1944: Ardennen -Durch einen Sieg zum Verhandlungsfrieden?

Wollte Hitler nicht mit einer Offensive im Dezember 1944 "diese künstlich aufrechterhaltene gemeinsame Front" (damit meinte er das britisch-amerikanisch-sowjetische Bündnis) zum Einsturz bringen?

Luise Jodl, die zweite Ehefrau von Generaloberst Jodl, dem Chef des Wehrmachtführungsstabes, schrieb in ihrem autobiographisch geprägten Buch über den General, dass Jodl ihr gegenüber später erwähnt hätte, Antwerpen sei das Ziel gewesen.

Anfang Dezember 1944 hätte er sich telefonisch bei ihr gemeldet: "Drücke die Daumen, daß das neblige Wetter anhält. Du wirst ja gemerkt haben, daß etwas Besonderes im Gange ist. Wenn der Kriegsgott es gut mit uns meint, können wir Deutschland vielleicht vor dem Schlimmsten bewahren." (Quelle: Luise Jodl, Jenseits des Endes. Leben und Sterben des Generaloberst Alfres Jodl, Wien, München, Zürich 1976, S. 116)

Vor dem Schlimmsten bewahren - das hört sich für mich so an, als wollte man die bedingungslose Kapitulation verhindern.

Der Chef des Wehrmachtführungsstabes hat sich später auf Clausewitz berufen:

"Es war ein verzweifelter Versuch in verzweifelter Lage, nach Clausewitz berechtigt...Nur in diesem Versuch bestand noch eine Chance. Im Osten war die Zahlenüberlegenheit der Erdtruppen groß, im Westen nur gering, stark hingegen die Überlegenheit der Luftwaffe. Man hoffte, daß sie im Winter bei geeignetem Wetter nicht so wirksam sein werde. Gelang die Offensive und damit die Vernichtung zahlreicher alliierter Divisionen, so könnte man im Westen für eine gewisse Zeit mit einem Stopp rechnen und dann mit wirklichem Einsatz den russischen Vormarsch stoppen, der zu dieser Zeit die Weichsel und Warschau erreicht hatte." (Luise Jodl, a.a.O., S. 117)

Demnach wollte man an der Westfront einen Befreiungsschlag wagen, anschließend Truppen an die Ostfront verlegen und so den russischen Vormarsch stoppen. Der Plan erscheint mir wirklich wie eine Verzweiflungstat. Denn der Generaloberst muss ja einräumen, dass Deutschland nicht mehr stark genug ist, um alle Fronten zu verteidigen. Also will man offenbar die Vorteile der 'inneren Linie' nutzen, verkennt im OKW jedoch, dass die alliierte Luftwaffe längst die Luftherrschaft errungen hat und der Bahntransport ganzer Divisionen durch das Reich mittlerweile fast unmöglich ist - zumindest aber große Probleme aufwirft. Und ob genug Truppen zur Verfügung standen, die dann die überdehnte Ostfront gehalten hätten, ist ebenfalls zweifelhaft.

Außerdem hätte auch diese begrenzte Offensive nur einen zeitlichen Aufschub gebracht. Glaubte die Führung des Reiches also doch an eine politische Lösung? Denn auf Dauer waren die Fronten im Westen und im Osten nicht zu halten. Und dass man in Washington und London - selbst im Falle einer Niederlage in den Ardennen - auf die Weiterführung des Krieges verzichtet und Berlin einen Sonderfrieden angeboten hätte, halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Es war wohl - wie Jodl schrieb - ein Verzweiflungsschlag einer militärisch-politischen Führung, die nicht mehr weiter wusste und sich in Illusionen flüchtete.

PS.: Auch das erste Zitat habe ich dem Buch von Luise Jodl entnommen; man kann es auf Seite 116 nachlesen.
 
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Anfang Dezember 1944 hätte er sich telefonisch bei ihr gemeldet: "Drücke die Daumen, daß das neblige Wetter anhält. Du wirst ja gemerkt haben, daß etwas Besonderes im Gange ist. Wenn der Kriegsgott es gut mit uns meint, können wir Deutschland vielleicht vor dem Schlimmsten bewahren." (Quelle: Luise Jodl, Jenseits des Endes. Leben und Sterben des Generaloberst Alfres Jodl, Wien, München, Zürich 1976, S. 116)

Vor dem Schlimmsten bewahren - das hört sich für mich so an, als wollte man die bedingungslose Kapitulation verhindern.

Der Chef des Wehrmachtführungsstabes hat sich später auf Clausewitz berufen:

"Es war ein verzweifelter Versuch in verzweifelter Lage, nach Clausewitz berechtigt...

Die Entscheidung zur Ardennenoffensive ist wohl originär direkt auf Hitler zurückzuführen, gegen Opposition im Umfeld seiner Führungsstäbe (so zB Guderian).

Jodls "vor dem Schlimmsten bewahren" kann man - würde es sich um einen "einfachen Soldaten" handeln - möglicherweise gelten lassen. Nicht jedoch für jemanden, der Überblick über die Frontlagen und Rüstungslagen im Deutschen Reich hatte. Es war weniger ein verzweifelter, als vielmehr ein aussichtsloser Versuch, der den Alliierten höchstens ein paar operativ unwesentliche, temporär begrenzte Probleme bereiten konnte.

Wenn man diese Einschätzung akzeptiert, ist die Berufung auf Clausewitz für militärische Handlungen "5nach12" ein Umkehrung des Ordnungsrahmens zwischen Politik und Militär, und aufgrund der völlig unsinnigen Kriegsverlängerung - zugespitzt - ein Verbrechen gegen das eigene Volk. Jodls Berufung auf Clausewitz werte ich als apologetisch, gegen besseres Wissen, und geradezu als Dokument der willfährigen Gefolgschaft eines verbrecherischen Regimes. Wenn der Mann seine Sinne noch beieinander hatte, muss ihm aufgrund der Gesamtlage klar gewesen sein, dass diese Aktion keine bedingungslose Kapitulation verhindern würde und schon in den Ansätzen steckenbleiben würde.

Von daher ist Dein Hinweis auf die Illusionen, in die man sich flüchtete (Die Illusion der "Wunder"waffen wäre auch so ein Thema), ganz richtig.

Diese Aussichtslosigkeit wurde überdies verbreitet gesehen. Ein Indiz dafür sind die außerordentlichen Auftritte Hitlers mit seinen "Motivationsgesprächen" vor den versammelten Divisionskommandeuren, die ihre zusammengestoppelten "Trümmerhaufen" mit "Baby-Regimentern" und "Volksgrenadierdivisionen" mit 2-Monats-Ausbildung und zusammengekarrtem Material in eine Offensive gegen einen materiell weit überlegenen Gegner führen sollten. Denen war doch völlig bewusst, dass mit den ersten Sonnentagen der Himmel schwarz vor alliierten Bombern sein würde, die jede "ausholende" operative Bewegung im Keim ersticken würden.

Jodls Bemerkungen bringen das "Weitermachen" bis zur Apokalypse sehr gut auf den Punkt. Ich empfinde sie als Versagen des hohen deutschen Militärs, die Konsequenzen zu ziehen (die Rommel in seinem Telegramm vom Juli 1944 wegen der Normandie bereits gefordert hatte), und als Beleg, wie weit diese militärischen Kreise bereits durch das Regime korrumpiert waren.

Wenn er den Anstand zum Widerstand nicht hatte, hätte er mit seiner Dienstwaffe eigene Konsequenzen aus der militärischen Führung in die Katastrophe ziehen können. Stattdessen lässt er sich "richten", mit einer Strategie der Befehlsordnung und des "professionellen Handelns als Soldat", zieht sich natürlich frei von Schuld und verweist noch obendrein auf Clausewitz.
 
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