Trumbulls Schlachten der Offiziere

Brissotin

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Mir ist einmal aufgefallen, dass bei Trumbull in seinen Historiengemälden oftmals die Anzahl der Offiziere im Schlachtgetümmel ganz enorm groß ist. Das ist natürlich davon bedingt, dass er den historischen Tod oder das letzte Aufbäumen des bedrängten Offiziers/Generals oftmals ins Zentrum der Komposition rückt. Gefühlt führt das dazu, dass man den irrigen Eindruck bekommen könnte, die Anzahl der Offiziere in Relation zu den normalen Soldaten wäre in seiner Zeit bei etwa 1:1 gewesen.

Mal ein erstes Beispiel:
The Death of General Mercer at the Battle of Princeton, January 3, 1777 - Wikipedia
Hier finden wir eine Masse an Generälen und Offizieren auch da mehrere Phasen der Schlacht bei Princeton vereinigt worden sind.
Rechts sieht man den britischen Hauptmann Leslie in seiner Grenadieroffiziersuniform wie ihm der Säbel entgleitet und er wohl nach der Blessur greift. Anders als bei den anderen Figuren scheinen die Umstehenden keine Notiz davon zu nehmen - nicht einmal der Offizier direkt hinter ihm - und es scheint fragwürdig woher denn die tödliche Kugel gekommen sein soll, da man keine Salve oder auch nur auf ihn anlegende Musketen erkennen kann.
Etwas links von ihm erkennt man ausschließlich Offiziere auf dem Boden liegend, gut erkennbar auch ohne klar identifizierbare Rangabzeichen an dem Fehlen des Lederzeugs der Mannschaften.
Im Zentrum der Komposition erkennt man General Hugh Mercer. Das Bild heißt ja "The Death of General Mercer at the battle of Princeton...", obwohl Mercer auf dem Bild offensichtlich noch nicht stirbt. Noch wehrt er sich. Das Bajonett des einen britischen Grenadiers ergreift der amerikanische General mit einer Hand und er fixiert den Grenadier mit den Augen, die Spitze seines Degens auf das Gesicht des Grenadiers gerichtet, als würde er ihm gleich ins Gesicht stechen. Doch scheint Mercer nicht den anderen Grenadier hinter sich zu bemerken, der ihn in dem Moment das Bajonett in den Rücken zu stoßen scheint.
Weiter links an eine Trommel gelehnt erkennt man einen weiteren amerikanischen Offizier. Warum er am Boden liegt, weiß man nicht, denn keine Wunde ist erkennbar. Vielleicht gehört er wie der tote amerikanische Offizier weiter rechts zum Stab Mercers? Es scheint noch etwas Leben in diesem Offizier zu stecken. Auch sein Degen ist in Richtung des einen Grenadiers gerichtet. Vielleicht rappelt er sich noch auf, um Mercer beizustehen?
Wieder weiter links sieht man weitere britische Grenadiere - in denselben Uniformen wie die anderen britischen Grenadiere, also wohl zum selben Regiment gehörig - im Nahkampf über amerikanische und britische Leichen hinweg. Einer von ihnen scheint im Begriff den amerikanischen Offizier Daniel Neil, der seltsamerweise ebenso wie Mercer geistesgegenwärtig und eigenwillig mit dem Säbel gestikulierend, in das Bajonett des Briten greift. Ein anderer amerikanischer Offizier packt den Grenadier an der Brust - vielleicht fasst er in das Bandelier und bedroht ihn mit dem Degen, dessen Spitze er ins Gesicht des Grenadiers hält. Hinter Neil und der Kanone sieht man Offiziere und vielleicht einen Soldaten, die gegen eine schmale einreihige Linie von wenigen Grenadieren kämpfen, die scheinbar von einem britischen Offizier angeführt wird, der eben seine Bärenfellmütze verloren hat.
Ganz rechts praktisch in ihre eigene Infanterie reitend kommen ein amerikanischer General, Thomas Mifflin, mit einem Reiter heran.
Noch deplatzierter wirkt allerdings Washington, der in der Mitte des Gemäldes in Feldherrnpose den Angriff von drei Männern seines Stabes zu leiten scheint, der sich zwischen die Briten links und rechts drängt. Hiermit soll freilich das Eintreffen Washingtons thematisiert werden. Auch er kämpft wieder ohne Mannschaften, sondern offenbar nur mithilfe seines Stabes.

Wenn ich es richtig gezählt habe, erkennt man bei den Amerikanern im Vordergrund auf dem Gemälde 10 Offiziere und Generäle und nur 2-4 Mannschaften. Bei den Briten schaut es anders aus. Diese haben sogar als Protagonisten primär normale Grenadiere, auch wenn unter ihnen ebenfalls der Anteil an Offizieren sehr hoch ist.

Die dicht gedrängte Komposition kommt wohl auch durch das Format. Ganz weit im Hintergrund erkennt man ja auch gewöhnliche Schlachtreihen. Die Menge an Hauptfiguren im Vordergrund wirken eher wie auf einer Bühne, wo die Nebenhandlungen rechts und links wie die Gassen auf dem Theater konzipiert sind.

Trotzdem hatte ich bei dem Gemälde immer den Eindruck - ich glaube, ich nahm es das erste Mal so recht wahr, da war ich 7 oder 8 - dass hier die Schlacht als vorwiegend eine Angelegenheit unter Offizieren oder Generalen charakterisiert wird. Soldaten sind Beiwerk. Ob sie sterben ist auch eher zweitrangig. Tragisch ist es, wenn Anführer sterben, egal ob eigene (hier amerikanische, denn Trumbull war Amerikaner) oder feindliche (wie Leslie).

Was haltet ihr davon?
 
Du kennst ja Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters:

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
[...]
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
Untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer
Siegte außer ihm?
[...]

Brecht legt hier gewissermaßen den Finger in die Wunde der Geschichtsschreibung. Platt wird immer gesagt, der Sieger schriebe die Geschichte. Das ist in Teilen richtig, aber hinreichend Gegenbeispiele gibt es auch. Das Ding ist, dass wir immer nur die Namen der oberen Ränge erfahren, sei es nun der Herrscher oder der General etc. Die Namen der kleinen Leute erfahren wir nie. Die Gemälde scheinen die Entsprechung davon zu sein. Das Geschehen wird so sehr auf die oberen Ränge fokussiert, dass die niedrigeren Ränge genauso ausgeblendet werden, wie in der eigentlichen Geschichtsschreibung. Eine Kulturgeschichte als Erweiterung der politischen und Ereignisgeschichte hatte sich erst - und das unter Widerständen! - im 1900 entwickelt, eine Ethnologie/Volkskunde war nur bedingt ethnohistorisch, entwickelte sich teils in den 1920er Jahren und bekam schnell, zumindest bei uns in Dtld. einen biologistischen Touch (bedingt dadurch, dass viele Geisteswissenschaftler ab 1933 beim SS-Ahnenerbe eine Anstellung fanden), eine echte Sozialgeschichte, die sich auch für die unteren sozialen Schichten und deren Lebenszeugnisse interessierte, entwickelte sich tatsächlich erst in den 1960er Jahren. Trumbull ist also ein Kind seiner Zeit, seine Historienmalerei entspricht der seiner Zeit, mit dem Fokus auf den "bedeutsamen Männern".
 
Naja, dass Feldherrn im Zentrum sind - manchmal geradezu unbeeindruckt vom Geschehen um sie herum (wie in Nicolas Poussins Gemälde der Eroberung Jerusalems durch Titus Category:Ancient Rome subjects by Nicolas Poussin – Wikimedia Commons ), das ist ja nichts so ungewöhnliches. Aber dass die Schlacht als praktisch Kampf nur zwischen Offizieren ausschaut, das ist seltsam. Bei Trumbull wirkt es ja nichtmal, als führten die Offiziere ihre Einheiten in den Kampf, sondern als tummelten sie sich wie in einem riesigen Duell untereinander. Vielleicht ist es eben das, was hier dargestellt wird, die Unverschämtheit des gemeinen Soldaten den hochstehenden General zu töten. Geschähe es anders rum, wäre keine Tragik darin, nicht Heroisches. Besonders heroisch ist der Tod in der Kunst dieser Zeit, wenn der Held nicht von einer anonymen Kugel getroffen wird (Wolfe bei Québec mag eine Ausnahme sein), sondern wenn er von einer Übermacht, derer er sich zu erwehren sucht, statt aufzugeben, erliegt, wenn diese ihn durchbohren.
 
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