln. Und die ehemaligen kaiserlichen Bürger mit den Mechanismen der parlamentarischen Demokratie vertraut zu machen.
Mit dem Mechanismus des friedlichen Ringens um den besten politischen Weg. Für dieses Engagement gehört den demokratisch orientierten Reichskanzlern der Weimarer Republik der Respekt aller heutigen Demokraten.

Die andere Seite der Medaille betrifft dann das Gerede um eine "Demokratie ohne Demokraten", das nachträglich noch aus heutiger Sicht das Engagement der damaligen Demokraten - manchmal auch nicht beabsichtigt - diskreditiert. Es gab demokratische Traditionen in den demokratisch orientierten Parteien des Kaiserreichs und der Weimarer Republik und das dieses in der heutigen Wahrnehmung übersehen wird, verweist auf die einseitige auf Verdrängung hin orientierte "Nicht-Erinnerungskultur" der Weimarer Republik.

Andererseits: Es gab massive Demokratiedefizite in konservativen und deutschnationalen Teilen der Bevölkerung, die politisch relevant wurden. Es gab Defizite auch auf der extremen Linken, die sich im politischen System von Weimar - als Feindbild - aber nur indirekt auswirkte. Gravierend war jedoch das "Staatsversagen" der ehemaligen kaiserlichen Institutionen. Vor allem zu nennen sind die massiven antidemokratischen Tendenzen im Justizwesen und in der Reichswehr.

Parallel dazu wird der Aspekt der späten bzw. verzögerten "Schuld" des Kaiserreichs - durch seine Unterdrückung einer parlamentarisch demokratischen Entwicklung - an der politischen Entwicklung in der Weimarer Republik in der offiziellen Erinnerungskultur eher "übersehen".
 
Zuletzt bearbeitet:
Man muss sich aber auch vor Augen halten wie kurz die Weimarer Republik existierte. Adenauer und Kohl regierten beide länger als alle Weimarer Kanzler zusammen. Die längste Regierung überstand zwei Jahre, weniger als eine einzige Legislaturperiode. Das ist für die meisten Politiker einfach zu kurz um in Erinnerung zu bleiben.
 
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